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Flüchtlingsrat:

Nachhaltige Integration von Geflüchteten erheblich erschwert

08.02.2018. Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein kritisiert die im Koalitionsvertrag von Union und SPD am 7. Februar beschlossene verfassungswidrige Obergrenze von Schutzsuchenden bei 220.000 jährlich, die Pläne, die Zahl vermeintlich sicherer Herkunftsländer zu eskalieren und im Asylverfahren Erfolglose gnadenlos zu externalisieren.

Vorhersehbar seien auch die problematischen Folgen der integrationspolitischen Verabredungen des Koalitionsvertrags (S. 104-109).

„Es ist absehbar, dass eine nachhaltige Integration von Geflüchteten in Zukunft erheblich schwerer werden wird“, erklärt Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein unter Verweis auf die Vereinbarungen:

•        Kasernierung: (Spätestens) nach 18 Monaten bzw. bei minderjährigen Kindern/Familien  nach 6 Monaten, aber regelmäßig erst nach Identitätsklärung können/sollen in den sogenannten ANkER-Zentren kasernierte Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder, Kranke und in anderer Weise besonders Schutzbedürftige diese verlassen dürfen. Das gilt nicht für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten (§ 47 1 a AsylG) oder in Fällen, in denen das jeweilige Bundesland besondere Aufnahmeeinrichtungen eingerichtet hat (§ 47 1b AsylG)

Folge für die Integrationsarbeit: bei Umsetzung gilt für nahezu alle Asylsuchenden ein absolutes Arbeitsverbot, integrationsorientierte Lager-externe und behördenunabhängige Beratungsangebote haben erfahrungsgemäß keinen effektiven Zugang zu solcherart zentral Wohnverpflichteten, und müssen aber jetzt erst recht erkämpft werden.

•        Die faktische Aushebelung des Rechtsanspruchs auf Familiennachzug für das Gros der anerkannten Flüchtlinge wird dazu führen, dass ab dem kommenden Sommer ein großer Teil unter den erfolgreich Schutz Suchenden sich in die Not gezwungen sieht, sich zwischen einem sicheren Exil und ihrer Familie zu entscheiden. Dieser Druck wird Betroffene in die Dienstleistungshände der organisierten Schleuserei und ihre Frauen und Kinder in die Bote treiben.

Folge für die Integrationsarbeit: Zwischen ständiger Sorge um die im Herkunftsland oder einem nicht minder gefährlichen Transitstaat zurückgebliebenen Angehörigen und dem Zwang, schnelles Geld für die individuelle Flucht ihrer Familienangehörigen zu verdienen, werden zahlreiche Betroffene faktisch nicht mehr in der Lage sein, an Sprachkursen und Arbeitsförderungsmaßnahmen, geschweige denn an Berufsausbildungen erfolgreich teilzunehmen und künftig allenfalls als Verfügungsmasse eines prekären Arbeitsmarktes herzuhalten.

•        Keine Aufenthaltsverfestigung für Geduldete: Die Koalitionäre wollen rechtlich absichern, dass für die Gruppe der Geduldeten mit rechtlichen Arbeitsmarktzugang zwar Zugang zu Sprachkursen sowie zu ausbildungs- und berufsvorbereitenden Maßnahmen und Beschäftigung gewährt werden kann, aber dass es dabei keinesfalls zu einer Verfestigung von Aufenthaltsrechten und einer Gleichstellung mit denjenigen führen soll, die  eine rechtliche Bleibeperspektive haben.

Folge für die Integrationsarbeit: Sollte sich dieser Passus Realpolitik werden und das Land im Rahmen eigener Souveränität nicht gegensteuern, drohen die Chancen von geduldeten Geflüchteten, über Integrationsleistungen ein Bleiberecht zu erwirken, gegen Null zu tendieren.

•        Rückführung und Ausreise soll ebenso aus diesen Zentren erfolgen. Das bedeutet u.a., dass bei Asylverfahren, die (einschl. Folge- und Verwaltungsgerichtsverfahren) in weniger als  18 Monaten rechtskräftig entschieden werden - und das dürfte auf Grundlage der gegenwärtigen Zugangszahlen zukünftig die Regel sein - ein Teilhabe- und Integrationsverbot von Ein- bis zur Ausreise bestehen wird. Es ist zu erwarten, dass der Bund seine Linienführung „totale Ausgrenzung“ durchsetzen will und auf die Länder entsprechend Druck entfalten wird. So steht möglicherweise für Schleswig-Holstein zu befürchten, dass mit beginnender Umsetzung einer solchen Politik es noch stärker als in der Vergangenheit das ausländeramtliche Bestreben geben kann, die bereits in Kommunen lebenden Menschen zwecks Ausreise in der Landesunterkunft für Ausreisepflichtige (LUKA) Boostedt zu verANkERn, und - zumindest billigend in kauf zu nehmen - dabei Integrationsprozesse zu unterbrechen, oder sogar kalkuliert zu unterbinden.    

Folge für die Integrationsarbeit:  vorbereitende Maßnahmen zur Partizipation am gesellschaftlichen Leben, Aufenthaltssicherung durch Ausbildung, Schulbildung und Studium sind demnach nur noch zielführend für Menschen, die dem ANkER (bereits) entgangen sind. Es gibt keine Rechtssicherheit, dass sie in der dezentralen Umverteilung - nach ggf. rechtskräftigem negativem Abschluss des Asylverfahrens - in den Kommunen verbleiben,. So wird eine zukunftsgerichtete Planung in starkem Maße vom Interesse des Landes Schleswig-Holstein abhängen, sich durch Bundesinteressen nicht eine nachhaltige und an den zuwanderungspolitischen Interessen des Landes orientierte Integrationsstrategie für Geflüchtete konterkarieren zu lassen. Stattdessen sollte das Land alle möglichen Register ziehen, seine integrationsorientierte Flüchtlingspolitik fortzusetzen.

•        Mitwirkungspflicht bei der Überprüfung der Schutzberechtigung: was das genau bedeutet, steht nicht im Text, aber die Zielsetzung ist erkennbar: alles tun, um eine bereits erteilte Schutzberechtigung nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) entweder alternativlos zu widerrufen (Widerrufverfahren) oder in einen - mit wenig Rechten verbundenen - nur vorläufigen  Abschiebeschutz zu verlagern.

Folge für die Integrationsarbeit: selbst wenn das Unwort „Bleibeperspektive“ positiv bewertet wird, bleibt kein Stein mehr auf dem anderen. Es ist zu befürchten und wäre logisch, dass selbst eine GFK-Entscheidung zukünftig keine Bleibesperspektive eröffnet. Diese läuft Gefahr, dann wohl vor allem über die Dauer eines Aufenthalts und ausgerichtet am Nützlichkeitswert eines Menschen definiert werden.

„So gesehen muss der Koalitionsvertrag – wenn er denn zustande kommt – von Geflüchteten und ihrer haupt- und ehrenamtlichen Unterstützungsszene wohl als Auftakt zu einem tiefgreifenden flüchtlingspolitischen Paradigmenwechsel verstanden werden“, sorgt sich Martin Link.

„Die in Schleswig-Holstein für eine humanitär ambitionierte und mit Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Zuwanderungsbedarfe engagierten Gruppen, Organisationen und Personen werden sich warm anziehen und künftig noch besser als bisher miteinander vernetzen müssen“, ist Link überzeugt.

gez. Martin Link

Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein