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Transatlantischer Freihandel oder „Versöhnung der Menschheit mit der Natur und mit sich selbst“? -

Eine Hommage an Friedrich Engels und Karl Marx

Wer erinnert sich noch an MAI, das Multilaterale Abkommen über Investitionen? Es wurde von 1995 bis 1998 zwischen transnationalen Konzernen, den damals 29 in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verbundenen Industriestaaten und der EU unter Einbeziehung von Drittweltländern hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. Nachdem es der NGO Public Citizen gelang, eine Kopie zu beschaffen und zu veröffentlichen, fegte ein Sturm der Entrüstung das gesamte Vertragswerk hinweg.

Worum ging es? - Ausgelöst durch die immensen Ölpreissteigerungen der Jahre 1973 und 1979, hatten sich die Handelsbilanzen der auf Erdölimporte angewiesenen Staaten dramatisch verschlechtert. Zur Aufrechterhaltung ihrer Industrialisierungspläne sahen sich viele Drittwelt-länder veranlasst, Kredite zu hohen Zinsen auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen. Zwischen 1973 und 1983 verzehnfachten sich ihre Schulden. Dies zwang die betroffenen Drittweltländer zu verstärkten Rohstoff- und Agrarexporten bei entsprechend gesunkenen Weltmarktpreisen. Bei-spiel Brasilien: Weil die Zinszahlungen den überaus hohen Anteil von 5,5 % des BIP absorbier-ten, sah sich das Land gezwungen, zu Lasten seines Binnenmarkts ein Drittel seiner Produkte in die Länder der Nordhemisphäre zu verramschen. Die Investitionen in die Infrastruktur gingen zurück; die heutigen Folgen im Land der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 sind verheerend. Auch die ohnehin niedrigen Sozial- und Umweltstandards sanken weiter. Brasiliens Pro-Kopf-Einkommen reduzierte sich permanent – alleine zwischen 1981 und 1983 um zwölf Prozent! Der Widerstand der Bevölkerung fegte schließlich die korrupte Militärdiktatur hinweg und brach-te 1985 linke Kräfte an die Macht.

São Paulo ist „wichtigster Standort der deutschen Industrie abseits Europas und der USA“ - vor allem, seit der VW-Konzern sich 1959 entschloss, den „Käfer“ auch in Brasilien zu produzieren. Inzwischen sind es 1.300 deutsche Unternehmen: „In kaum einer anderen Weltregion ist die deutsche Wirtschaft so präsent wie in Brasilien.“ Andere europäische und US-Konzerne taten es ihnen gleich. Die von der neuen Linksregierung im Einklang mit den Gewerkschaften durchgesetzten Lohnerhöhungen werteten die Konzernzentralen als „indirekte Enteignung“, ebenso das Umweltschutzgesetz von 1989, welches den Brandrodungen im Regenwald ebenso den Kampf ansagte wie den giftigen Minenschlämmen. (Dass derlei Probleme bis heute nicht bewäl-tigt sind, soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden.)

Kernpunkte des MAI waren:

Einseitige Privilegierung der Investoren gegenüber „indirekten Enteignungen“ durch staatliche Maßnahmen zur Verbesserung von Sozial- und Umweltstandards

Druck auf Staaten, bestehende Beschränkungen für ausländische Direktinvestitionen abzubauen („roll-back“ zur Durchsetzung von Liberalisierung und Deregulierung)

Ausweitung des Begriffs der Direktinvestition bis hin zu Finanzderivaten 

Einführung neuartiger Schiedsgerichtsverfahren, welche den Unternehmen ein direktes Klagerecht gegenüber Regierungen verleihen, sobald sie negative Auswirkungen auf ihre Investitionen und Profite befürchten. Damit wurde den Entwicklungsländern die Möglichkeit genommen, ausländische Investitionen in eine selbstbestimmte, nationale Entwicklungsstrategie einzubinden.

Auf Druck der Öffentlichkeit verhinderte 1998 Frankreichs Regierung das MAI. Erleben wir jetzt, nach weiteren Krisen der kapitalistischen Produktionsweise (1997 ostasiatische Tigerstaaten, Platzen der Dotcom-Blase 2000, Immobilien- und Bankenkrise 2007), durch transpazifische (TPP) und transatlantische Freihandelsabkommen (CETA; TTIP) ein Déjà-vu?

Ressourcenschwund und Klimawandel erzwingen einen neuen Entwicklungspfad. Freihandel und Protektionismus werden, genährt durch den Akkumulationstrieb des Kapitals, zur tödlichen Falle. Dieser Aufsatz orientiert sich an der logisch-historischen Methode des Karl Marx (1): Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind keineswegs festgemeißelt; sie entwickeln sich in Zeit und Raum. Vergleichbar der komplexen Struktur eines Baums, die sich dem Verständnis aus der Beobachtung seiner Entwicklung aus dem Keim heraus erschließt, können wir die komplizierte Tektonik heutiger Freihandelsabkommen besser verstehen, wenn wir verfolgen, wie sie sich aus ihrer einfachen Grundstruktur seit fünfhundert Jahren entfaltete.

Monetarismus des 16. Jahrhunderts Im Mittelalter „bestand allgemeiner Kleinbetrieb auf Grundlage des Privateigentums der Arbeiter an ihren Produktionsmitteln: der Ackerbau der kleinen, freien oder hörigen Bauern, das Handwerk der Städte. (…) Diese zersplitterten, engen Produktionsmittel zu konzentrieren, auszuweiten, sie in die mächtig wirkenden Produktionshebel der Gegenwart umzuwandeln, war grade die historische Rolle der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer Trägerin, der Bourgeoisie. Wie sie dies seit dem 15.Jahrhundert auf den drei Stufen der einfachen Kooperation, der Manufaktur und der großen Industrie geschichtlich durchgeführt, hat Marx im vierten Abschnitt des ‚Kapital‘ ausführlich geschildert“ (2).

Um geschichtsmächtig zu werden, mussten zunächst bedeutende Mengen Zahlungsmittel an-gesammelt werden. Die geraubten Gold- und Silberschätze Amerikas und des indischen Sub-kontinents überschwemmten die Iberische Halbinsel. Weil die Warenproduktion bei weitem noch nicht mithalten konnte, sank der Wert der Gold- und Silbermünzen während des 16. Jahrhunderts auf weniger als 25 Prozent. Die Arbeitswerttheorie ist noch unbekannt. Sie hätte den Preisverfall aus der gleichzeitigen Zunahme des damaligen „Niedriglohnsektors“, vor allem der Sklavenarbeit im Weltmaßstab erklärt. Dem noch primitiven Entwicklungsstand der Wirtschaftstheorien entsprechend treibt man sich ausschließlich auf der Erscheinungsebene, der Zirkulati-on des Geldkapitals herum und macht die Menge der Edelmetalle für den Preisverfall verantwortlich. Erste Ansätze einer Geldmengensteuerung entstehen, indem Gold und Silber dem Wirtschaftskreislauf entzogen und in den Tresoren der Geldinstitute gehortet werden. (Im letz-ten Drittel des 20. Jahrhunderts wird der US-amerikanische Wirtschaftsprofessor Milton Fried-man, Keynes‘ neomerkantilistische Steuerung ökonomischer Prozesse bekämpfend, den Zent-ralbanken die Aufgabe zuordnen, durch Zins- und Geldmengenregulierung die Wirtschaftsbeziehungen der Gegenwart zu steuern.) Der originäre Monetarismus des 16. Jahrhunderts be-wertete den Reichtum jeder Nation anhand der im Land befindlichen Geldmenge. Daraus erklärt sich, warum die Ausfuhr des Edelmetalls bei Todesstrafe untersagt war: „Alle Mittel wurden aufgeboten, um den Völkern, mit denen man im Handelsverkehr stand, soviel bares Geld wie möglich abzulocken und das glücklich Heimgebrachte hübsch innerhalb der Mautlinie zu behalten“ (3).

Ausgangs- und Endpunkt jedes Kapitalkreislaufs ist Geld, das sich in Geldkapital verwandelt, mit dem der Besitzer Arbeiter einstellt, Rohmaterialien einkauft und weiterverarbeiten lässt. Erst nach erfolgreichem Verkauf der produzierten Ware fließt das vorgeschossene Geld zurück, wo-bei der Erlös das Vorgeschossene im Regelfall um Faktor x übersteigt: G -> W -> G‘. Die Differenz zwischen G‘ und G ist der Mehrwert. Der Erlös wird gewöhnlich re-investiert, woraus sich der Fortgang der Formel speist: G‘ -> W‘ -> G‘‘->W‘‘->G‘‘‘ usw. Die permanente Erweiterung auf fortschreitender Stufenleiter - Geld und Naturverbrauch durch Arbeit - nennt Marx „kapitalistische Akkumulation“ (4).

Kaufen, um teurer zu verkaufen, ist das Prinzip des Handelskapitals. Wie der Überschuss zustande kam, interessierte zunächst niemanden. Er konnte auf Piraterie beruhen oder auf Schmuggel, Sklavenhandel oder Ausbeutung der Arbeitskraft in den Produktionsstätten. „Man lebte noch in der naiven Anschauung, daß Gold und Silber der Reichtum sei, und hatte also nichts eiligeres zu tun, als überall die Ausfuhr der ‚edlen‘ Metalle zu verbieten. Die Nationen standen sich gegenüber wie Geizhälse, deren jeder seinen teuren Geldsack mit beiden Armen umschließt und mit Neid und Argwohn auf seine Nachbarn blickt“ (5). Weil Spanien und Portu-gal fremden Kaufleuten den Zugang zu ihren Kolonien verweigerten, war Englands Königin Elizabeth I. bestrebt, die Zufuhr von Edelmetall durch Piraterie und weitere Gewaltmittel zu fördern.

Offener Raub und Gewalt prägten den gesamten Frühkapitalismus. Der „Freihandel“ des 16. Jahrhunderts erwies sich mehr oder minder als Freibeuterei. Allmählich verfeinerten sich die Methoden. Entgegen dem äußeren Schein nahm die Profitgier weiter zu und damit auch die Ausbeutung. Englands Tuchweberei mutierte zum führenden Gewerbezweig. Weil den holländischen Manufakturen unterlegen, schützten hohe Einfuhrzölle die englische Tuchindustrie vor der unerwünschten Konkurrenz. Nicht erst seit Marx wissen wir, dass die planmäßige Organisa-tion der Produktion im kapitalistischen Unternehmen mit der undurchschaubaren Aufnahmefähigkeit des Marktes konfligiert. Es ist keineswegs sicher, dass die Produkte ihre Käufer finden werden. Getrieben von der Angst, zu spät zu kommen, tendiert jeder Produzent, vor der kapitalistischen Konkurrenz als erster auf dem (Welt-)Markt zu sein – bar jeder Rücksichtnahme: Weil Wolle höhere Profite einbrachte als Getreide, suchten die englischen Grundbesitzer ihre Herden zu vergrößern, indem sie die Gemeindewiesen – die Allmenden – „privatisierten“ (der lateinische Begriff „privare“ bedeutet rauben, berauben), d.h. sich gewaltsam, teils unter Zuhilfenahme der Staatsgewalt, aneigneten und durch Zäune einhegten. Als auch dies nicht mehr ausreichte, dehnten sie das Weideland aus, indem sie Hunderttausende kleiner Bauern unter Einsatz brutaler Methoden vertrieben. Zehntausende wurden wegen „Landstreicherei“ gehängt. Auf diese Weise schuf die Bourgeoisie das Potenzial billiger Lohnarbeiter, welches den Ausgangspunkt für Englands Aufstieg zur führenden Weltmacht bildete. Darin besteht, Marx zufolge, das Geheimnis der ursprünglichen Kapitalakkumulation: „von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend“ (6).

Geldzirkulation, Kauf und Verkauf von Waren, Dingen von Arbeitern und Landverpachtung mussten erst weit genug entwickelt sein, ehe die Ökonomen sich dranmachen konnten, die Ursache der Handelsüberschüsse zum Zwecke ihrer effizienteren Gestaltung zu erforschen. Mit fortschreitender Durchsetzung der Ware-Geld-Beziehungen entstand das Problem, „daß das Kapital im Kasten tot daliegt, während es in der Zirkulation sich stets vermehrt. Man wurde also menschenfreundlicher, man schickte seine Dukaten als Lockvögel aus, damit sie andere mit sich zurückbringen sollten, und erkannte, daß es nichts schadet, wenn man dem A zuviel für seine Ware bezahlt, solange man sie noch bei B für einen höheren Preis loswerden kann. Auf dieser Basis erbaute sich das Merkantilsystem“ (7).

Merkantilismus (1600-1760) Die Vernichtung der spanischen Armada durch Englands Flotte im Jahr 1588 markiert den Zeit-punkt, an dem die Schatzbildung im Wesentlichen abgeschlossen war. 1600 wurde die East India Trading Company gegründet; weitere Handelsniederlassungen rund um den Erdball folgten. Mit steigender Warenmenge intensivierte sich der internationale Warentausch. Thomas Mun (1571-1641), Direktor der Ostindischen Handelsgesellschaft, avancierte zum führenden Kopf der Merkantilisten: „Die Ausfuhr von Edelmetallen ist unweigerlich darauf zurückzuführen, daß mehr Waren eingeführt als ausgeführt werden. Das ist so notwendig wahr, daß kein Gesetz, kein Handelsvertrag (…) es verhindern kann“ (8).

Erstmals ist von ökonomischen Gesetzmäßigkeiten die Rede, deren Wirkung so stark ist, dass sie die Macht von Regierungen übersteigt. So spricht ein selbstbewusstes Bürgertum, das sich anschickt, die politische Macht zu übernehmen. Dem Freihandel als dem Recht des Stärkeren setzte der Schwächere hohe Zölle entgegen. Sobald England aufgrund der überlegenen Qualität seiner Waren mehr ausführt als einführt, können sich seine Kaufleute als die Herren dieser Erde fühlen und, wann immer es ihnen passt, Edelmetall exportieren – es kehrt stets in größerer Quantität zurück. Der Hinweis auf die bessere Qualität der Produkte lässt das künftige Interesse der Bourgeoisie an der Produktion, das heißt an den Arbeitsprozessen, erahnen. Zunächst geht es aber nur um Steuerung des Außenhandels durch den Staat: Verbot der Rohstoffausfuhr; Förderung des Exports von Fertigerzeugnissen. Ausbau der Handelsniederlassungen, um den englischen Manufakturen billige Rohstoffe und dem Handelskapital Profite aus dem Zwischenhandel mit Zucker, Seide, Tabak und Gewürzen zu garantieren. Einschränkung der Zufuhr ausländischer Manufakturwaren durch hohe Importzölle.

Durch Dreieckshandel (Ausfuhr von Fertigwaren in die Absatzmärkte der Niederlassungen, z.B. in Schwarzafrika –> Requirierung von Sklaven und Transport zu amerikanischen Baumwollplantagen –> Weitertransport der durch Sklaven wohlfeil erzeugten Baumwolle zur Tuchverarbeitung nach England) sammelte sich viel Edelmetall im englischen Mutterland an, das jetzt nach produktiver Anlage rief, z.B. Investition in den Bau von Schifffahrtskanälen zur Verbesserung des Binnentransports.

Englands Kaufleute wurden immer mächtiger und selbstbewusster. 1598 kappten sie mit der Schließung des Londoner Stahlhofs die Verbindung zur immer noch mächtigen Hanse. Nach erfolgreicher bürgerlicher Revolution untersagten die neuen Regierungen, zunächst unter der Leitung Oliver Cromwells, ab 1651 durch eine Reihe von „Navigationsakten“ ausländischen Handelsschiffen den Zugang zu englischen Häfen bei Strafe der dauerhaften Beschlagnahme von Schiff und Ladung und setzten dies nach gewonnenem Krieg mit den Niederlanden, der führenden See- und Handelsmacht jener Jahre, durch.

Noch dominierte die Landwirtschaft die Produktion. Neben der Textilverarbeitung wuchsen wei-tere Zweige heran: die Eisen- und Stahlgießerei sowie der Kohlebergbau. Der Sieg des Industriekapitals über das Handelskapital, die Industrielle Revolution, wurde bereits im 17. Jahrhundert mit solcher Wucht vorbereitet, dass der Historiker Eric Hobsbawm am Ende des 20. Jahrhunderts fragen wird, warum sie sich um hundert Jahre verzögerte (9).

William Petty (1623-1687) gilt als Begründer der Arbeitswerttheorie, wenngleich er sich noch nicht aus der feudalistischen Hülle, der Orientierung an der Landwirtschaft, herausgearbeitet hat. „Wenn jemand eine Unze Silber aus dem Innern der Erde Perus in derselben Zeit nach London bringen kann, die er zur Produktion eines Bushel Korn brauchen würde, dann ist das eine der natürliche Preis des anderen“(10). Der Wert der Arbeit wird demnach durch die notwendigen Nahrungsmittel bestimmt. „Nehmen wir an, ein Mann bebaute mit eigener Hand eine bestimmte Fläche Land mit Korn, das heißt, er gräbt oder pflügt es um, eggt, rodet, erntet, fährt das Korn ein, drischt es, worfelt es, (…), und er hat überhaupt dies Saatgut, um es zu besäen. Ich behaupte - wenn dieser Mann von seiner Ernte sein Saatgut abgezogen hat sowie alles, was er selbst verzehrt und im Austausch für seine Kleidung und für sonstige natürliche Bedürf-nisse an andere gegeben hat -, daß das, was an Korn übrigbleibt, die natürliche und wirkliche Bodenrente für dieses Jahr ist“ (11). Weil sich die Jahresernten infolge der Wetterbedingungen voneinander unterscheiden, addierte Petty die Werte eines zusammenhängenden Zeitraums von sieben Jahren und errechnete daraus den Durchschnitt. Die Getreideernte teilt sich auf in a) Verbrauch des Bauern, b) Saatgut für das kommende Jahr; c) Überschuss oder Rente, die der Boden abwirft. Dies verglich Petty mit der Rente, die die Arbeit eines Diggers einbringt: „Nehmen wir also an, ein anderer Mann reise in ein Land, wo es Silber gibt, er grabe dort nach Silber, reinige es, bringe es an den Ort, wo der erste Mann sein Korn anbaut, präge dort Münzen usw.; wenn dieser Mann während der ganzen Zeit, in der er das Silber produzierte, sich gleichzeitig auch die zu seinem Unterhalt notwendige Nahrung und Kleidung erwarb, muß – sage ich – das Silber des einen am Wert des anderen geschätzt werden“ (12).

Wie alle bürgerlichen Ökonomen interessiert Petty ausschließlich der Tauschwert – präziser: der Überschuss, der nach Verkauf und Abzug aller Kosten bleibt. Wenn Petty vom Bauern spricht, dann meint er zwei Personen: den Grundeigentümer und den Lohnarbeiter, der das Feld unter dessen Leitung bestellt. Daher tritt Petty für so niedrige Löhne ein, dass sich die Arbeiter gerade am Leben halten können. Sollte das Unglück einer guten Ernte eintreten, sodass die Nahrungsmittelpreise fallen und sich die Kaufkraft der Löhne erhöht, müsse der Staat eingreifen und die Nahrungsmittel gesondert besteuern. Denn sonst stünde zu befürchten, dass die Arbeiter faulenzen.

Physiokraten: Produktivität des Bodens erfordert Freihandel Das Merkantilsystem wurde in England entwickelt und zur Blüte gebracht. Ähnliches lässt sich in Bezug auf den Physiokratismus der Jahre 1760-1789 für das zurückgebliebene, noch im Feudalismus gefangene Frankreich am Vorabend seiner bürgerlichen Revolution sagen. Weitaus stärker als in England dominiert die Landwirtschaft. Das Neue besteht jedoch darin, dass Frankreichs Ökonomen den Mehrwert nicht aus der Zirkulation, sondern aus der Produktion ableiteten, konkret: aus den Erträgen des Bodens. Dieser ist zwar Eigentum des Feudaladels, doch er wird von kapitalistischen Pächtern durch Lohnarbeiter bewirtschaftet. Handwerker, Arbeiter und Händler konsumieren die Nahrungsmittel und verarbeiten die dem Boden abgewonnenen Rohstoffe. An der Wertschöpfung haben sie nach Ansicht der Physiokraten aber keinen Anteil; denn ausschließlich die Natur sei produktiv. Das Mehrprodukt werde vollständig unter den Feudalmächten verteilt: der Grundeigentümer erhalte vier, der König zwei und die Kirche das restliche Siebtel.

Dieses „Geschenk der Natur“ beanspruchen die bürgerlichen Pächter ganz für sich. Zwar benö-tigen auch sie die von Handwerkern und Arbeitern erzeugten und von Kaufleuten gehandelten Produkte. Deren Nahrungsmittelkonsum samt Rohstoffverbrauch solle auf das notwendige Min-destmaß beschränkt bleiben, was am besten durch Förderung gegenseitiger Konkurrenz gelinge: „Laissez faire, laissez aller, le monde va de lui-même!“ (Lasst es geschehen, lasst es vorübergehen, die Welt geht von selbst weiter): Aneignung von Mehrwert und Freihandel sind die beiden Seiten derselben Medaille.

Adam Smith: Arbeitswerttheorie begründet den Freihandel Adam Smith (1723-1790) wird 1776 folgern: Arbeitsteilung und Freihandel bewirken den Wohl-stand aller Nationen, wenn jedes Land die Waren exportiert, die es am billigsten herstellen kann, und jene Güter importiert, die anderswo billiger produziert werden. Der (Tausch) Wert jeder Ware werde ausschließlich durch die zu seiner Produktion aufgewendete Arbeit bestimmt. Daraus leitet Smith die Grundlagen seiner liberalen Wirtschaftstheorie ab: Laissez-faire (staatli-che Nichteinmischung), freier Wettbewerb und ungehinderter Handel seien die treibenden Kräf-te des gesellschaftlichen Fortschritts. Indem die Wirtschaftssubjekte ungehindert ihre ökonomi-schen Ziele verfolgen, werde die „unsichtbare Hand des Marktes“ sie zum Vorteil Aller leiten. Das führe zu Wohlstand für alle und sozialer Harmonie.

David Ricardos Plädoyer für den Freihandel Springen wir ins Jahr 1817. Die Industrielle Revolution ist in vollem Gang. Manufakturen wurden durch Maschinen- und Textilfabriken abgelöst. Kohle und Stahl sind die Basis der technologi-schen Entwicklung. Dampfmaschinen treiben die Produktion in immer mehr Gewerbezweigen. Die kleinen Bauernwirtschaften wichen fast komplett dem Großgrundbesitz. Napoleon ist endgültig besiegt, die Kontinentalsperre, welche die als mannigfaltig, billig und in ausgezeichneter Qualität gehandelten englischen Industrieprodukte, vornehmlich Textilien, vom Festland fern hielt, existiert nicht mehr. Der Konflikt um die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums nimmt an Schärfe zu – zunächst zwischen den Grundeigentümern, welche die Mehrheit im Parlament stellen und zu ihren Gunsten hohe Zölle auf den Import von Rohstoffen und Korn legten, auf der einen und den Fabrikbesitzern auf der andern Seite. Der Industriebourgeoisie kommt dies teuer zu stehen: der Preisanstieg der Rohstoffe schmälert die Renditen, ebenso der gestiegene Kornpreis, der die Löhne künstlich hoch hält. Der Kampf um die Durchsetzung des Freihandels (durch Abschaffung der Korngesetze) wird bis 1846 mit großer Wucht toben.

David Ricardo (1771-1823) wurde durch Börsenspekulation reich. Er kennt den Kapitalismus wie kein anderer. Die ökonomischen Gesetze hält er für unveränderlich. Die ersten beiden Kapi-tel seines Hauptwerks „On the principles of political economy and taxatation“ tragen die Über-schrift „Vom Wert“ und „Von der Bodenrente“. Sie machen das Werk aus marxistischer Sicht zum absoluten Höhepunkt der bürgerlichen Politökonomie. Ricardos Nachfolger haben beide Kapitel wegen der für sie nicht akzeptablen Konsequenzen über Bord geworfen und begnügen sich mit den in den restlichen 30 Kapiteln dargestellten Ausführungen über das Prinzip der komparativen Kostenvorteile im Außenhandel nebst Problemen der Besteuerung.

Auf der einen Seite ist die Wertbestimmung durch die Arbeitszeit für Ricardo ein absolutes, all-gemeingültiges Naturgesetz. Nur der Arbeiter schafft mit seiner Arbeit Wert – auch die Maschinen, mit denen sich die produzierte Menge bald potenziert, sind nichts anderes als „aufgespeicherte Arbeit“. Folglich stünde dem Arbeiter der volle Ertrag seiner Arbeit zu. Dies jedoch ist für die Bourgeoisie unannehmbar - Ricardo verwickelt sich in heillose Widersprüche: Der Arbeiter soll nur jenen Lohn bekommen, den er braucht, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Darüber hinaus stünde dem Fabrikherrn ein Äquivalent zu für die Nutzung der Maschinen, den Kauf der Rohstoffe sowie für den Zins, der dem Geldkapitalisten zu zahlen ist, während der Eigentü-mer des Grundstücks, das der Unternehmer meistens gepachtet hat, am Verkaufserlös in Gestalt der Grundrente beteiligt wird. - Dass Ricardo Grundrente und Zins als Abzug vom Profit deklariert, weist ihn als einen Vertreter des Industriekapitals aus. Dieser Gedanke wird für den Freihandel eine große Bedeutung bekommen. Stärker noch beflügelt er die in den 1820er Jahren einsetzende englische Arbeiterbewegung.

Bereits vor Marx (geboren 1818) und Engels (Jahrgang 1820) trat die englische bürgerliche Politökonomie den Rückzug an. Sie gab die Arbeitswerttheorie auf, trieb sich nur noch auf der Erscheinungsebene herum und erfasste einzelne Aspekte der Kapitalzirkulation, deren „Interdependenzen“ sie untersuchte, oft unter Zuhilfenahme komplizierter mathematischer Modelle mit beschränkter Aussagekraft. So bahnte John Stuart Mill (1806-1873) mit seiner Produktionsfaktorentheorie der Vulgärökonomie den Weg: Der Wert ist für ihn nur noch das Verhältnis, in dem sich die Waren untereinander austauschen. Alle an der Produktion Beteiligten erhalten den ihnen zustehenden Lohn: der Arbeiter den Arbeitslohn, der Grundeigentümer die Bodenrente, der Bankier den Kapitalzins und der Unternehmer die Rendite aus den investierten Produkti-onsmitteln. Alle Produktionsfaktoren führen ein friedliches Dasein. Jegliche Dialektik - Einheit und Kampf der Gegensätze - ist verschwunden. Merkantilistische und monetaristische Vorstel-lungen haben wieder Konjunktur – John Maynard Keynes (1883-1946) gilt als Neomerkantilist, Milton Friedman (1912-2006) als Neomonetarist.

Marx‘ prinzipielle Kritik an Freihandel und Protektionismus England war dank seines Entwicklungsvorsprungs in der Lage, den europäischen Nachbarn die Bedingungen seines Außenhandels aufzuzwingen. Einfuhrzölle und Freihandel für seine Expor-te gingen eine Symbiose ein. Englands Vorsprung vergrößerte sich nach dem Fall der Kontinentalsperre Jahr um Jahr. Nur zwei Hindernisse standen noch im Weg: der Zollschutz, durch den sich die unterlegenen Staaten der englischen Konkurrenz zu erwehren trachteten, und die Einfuhrzölle auf Rohstoffe und Nahrungsmittel in England selbst, durch die sich die Grundeigentümer gegenüber der Industriebourgeoisie zu behaupten suchten. In den 1840er Jahren siegte letztere, in der Hochkonjunktur das politische Kräfteverhältnis ausnutzend: 1846 fielen die Korngesetze. Freihandel war nunmehr das Losungswort. Im Streben, England zum alleinigen Industriezentrum, zur „Werkstatt der Welt“ werden zu lassen und den europäischen Kontinent auf das Niveau eines abhängigen Agrarbezirks herunterzustufen, verkündeten Englands Industriekapitalisten in Übereinstimmung mit der Theorie des Adam Smith den Freihandel als Heilmit-tel für sämtliche ökonomischen Probleme – ähnlich den vollmundigen Versprechungen der heu-tigen Freihandelsapostel. Im Spätherbst 1847 sollte mittels des Brüsseler Kongresses der Freihandelsgedanke überall auf dem Kontinent Fuß fassen.

Marx hatte sich kritisch mit Friedrich Lists Vorschlag der Schaffung eines vorübergehend abgeschotteten deutschen Binnenmarktes auseinandergesetzt: Freihandel im deutschen Binnenver-kehr sollte durch hohe Außenhandelszölle abgesichert werden, um den deutschen Unternehmen zu ermöglichen, international wettbewerbsfähig zu werden. Marx, der damals im Brüsseler Exil lebte, hatte sich auf dem Freihandelskongress als Redner eingeschrieben, kam aber nicht mehr zu Wort. Seine Rede ist dennoch der Nachwelt erhalten, weil er sie im Januar 1848 in der Brüsseler Demokratischen Gesellschaft vortrug, deren Vizepräsident er war (13).

Marx attackierte sowohl den Freihandel, als auch den kapitalistischen Protektionismus: Die Verheißungen des Adam Smith, wonach mit dem alleinseligmachenden Freihandel eine immerwährende Prosperität und Harmonie auf dem Weltmarkt erreicht würde, haben sich längst als Illusion erwiesen. Der Unterschied von entwickelt und unentwickelt, von reich und arm ver-mindere sich nicht, sondern wachse unaufhörlich. Die sozialen Widersprüche spitzen sich durch den Freihandel zu bis zu jenem Punkt, an dem sie gesprengt werden. „Wenn die Freihändler nicht begreifen können, wie ein Land sich auf Kosten des anderen bereichern kann, so brauchen wir uns nicht darüber zu wundern, da dieselben Herren noch weniger begreifen wollen, wie innerhalb eines Landes eine Klasse sich auf Kosten einer anderen bereichern kann. Glauben Sie aber nicht, meine Herren, daß, wenn wir die Handelsfreiheit kritisieren, wir die Absicht haben, das Schutzzollsystem zu verteidigen“ (14).

„Was ist also unter dem heutigen Gesellschaftszustand der Freihandel? Die Freiheit des Kapitals. Habt ihr die paar nationalen Schranken, die noch die freie Entwicklung des Kapitals einengen, eingerissen, so habt ihr lediglich seine Tätigkeit völlig entfesselt. Solange ihr das Verhält-nis von Lohnarbeit und Kapital fortbestehen laßt, mag der Austausch der Waren sich immerhin unter den günstigsten Bedingungen vollziehen, es wird stets eine Klasse geben, die ausbeutet, und eine, die ausgebeutet wird“ (15).

F. Engels: Ziel ist die Versöhnung der Menschheit mit der Natur und mit sich selbst Nur Marx hörte den Paukenschlag, mit dem der 23-jährige Friedrich Engels 1844 die Bühne betrat. Engels hatte in Manchester, dem Zentrum der englischen Textilindustrie, in der Tuchfab-rik Ermen und Engels als Sohn des Teilhabers seit 1842 hospitiert und die ökonomische Literatur seiner Zeit gründlich studiert. Mit seiner künftigen Lebensgefährtin Mary Burns, einer iri-schen Arbeiterin, nahm er an Versammlungen der Chartisten und Owenisten aktiv teil. Im Feb-ruar 1844 sandte er Marx einen Artikel für die von diesem mit herausgegebenen Deutsch-Französischen Jahrbücher: „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“. Sofort löst Engels das friedliche Nebeneinander der Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital auf: Kapital sei nach übereinstimmendem Urteil aller Arbeitswerttheoretiker „‚aufgespeicherte Arbeit‘. So bleiben uns also nur zwei Seiten übrig, die natürliche, objektive, der Boden, und die menschliche, subjektive, die Arbeit, die das Kapital einschließt. (…) Wir haben also zwei Elemente der Produktion, die Natur und den Menschen“ (16).

Im Unterschied zur bürgerlichen Ökonomie erklärt Engels die Wirtschaftsprobleme aus dem Naturzusammenhang: In jedem Gebrauchswert spiegle sich die uns umgebende Materie (der Philosoph Martin Heidegger wird später jede Produktion „Entbergen der Natur“ nennen). Der Tauschwert stehe dagegen für die Entfremdung, die durch die Konkurrenz verursacht wurde. Der Mensch ist Teil der Natur, die Erde „unser Eins und Alles, die erste Bedingung unserer Existenz“ (17). Der Trieb des Kapitals, zu rauben und zu plündern, mache selbst vor der Natur nicht Halt: „Der Grundbesitzer hat dem Kaufmanne nichts vorzuwerfen. Er raubt, indem er den Boden monopolisiert. Er raubt, indem er die Steigerung der Bevölkerung, welche die Konkurrenz und damit den Wert seines Grundstücks steigert, für sich ausbeutet, indem er zur Quelle seines persönlichen Vorteils macht, was nicht durch sein persönliches Tun zustande gekommen, was ihm rein zufällig ist. Er raubt, wenn er verpachtet, indem er die von seinem Pächter angelegten Verbesserungen zuletzt wieder an sich reißt. Dies ist das Geheimnis des stets stei-genden Reichtums der großen Grundbesitzer“ (18). Das Konkurrenzverhältnis treibe „die Produktion in eine Fieberhitze hinein, in der sie alle natürlichen Verhältnisse auf den Kopf stellt. Kein Kapital kann die Konkurrenz des andern aushalten, wenn es nicht auf die höchste Stufe der Tätigkeit gebracht wird.“ (19). Das schließt ein, dass der Kapitalist, um im Konkurrenzkampf die Nase vorn zu haben, unter dem Druck steht, sich rücksichtslos über den von der Natur vor-gegebenen Rhythmus hinwegzusetzen, unter Missachtung objektiver Nachhaltigkeitserfordernisse.

Nicht ausgeblendet darf aber werden, dass vor allem Engels in seinen Altersschriften eine dem Blickfeld des 19. Jahrhunderts geschuldete wenig kritische Haltung zur industriellen Produktion einnahm: „Andrerseits drängen diese Produktivkräfte selbst mit steigender Macht nach Aufhe-bung des Widerspruchs, nach ihrer Erlösung von ihrer Eigenschaft als Kapital, nach tatsächlicher Anerkennung ihres Charakters als gesellschaftlicher Produktivkräfte“ (20). Dies ist offenbar im 21. Jahrhundert mit seinen gewaltigen ökologischen Problemen überholt. Eine umfassende Kritik der kapitalistischen Akkumulation, zu der Marx nicht mehr kam, führt meines Erachtens zum Ökomarxismus. Im Unterschied zu seiner positivistischen Natursicht schrieb Engels 1876: „Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, daß sie damit den Grund zur jetzigen Verödung jener Länder legten. (…) Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Erobe-rer ein fremdes Volk beherrscht“ (21).

Dass die Herrschaft über Natur und Mensch zum Zwecke ihrer Ausbeutung durch das Kapital an Grenzen stoßen wird, kündigt sich bereits 1844 an: Der Ökonom „weiß selbst nicht, welcher Sache er dient. Er weiß nicht, daß er mit all seinem egoistischen Raisonnement doch nur ein Glied in der allgemeinen Kette des Fortschritts der Menschheit bildet. Er weiß nicht, daß er mit seiner Auflösung aller Sonderinteressen nur den Weg bahnt für den großen Umschwung, dem das Jahrhundert entgegengeht, der Versöhnung der Menschheit mit der Natur und mit sich selbst“ (22).

Freihandel und Protektionismus im Niedergang der bürgerlichen Herrschaft Friedrich Lists Vorschläge umsetzend, gelang es sowohl Deutschland als auch den USA, die nationalen Industrien binnen 25 Jahren durch Freihandel im Binnenverkehr und hohe Außen-zölle auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu machen: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war der unaufholbar scheinende Vorsprung der englischen Industrie durch deutsche und US-amerikanische Unternehmen teilweise bereits in sein Gegenteil umgeschlagen. Kartelle in der Schwerindustrie (Kohle, Stahl) brachten sich durch Preisabsprachen in Stellung.

Der Monopolkapitalismus intensivierte mit dem Welthandel zugleich die Ausbeutung von Natur und Arbeitskraft. Das Ringen der nationalen Monopole um die weltweite Neuverteilung der Res-sourcen führte zum Ersten Weltkrieg und zur weiteren Verschmelzung der Monopole mit den von ihnen beherrschten Staatsapparaten (staatsmonopolitischer Kapitalismus). 1917 Oktober-revolution. Beginn der Systemauseinandersetzung. Ende der 1920er Jahre bewirkten die sich weiter zuspitzenden Widersprüche die erste Weltwirtschaftskrise, aus der das Kapital unter dem Druck der Systemauseinandersetzung nur durch tiefgreifende, bis in die Gegenwart reichende Reformen herausfand: Der 1938 von US-Präsident Roosevelt unter neo-merkantilistischer Fundierung durch Keynes eingeschlagene „New Deal“ begründete eine Sozialpartnerschaft auf fossiler Grundlage: Erdöl löst die Kohle als Energiebasis ab. Gewerkschaftsfreundliche Gesetzgebung. Staatliche Rente und Arbeitslosenversicherung. Mindestlohn. Verbot der Kinderarbeit. Vierzigstundenwoche. Umfangreiche staatliche Investitionen (122.000 öffentliche Gebäude; 1 Mio Kilometer neue Straßen; 77.000 Brücken; 20 Staudämme). Staatliche Überwachung der Börsen. Niedrige Steuern für Arme und hohe Steuern für Reiche. Kopplung der Löhne an die Arbeitsproduktivität. Regulierung der internationalen Finanzbeziehungen (Bretton Woods). Noch während des Zweiten Weltkriegs wuchs die Kaufkraft der durchschnittlichen US-amerikanischen Haushalte. Die Nachfrage nach Konsumgütern (Kfz; Elektrogeräte wie z.B. Kühlschränke) stimulierte die Wirtschaft. Erstmals in der Geschichte überstiegen die Löhne das physische Exis-tenzminimum der Arbeiter und ihrer Familien bei weitem.

Die sozialen Widersprüche konnten durch den Teilhabekapitalismus zeitweise eingedämmt werden. Aber die Ausbeutung der Natur vertiefte sich auf höherer Stufenleiter, und dies brachte den New Deal in den 1970ern zu Fall: Weil sich das Kapital die Natur räuberisch zum Nulltarif aneignet, spielt sie als limitierender Kostenfaktor keine Rolle. Folglich wuchs die volkswirtschaftliche Ressourceneffizienz deutlich langsamer als die Arbeitsproduktivität; die Produkte verteuerten sich in Relation zu Löhnen und Profiten. Die Dynamik der 1950er und 1960er Jahre („Wirtschaftswunder“) sank stetig und drohte in den 1970ern unter dem Einfluss der Ölkrisen von 1973 und 1979 zum Erliegen zu kommen. - Parallel dazu verdichteten sich die Kooperati-onsbeziehungen vor allem der Konzerne im internationalen Maßstab, vor allem in Westeuropa (EWG). Neue Kombination des zwischenstaatlichen Freihandels mit tariffärem (tariff = Zolltarif) und nicht-tariffärem Handelsschutz.

Eine unter kapitalistischer Prämisse angemessene Reaktion wäre eine schrittweise Ablösung der alten fordistischen Industrie durch eine umweltkompatible Produktionsweise gewesen: Re-gulation von Ökokapitalkreisläufen; Ressourceneffizienz hätte schneller steigen müssen als das Wachstum. Besondere Bewirtschaftung von Naturressourcen, die oberhalb der Tragfähigkeits-grenzen des Planeten beansprucht sind. – Abgesehen von Teillösungen, z.B. bei der Eindäm-mung des Treibhausgases FCKW, fiel dieser – beschränkte - Ausweg aus dem Dilemma kapi-talistischer Widersprüche der weiteren Profitmaximierung zum Opfer.

Unter maßgeblichem Einfluss des Neo-Monetaristen Milton Friedman (Reagonomics in den USA; Thatcherism im UK) verschlechterten sich in den 1980ern die makroökonomischen Indika-toren; beginnende Privatisierung öffentlicher Leistungen und von Sozialsystemen (privare = rauben, berauben). Nettolohnentwicklung bleibt stark hinter dem Anstieg der Geldeinkommen zurück, vor allem infolge räuberischer Umverteilung von Geldvermögen (Spekulation zu Lasten der Realwirtschaft; Finanzialisierung.) Schuldenkrise der Dritten Welt in den 1980ern. 1997 Krise der ostasiatischen Tigerstaaten. 2000 Platzen der Dotcom-, 2007 der Immobilienblase in den USA, später in Spanien, bewirkt zusammen mit dem Ölpreisanstieg (15.Juli 2008: Ölpreis 147 USD je Barrel. 15.9.2008: Pleite der Bank Lehman Brothers) jenen Dominoeffekt, der das Wirtschaftsgefüge in der europäischen Peripherie (Irland, Portugal, Spanien, Griechenland, Italien) fast zu Fall bringt. Nur milliardenschwere Rettungsaktionen aus Steuergeldern zur Rettung an-geschlagener Banken können das System stabilisieren. Es droht ein vernichtender Preisanstieg für Erdöl, weitere Ressourcen und Nahrungsmittel. Der Klimawandel schreitet unaufhaltsam voran. Immer mehr zur Aufrechterhaltung des Lebens auf unserm Planeten relevante Parameter sind bereits überschritten: Übersäuerung der Ozeane. Stratosphärischer Ozonmangel. Stickstoff- und Phosphorkreisläufe. Weltweiter Frischwasserverbrauch. Veränderte Landnut-zung. Verlust an Biodiversität. Atmosphärische Aerosolaufladung. Chemische Verschmutzung. Wann wird die nächste, möglicherweise Milliarden Menschenleben fordernde Krise des Profit-systems ausbrechen? Wann endlich sagt die Menschheit: NEIN!!!

Transatlantische und transpazifische Freihandelsabkommen halte ich für Versuche, die Aus-beutung von Natur und Arbeitskraft den sich dramatisch verschärfenden Bedingungen auf dem Planeten Erde unter Festsetzung von Preisen, die wir alle dem Profitsystem opfern müssen, anzupassen. Es ist der Krieg der Konzerne gegen den Rest der Welt. Im Fokus steht die „Ver-söhnung der Menschheit mit der Natur und mit sich selbst“.

hajü

Zitatnachweis:

1 = Marx, Karl: „Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie“, MEW 13, 632 f

2 = Engels, Friedrich: „Anti-Dühring“, MEW 20, 250

3 = Engels, Friedrich: „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“, MEW 1, 499

4 = Marx, Karl: „Das Kapital. Erster Band“, MEW 23, 161 ff

5 = Engels, Friedrich: „Umrisse…“, a.a.O., 499

6 = Marx, Karl: „Das Kapital. Erster Band“, MEW 23, 788

7 = Engels, Friedrich „Umrisse…“, a.a.O, 499 ff

8 = Mun, Thomas, zitiert bei Kuczynski, Jürgen: „Die Handelspolitik des Merkantilismus“. In: „Zur Ge-schichte der bürgerlichen Politischen Ökonomie“, Berlin (DDR) 1960, 37

9 = Hobsbawm, Eric: „Industrie und Empire“, Suhrkamp-Verlag 1969,

10 = Petty, Sir William, zitiert in Marx, Karl: „Theorien über den Mehrwert“, MEW 26.1, 332

11 = Petty, Sir William, zitiert in Marx, Karl: „Theorien über den Mehrwert“, MEW 26.1, 333

12 = Petty, Sir William, zitiert in Marx, Karl: „Theorien über den Mehrwert“, daselbst

13 = Marx, Karl: „Rede über die Frage des Freihandels“, MEW 4, 444-458

14 = Marx, Karl: „Rede über die Frage des Freihandels“, MEW 4, 457

15 = Marx, Karl: „Rede über die Frage des Freihandels“, MEW 4, 455

16 = Engels, Friedrich „Umrisse…“, a.a.O, 508 f

17 = Engels, Friedrich „Umrisse…“, a.a.O, 511

18 = Engels, Friedrich „Umrisse…“, a.a.O, 510

19 = Engels, Friedrich „Umrisse…“, a.a.O, 516

20 = Engels, Friedrich: „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“, MEW 19,220

21 = Engels, Friedrich: „Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“, MEW 20, 452 f 22 = Engels, Friedrich „Umrisse…“, a.a.O, 505