Die Ergebnisse der Europawahl 2014 in Deutschland ( Benjamin-Immanuel Hoff / Horst Kahrs)
Wahlnachtbericht und erste Analyse
Vorbemerkung: Rund 400 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Staaten der Europäischen Union wählten vom 22. bis 25. Mai 2014 das 8. Europäische Parlament. Die Wahlen begannen am 22. Mai in den Niederlanden und in Großbritannien. Am Freitag wurde in Irland gewählt, ebenfalls am Freitag sowie am Samstag in Tschechien, darüber hinaus wählten am Samstag die EU-Bürger_innen in Lettland, Malta und in Italien, wo ebenfalls auch am 25. Mai gewählt werden konnte. In allen anderen Ländern fanden die Wahlen zum Europäischen Parlament am heutigen Sonntag statt. Der hier vorgelegte Wahlnachtbericht zur Europawahl 2014 befasst sich vorrangig mit den Wahlergebnissen in Deutschland.
Zusammenfassung des Wahlergebnisses und erste Bewertung
Bei der Europawahl 2014 haben die Parteien der deutschen Regierungskoalition gegenüber der EPW 2009 vier Prozentpunkte hinzugewonnen. Dabei haben sich allerdings die Stärkeverhältnisse verändert: Die SPD gewinnt 6,5%-Punkte hinzu, die CDU bleibt mit -0,6% weitgehend stabil, während die bayerische Regionalpartei CSU deutlich verliert - fast 2% und als einzige der drei regierenden Parteien auch absolute Stimmen (-330.000). Aus Sicht der Union kann formuliert werden: Mit Angela Merkel kann man Wahlen bestehen, mit Horst Seehofer nicht. Die Europawahl war im bayerischen Freistaat eine günstige Gelegenheit für einen Denkzettel an die Christsozialen - im Rest der Republik gab es hingegen kein Bedürfnis für eine echte Denkzettelwahl.
Die Stärke der Regierungsparteien ist vor allem auf die weit überwiegende Wahrnehmung in der Bevölkerung zurückzuführen, dass die allgemeine und auch die persönliche wirtschaftliche Lage gut sind.
Weiter spielte eine Rolle, dass für die Wahlentscheidung die Politik in Deutschland wichtiger war als die Europapolitik. Der Wahlkampf der beiden Parteien war auf die Rolle Deutschlands in der EU und auf die Vorteile von EU und Euro für die wirtschaftliche Situation in Deutschland zugeschnitten. Die im Vorfeld der Europawahl von der Regierung und der übergroßen Mehrheit der Großen Koalition im Bundestag verabschiedeten Beschlüsse und Gesetze, darunter vor allem der Mindestlohn, die Rentengesetze u.a., verstärkten die positive innenpolitische Wahrnehmung und signalisierten vor allem eine Rückkehr zu sozialdemokratischer Politik.
Letzteres mag vor allem den Wahlerfolg der SPD erklären, die allerdings immer noch deutlich hinter der Union und unter 30% liegt. Wenn der SPD-Parteivorsitzende Gabriel und der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag Oppermann darauf verweisen, dass bei noch keiner Wahl die SPD so stark zugelegt habe, verzichten beide freilich auf den Hinweis, dass die SPD bei den vergangenen bundesweiten Wahlen erdrutschartige Verluste auf historisch niedriges Niveau hinzunehmen hatte. Schlechter konnte es folglich nur noch im unwahrscheinlichen Falle werden. Am Ende des Wahlkampfes setzte zudem auch die SPD offen auf die deutsche, nationalstaatliche Karte, in dem sie mit Martin Schulz als Kandidat »aus Deutschland« für Europa warb.
Die Grünen verlieren als bundespolitische Oppositionspartei 55.000 Stimmen und Anteile von 1,4%-Punkten, schnitten aber prozentual deutlich besser ab als bei der vergangenen Bundestagswahl.
DIE LINKE behauptete sich in etwa auf dem Niveau der Wahl 2009 bei einem Plus von rund 200.000 Stimmen Sie blieb damit allerdings unter ihrem Bundestagswahlergebnis und verliert aufgrund des Wegfalls der Sperrklausel einen Sitz im Europaparlament.
Die Wahlergebnisse zeigen ein differenziertes Bild auf Länderebene für die Partei, wobei eine eindeutige Ost-West-Unterscheidung nicht möglich ist. In Brandenburg etwa gewinnt die Partei absolute Stimmen hinzu, verliert aber aufgrund der weitaus stärker gestiegenen Wahlbeteiligung 6,1%-Punkte. In Ländern wie Schleswig-Holstein oder Baden-Württemburg verbessert sie sich absolut und relativ deutlich, schöpft aber ihr Potential der Bundestagswahl mit am schlechtesten aus.
Insgesamt gilt: Die Stammwähler/-innen der Linken konnten im Vergleich zur EP-Wahl 2009 gut mobilisiert werden, doch von der gestiegenen Wahlbeteiligung profitierte die Partei, gesamtdeutsch betrachtet, nicht.
Die Themenwahl der Linkspartei war auf die Kernwählerschaft zugeschnitten – Umverteilung, soziale Gerechtigkeit, Frieden und humane Flüchtlingspolitik standen im Vordergrund. »Europa« spielte in der Wahlkampagne eher eine Nebenrolle.
Das Ziel der Wahlstrategie, den „nach der Regierungsbildung enttäuschten Teil der sozialdemokratischen Wählerinnen und Wähler der Bundestagswahl für die Wahl der LINKEN zu interessieren“ konnte die Partei nicht erreichen. Im Gegenteil – es scheint, als ob es der SPD in der aktuellen Regierungsbeteiligung besser als in der ersten Großen Koalition unter der Führung Merkels gelingt, die sozialdemokratische Wähler/-innenschaft zusammenzuhalten und durch Regierungsentscheidungen für die Wahl der SPD zu motivieren.
Die bisherige linke Faustformel »Regiert die SPD – gewinnt DIE LINKE« hat nicht mehr unmittelbare Gültigkeit. Vielmehr wächst das Erfordernis für die Linkspartei sich neuen Themen und neuen Wähler/-innenschichten glaubwürdig und ernsthaft zu öffnen – ohne dabei Einbußen bei der bisherigen Kernwählerschaft hinnehmen zu müssen.
Nichtsdestotrotz zeigt sich die Partei bei der EPW 2014 in einer stabilen Verfassung. Ins Stolpern zu geraten droht sie offensichtlich derzeit nur dann, wenn sie sich selbst ein Bein stellt.
Nach der Bundestagswahl unterstreicht diese EP-Wahl, dass die Bäume für DIE LINKE in Deutschland nicht in den Himmel wachsen. Auch wenn sie in dem ein oder anderen ostdeutschen Bundesland bei Landtagswahlen – oder auch bei Kommunalwahlen – die Fähigkeit behält, stärkste Partei zu werden oder zumindest stärkste Partei in einer potentiellen Regierungskoalition, so bleibt sie bei bundesweiten Wahlen das, was Politikwissenschaftler eine »kleine Partei« nennen. »Kleine Parteien« in diesem Sinne vermögen dauerhaft Ergebnisse von um die zehn Prozent zu erzielen, werden aber immer auf größere Partner angewiesen sein, wenn sie Mehrheiten bilden wollen. Sind sie mit ihren Themen erfolgreich, so erzielen sie Wirkung unter den Anhängern der größeren Parteien, die dann mit Anpassungsstrategien – siehe Mindestlohn – reagieren, worauf den »kleinen Parteien« nur bleibt, mit der Suche nach neuen Wirkungsfeldern zu antworten.
Die größten Veränderungen gab es im Lager der »bürgerlichen« Parteien. Die Verluste der FDP unterstreichen deren Niederlage bei der Bundestagswahl. Sie wird es schwer haben, aus dem 2-3% Ghetto wieder herauszukommen.
Auf der anderen Seite feiert die Alternative für Deutschland (AfD) ihren ersten Wahlerfolg. Sie erhält Proteststimmen und Stimmen aus den nationalliberal-konservativen, eher kleinbürgerlichen Milieus. In der Mehrheit handelt es sich um parteipolitisch heimatlose wirtschaftsliberale und wertkonservative Wähler/-innengruppen. Sie vertrauten darauf, dass die eigene Leistungsfähigkeit im europäischen Marktwettbewerb belohnt wird und sehen durch die herrschende EU-Politik ihre auf den Wettbewerbsgedanken gestützten Ordnungsvorstellungen bedroht. Die parteipolitisch heimatlosen Wähler/-innen docken derzeit am National- und Wettbewerbspopulismus der AfD an. Ob daraus eine stabile Verbindung entstehen kann ist derzeit dennoch offen – auch ein möglicher Einzug der AfD im Herbst in die Landtage in Thüringen und Sachsen, letzteres ist erneut eine Hochburg der Partei, ändert an dieser Unbestimmtheit nichts.
Neben der AfD ziehen eine Reihe von weiteren kleinen Parteien, voraussichtlich sechs, mit je einem Abgeordneten ins neue EP ein. Möglich ist dies durch den Wegfall der Sperrklausel durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Dass auch die neofaschistische Partei einen Abgeordneten in das Europaparlament entsenden und die Gruppe der extremen Rechten im Brüsseler Parlament verstärken kann, ist höchst bedauerlich.
Das Wahlergebnis in Deutschland war, wie in anderen Ländern auch, vor allem ein nationales Wahlergebnis. Es wurde bestimmt von der Frage, wie es um die Politik in Deutschland steht und erst dann von der Frage, welche Vertreter aus Deutschland deutsche Interessen in Europa vertreten sollen. Europäische Interessen oder Ideen davon, was gut wäre für die weitere europäische Integration zu einem demokratischen, sozialen Europa spielten allenfalls eine Nebenrolle im Wahlkampf.
Das Wahlergebnis zeigt den europäischen Partnerstaaten, dass die politischen Machtverhältnisse in Deutschland stabil sind. Die rechten und nationalpopulistischen Parteien sind vorhanden, aber bleiben klein. Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Frankreich und Großbritannien, in denen die »Rechtspopulisten« zur stärksten Partei wurden und somit einen erheblichen Druck auf die Politik der nationalen Regierungen im Land und im EU-Ministerrat ausüben könnten, wird das in Deutschland insgesamt nicht der Fall sein. Allerdings ist zu erwarten, dass aus der CSU weiter Druck aufgebaut werden wird, um die Migrations- und Sozialpolitik wieder stärker zu nationalisieren.
Die Ergebnisse der Europawahl 2014 in Deutschland – Wahlnachtbericht und erste Analyse