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Kommentar

Nach uns die Sintflut

Der 15. April 2024 ist so ein Datum, an das man sich noch langer erinnern sollte. An diesem Tag hat sich die FDP in der Berliner Koalition durchgesetzt und das Klimaschutzgesetz „entkernt“, wie es Umweltverbände nennen. Sobald das Parlament die Gesetzesnovelle annimmt, kann der Bundesverkehrsminister auch ganz legal weiter in aller Seelenruhe zuschauen, wie Jahr um Jahr vergeht, ohne dass im Verkehrssektor endlich Treibhausgasemissionen reduziert würden. Noch immer sind diese auf dem gleichen Niveau wie 1990. Die deutsche Automobilindustrie hat in den vergangenen drei Jahrzehnten ihren ganzen technischen Verstand allein darauf verwendet, schwerere Autos zu bauen, mit viel Elektronik vollzustopfen und bei den Abgasgrenzwerten massiv zu betrügen. Eine Reduktion der Treibhausgase war für sie nie Thema, vollmundige Selbstverpflichtungen wurden geflissentlich ignoriert. Ohnehin hatten diese einzig den Zweck, der Bundesregierung als Vorwand zu dienen, strengere Vorgaben der EU immer wieder hinauszuzögern. Doch inzwischen gibt es diese. Nach EU-Recht ist Deutschland verpflichtet, seinen Treibhausgasausstoß bis 2030 im Vergleich zu 2005 zu halbieren. Sorgt die anhaltende Untätigkeit im Verkehrssektor dafür, dass diese Zielmarke verfehlt wird, muss die Bundesrepublik Strafe zahlen. Das könnte den Steuerzahler letztlich einige Dutzend Milliarden Euro kosten.
Doch das ist nur ein Beispiel unter vielen dafür, wie teuer fehlender Klimaschutz der Gesellschaft – hierzulande und mehr noch andernorts – zu stehen kommen wird. Andere wären die Milliardensummen, mit denen Jahr für Jahr der Autoverkehr subventioniert wird, oder die Gelder, die wegen steigendem Meeresspiegel in den Küstenschutz gesteckt werden müssen. Nicht zu reden von den schweren Schäden, die Unwetter wie die jüngsten winterlichen Überschwemmungen in Norddeutschland anrichten, und die sich in einem wärmeren Klima häufen. Und natürlich die Schäden an der Volkswirtschaft. Am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung hat man kürzlich abgeschätzt, dass bis 2050 schon durch die bisherigen Treibhausgasemissionen 19 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung verloren gehen. Jährlich. Dass das alles vor allem auf Kosten künftiger Generationen geht, hat das Bundesverfassungsgericht Parlament und Regierung bereits vor drei Jahren ins Stammbuch geschrieben. Allein, genützt hat es wenig. Ohne gesellschaftlichen Druck halten sich Regierungen gegebenenfalls nicht einmal an die Gesetze. (wop)

Zementwerk-Erweiterung in Lägerdorf:

BUND fordert Ausgleich 

  • Neues Zementproduktions-Verfahren verbraucht mehr Energie und Wasser
  • Kreide wird aus ehemaligem Moorgebiet gewonnen – BUND fordert neue Moore für Natur und echte CO2-Bindung 
Lägerdorf/Kiel. Heute wird mit viel Polit-Prominenz der Spatenstich für eine neue Anlage des Holcim-Zementwerks in Lägerdorf gefeiert. Die Kreisgruppe Steinburg des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hatte ebenfalls eine Einladung erhalten, jedoch auf eine Teilnahme verzichtet. „Uns ist nicht zum Feiern zumute, denn wir sehen erhebliche Auswirkungen auf die Natur. So lange die Fragen nicht beantwortet wurden, die wir in unserer Stellungnahme formuliert haben, lenkt die Spatenstich-Feier nur von massiven Umweltproblemen ab“, sagt BUND-Experte Lothar Wittorf, Verfasser der Stellungnahme zu dem Bauvorhaben. Er weist darauf hin, dass bisher weder für die aktuelle Anlage, Ofen 12 genannt, noch für die Kreidegrube Moorwiesen/Moorstücken, aus der zukünftig das Rohmaterial für die Zementproduktion gewonnen werden soll, Baurecht besteht. Beide Verfahren befinden sich noch in der frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit. 

Die neue Anlage soll nach Aussagen des Unternehmens 95 Prozent des bisherigen CO2-Ausstoßes einsparen und Stickstoffemissionen verringern. Bisherige Technologien schaffen in der Regel um 40, selten 70 Prozent. 

Dazu sagt Rainer Guschel, Sprecher des BUND Steinburg: „Diesem vorhergesagten Wirkungsgrad, der erst noch bewiesen werden muss, stehen eine Reihe von erheblichen realen Umweltproblemen gegenüber: ein dreieinhalbfacher Energieverbrauch und ein fünfzehnfach erhöhter Kühlwasserbedarf. Zukünftig müssen auch jährlich zusätzlich 600.000 Kubikmeter sogenanntes Filtratwasser in die bisherige Kreidegrube abgeleitet werden, mit ungewissen Auswirkungen auf den aquatischen Lebensraum.“ 

Der geplante Kreideabbau in dem Lägerdorfer Gemeindegebiet Moorwiesen/Moorstücken soll über einen Zeitraum von mindestens 100 Jahren erfolgen und vernichtet großflächig Wald und Wiesen auf ehemaligen Moorböden. Der BUND Schleswig-Holstein (BUND SH) fordert deshalb klimawirksame Ausgleichs- und Begleitmaßnahmen. Zum Beispiel sollten der verlegte Breitenburger Kanal und die Randbereiche der Kreidegrube naturnah erhalten werden. An anderer Stelle müssen neue Moorflächen geschaffen werden. 

„Nur naturnahe Moore speichern langfristig CO2. Bei dem Projekt des Zementwerks halten wir das Wort klimaneutral dagegen für einen Etikettenschwindel“, sagt Ole Eggers, Geschäftsführer des BUND SH. „Nach derzeitigem Planungsstand soll das CO2 extrem teuer sowie energie- und rohstoffintensiv zu Treibstoff für Flugzeuge weiterverarbeitet werden, was bedeuten würde, dass es zeitverzögert in die Umwelt gelangt. Für den Bau der Pipeline für den Transport zu den Industriebetrieben in Hemmingstedt und Brunsbüttel würden weitere Naturflächen zerstört. Und falls die Nachfrage nach CO2 aus der Industrie ausbleibt, wird durch die Hintertür die Möglichkeit geschaffen, es in der Nordsee zu verpressen. Diese CCS-Technologie lehnen wir entschieden ab!“ 

Eggers sagt abschließend: „Die Steuergelder sollten lieber in biologische Klimaschutzmaßnahmen wie Moorrekultivierung, Waldaufbau oder Grünlandvernässung investiert werden. Damit wäre echter Klimaschutz erreichbar.“ 

Quelle und Kontakt für weitere Informationen 
 
Ole Eggers 
BUND Landesgeschäftsführer 
Tel. 0178 635 07 19 
 

BUND Landesverband Schleswig-Holstein:

Grundschleppnetze zerstören Hälfte der deutschen Meeresschutzgebiete

730.000 Stunden mit Grundschleppnetzen in Schutzgebieten gefischt

• Wattenmeer, Sylter Außenriff und Doggerbank besonders betroffen

• Bislang keine Antwort auf BUND-Widerspruch

Berlin/ Bremen/ Kiel. Grundschleppnetze haben mehr als die Hälfte der deutschen Meeresschutzgebiete zerstört. Eine Analyse des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zeigt, dass allein in den vergangenen neun Jahren mehr als 730.000 Stunden mit Grundschleppnetzen in den Schutzgebieten der deutschen Nord- und Ostsee gefischt wurde. Das entspricht 83 ganzen Jahren. 53 Prozent der Schutzgebiete wurde dabei zerstört. 

Insgesamt 74 Schutzgebiete im Meer sollen marine Lebensräume erhalten und Meerestieren als Rückzugsort in den hektischen und lauten Gewässern dienen. Offiziell stehen 45 Prozent der deutschen Meeresgewässer unter Schutz. Doch die Grundschleppnetz-Fischerei setzt ihnen erheblich zu: Am stärksten betroffen ist die deutsche Nordsee. Besonders gravierend sind die Zerstörungen in den Nationalparks im Wattenmeer vor Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Die Meeresschutzgebiete Sylter Außenriff oder die Doggerbank weiter draußen in der Nordsee sind davon ebenfalls großflächig betroffen. Vor allem die Doggerbank ist fast vollständig (92 Prozent) von den Auswirkungen der Grundschleppnetz-Fischerei in Mitleidenschaft gezogen. 

Olaf Bandt, BUND-Vorsitzender: „Das Ausmaß der Zerstörung unserer Meeresschutzgebiete ist erschreckend. Die Fischerei mit Grundschleppnetzen zählt zu den größten Bedrohungen für die marine Artenvielfalt und ist unserer Auffassung nach nicht mit den Schutzzielen vereinbar. Deswegen hat der BUND Anfang des Jahres Widerspruch gegen die Fischereierlaubnis für Grundschleppnetze im Nordsee-Schutzgebiet Doggerbank eingelegt. Wir erwarten jetzt zügig eine Antwort auf unseren Widerspruch. Das Fischereiministerium (BMEL) darf eine weitere Zerstörung unserer Meeresschutzgebiete nicht zulassen.“ 

Die Marine Conservation Society aus Großbritannien hat für den BUND zusammen mit seinem europäischen Dachverband Seas at Risk und sechs weiteren Partnerorganisationen (in den Niederlanden, Dänemark, Irland, Portugal, Schweden und Spanien) den Schutz der jeweiligen Meeresschutzgebiete untersucht. Die Analyse der Fischereidaten des öffentlichen Portals Global Fishing Watch zeigt anschaulich das Ausmaß der Zerstörung durch Grundschleppnetz-Fischerei in europäischen Meeresschutzgebieten. Die Fischereidaten zeigen dabei nur die Spitze des Eisbergs, denn es werden nur Schiffe ab einer Länge von 15 Metern erfasst. Damit fehlt noch ein Großteil der Küstenfischerei, die auch mit kleineren Kuttern Grundschleppnetze durch geschützte Gebiete wie das Wattenmeer ziehen. 

Bandt: „An Land ist es kaum denkbar, dass ein geschützter Wald schlichtweg gerodet wird. Mit der Grundschleppnetz-Fischerei ist das die alltägliche und traurige Wahrheit in den Schutzgebieten in Nord- und Ostsee. Der Zustand der Nordsee verschlechtert sich weiter und unsere Geduld ist am Ende. Wir brauchen endlich eine Meereswende, nur ein intaktes und schützendes Netz aus Meeresschutzgebieten, kann das Meer auch resilienter gegen die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels machen.“ 

Stefanie Sudhaus, Meeresschutz-Referentin des BUND-Landesverbands Schleswig-Holstein: „Der Zweck von Schutzgebieten ist, dass die Natur sich erholen kann. Das schließt Fischerei aus. Es ist erschreckend, dass selbst im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer nur ein Teilstück von 3 Prozent wirklich streng geschützt wird. Die Landesregierung hat in ihrem Aktionsplan Ostseeschutz angekündigt, dass 12,5 Prozent der küstennahen Ostsee von Fischerei freigehalten werden sollen. Das muss nun wirklich umgesetzt werden! Auch in der Nordsee brauchen wir mehr strengen Schutz – gerade damit die Fisch- und Krabbenbestände sich erholen können. Das ist auch im Interesse der Fischereibetriebe.“ 

Weitere Informationen
Pressekontakt BUND Schleswig-Holstein 
Sina Clorius 
Tel. 0179 2630518 

Pressekontakt BUND-Bundesverband
Daniel Jahn 
Tel.: 030-27586-109 
 
(Quelle: BUND, Landesverband Schleswig-Holstein e. V., , www.bund-sh.de)
 

FFF-Demonstration am 1.3.2024 in Kiel:

Klimastreik plus Arbeitskampf

„Das Durchreichen der Klimakrise und ihrer Folgen nach unten nicht einfach hinnehmen“

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Am 1.3.2024 fand ein weiterer bundesweiter „Klimastreik“ statt. Neben Fridays For Future Kiel riefen diesmal auch ver.di und die „Initiative Wir Fahren Zusammen“ zu der gemeinsamen Kundgebung und Demonstration in Kiel auf. Wie fast überall in Deutschland standen an diesem Freitag auch in Kiel die Busse still, da die Busfahrer:innen sich weiterhin im Arbeitskampf befinden.

Fridays for Future unterstützt ver.di bereits seit einigen Jahren bei Tarifverhandlungen im ÖPNV. Dabei verbindet die Bewegung gewerkschaftliche Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten mit ihren ureigenen Anliegen. In der Stärkung des ÖPNV sehen die Aktivisten das „Herzstück“ einer „sozial gerechten Mobilitätswende“. Durch die Beförderung von täglich 28 Millionen Fahrgästen im Nahverkehr werden laut ver.di und FFF derzeit 9,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr vermieden. Würde der ÖPNV ausgebaut, könnten noch deutlich mehr Emissionen eingespart werden.

Unter den rund 500 Demonstrierenden stark vertreten war auch ein antikapitalistischer Block. In ihrem Mobilisierungs-Flugi hieß es: „Wir Fahren Zusammen ist ein guter Anfang. Ein gut ausgebauter und für alle erschwinglicher, bestenfalls kostenfreier ÖPNV ist unverzichtbar. Dass Menschen, die im öffentlichen Verkehr arbeiten, dafür unter guten Bedingungen arbeiten, ebenso: Denn jetzt schon mangelt es an Lokführer*innen, Busfahrer*innen und weiterem Personal.
Aber reichen wird dies nicht - wir müssen uns auf vielen Ebenen organisieren, um gegen die Klimakrise wirkungsvoll ankämpfen zu können. Ob als Mieter*innen, um das Abwälzen der Kosten von Energiesanierungen auf uns zu verhindern, als Bus- und Bahnfahrende, um für kostenlosen ÖPNV zu streiten; im Betrieb, um uns gegen den kapitalistischen Normalzustand, der die Klimakrise weiter befeuert, zu wehren. Oder eben auf der Straße, um laut und deutlich zu sagen, dass es bereits 5 nach 12 ist und wir das Durchreichen der Klimakrise und ihrer Folgen nach unten nicht einfach hinnehmen werden.“ (gst)

 

Kommentar:

Liberale Arbeitsverweigerung

Die deutschen Treibhausgas-Emissionen sind im vergangenen Jahr um gut zehn Prozent zurückgegangen. Das klingt gut, doch beim näheren Hinsehen ist das sprichwörtliche Glas allerdings nicht einmal halbvoll. Und zwar, weil die Ursachen für den starken Rückgang meist nicht nachhaltig sind und weil die deutschen Klimaschutzziele für 2030, die durch den jüngsten Rückgang erst realistisch erscheinen, bei weitem nicht ausreichen. Für einen auch nur halbwegs angemessenen deutschen Beitrag zum Klimaschutz müsste die hiesigen Emissionen Jahr für Jahr so stark sinken wie 2023, damit sie Mitte des nächsten Jahrzehnts bei null ankommen.
Doch davon sind wir weiter Lichtjahre entfernt, unter anderem weil das im vergangenen Jahr erreichte nur zum Teil nachhaltig ist. Ablesen lässt sich das unter anderem daran, dass die schwächelnde Konjunktur und die milde Witterung für verminderten Energiebedarf sorgten. Selbst der erfreulich starke Rückgang der Verbrennung von Kohle und Erdgas ist nicht wirklich beruhigend, weil er nur zum Teil dem weiteren Ausbau von Wind- und Solarenergie zu verdanken ist. Der andere Teil der Erklärung ist verminderter Strombedarf und verstärkter Stromimport aus dem Ausland.
Für die Braunkohle werden unterdessen weiter Dörfer und Landschaft zerstört, und die Kraftwerke bleiben im Betrieb, können also unter veränderten Bedingungen auch wieder mehr Kohle und Gas verbrennen. Außerdem wird für das neue Frackinggas, bei dessen Förderung erhebliche Mengen des sehr wirksamen Treibhausgases Methan entweichen, keine Gesamtbilanz aufgemacht. Diese Emissionen werden in Deutschland genauso wenig mitgezählt wie das Treibhausgas, das bei der Herstellung importierter Konsumgüter oder der Förderung von Erdöl freigesetzt wird.
Beschämend ist obendrein, dass erneut der Verkehrssektor, seine gesetzlich vorgeschriebenen Ziele nicht erreicht. Eigentlich müsste sich, so sieht es das Klimaschutzgesetz vor, Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) nun hinsetzen, und ein Paket von Sofortmaßnahmen erarbeiten. Besonders schwer wäre das nicht. Die öffentlichen Verkehrssysteme müssten ausgebaut und attraktiver gemacht und der Lastverkehr endlich stärker auf die Schiene verlagert werden. Ein Tempolimit auf den Autobahnen könnte ein Übriges beitragen. Doch wie schon in den Vorjahren, verweigert der Minister die Arbeit. So wird weiter wertvolle Zeit verschenkt, während die Einschläge der Klimakrise immer näher kommen. (wop)