Nur Verlierer
Haben wir es also endlich hinter gebracht. Das Treffen der 20 wichtigsten Politiker und Despoten in unserer Hansestadt. So richtig Bock hatte darauf wohl niemand, abgesehen von Merkel, Scholz und Grote vielleicht. Hätte man eine Umfrage gestartet, wäre das Ergebnis wohl nicht so knapp ausgefallen, wie bei der Olympia-Bewertung. Dass es knallen würde, war erwartet worden. Geschäfte wurden verrammelt, gefühlt war drei/viertel der Hamburger geflüchtet. Offensichtlich herrschte kein übermässiges Vertrauen in die Beschwichtigung von Olaf Scholz.
Dass es dermaßen eskaliert, hatten die meisten wohl nicht erwartet. So wirklich angefangen hatte es mit völlig überzogenen Vorgehen schon vor dem Gipfel gegen Demonstanten, die ihre Zelte aufstellen wollte: Völlig egal, ob friedlich oder nicht, Frauen, Kinder, alles Latte: Grote wollte demonstrieren, was für ein harter Hund er ist. Ein Teil von Hamburg zeigte dann, dass es für eine offene Kultur und nicht Polizeiwillkür steht: Kirchen, Theater, Privatleute und das Millerntor öffneten ihre Tore für die Camper, die ihre berechtigte Kritik auf die Straße bringen wollten.
Apropos Millerntor: Dort war auch die alternative Pressestelle untergebracht. Wie wichtig diese werden würde, war spätestens bei der Demo „Welcome to Hell“ deutlich. Überraschenderweise ohne Auflagen genehmigt, fuhr die Polizei erneut die Taktik, die Demonstration gar nicht erst starten zu lassen; Nicht zum ersten Mal in Hamburg. Und damals wie heute rechtswidrig. Es war augenscheinlich gewollt, Eskalation zu betreiben. Polizeikräfte stürmten in die Demonstration, drückten Menschen gegen Mauer in einem Bereich, der bewusst so gewählt war, dass Flucht fast unmöglich war. Während die ersten Medien noch die vorbereiteten Pressemitteilungen der Polizei abschrieben, hatten andere Verlage eigene Journalisten vor Ort: Taz, die Zeit, ja selbst Bild berichtet von einem klaren Angriff seitens der Polizei, während der Demonstrationszug dabei war, die Vermummung zu entfernen.
Bis hierhin lief noch alles nach Plan für die Hardliner, die geistigen Kinder der Koksnase Schill: Die Polizei zeigt Härte, das Spießbürgertum applaudiert und nimmt für ein vermeintliches Sicherheitsgefühl in Kauf, dass Grundrechte – im wahrsten Sinne des Wortes – mit Füßen getreten werden. Die „Freie und Hansestadt“ Hamburg unterschied sich zu diesem Zeitpunkt nicht von Istanbul.
In der Nacht wurde es dann zum Fiasko für die Polizei: Ein Zeichen, dass sie zwar brutal vorgehen kann um VIPs zu beschützen, sich aber nicht sonderlich für die Hamburger Bewohner interessiert. Altona brannte. Und die vor kurzem noch moralisch überlegenen Zivilisten verspielten jegliche Sympathie. Einen ganzen Stadtteil zu verwüsten: Das war offensichtlich keine politische Diskussion, das war einfach nur Zerstörungswut. Kein Unterschied zu Fußball-Hooligans und anderen Vollidioten. Und damit wird für viele nachträglich das rechtswidrige Vorgehen der Polizei legitimiert. Und sie können sich nicht dahinter verstecken, dass jemand von Oben bewusst eine Eskalation wollte: Die haben das einzig und allein aus freien Stücken getan.
Am Freitag eskalierte es dann weiter: Steineschmeißer auf der Einen, Polizisten, die willkürlich Journalisten die Akkreditierung entziehen und sie aggressiv an der Dokumentation der Geschehnisse hindern vollen und friedliche Demonstranten angreifen auf der anderen Seite. Die Polizei überliess aus Angst einen ganzen Stadtteil sich selbst. In beiden Fällen eine Minderheit: Die meisten Demonstranten waren friedlich und auch die meisten Polizisten haben Hamburg nicht genutzt, um ihre Aggressionen auszuleben. Aber auf beiden Seiten werden die Arschlöcher im Gedächtnis bleiben. Videos von Schlagstöcken, Pfefferspray gegen eine Frau auf einem Fahrzeug auf der Einen, Gewalttäter, die Geschäfte plündern, Steine schmeißen und Krawall-Hipster auf der anderen Seite.
Dass ist es, was am Ende übrig bleiben wird. Nicht die friedlichen Demonstrationen, von denen es viele gab, allen voran die großen Demos am Samstag, wo weder von Polizei, noch von Demonstrationsteilnehmern Gewalt ausging. Und das ist eigentlich eine gewaltig tolle Geschichte. Wenn nach dermaßen gewalttätigen Nächten es alle Teilnehmer schaffen zu differenzieren und sich am nächsten Tag friedlich gegenüber zu stehen, dann ist es das, was einen stolz machen kann auf unsere Stadt. Und das sollten wir auch.
Verloren haben eigentlich alle: Die Bürger, die von vornherein am demonstrieren gehindert worden, die Menschen mit und ohne Uniform, die sich in Folge eine maßlosen Gewalt ausgesetzt sahen, die Hamburger, die zusehen mussten, wie ihre Stadt verwüstet wurde.
Verloren haben in meinen Augen auch die Hamburger Grünen. Zu keiner Zeit sind sie für die Einhaltung der Grundrechte aufgestanden. Am Ende haben sie erklärt, dass es eine ziemlich blöde Idee war mit dem ganzen G20. Ernsthaft? Keine Selbstreflektion?
Dann haben noch viele Menschen, ob prominent oder nicht, gezeigt, dass sie nicht in der Lage sind zu differenzieren. Es sind nicht entweder die gewalttätigen Idioten, oder die rechtswidrigen Polizeieinsätze. Unfassbar, wie viele die andere Seite relativieren, wenn es der eigenen Meinung nicht passt.
Positives kann ich nicht viel erkennen. Vielleicht das Wissen, dass so bald niemand mehr auf die Idee kommt, so einen Mist in Hamburg zu veranstalten. Dass „Gott sei Dank haben wir nicht auch noch Olympia am Hels“ – Gefühl. Gut wäre es auch, wenn die politisch Verantwortlichen die Quittung bekämen dafür, dass wir Hamburger für ihre politische Profilierungssucht leiden mussten. Am Ende wird aber wohl das Gegenteil passieren. Wenn es einen Untersuchungsausschuss geben sollte, wird er – völlig überraschend – zu keinem Ergebnis kommen.
Ich für meinen Teil hoffe, dass die Wut im Bauch langsam verfliegt. Dass Grote nicht eine noch härtere, rechtswidrige Linie fährt um von seinem Versagen abzulenken. Dass die Demonstranten nicht auf solche Provokationen – wie gewollt – mit erhöhter Aggression antworten. Dass wir Stück für Stück wieder etwas zur hanseatischen Gelassenheit zurückkehren.
Hätte man auch vorher machen können. Aber wir können immerhin wieder dahin kommen.
trainer