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Auf dem Weg zur Revolution IV:

Der Dank des Vaterlands

Die SPD-Politiker Ebert, Scheidemann und Braun waren während der Januarstreiks 1918 in die Berliner Streikleitung eingetreten. Für ihre auf baldige Beendigung des Streiks ausgerichteten Bemühungen haben ihnen reaktionäre Politiker und natürlich die  General- kommission der Gewerkschaften (eine Art Lenkungsausschuss der noch nicht zu einem Gewerkschafts-Bund mit eigenem Vorstand zusammengeschlossenen Verbände) ausdrücklich Dank gewusst; aus dem Correspondenzblatt der Generalkommission hatten wir in der vorletzten Ausgabe der LinX (03/2008) zitiert.

 

In der Weimarer Republik bliesen die deutsch-nationalistischen und militaristischen Kreise schnell zum Sturm auf die mit der Novemberrevolution erreichten demokratischen Einrichtungen – so unvollkommen diese auch waren – und die republikanische Staatsform selbst. Dabei nahmen sie auch auf die Person des Reichspräsidenten Ebert keine Rücksicht; er hatte sich so viel Mühe gegeben, der Revolution entgegenzuwirken, und wurde nun als „Landesverräter“ beschimpft – weil er sich in die Berliner Streikleitung begeben und die Herausgabe eines kämpferischen Aufrufes nicht hatte unterbinden können! 1925 fand sich in Magdeburg auch ein Gericht, das den Vorwurf des Landesverrats ein „wahre Tatsachenbehauptung“ nannte. Ebert hatte gegen solche Verunglimpfung seiner Person geklagt. Er starb kurze Zeit nach diesem Prozess.

Friedrich Ebert, dessen weitere konterrevolutionäre Aktivitäten in dieser Artikelserie noch behandelt werden, wird heute noch auf sozialdemokratischen (und anderen vaterländischen) Tagungen mit Argumenten verteidigt, die vor allem eines belegen: Die Taktik zur Abwürgung von Arbeiterkämpfen hat sich bis heute nicht verändert.

Aus Anlass des 80. Todestages von Friedrich Ebert veranstaltete die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Konferenz. Dort sprach in ehrendem Gedenken unter anderem Prof. Dr. Günter Spendel von der Universität Würzburg. Er führte aus, das „Magdeburger Fehlurteil“ habe „einseitig und parteiisch den Blick allein auf die für den Streik vorübergehend förderlichen Einzelhandlungen Eberts gerichtet und dabei seine positive Gesamtleistung und das günstige Endergebnis völlig aus den Augen verloren.“ Erst mehr als sechs Jahre später, so Spendel, habe Eberts Verhalten durch das Reichsgericht in Berlin eine gerechte Würdigung erfahren. Dieses stellte fest, Ebert habe dem Reich keinen Nachteil zugefügt und den Feind nicht begünstigt, wenn er „‚zunächst gewisse, den Streik fördernde Maßnahmen, die er angesichts der Überzahl der radikalen Elemente in der Streikleitung nicht verhindern kann, durchgehen läßt, um nicht von vornherein seine Ausschaltung herbeizuführen, wenn er ferner in Versammlungsreden aus taktischen Gründen auf Gedankengänge der Massen bis zu einem gewissen Grade eingeht …, sofern er nur … eine Ausartung der Streikbewegung in eine revolutionäre Bewegung’ abwendet. Bei Gelingen seiner Bemühungen fehle es dann schon wegen des Nachteilsausgleichs am Tatbestandsmerkmal ‚Nachteilszufügung’.“ Für mich liest sich das wie eine ganz aktuelle Handlungsanleitung für SPD-Ortsvereine…

Das Urteil des Streikführers

Philipp Scheidemann hat 1925 die Rolle der SPD-Vertreter in der Streikleitung dramatisch zugespitzt folgendermaßen beschrieben: „Wenn wir nicht in das Streikkomitee hineingegangen wären, dann wäre der Krieg und alles andere meiner festen Überzeugung nach schon im Januar erledigt gewesen.“

Über den Wunsch und das Streben der verantwortlichen SPD-Politiker neun Monate vor der Revolution kann es also keine Zweifel geben: Sabotieren der Arbeiterkämpfe und Verlängerung des Krieges. Ob sie wirklich so effektiv waren, wie Scheidemann das schildert, ist eine andere Frage. Richard Müller, Führer der revolutionären Obleute der Berliner Metallbetriebe und Vorsitzender des als Streikleitung fungierenden Aktionsausschusses, zeichnet ein anderes Bild.

In seinem Buch „Vom Kaiserreich zur Republik“ beschreibt er zunächst die Situation am 31. Januar so: „Der verschärfte  Belagerungs- zustand und die ‚Mahnung’ des Oberbefehlshabers (zur Einhaltung von Ruhe und Ordnung – D.L.) verfehlten ihren Zweck. Gewaltige Arbeitermassen stauten sich in den Straßen… Die Polizei war durch 5.000 Unteroffiziere des Heeres aufgefüllt worden. Beritten und zu Fuß suchte sie der Masse Herr zu werden. Es gelang ihr nicht… Die Wut der Streikenden richtete sich nicht mehr allein gegen die Polizei, sondern auch gegen die wenigen Straßenbahner, die als Streikbrecher den Betrieb notdürftig aufrecht zu erhalten suchten… Das war nicht mehr ein Demonstrationsstreik, das war der kritische Punkt, wo eine Massenbewegung zum Bürgerkrieg umzuschlagen droht. (…)

Der Streik verschärfte sich. Am 1. Februar machte der Oberbefehlshaber durch Anschlag bekannt, dass er sieben Großbetriebe unter militärische Leitung stellen werde, wenn die Arbeit bis zum Montag den 4. Februar nicht wieder aufgenommen werde. Die schwierige Lage und die entschiedene Weigerung der Arbeitervertreter, durch Verhandlungen einen Ausweg zu suchen, brachte jetzt auch die beiden Unabhängigen, Haase und Ledebour, in Differenzen mit den Arbeitervertretern. (…)

Die Leitung der revolutionären Obleute und die Arbeitervertreter im Aktionskomitee waren sich vollständig klar über die geschaffene Lage. Politisch standen sie bei der U.S.P.D. Aber sie ließen sich nicht allzu viel von der Partei sagen, sondern handelten nach eigenem Ermessen. Das gebot jetzt auch die allgemeine Lage des Streiks.

Es gab jetzt drei Möglichkeiten. Erstens: Verhandlung mit der Regierung unter Hinzuziehung der Generalkommission und dann Abbruch des Streiks. Zweitens: Steigerung des Streiks bis zum Aufruhr und drittens: Abbruch des Streiks ohne Verhandlungen.“

Die erste Möglichkeit, die auf eine entsprechende Bereitschaftserklärung der Regierung zurückging, kam für die Obleute nicht in Frage. Die zweite Möglichkeit, so Richard Müller, lehnten die Obleute aus folgenden Erwägungen heraus ab: „Eine Steigerung der Bewegung war für Berlin möglich, aber sie wäre isoliert vom übrigen Reich erfolgt, denn überall war der Streik durch Verhandlung wieder beigelegt worden, oder das Ende stand unmittelbar bevor. Die Berliner Arbeiter konnten allein den Endkampf mit der Regierung und der Bourgeoisie nicht aufnehmen. Der Versuch wäre mit unermeßlichen Opfern bezahlt worden und mit dem Verlust der revolutionären Kraft an der wichtigsten Stelle. Ein Kampf, wie ihn der Spartakusbund forderte, war ohne die Hilfe der Soldaten unmöglich; wenn sich auch im Heere eine Anzahl revolutionärer Elemente befanden, so konnten sie sich doch noch nicht loslösen und entfalten. Ob die Truppen, die in Berlin lagen, sich der revolutionären Bewegung anschließen würden, stand erst recht in Zweifel.

Es blieb nur die dritte Möglichkeit: Abbruch des Streiks ohne Verhandlungen. (…) Entscheidend war, wie ein solcher Ausgang von den im Kampfe Stehenden empfunden wurde. Und da täuschte sich die Leitung nicht. Ihre Parole zum Abbruch wurde am 3. Februar ausgegeben und ohne Murren befolgt. Die Arbeiter fühlten sich nicht geschlagen, sondern als Kämpfer, die den Rückzug antreten, um mit stärkerer Kraft vorzustoßen. Aus der geschaffenen Stimmung klang es überall heraus: wir brauchen Waffen, wir müssen unsere Propaganda in das Heer tragen. Nur eine Revolution bringt uns Rettung.“

Und schließlich bewertet Müller die Rolle der SPD-Führer so: „Die drei Sozialdemokraten blieben den letzten Sitzungen des Aktionsausschusses fern. Das war zu verstehen, denn sie hatten nicht den geringsten Einfluss auf die Bewegung ausüben können. Und wenn später Scheidemann in seinem Buch ‚Der Zusammenbruch’ behauptet, ‚dass es durch das Eintreten der sozialdemokratischen Mitglieder in die Streikleitung gelungen ist, die Bewegung in geordneten Bahnen zu halten’, so entspricht das wohl seinem Bedürfnis, als großer Mann zu erscheinen, hat aber mit der Wirklichkeit nichts zu tun.“

(D.L.)