Daten/Fakten  

   

Verleugnende Verdrängung-

Rassisten in der DDR und die Folgen bis heute

I. Seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten sehen wir uns mit einer rassistischen Revolte konfrontiert, deren Ziel es ist, elementare demokratische Werte, wie z. B. Menschen- und Bürger­rechte, zu vernichten. Die rassistischen Angriffe begannen in Deutschland nach der militärischen Nieder­lage des Nazismus und reichen mittlerweile bis zur terroristischen Gruppe „NSU“. In den neuen Bundesländern gibt es anhalten eine 2- bis 3-mal höhere Zahl rassistischer Angriffe, als in den westlichen Bundesländern. In Berlin weisen die östlichen Bezirke im Verhältnis zu den Bezir­ken im Westen eine ähnliche Schieflage auf. Diese Tatsachen benötigen eine Erklärung, die in der Historie der rassistischen Be­wegungen der DDR und BRD zu finden sind. In Bezug auf die SBZ/DDR ist eine anhaltende Verharmlosung und Verleugnung des Rassismus durch ehemalige Funktionäre der SED bis heute zu konstatieren und sie geraten damit ebenfalls in den Fokus der historischen Aufklärung.

In meiner neuen Veröffentlichung habe ich nahezu Tausend rassistische (und anti-semitische) Bei­spiele aufgeführt, die sich von Gräberschändungen jüdischer Friedhöfe, über die Ermordung des Mosambikaners Carlos Conceicao (18 Jahre) durch einen ras­sisti­schen Mob im September 1987 in Staßfurt (heute Sachsen-Anhalt) bis hin zur Ermordung eines Arbeiters (58 Jahre) im Juni 1990 in Erfurt erstrecken.[1] Der latente und mani­feste Rassismus in der ost-deutschen Bevölkerung wurde wäh­rend der Herrschaft der SED na­hezu vollständig vor der Öffentlichkeit verheimlicht. Obli­gato­risch wurden rassistische Vorkommnisse in inter­nen Schreiben der SED, der FDJ oder dem Minis­terium der Staatssicherheit, als „Streng Geheim“, „Vertrauliche Verschlußsache“ oder „Geheime Vertrauliche Verschlußsache“ deklariert und liefern so einen beredten Eindruck von der Funkti­ons­weise politischer Zensur und Manipulation.
 
II.
Der Rassismus wurde bei der Behandlung der ausländischen ArbeiterIn­nen („Vertragsarbeiter“) sichtbar, deren Wohnen und Arbeiten durch die Gesetzgebung en gros und en De­tails bestimmt worden war. In engen Räumen in speziellen Wohnheimen untergebracht, kontrolliert und gegängelt durch die Leitung der Wohnheime und durch offizielle Vertreter des Staates, wehrten sie sich im­mer wieder gegen die paternalistische Unterdrückung. Wenn es ihnen untersagt wurde Besucher zu empfangen, auch und gerade wenn Männer Frauen oder Frauen Män­ner be­suchten, dann bemerkten die ArbeiterInnen besonders schmerzhaft die Einengung ihrer Le­bensumstände. In den Betrieben wurden sie zu den unbequemsten und schmutzigsten Ar­beiten gezwungen, gegen die sie sich wieder und wie­der mit Streiks zu wehren wussten. So kam es, um ein Beispiel zu nennen, zwischen 1975 und 1976 in acht Betrieben zu mehreren Arbeitsniederlegungen aus politischen und ökonomischen Gründen von ca. 600 algerischen Arbeitern. Der latente Rassismus manifestierte sich in der Regel gegen Diejenigen, die auf Grund äuße­rer Attribute als Nicht-Deut­sche wahrgenommen werden konnten. Sie wurden mit brutaler Gewalt ver­folgt und die Opfer dieser z. T. pog­romartigen An­griffe auf Leib und Leben waren vor allem Algerier, Mosambikaner, Kubaner, Polen, Ungarn und Tsche­choslowaken. Zu den Opfern gehörten auch Soldaten und Offiziere der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte (GSSD), die zu be­vorzugten Zielen der Rassisten wurden. Insgesamt wurden Auslän­der aus ca. 30 Staaten Opfer rassistischer Gewalt und es gab mehrere Tote und ungezählte Verletzte. Damit man sich ein Bild machen kann von den rassisti­schen Verhältnis­sen, habe ich mit Erfurt eine Stadt ausgewählt, die als ein Beispiel für die rassistische Atmosphäre in Städten und Ge­meinden der DDR dienen kann. Dort wurden im August 1975 mehrere algeri­sche Arbeiter von rassistischen Deutschen angegriffen und es gab Verletzte. Die pogromartigen Ausschreitungen, sie dauerten drei bis vier Tage, began­nen mit dem Ruf „Schlagt die Algerier tot“ und danach wurden Algerier von einem rassistischen Mob durch die Stadt gehetzt. Am 12. August verhinderten 50 bis 60 deutsche Rassisten, dass Alge­rier zu ihrem Wohnheim kommen konnten. Daraufhin gelei­teten Sicherheits­kräfte die Algerier in das Gebäude der Post und führten sie durch den Hinterein­gang zum verdeck­ten Abtransport zum Wohnheim. Mittlerweile war die Anzahl der Angreifer vor der Hauptpost auf ca. 150 bis 300 Personen angewachsen und es wurde die „Herausgabe der Algerier“ gefor­dert. In Sprech­chören und Zwischenrufen wurde gerufen: „totschlagen“, „aufhän­gen“, „Deutsche raus – Al­gerier in Ketten“ oder „schlagt die Bullen tot“. Als der rassistische Mob mit Gewalt in das Gebäude ein­zudringen versuchte, löste die Volkspolizei die spontane Versamm­lung mit Schlagstöcken und dem Einsatz von Hunden auf. Ins­gesamt wurden 19 Personen vorläufig festgenommen. Am 13. Au­gust hatten sich wieder ca. 150 Personen versammelt und es kam zu „lautstarken und provozie­ren­den Diskussionen“ mit Volkspolizisten. Zur gleichen Zeit wurde vor dem Wohnheim der Alge­rier, eine mit Stöcken bewaffnete Gruppe von Rassisten, von der Polizei aufge­löst und fünf „Rä­delsfüh­rer und Rowdys“ wurden vor­läufig festgenommen. Diesen Pogromen gingen, in den Mona­ten Juni und Juli 1975 in Gaststätten und bei Tanzveranstal­tungen, mehrere tätliche Auseinander­setzungen zwischen Deutschen, Algeriern und Ungarn vo­raus.[2] Die nationalisti­sche und rassistische Hetze („Ihr schwarzen Schweine, haut ab nach Hause) gegen Alge­rier (Muslime) ging republikweit weiter und führte dann zum fast vollständigen Rückzug der algeri­schen Arbeiter aus der DDR durch die algerische Regierung.

Seit diesen Ereignissen gab und gibt es bis in die Gegenwart hinein in der Stadt Erfurt und ihrer Umgebung immer wieder rassistische bzw. anti-semitische Angriffe, so z. B. als am 25. Juni 1990 ein Arbeiter (58 Jahre) erschlagen wurde. Am 3. August 1992 wurde in Erfurt-Stotternheim ein pol­nische Arbeiter (24 Jahre) von drei Skin­heads getötet und am 27. Januar 2003 wurde ein Arbeitslo­ser (48 Jahre) von einem Rassisten (23 Jahre) getötet. Der Täter wurde vom Landge­richt Erfurt im Jahr 2008 nur zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt und dabei wurde die politi­sche Dimension der Tötung geleugnet.[3]
 
III.
Die Ursachen für diese Entwicklung sind komplex und dazu gehört die mangelnde Ent-Nazifizie­rung und der große Frieden mit alten Nazis, die als Funktionseliten beim Aufbau und der Verwal­tung des Staates und der Gesellschaft der DDR dringend gebraucht wurden.[4] Die SED befolgte den Beschluss der Kom­munisti­schen Internationale vom August 1935 (Dimitroff-Formel), wo der Fa­schismus ge­rade nicht als rassistisches Pro­jekt, sondern als politisch-ökonomisches Terrorsystem betrachtet wurde, dass sich im Wesentlichen gegen die deut­sche bzw. internationale Arbeiterbewe­gung gerichtet hätte. So beschloss der 3. Parteitag der SED im Juli 1950, dass die Wurzeln für Fa­schis­mus und Rassismus „mit Stumpf und Stiel ausgerottet“ worden wären. Was für ein Irrtum! Diese, der ökonomistischen Position innewohnende, Verharmlosung und Verleugnung des Rassis­mus bzw. Anti-Semitismus setzte sich durch und noch im Jahr 1986 verharmloste der Minister für Staatssicherheit (MfS), Erich Mielke, die neo-nazistischen Aktivitäten in der DDR als „Wichtigtue­rei“.

Am Anfang des Jahres 1988 erklärte die Hauptabteilung I des MfS in einer Analyse solche Vorgänge damit, dass es sich hier nicht um „ideologische Positionen“, sondern um unkri­tisch wie­der gegebene Tenden­zen aus dem feindlichen Westen handeln würde. Am 11. August 1989 be­hauptete die staatliche Nachrichtenagen­tur ADN, Informationen über neo-nazistische Tendenzen in der DDR wären „purer Unsinn“. Den bis heute aktiven Juristen, Polizisten und Politikern (z. B. in Thüringen oder Sachsen) ist eine ähnli­che Verharmlosung und Verleugnung anzumer­ken und das Versagen der Sicherheitskräfte bei der Aufklärung der Ver­bre­chen der Terroristen der rassistischen Gruppe „NSU“, ist zu einem nicht unerheblichen Teil da­rauf zurückzuführen, dass die rassistische und nationalistische Ideologie, der U. Mundlos, U. Böhn­hardt und B. Zschäpe verfallen sind, nicht ausreichend wahrgenommen werden konnte.
 
 Dr. Harry Waibel

[1] Rassisten in Deutschland, Frankfurt/M. 2012. Im III. Kapitel (S. 71-153) und im Anhang in der „Chronologie rassistischer Ereignisse in der DDR“ (S. 261-402) wird auf Beispiele näher eingegangen.

[2] BStU Erfurt, Abt. XIV 18, S. 1-3, S. 57-73; BStU MfS-ZAIG 30554, S. 1-2, S. 68-112, S. 130-134.

[3] die tageszeitung, 19.01.1993 und 20.06.2008.

[4] Diener vieler Herren – Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR, Frankfurt/M. 2011.