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Michael Schmöckel Die Linke

Demokratie mit Füßen getreten

01. Januar 2017 Wir müssen uns über unser Grundverständnis von Demokratie unterhalten. Dies ist aus aktuellem Anlass leider wieder einmal – auch in unserer Stadt – dringend von nöten, da es hier in zunehmenden Maße Kräfte auch weit jenseits von rechten Kräften gibt, die an den Grundprinzipien der Demokratie nicht nur kräftig rütteteln. Und diese Tendenzen finden sich mittlerweile ganz offen auch in den etablierten Parteien wie insbesondere der SPD. 

So lesen wir in den Kieler Nachrichten vom 15.12.2016 zu der letzten Sitzung des Ortsbeirates Suchsdorf: Stadtpräsident Tovar (SPD) meint es sei „schwierig“ das beratende Ortsbeiratsmitglied von DIE LINKE aus dem Ortsbeirat zwangsweise zu entfernen. Nach Tovar (SPD) müsse daher die Gemeindeordnung geändert worden, da das beratende Ortsbeiratsmitglied von der Ratsfraktion der Linken berufen worden, und nur von dieser wieder abrufbar sei. Tovar (SPD) weiter im KN-Artikel: „Man könne die Gemeindeordnung ändern, damit auch beratende Mitglieder abgewählt werden können.“ Bis dahin müsste man im Gremium darüber abstimmen, ob die Anträge des beratenden Mitglieds von DIE LINKE auf die vorliegende Tagesordnung kommen. Gestatten müsse man ihm zweimaliges Rederecht zu jedem Punkt der Tagesordnung, maximal 5 Minuten. Was war geschehen, dass es für Tovar (SPD) und den Ortsbeirat Suchsdorf unerträglich erscheint einem beratenden Ortsbeiratsmitglied „maximal 5 Minuten“ das Wort zu geben? 

Der Reihe nach: Am 09.11.2016 schrieben die Kieler Nachrichten zum Beispiel einen Bericht über die vorangegangene Ortsbeiratssitzung in Suchsdorf und verpassten dem Artikel die tendenziöse Überschrift „Rückkehr zur Sachlichkeit“ und meinten hiermit in erster Linie, dass von DIE LINKE nicht „so viele“ Anträge wie in vorherigen Sitzungen gestellt wurden. Denn die Beratung von Anträgen scheint unerwünscht zu sein; so heißt es dann auch in der Einleitung: „(…) die Diskussion der Anträge zog sich nicht unnötig [sic!] in die Länge, und um 22 Uhr wurde die Sitzung geschlossen: Im Ortsbeirat Suchsdorf ging es am Dienstagabend so sachlich zu wie lange nicht mehr.“ Allerdings sahen das nicht alle handelnden Akteure so; so war z. B. der Ortsbeirats-vorsitzende Warnecke (SPD), wie auch schon in anderen Sitzungen höchst erbost über den Umstand, dass es DIE LINKE mit ihrem beratendem Mitglied wagt, Anträge zu stellen. So auch wieder in der Sitzung am 08.11.2016.

 

Die KN zitieren den Vorsitzenden Warnecke (SPD) mit den Worten: „Es kann nicht sein, dass sich jedes Mal die Tagesordnung verlängert, weil wir über Anträge abstimmen müssen.“ Diesen Satz muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: nach der Auffassung des SPD-Ortsbeirats-Vorsitzenden Warnecke kann es nicht sein, dass sich die Tagesordnung verlängert, weil sich der Ortsbeirat mit Anträgen beschäftigen muss. Aber wenn sich der SPD-/CDU-dominerte Ortsbeirat nicht mit Anträgen, sprich Inhalten, beschäftigen will, dann stellt sich doch die Frage:  wofür haben wir dieses Gremium dann überhaupt? Zudem stellt sich die Frage: wer bestimmt die Tagesordnung eigentlich? Die Tagesordnung ist eine Auflistung der Themen, die besprochen werden soll. Der Ortsbeirat ist ohne jeden Zweifel ein politisches Gremium. Wir streiten dort über unterschiedliche, politische Lösungsansätze.

 

Und jede Partei ist in unserem demokratischen Staatswesen eben berechtigt, Dinge zu thematisieren. Wenn die Grünen beispielsweise etwas besprechen wollen, können sie die Thematik ebenso auf die Tagesordnung setzen lassen, wie z.B. die FDP. Wenn der Ortsbeiratsvorsitzende Warnecke (SPD) im Bezug auf die Anträge von DIE LINKE sagt, dass es nicht sein könne, dass „sich jedes Mal die Tagesordnung verlängert, weil wir über Anträge abstimmen müssen.“, sagt er damit zweierlei: zum einen spricht er der Partei DIE LINKE das Recht ab, die Tagesordnung mitzubestimmen. Andererseits sagt er damit aber auch viel über sein Demokratieverständnis und darüber aus, was er und die SPD für ein Selbstverständnis im Hinblick auf den Ortsbeirat haben: die Tagesordnung nach Auffassung vom Vorsitzendem Warnecke (SPD) und der SPD ist scheinbar nicht viel mehr als die Abarbeitung und Verlesung von Verwaltungs-Mitteilungen. 

 

Auf der anderen Seite ist der SPD-Vorsitzende aber auch sehr gut geübt zu schweigen; beispielsweise immer dann, wenn es um Beleidigungen des politischen Mitbewerbers geht. Hier lässt der SPD-Vorsitzende gern mal unkommentiert all diejenigen gewähren, die aus seiner Sicht die unliebsamen Konkurrenten beleidigen: sei es das CDU-Ortsbeiratsmitglied Rudroff, der unliebsame Kritiker gerne mal als „pathologische Querulanten“ bezeichnet, seien es (so in der Sitzung am 13.12.2016) einzelne Bürger*innen, die linke Ortsbeiratsmitglieder öffentlich als Schwachmaten bezeichnen. 

 

Die Forderung von Tovar (SPD) nach Ausschaltung der politischen Konkurrenz gründet allerdings auch auf anderen Erwägungen: so lesen wir beispielsweise in einem Artikel der Kieler Nachrichten vom 26.09.2016 zur vorangegangenen Ortsbeiratssitzung in Suchsdorf die unfassbare Zeile: „Manche sprechen schon von Krieg: Seit etwa zehn Monaten werden die Ortsbeiratssitzungen in Kiel-Suchsdorf oft zu Schauplätzen erbitterter Streitigkeiten. Themen sind mangelnde Transparenz, Abblocken von kritischen Positionen und fehlende Bürgerbeteiligung.“ 

 

Da lesen wir: „mache sprechen schon von Krieg.“ Mal abseits von der Tatsache, dass diejenigen, die das behaupten nicht im entferntesten wissen, was wirklicher Krieg und das Leid der Opfer bedeutet, stellt sich doch hier die Frage: ist das Ringen um Tranzparenz, das Eintreten gegen das Abblocken kritischer Meinungen und das Eintreten für Bürger*innen-Beteiligung „Krieg“ oder ist dies nicht vielleicht doch ein völlig normaler politischer Prozess. Es ist vielleicht ein Prozess, der alteingesessenen Ortsteilpolitikern nicht schmecken mag, wie z. B. dem dort seit 22 Jahren sitzenden Vorsitzenden Warnecke (SPD) oder seinem Stellvertreter Lembke (CDU), der dort schon seit 26 Jahren Ortsbeiratsmitglied ist. Wenn man wie das Gespann Warnecke/Lembke (SPD/CDU) – in Wechsel – sich seit 1994, mithin seit mehr als 22 Jahren, ohne Unterbrechung als Vorsitzender / Stellvertreter an der Spitze des Ortsbeirates bewegt, mag es menschlich vielleicht nachvollziehbar sein, dass man es sich eingerichtet hat; mag es vielleicht noch nachvollziehbar klingen, dass man neue Positionen nicht hören will. Aber all diese Gesichtspunkte können in einer Demokratie ja nun nicht der Maßstab sein. 

 

Entlarvend für die anderen Parteien ist aber auch ein weiteres Zitat, diesmal von dem stellvertretendem Vorsitzendem Lembke (CDU) in der KN vom 26.09.2016; zu dem Umstand, dass das Ortsbeiratsmitgleid von DIE LINKE einen Dringlichkeitsantrag in die Sitzung einbrachte heißt es: „Das Gremium vermutet dahinter Methode: Wegen der unzähligen Dringlichkeits- oder Änderungsanträge komme es gar nicht mehr zur eigentlichen Arbeit, meint Hans-Jürgen Lembke, stellvertretender Ortsbeiratsvorsitzender (CDU).“ Auch dies muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: da nimmt ein Ortsbeiratsmitglied ein demokratisches Recht wahr: er stellt einen Antrag.

 

Dieser Antrag wird dann abgelehnt; insgesamt nimmt dieser Vorgang 5 bis maximal 10 Minuten in Anspruch. Und dann meint der stellvertretende Vorsitzende, dass es nicht sein kann, dass DIE LINKE Anträge stellen darf. Man werde durch die Antragstellung von der „eigentlichen Arbeit“ abgehalten. Was meint er damit? In klarem deutsch meint er damit doch nichts anderes als: wir wollen uns nicht mit den Anträgen von DIE LINKE beschäftigen, weil wir für uns eine andere Politik als „eigentliche Arbeit“ definieren; und diese „eigentliche Arbeit“ ist dann zufälligerweise das, was SPD und CDU als wichtig empfinden. Ein gelinde gesagt befremdliches Demokratie-Verständnis. 

 

Doch was ist nun die Antwort, die SPD und CDU auf diese Frage schon im September in entlarvender Weise geben? In der KN vom 26.09.2016 liest sich das dann so: „Wie kann man die verfahrene Situation lösen? Nach Rücksprache mit dem Rechtsamt plant der Ortsbeirat die Regularien bei Sitzungen künftig strenger zu beachten, was am Ende aber zu begrenzten Wortbeiträgen aller, der Bürger und der Stadtteilvertretung selbst, führen kann.“ Die Antwort von SPD/CDU scheint zu sein, andere mundtot machen zu wollen. Eine Antwort, die in einer modernen Demokratie nichts, aber rein gar nichts zu suchen hat.

 

Und anstatt dass man sich gegen Faschisten und dergleichen verbündet, verbünden sich in Suchsdorf unter Federführung des SPD-Ratsherren Thomas Wehner CDU, SPD, Grüne und FDP gegen diejenigen, die für eine linke Politik eintreten und schreiben sogenannte „Brandbriefe“ in der Stadtteilzeitung oder in der LinX. 

 

Diese von SPD und CDU angezettelte Schlammschlacht gipfelte nun in der finalen Forderung nicht den Ortsbeiratsvorsitzenden Warnecke (SPD) und seinen Vertreter Lembke (CDU) abzuwählen, sondern den Vertreter von DIE LINKE zu entfernen. Ist ja auch klar, man „pinkelt“ als SPD-Stadtpräsident natürlich nicht eigenen Parteimitgliedern ans Bein. Eine Hand wäscht die andere. Hierzu kann man nur sagen: „Not my president!“

 

Aber bei der Forderung von Tovar (SPD) die Geschäftsordnung respektive die Gemeindeordnung zu ändern, geht es mitnichten nur um eine Formalie. In dem renommierten Kommentar zur Gemeindeordnung Schleswig-Holstein von den Autoren Bracker / Dehn / Wolf heißt es: „Die stimmenlosen zusätzlichen Mitglieder können weder von der Gemeindevertretung noch vom jeweiligen Ausschuß abberufen werden. Da sie von den Fraktionen benannt sind, kann auch nur die jeweilige Fraktion die Ernennung rückgängig machen.“ (a.a.O.: Dehn zu § 46, Rn. 4). Dies mag für den einen oder anderen zunächst nicht einleuchten, hat aber eine ganz klare und auch nachvollziehbare Begründung, nämlich das Recht der Mitwirkung und der Minderheitenschutz. Im Kommentar von Bracker/Dehn/Wolf heißt es daher hierzu auch glasklar: „Die Regelungen über die Entsendung von stimmlosen Mitgliedern sollen für die Fraktionen sicherstellen, dass alle Fraktionen, unabhängig von ihrer Größe, in der vorbereitenden Willensbildung mitwirken können. 

 

(…) Es handelt sich damit um einen Minderheitenschutz.“ (a.a.O.: Dehn zu § 46, Rn. 9). Es soll auch den politischen Minderheiten ein entsprechendes Mitwirkungsrecht sicherstellen, das eben nicht nach Belieben und Gusto der jeweiligen politischen Mehrheiten gewährt wird. Das ist das Kennzeichen einer funktionierenden Demokratie: auch die aktuelle politische Minderheit hat gewisse Rechte. Diese hat sie qua Verfassung. Diese Rechte der aktuellen politischen Minderheit sind dabei keineswegs von Großzügigkeit der Mehrheit abhängig; dieses Rechte gelten unabhängig von Mehrheitsverhältnissen, die sich bei der nächsten Wahl ja auch ins Gegenteil verkehren können, und dann z. B. auch umgekehrt gelten würden. 

 

Die Gewährung von diesen demokratischen Mindeststandards ist es eben auch, was uns von Diktaturen grundlegend unterscheidet. In Deutschland haben wir vor noch gar nicht allzu langer Zeit die unheilvolle Erfahrung gemacht, was passiert, wenn demokratische Rechte geschliffen werden. Haben wir erleben müssen, in welcher unvorstellbaren Katastrophe es endet, wenn man demokratische Mitwirkungsrechte abschafft. Erst waren es Notverordnungen mit denen man eben mal „vorübergehend“ Verfassungs-Rechte abgeschafft hat und endete dann mit dem Ermächtigungsgesetz. 

 

In seinem Hochverratsprozess von 1930 erklärte Adolf Hitler schon zu diesem Zeitpunkt in seiner Zeugenaussage: „Die Verfassung schreibt uns nur die Methoden vor, nicht aber das Ziel. Wir werden auf diesem verfassungsmäßigen Wege die ausschlaggebenden Mehrheiten in den gesetzgebenden Körperschaften zu erlangen versuchen, um in dem Augenblick, wo uns das gelingt, den Staat in die Form zu bringen, die unseren Ideen entspricht.“ Den Staat in die Form zu bringen, die unseren Ideen entspricht – das bedeutete nicht weniger, als die Meinungsfreiheit abzuschaffen, Grundrechte abzuschaffen, Mitwirkungsrechte abzuschaffen, unliebsame Parteien zu verbieten, damit diese sich nicht mehr dem unheilvollen Ermächtigungsgesetz entgegenstellen können, und so weiter und so fort. Und hier kommt ein weiterer interessanter Punkt zum Tragen: die damalige Geschäftsordnung. Bei wikipedia heißt es im Artikel „Ermächtigungsgesetz“ zum Unterpunkt „Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933“: 

 

„Hitlers Absicht war es, den Reichstag auszuschalten und die Verfassung de facto außer Kraft zu setzen. Um dies zu erreichen, wurde zunächst die Geschäftsordnung des Reichstages geändert, um formal den Anwesenheitsanforderungen trotz Inhaftierung und Abwesenheit der kommunistischen Abgeordneten gerecht werden zu können. Sodann wurde – im Beisein illegal im Reichstag anwesender bewaffneter und uniformierter SA- und SS-Angehöriger – unter der neuen Geschäftsordnung das Ermächtigungsgesetz beschlossen. 

 

Alle Parteien außer der SPD stimmten sowohl der Änderung der Geschäftsordnung wie auch dem „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ zu; wegen der Gegenstimmen der SPD waren für das Erreichen der Zweidrittelmehrheit und die endgültige Annahme des Gesetzes die Stimmen der Zentrumspartei ausschlaggebend.“ Am Anfang stand die Änderung der Geschäftsordnung…

 

Autor: Michael Schmöckel  (beratendes Mitglied in den Ortsbeiräten Suchsdorf und Steenbek-Projensdorf für DIE LINKE)