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Jamaika in Schleswig-Holstein: 

Flüchtlingspolitisches Yin und Yang

Mahnwache Kiel

 

Foto: gst

 

01. Juli 2017 Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein begrüßt, dass die künftige Jamaika-Koalition eine in Teilen humanitär und rechts-politisch bedarfsgerechte Flüchtlings- und Integrationspolitik ankündigt.  Enttäuschend ist allerdings die koalitionäre Festlegung auf die Beteiligung des Landes an der restriktiven Abschiebungspolitik des Bundes. Der Flüchtlingsrat bedauert, dass die künftige Landesregierung die ihr von der Vorgängerin mit einer geplanten norddeutschen Abschiebungshafteinrichtung, einem Ausreise-zentrum und dem sogenannten integrierten Rückkehrmanagement zugeworfenen Bälle auffangen und nun ins eigene Feld spielen will. Ohne Korrekturen wird sich dies zu einem Arbeitsbeschaffungsprogramm für die landesweit in der Flüchtlingssolidarität engagierten Initiativen auswachsen. Dass das Rendsburger Abschiebungsgefängnis geschlossen bleiben soll, tröstet dabei nur bedingt. 

 

Die im Koalitionsvertrag apostrophierte „humane Flüchtlingspolitik als Leitlinie“ steht auch zum generellen Verzicht auf die An-wendung von Abschiebungsstopps in einigem Widerspruch. Ob in Zweifelsfällen bei „Rückführungen in Staaten mit besonders unübersichtlicher Sicherheitslage“ tatsächlich im Zuge der geplanten Einzelfallprüfungen der zuständigen Landesverwaltung regelmäßig „der Humanität Vorrang vor der Rückführung eingeräumt“ werden kann, wird im zuständigen Ministerium offen bezweifelt und wird sich schon bald an der Frage der von der Innenministerkonferenz am Dienstag nur auf die kurze Bank geschobenen Abschiebungen nach Afghanistan beweisen müssen. 

 

„Um so wichtiger ist, dass die dagegen begrüßenswerten Jamaika-Pläne einer unabhängigen mobilen Asylverfahrensberatung und die einer unabhängigen Clearingstelle für sogenannte Illegalisierte schnell umgesetzt werden“, mahnt Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.  Gleiches gelte aus Sicht des Flüchtlingsrates für den guten Plan zur Gewährleistung der Anwendung eines asylunabhängigen und bleiberechtsorientierten Aufenthaltsrechts. Letzteres war bis dato in den meisten Fällen an der Unwilligkeit nicht weniger Ausländerbehörden gescheitert. Regelmäßig haben diese unter dem Vorwand angeblich fehlender Mitwirkung der Betroffenen an der eigenen Abschiebung, die Anwendung geltenden Rechts zur Aufenthaltssicherung verweigert. „Wenn Jamaika tatsächlich künftig die aufenthaltsgesetzliche Mitwirkung und vor allem ihre Erfüllung eindeutig definiert und den Ausländerbehörden eine entsprechende Ermessensbindung auferlegen würde, dann – aber auch nur dann – wäre das ein flüchtlingspolitischer Quantensprung“, erklärt Link. 

 

Dass im Aufnahmeprozedere künftig alle Asylsuchenden in der Regel 6 Wochen und nie länger als 3 Monate in den Erstaufnahmelagern bleiben sollen, bevor sie in die dezentrale Umverteilung kommen, begrüßt der Flüchtlingsrat. Ebenso trifft die Zusicherung, dass von Anbeginn an Geflüchtete landesgeförderte Sprachförderung erhalten, ihre Kinder spätestens nach 6 Wochen in Regelschulen integriert werden und jungerwachsene Flüchtlinge bis 27 Jahre Zugang in die Berufsschulen erhalten sollen, auf Zustimmung. 

 

„Allerdings lehnen wir die von Jamaika beschlossene Ausgrenzung Asylsuchender aus angeblich sicheren Herkunftsländern aus solchen Integrationsförderangeboten ab, die damit weder in die dezentrale Verteilung in die Kommunen, noch in den Genuss von Sprachförderangeboten des Landes kommen sollen“, kritisiert Link. 

 

Dass sich eine künftige schleswig-holsteinische CDU-geführte Landesregierung mit Gesetzesinitiativen, wie dem Spurwechsel aus dem Asylverfahren und einer 3+2-Regelung in eine Aufenthaltserlaubnis für Beschäftigte, mit einem Vorstoß zur Verkürzung statt zur Verlängerung des Familiennachzugsverbots international Schutzberechtigter oder zur Effizienzsteigerung der Bleiberechtsregelung für insbesondere junge Langzeitgeduldete mit schwarz geführten Ländern und dem Bundesinnenministerium anzulegen gedenkt, könnte – so hofft der Flüchtlingsrat – in Schleswig-Holstein bundespolitisch zukunftsweisende Signale setzen, wenn dies denn mit ernsthafter Hartnäckigkeit betrieben werde. 

 

Auch dass der unter den Koalitionären fortbestehende Dissenz zur Festlegung weiterer angeblich sicherer Herkunftsländer zu Enthaltungen Schleswig-Holsteins im Bundesrat und damit im Ergebnis zu Schadensbegrenzung für die Betroffenen führen wird, begrüßt der Flüchtlingsrat. 

 

Der Flüchtlingsrat begrüßt sehr, dass Jamaika ein humanitäres Aufnahmekontingent von 500 besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen beschlossen hat. Der Flüchtlingsrat erwartet, dass diese humanitäre Initiative nicht einmalig bleibt, sondern als Einstieg des Landes in ein regelmäßiges eigenständiges Resettlementprogramm seine Fortsetzung finden wird. 

 

Schleswig-Holsteins Zukunft liegt im Selbstverständnis als Einwanderungsland und den daraus folgenden Einsichten in die Bedarfe einer nachhaltigen Flüchtlingsaufnahme- und Zuwanderungspolitik. Darin sind sich nicht nur Migrationsexpert*innen, Demograph*innen, Bildungsinstitutionen, Arbeitsmarktakteur*innen und Volkswirtschaftler*innen einig. 

 

Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die Bedarfe an einer sich interkulturell profilierenden Gesellschaft erscheint es folgerichtig, dass Jamaika die Anerkennungsstellen für im Ausland Qualifizierte besser ausstatten, die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten genauso wie – hoffentlich als in echter freier Trägerschaft verantwortete – antirassistische und Antidiskriminierungsarbeit und -beratung fördern sowie auch die Landesförderung für den Flüchtlingsrat fortführen will. 

 

Dass die künftige Koalition diverse i.E. wichtige Landespolitikbereiche mit einer zusätzlichen halben Milliarde zu finanzieren bereit ist, dabei aber die über das bisherige Alltagsgeschäft hinausreichenden Finanzbedarfe der innovativen Zukunftsthemen Zuwanderung und Integration ausblendet, lässt für den Flüchtlingsrat – sollte es dabei bleiben – allerdings einen in Jamaika herrschenden Mangel an einwanderungspolitischer Weitsicht befürchten. 

 

„Ohne eine robuste Budgetierung werden die integrationsorientierten flüchtlingspolitischen Nah- und Fernziele der Jamaika-Koalition kaum zu erreichen sein“, befürchtet Martin Link und ahnt, dass „die Lobbyinitiativen der im Lande engagierten Flüchtlingsorganisationen und Integrationsfachdienste wohl mit Blick auf die anstehenden Haushaltsberatungen noch besonders herausgefordert sein werden.“  

 

­(Presseerklärung des Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein vom 16.06.2017)