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Klimaverhandlungen:

„Nur eine optische Täuschung“

Und wieder ist eine UN-Klimakonferenz vorbei. Eine mit äußerst mageren Ergebnissen. Eine Konferenz, die mit der Dürftigkeit ihrer Beschlüsse einen neuen Minusrekord in der über 30-jährigen Geschichte der internationalen Klimaverhandlungen aufgestellt haben könnte. Gut 40.000 Delegierte verhandelten knapp zwei Wochen lang, unter ihnen rund 1.700 Lobbyisten diverser Kohle- und vor allem Erdölkonzerne. Als Mitglieder von Regierungsdelegationen saßen diese direkt mit am Verhandlungstisch. Noch im letzten Jahr hatte auch der EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra – ein ehemaliger Shell-Manager, der 2023 im Auftrag der Mitgliedsländer die Verhandlungen in Katar und in diesem Jahr in Baku führte – Vertreter von BP und anderen Energiekonzernen in seiner Truppe. In diesem Jahr war immerhin der öffentliche Druck gegen diese Praxis zu groß, heißt es bei der Linksfraktion im EU-Parlament. Die am Geschäft mit der Klimakatastrophe interessierten dürften deswegen allerdings nicht allzu traurig gewesen sein. Hoekstras Diplomaten wie auch die vieler andere Industrieländer sorgten dafür, dass die Interessen der fossilen Industrien nicht angekratzt wurden. Und dann waren da natürlich noch die aserbaidschanischen Gastgeber und Versammlungsleiter, deren Außenhandel zu mehr als 90 Prozent aus dem Export von Erdöl und Gas lebt und die die Gespräche nutzten, um nebenbei ein paar neue Deals auzuhandeln.

Bild: 2024 auf dem Weg, einen neuen Hitzerekord aufzustellen. Mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit wird es zum ersten Kalenderjahr, in dem die über den Globus gemittelte Jahrestemperatur um mehr als 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau liegt, die die Daten des EU-Erdbeobachtungsprogramms Copernicus zeigen. Im Rahmen der natürlichen Schwankungen wird die Temperatur im nächsten Jahr aller Voraussicht nach wieder etwas niedriger ausfallen. Insofern ist die mit dem Pariser Klimaschutzvertrag aufgelegte Latte noch nicht gerissen, viel fehlt allerdings nicht mehr.

Hauptthema in Baku war das Geld, die sogenannten Klimafinanzen. Die ärmeren Länder, die kaum etwas zum Problem beitragen, aber am stärksten under Hitzewellen extremen Niederschlägen, Ernteausfällen und steigendem Meeresspiegel zu leiden haben, benötigen Geld. Viel Geld. Um Deiche zu bauen, die Landwirtschaft umzustellen, Schutzräume zu bauen, Straßen, Schienen und andere Infrastruktur zu schützen und allerlei sonstige Maßnahmen, mit denen sich – da wo noch möglich – an das immer extremer und launischer werdende Klima angepasst werden kann. Und sie brauchen finanzielle Unterstützung, um ihre Industrialisierung, den Ausbau der Energieversorgung zum Beispiel, von vornherein auf klimaschonende Art und Weise zu betreiben. 2.400 Milliarden US-Dollar müssten in den Entwicklungsländern (ohne China, das im UN-Zusammenhang noch als Entwicklungsland gilt) jährlich für diese beiden Felder ausgegeben werden, hatte vor zwei Jahren eine internationale Expertengruppe berechnet, an der auch der ehemalige Chef-Volkswirt der Weltbank Nicholas Stern beteiligt war. Stern wurde 2006 durch den sogenannten Stern-Report bekannt, einem umfangreichen Bericht an die britische Regierung, der die enormen Kosten der Klimakrise vorrechnete. Die Hälfte des Betrags, so die Studie aus 2022, müsste von den reichen Ländern aufgebracht werden.

Doch die zeigten sich in Baku bis zuletzt äußerst knauserig. Lediglich 300 Milliarden US-Dollar soll es in den nächsten Jahren per annum geben, ein Betrag, weit entfernt von den 1.300 Milliarden, die die Entwicklungsländer gefordert hatten. Und auch noch nicht sofort. Die 300-Milliarden Marke soll erst 2035 erreicht werden. Außerdem wird der Betrag nicht ausschließlich als Zuwendungen fließen, sondern „aus einer Vielzahl von Quellen, öffentlichen wie privaten, bilateralen wie multilateralen, einschließlich alternativer Quellen“, wie es in der in Baku angenommenen Vereinbarung heißt. Im Klartext: Ein erheblicher Teil der vermeintlichen Unterstützung wird nur in Form von Krediten gewährt oder nimmt die Form privater Investitionen an, die natürlich Gewinn erzielen sollen.

Entsprechend beschrieben Vertreterinnen und Vertreter des globalen Südens die Konferenz-Ergebnisse mit bitteren Worten. Die beschlossenen 300 Milliarden US-Dollar seien ein „Witz“, eine „Beleidigung“, befand Nkiruka Maduekwe aus Nigeria, die für ihr Land in die Erdölmetropole am Kaspischen Meer gereist war. „Wir sind nicht bereit, das zu akzeptieren“, kommentierte sie das Abschlussdokument. Eigentlich werden die Entscheidungen im Rahmen der UN-Klimaschutzrahmenkonvention ja im Konsens getroffen. Doch davon konnte in Baku nicht recht die Rede sein. Indiens Vertreterin Chandni Raina beklagte gegenüber der britischen Zeitung »Guardian«, dass die Konferenzleitung ihrem Land kurz vor Abschluss eine ablehnende Stellungnahme verweigerte. Das verabschiedete Dokument sei daher „nicht viel mehr als eine optische Täuschung“.

Da wundert es eigentlich nicht, dass Papua-Neuguinea, eines der besonders hart von den Klimaveränderungen betroffenen Länder, die Gespräche boykottiert hatte. „Wir akzeptieren keine leeren Versprechungen und keine Untätigkeit mehr, während unser Volk unter den verheerenden Folgen des Klimawandels leiden muss“, hatte Justin Tkatchenko, Außenminister des Landes, im Vorfeld verkündet. Papua-Neuguinea hatte zuletzt in März und Mai 2024 gleich zweimal kurz hintereinander extreme Niederschläge erlebt, die Erdrutsche auslösten. Im Mai waren in einem entlegenen Tal rund 2000 Menschen unter Schlammlawinen begraben worden. „Obwohl wir wenig zur Klimakrise beitragen, werden Länder wie unseres mit den schweren Folgen allein gelassen“, klagte der Außenminister. Ein halbe Tonne CO2 wird in seinem Land pro Kopf und Jahr emittiert. Hierzulande sind es hingegen acht und in den USA knapp 14 Tonnen. Die internationale Gemeinschaft, so Tkatchenko weiter, komme ihren finanziellen und moralischen Verpflichtungen nicht nach: „Die Versprechen der großen Verschmutzer sind nichts als leeres Gerede. Sie errichten für uns unüberwindbare Hürden, sodass wir nicht an die dringend benötigten Gelder kommen, um unsere Leute zu schützen. Trotz wiederholter Versuche eine Finanzierung für Anpassungsmaßnahmen zu bekommen haben wir bisher keinen einzigen Toea gesehen.“ Ein Toea ist die kleinste Währungseinheit Papua-Neuguineas und entsprich etwa einem Fünftel Cent.

Eine war allerdings mit den Bakuer Ergebnissen ganz zufrieden: Außenministerin Annalena Baerbock. Mehr wäre angesichts der geopolitischen Lage nicht drin gewesen, ließ sie wissen. Wie auch, wenn man alles dran setzt, die internationalen Spannungen immer weiter zu steigern, Russland zerschlagen will, China belehrt und sich mit Waffenlieferungen an Völkermorden beteiligt, während man im Inland an allem Umweltrecht vorbei Infrastruktur für die Einfuhr von Fackinggas aus dem Boden stampft, für Gas, das wegen der vielen bei Förderung und Transport freigesetzten Methanemissionen ähnlich schädlich fürs Klima ist, wie Diesel oder Heizöl. Das mag der hiesigen Öffentlichkeit nicht recht klar sein, die die Grünen noch immer für eine Umweltschutzpartei und das Land für einen Klimaschutzvorreiter hält. Für weite Teile des globalen Südens liegen jedoch Untätigkeit und Doppelzüngigkeit des Wertewestens offen zu Tage, und entsprechend schwierig gestalten sich inzwischen – nicht nur in Sachen Klimaschutz – internationale Verhandlungen.
Das umso mehr, als die alten Industriestaaten sich mit Händen und Füßen sperren, die Verantwortung für die in den letzten 200 Jahren von ihnen emittierten und in der Atmosphäre angereicherten Treibhausgase zu übernehmen. Das zeigte sich nicht nur auf der Konferenz in Baku, sondern seit Anfang Dezember auch in einer Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Der akut vom steigende Meeresspiegel bedrohte pazifische Inselstaat Vanuatu hatte dort ein Verfahren beantragt, um eine nicht bindende Beurteilung des Gerichts über die juristische Verantwortung von Staaten für den Klimawandel zu bekommen.

Worum geht es? Das Treibhausgas CO2 reichert sich in der Atmosphäre an und verbleibt dort für für mehrere Jahrtausende. Ende des 18. Jahrhunderts betrug die CO2-Konzentration in der Luft 280 Millionstel Volumenanteile (ppm), derzeit beträgt sie schon rund 420 ppm. Dieser Anstieg hat bereits zu einer Erwärmung von durchschnittlich mindestens 1,3 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau geführt. (2024 wird sogar etwa 1,6 Grad über diesem Level liegen, aber aller Voraussicht nach geht die globale Temperatur im Rahmen der natürlichen Schwankungen vorerst wieder etwas zurückgehen.) Verantwortlich für dieses bereits in der Atmosphäre angereicherte Treibhausgas aus historischen Emissionen sind nur eine Hand voll von Staaten: Summiert man alle Emissionen von Beginn der Industrialisierung bis zum Jahre 2021 auf, dann entfallen auf einen heute lebenden US-Amerikaner knapp 1700 und auf einen Deutschen etwas mehr als 1000 Tonnen CO2. Für einen Chinesen sind es hingegen nur 214 und für einen Inder gar lediglich 61 Tonnen CO2.

Seit Beginn der internationalen Klimaverhandlungen vor ziemlich genau 34 Jahren verlangen die Länder des Südens, dass die alten Industriestaaten die Verantwortung für diese Emissionen übernehmen, die unter anderem auch das Ansteigen der Meere in Gang gesetzt haben. Doch diese weigern sich beharrlich. Beispielhaft war dafür das Statement der deutschen Vertreterin vor dem Den Haager Gericht am 2. Dezember: Deutschland könne nicht für historische Emissionen verantwortlich gemacht werden, weil diese seinerzeit nicht gegen geltendes Recht oder internationale Verträge verstoßen hätten. Über die UN-Klimaschutzkonvention oder das Pariser Abkommen hinaus gebe es keine Verpflichtungen – und bei deren Formulierung, so lässt sich anfügen, haben die reichen Länder peinlich genau darauf geachtet, dass an keiner Stelle vom Verursacherprinzip die Rede ist.

Die Regierungen der reichen Länder, weder der alten Industriestaaten noch der aufstrebenden Erdölproduzenten am Golf, werden es also nicht richten und entsprechend auch die internationalen Klimakonferenzen nicht, auf denen im Konsens entschieden wird. – Auch wenn diese, wie allgemein das internationale Recht, immer noch besser sind, als die gänzlich unregulierte Herrschaft des Stärkeren. – Das Geschäft mit Erdöl und Gas läuft einfach zu gut und soll noch möglichst lange Profit abwerfen. Derweil nimmt die Klimakrise mehr und mehr an Fahrt auf, und wird die internationalen Verteilungskämpfe in den nächsten Jahrzehnten dramatisch verschärfen, wenn Dürren und Unwetter die Lebensmittelpreise explodieren lassen oder Sturmfluten sich ins Land fressen und ganze Städte verschlingen. (wop)