Daten/Fakten  

   

Der Ukraine-Krieg und die Gefahr einer nuklearen Katastrophe

Eine Eskalation bis zu einem Atomkrieg ist möglich und was das für uns bedeuten kann

von Klaus-Dieter Kolenda

Der folgende Text ist eine leicht erweiterte Fassung eines Vortrags, den der Autor auf dem Kongress „Frieden und Dialog“ in Burg Liebstedt bei Weimar am 27.10.2024 gehalten hat (Fußnote 1). Eine ausführliche Übersicht über Inhalte, Ablauf und Ergebnisse dieses einzigartigen Kongresses in historischer Umgebung, der vom 25.- 27. Oktober 2024 stattfand, ist hier dargestellt (Fußnote 2).


Als langjähriges Mitglied der IPPNW, das ist die Abkürzung für die berufsbezogene Friedensorganisation „Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung“, die 1985 den Friedensnobelpreis erhalten hat, bedanke ich mich für die Einladung.

Angesichts der vom Westen schrittweise immer weiter geschürten Eskalation des Ukraine-Krieges werde ich vor allem über die damit einhergehende Atomkriegsgefahr sprechen und darüber, was das für uns bedeuten kann, wenn es zu einem Einsatz von Nuklearwaffen kommt. Seit Beginn des Ukraine-Krieges besteht diese Gefahr wieder ganz real [3]. Sie hat sich mit dem Überschreiten der sogenannten roten Linien Russlands, einer nach der anderen, immer weiter gesteigert.

Nachdem am Rande des letzten NATO-Gipfels der Beschluss der Ampelregierung verkündet wurde, dass ab 2026 wieder atomwaffenfähige Kurz- und Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert werden sollen, hat sich aus meiner Sicht diese Gefahr noch einmal vervielfacht. Zu einer sehr bedrohlichen weiteren Eskalation ist es vor einigen Wochen gekommen, als die Forderung des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, mit weitreichenden westlichen Raketen das russische Kernland beschießen zu dürfen, in westlichen Medien meist zustimmend kommentiert wurde. Diese Forderung wurde von Politikern aus allen Ampelparteien unterstützt, ist aber in Washington derzeit wohl abgelehnt worden. Wie lange es dabei bleibt, ist allerdings fraglich.

Diese Ende September getroffene Entscheidung war möglicherweise Ausdruck einer gewissen Ernüchterung in Washington, zu der die jüngst erfolgte Anpassung von Russlands Nukleardoktrin [4] beigetragen haben könnte.

Veröffentlichung in der LinX mit Autorisierung durch den Autor. Der Vortrag wurde zuerst veröffentlich als Beitrag auf den Nachdenkseiten:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=124420

Vorbemerkungen

Eine der wichtigsten Erkenntnisse in der Politik, die ich im Laufe meines Lebens gewonnen habe, ist die, dass es in den internationalen Beziehungen nicht um hehre Werte wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte geht, sondern um Interessen, z.B. Wirtschafts-, Macht- und Sicherheitsinteressen. Das hat schon Egon Bahr, der 2015 verstorbene Architekt der Entspannungspolitik von Willy Brandt, einmal so oder ähnlich ausgedrückt. Daraus folgt: Es gibt in der internationalen Politik nicht nur „schwarz oder weiß“, nicht „die Guten“ oder „die Bösen“, wobei wir nach der herrschenden Propaganda ja immer die Guten und die anderen (im Augenblick Russland und ganz besonders Putin) die Bösen sind, sondern es sind von mir in dieser Hinsicht bestenfalls Unterschiede in Abstufungen von Grautönen auszumachen.

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Nukleares Armageddon: Die unmittelbaren und längerfristigen Auswirkungen eines möglichen Atomkriegs

Zu einem nuklearen Schlagabtausch, zum Beispiel durch eine weitere Eskalation im Ukraine-Krieg, aus dem sich ein nukleares Inferno entwickeln kann, darf es nicht kommen. Wie viele Menschen an den Folgen eines Atomkriegs sterben würden, haben Wissenschaftler in verschiedenen Szenarien akribisch untersucht. Von Klaus-Dieter Kolenda.



Kürzlich wurde mein Artikel über den Ukraine-Krieg und die Gefahr einer nuklearen Katastrophe[1] in den NachDenkSeiten veröffentlicht. Der folgende Text schließt sich unmittelbar daran an. Er beschreibt im Detail, was passieren kann, wenn der Ukraine-Krieg weiter bis zum Einsatz von Atomwaffen eskaliert.
Am 5. Dezember 2024 veröffentlichte der prominente US-Journalist Tucker Carlson sein aktuelles Interview mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow[2] unter der Überschrift „This is the closest we’ve ever been to global nuclear war“ (zu Deutsch: Wir sind so nah wie nie an einem globalen Atomkrieg).
Deshalb möchte ich den Lesern der NachDenkSeiten den Beitrag des Bulletin of the Atomic Scientists mit dem Titel „Nowhere to hide: How a nuclear war would kill you — and almost everyone else“ (zu Deutsch: Nirgendwo ein Ort zum Verstecken – Wie ein Atomkrieg Sie und fast alle anderen ebenfalls töten würde) präsentieren, den ich mit einigen unbedeutenden Kürzungen ins Deutsche übertragen habe [3]. Am Schluss sind einige Hinweise und ein kurzer Kommentar angefügt.

Autor dieses wertvollen Artikels ist Francois Diaz-Maurin, Wissenschaftler und Mitherausgeber des Bulletins dieser Institution, die am 24. Januar 2023 erstmals die Doomsday Clock (Weltuntergangsuhr) auf 90 Sekunden vor Mitternacht vorgestellt hat. Der Zeiger dieser Uhr steht jetzt so nahe wie noch nie vor einer globalen Katastrophe.

(Veröffentlichung in der LinX mit Genehmigung durch den Autor: 14.Dezember 2024, Klaus-Dieter Kolenda)

Beginn der Übersetzung des ersten Teils des Artikels von Francois Diaz-Maurin

Im Sommer 2022 veröffentlichte die Abteilung für Notfall-Management von New York City eine Ankündigung des nuklearen Katastrophenschutzes, in der die New Yorker Bürger darüber informiert wurden, was bei einem Atomangriff zu tun sei.

Das 90-Sekunden-Video beginnt mit einer Frau, die in lässiger Haltung die katastrophale Nachricht verkündet: „Es gab einen Atombombenangriff. Fragen Sie mich nicht wie oder warum, wir wissen nur, dass uns eine große Bombe getroffen hat.” Dann rät das Nachrichten-Video den New Yorkern, was in diesem Falle zu tun sei: „Gehen Sie in Ihre Häuser und Wohnungen, bleiben Sie drinnen und informieren Sie sich weiter über die Medien und die aktuellen Mitteilungen der Regierung.“

Aber diese Anweisungen für den nuklearen Katastrophenschutz dürften wohl besser umzusetzen sein, wenn man sich nicht im Explosionsradius einer nuklearen Bombe befindet. In diesem Fall können Sie nicht nach Hause gehen und die Türen schließen, weil Ihr Haus zerstört worden ist.

Stellen Sie sich nun vor, es gäbe Hunderte solcher großen Explosionen. Das ist es, was selbst bei einem „kleinen” Atomkrieg geschehen würde. Wenn Sie das Glück haben, sich nicht im Explosionsradius einer dieser Bomben zu befinden, kann eine Atombombenexplosion zwar nicht an diesem Tag, aber bald danach Ihr ganzes vorheriges Leben zerstören.

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„Friedensfähig statt erstschlagfähig!“

Neue Kampagne für ein Europa ohne Mittelstreckenwaffen

friedensfaehig statt erstschlagfaehig

Anfang November haben 36 Friedensorganisationen eine Kampagne gegen die Stationierung landgestützter US-Mittelstreckensysteme in Deutschland gestartet. „Die Entscheidung zur Stationierung der Mittelstreckenwaffen in Deutschland ist eine Bedrohung für den Frieden in Europa“, warnen die beteiligten Organisationen.

Bundesregierung und US-Regierung haben angekündigt, ab 2026 landgestützte Marschflugkörper, Hyperschallwaffen und Raketen der Vereinigten Staaten in Deutschland zu stationieren. Diese Waffensysteme können mit einer stark verkürzten Vorwarnzeit strategische Ziele, etwa Atomwaffenstandorte, in Russland treffen, was zu einer erhöhten Alarmbereitschaft in Russland führen kann und das Risiko von Fehlentscheidungen verschärft. Die Stationierung bedeutet somit einen neuen, gefährlichen Schritt im Wettrüsten und eine weitere Eskalationsgefahr. Vor diesem Hintergrund ist es unverantwortlich, dass die Entscheidung ohne eine gesellschaftliche Debatte getroffen wurde, nicht einmal der Bundestag wurde im Vorfeld informiert.

In der nun gestarteten Kampagne unter dem Titel »Friedensfähig statt erstschlagfähig – für ein Europa ohne Mittelstreckenwaffen!« wollen die beteiligten Organisationen über die Risiken aufklären und so die bislang ausbleibende, aber dringend nötige Debatte lostreten. Zudem soll politischer Druck für die Rücknahme der Stationierungsentscheidung aufgebaut bauen.

Anders als bei der sogenannten Nachrüstung in den 80er Jahren, gegen die die Friedensbewegung Millionen auf die Straße brachte, wird das Risiko bei der aktuellen Stationierung nicht von verschiedenen Ländern geteilt. Deutschland ist das einzige europäische NATO-Land, in dem diese Waffen stationiert werden sollen. Somit sind die Menschen in Deutschland alleiniges Ziel eines potenziellen Gegenschlages. Die Aufrüstung wird auch nicht, wie beim NATO-Doppelbeschluss 1979, mit einem Verhandlungsangebot verknüpft. Sie ist im Gegenteil ein Sargnagel für Rüstungskontrolle und Vereinbarungen wie den New START-Vertrag.

Die Entscheidung zur Stationierung der Mittelstreckenwaffen in Deutschland führt uns erneut in das mögliche Szenario eines Atomkriegs in Europa. Stattdessen sollten alle Parteien weiter eskalierende Schritte unterlassen und zur Rüstungskontrolle zurückkehren. Perspektivisch nötig sind Initiativen zur Abrüstung aller Mittelstreckenwaffen in Europa.

Die Forderungen der Kampagne sind im Einzelnen:

• Ein Stopp der geplanten Stationierung neuer US-Mittelstreckensysteme in Deutschland
• Einen Abbruch der Projekte zur Entwicklung eigener, europäischer Hyperschallwaffen und Marschflugkörper, an denen Deutschland sich beteiligen will
• Dialog statt Aufrüstung: Die Wiederaufnahme von Verhandlungen über Rüstungskontrolle und (nukleare) Abrüstung (z.B. für ein multilaterales Folgeabkommen zum INF-Vertrag)
• Neue Initiativen für gemeinsame Sicherheit und Zusammenarbeit und die langfristige Vision einer neuen Friedensordnung in Europa

friedenskooperative

Gründungsmitglieder:
NaturFreunde Deutschlands • Ohne Rüstung Leben • IPPNW Deutschland • Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen • pax christi – deutsche Sektion e.V. • Netzwerk Friedenskooperative • ICAN Deutschland e.V. • Informationsstelle Militarisierung (IMI) e. V. • Naturwissenschaftlerinitiative • Frauennetzwerk für Frieden e. V. • Friedenswerkstatt Mutlangen • Friedensglockengesellschaft Berlin e.V. • Deutscher Friedensrat e.V. • Friedensgruppe Daun • Marburger Bündnis „Nein zum Krieg!“ • Attac Trägerverein e.V. Regionalgruppe Dresden • attac Regionalgruppe untere Saar • Friedensmuseum Nürnberg e.V. • Hiroshima-Nagasaki-Arbeitskreis des Kölner Friedensforums • Friedensinitiative Nottuln e.V. • AG Büchel der deutschen Quäker • Lebenshaus Schwäbische Alb – Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden • Friedensbüro Hannover e.V. • Friedensinitiative Hunsrück • ÖKOPAX e.V- Bildungsbüro für Friedens- und Umweltfragen Würzburg • Hiroshima-Bündnis Hannover • BAG Globalisierung und Krieg • FriedensNetz Saar • Friedens- und Zukunftswerkstatt e.V. • Berliner Mahnwache für das Verbot der Atomwaffen – weltweit! • Darmstädter Friedensforum • Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e. V. • Int. Versöhnungsbund, Regionalgruppe Mainz • Martin-Niemöller-Stiftung und Dietrich Bonhoeffer Verein • Friedensforum Neumünster • Frauen wagen Frieden

18.11.2024, Netzwerk Friedenskooperative
Network of the German Peace Movement
www.friedenskooperative.de

Friedenspolitik für die Welt des 21. Jahrhunderts

Ein Diskussionspapier
der Initiative
Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder!


 
Unter dem Titel „Friedenspolitik für die Welt des 21. Jahrhunderts“ hat unsere Initiative ein Diskussionspapier veröffentlicht, das ihr hier lesen könnt. Es befasst sich ausführlich mit den Folgen der globalen Umbrüche für eine Friedenspolitik auf der Höhe der Zeit. Das Papier skizziert die Transformation des internationalen Systems und diskutiert Chancen und Risiken einer multipolaren Ordnung sowie die Rolle der EU und Deutschlands in der neuen Weltordnung. Thematisiert werden auch die Zusammenhänge zwischen Krieg und Frieden und den globalen Problemen von Klimawandel, Armut und technologischen Umwälzungen.

Ausführlich geht das Papier auch auf Kontroversen in der Friedensbewegung und in der gesellschaftlichen Linken ein, u.a. die Sicht auf Konflikte in Kategorien von Demokratie versus Autokratie, das Verhältnis von Menschenrechten und nationaler Souveränität oder das zwischen Moral und Realismus. Im letzten Kapitel werden einige grundsätzliche Schlussfolgerungen für eine zeitgemäße Friedensbewegung gezogen.

An der Abfassung des Papiers waren beteiligt: Michael Brie, Erhard Crome, Frank Deppe und Peter Wahl.

Ziel des Papiers ist es, die Diskussion in der Friedensbewegung und der gesellschaftlichen Linken anzustoßen. Es ist geplant, ab Oktober dazu entsprechende Angebote zu machen.
 
Eine englische Fassung des Diskussionspapiers kann hier eingesehen werden:
Peace policy for the world of the 21st century
 

Friedenspolitik für die Welt des 21. Jahrhunderts

Inhalt:

1. Die Umbrüche im internationalen System verstehen

1.1. Die USA bleiben Supermacht
1.2. Supermacht China und die neue Rolle des Globalen Südens
1.3. Der Wiederaufstieg Russlands zur Großmacht
1.4. Die EU in der neuen Weltordnung
1.5. Die deutsche „Zeitenwende“

2. Der zentrale Konflikt auf dem Weg zur multipolaren Weltordnung

2.1. Washington will weiterhin die Weltordnung dominieren
2.2. Atomarer Winter statt Klimaerwärmung?
2.3. Neue US-Atomwaffen gegen Russland auf deutschem Boden
2.4. Demokratie versus Autokratie?

3. Kontroversen in der Friedensbewegung bearbeiten

3.1. Demokratie, Menschenrechte und nationale Souveränität
3.2. Widersprüche zwischen Frieden und Menschenrechten?
3.3. Instrumentalisierung von Menschenrechten provoziert Wagenburgverhalten
3.4. Krieg, Moral und Rationalität

4. Anforderungen an Friedenspolitik auf der Höhe der Zeit

Weiterlesen hier


Oder Original hier: PDF zum Download auf der https://nie-wieder-krieg.org

Hiroshima-Gedenktag in Kiel:

Lotosblüten für HIROSHIMA und NAGASAKI

Ca. 150 Menschen beteiligten sich 6. August 2024 in Kiel im Hiroshimapark an der jährlichen Gedenkveranstaltung. Die Stadt Kiel, die Hiroshima AG und der Arbeitskreis Städtesolidarität konnten zusammen mit der neuen Stadtpräsidenten Bettina Aust die diesjährige Gedenkveranstaltung zu den Atombombenabwürfen in Hiroshima und Nagasaki abhalten.

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Im Aufruf zur Veranstaltung heißt es deutlich:

Die Waffen nieder! Frieden jetzt!

„Vor genau zwei Jahren begann der russische Angriff auf die Ukraine, der bis heute zahlreiche Opfer in der Zivilbevölkerung fordert. Dieser und alle anderen Kriege bergen die Gefahr der Eskalation bis hin zum atomaren Inferno in sich. Die Lehre aus dem Ukrainekrieg und der global angespannten Lage muss sein, dass Atomwaffen keine wirkungsvolle Verteidigung gegen Angriffe bieten.
Die Drohungen mit Atomwaffen haben in einer zivilisierten Welt keinen Platz und stehen in krassem Widerspruch zu der gemeinsamen Erklärung der Atomwaffenstaaten von Januar 2022, dass ein „Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf.“ Der Ukrainekrieg zeigt auch, dass die nukleare Abrüstung noch dringlicher geworden ist. Nuklearwaffen ermuntern ihre Besitzer zu einem verheerenden Krieg und bieten keine Sicherheit.
In Deutschland ist unlängst eine unüberlegte und schlecht fundierte Forderung nach europäischen oder deutschen Atomwaffen diskutiert worden. Es ist ermutigend, dass über alle Parteien hinweg diese Forderung abgelehnt wurde. Die Lehre aus der atomaren Bedrohung kann nur sein, dass sich Deutschland nicht am nuklearen Wettrüsten beteilig, sondern stattdessen mit den Unterzeichnerstaaten des Atomwaffenverbotsvertrag zusammenarbeitet und den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet.“

In ihrem Jahresbericht warnt das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI vor der steigenden Zahl einsatzfähiger Atomwaffen. „Wir driften in eine der gefährlichsten Perioden der Menschheitsgeschichte“, heißt es in dem Bericht. Sie fordern, die Nukleardiplomatie wiederherzustellen und die internationalen Kontrollen von Atomwaffen zu verstärken.

Frau Aust ging in ihrem Grußwort insbesondere auf das Leid der Bewohner der neuen Partnerstadt Kiels, Cherson in der Ukraine, ein.

Ralph Urban von der IPPNW (Ärzte gegen den Atomkrieg), zeigte mit einem Augenzeugenbericht eindringlich, welche Folgen der Atombombenabwurf für die Menschen in Hiroshima und Nagasaki bedeutete. Beispielhaft für die Stadt Kiel zeigte er die Folgen eines Atombombenabwurfs über der Stadt auf.
Zusätzlich wies er auf die Mitverantwortung des kollektiven Westens am Ukraine-Krieg sowie der weiteren Eskalation hin.
Ebenso wurde der undemokratische Beschluss zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland kritisiert. Selbst wenn dieser rein formal keinerlei Abstimmung oder Diskussion benötigt, hätte einer solch weitreichenden Entscheidung mindestens eine Diskussion darüber vorausgehen müssen.
Die Stadt Kiel kann mit der logistischen Unterstützung für die Waffenlieferungen in die Ukraine – und als Rüstungsstandort sowie Stützpunkt für den Ostseeraum – ein Ziel russischer Raketen-Angriffe darstellen, diese können auch atomar bestückt sein.

Musikalisch untermalte die Musikgruppe COLIBRÍ die Veranstaltung mit Antikriegsliedern und um 21 Uhr setzen die Anwesenden wieder Lotosblüten in Gedenken an die Opfer auf dem Kleinen Kiel aus.

Die Veranstalter freuen sich, dass trotz aller Kontroversen, eine friedliches Gedenken zusammen mit der Stadt veranstaltet werden konnte.
Das Kieler Friedesforum würde es sehr begrüßen, wenn demnächst auch die Stadt Kiel aktiv für die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrages einsteht und nach dem Vorbild der Stadt Marburg ein Transparent am Rathaus aufhängt. (T.S./uws)

 

Liedtext der Gruppe COLIBRÍ auf der Veranstaltung:

Wind of change (Melodie Scorpions - Text Colibri)

Ostseestrand so schön – zum Spazierengeh’n,
Wellen rauschen sanft – wie immer.
Dort am Horizont - taucht ein U-Boot auf.
Kriegsbedrohung naht – viel schlimmer.

Plötzlich wieder Krieg – in uns’rer Alltagswelt
Horrornachrichten – erschüttern.
Alle rüsten auf – verdienen damit Geld.
Wie kann man da noch ruhig schlafen.

Wahnsinn – warum lern’ die Menschen nichts aus der Vergangenheit?
Warum hör’n denn diese Kriege niemals auf?
Nehmt das nicht in Kauf !

Männer in Zivil – werden nun Soldat
Kämpfen für die Freiheit – sagt man.
Bombadier’n die Stadt – zerstören die Natur.
Wie können hier noch Menschen leben?

Wahnsinn – warum lern’ die Menschen nichts aus der Vergangenheit?
Warum hör’n denn diese Kriege niemals auf?
Nehmt das nicht in Kauf !

Der Friedenswunsch ist da – liegt immer in der Luft.
Die Friedensglocken laut und unermüdlich gell’n.
Lasst die Balalaika kling’n – und die Gitarr’n für uns sing’n!

Wahnsinn – warum lern’ die Menschen nichts aus der Vergangenheit?
Warum hör’n denn diese Kriege niemals auf?
Nehmt das nicht in Kauf !

Frieden durch Diplomatie statt weiterer Eskalation bis zum Atomkrieg – Hiroshima und Nagasaki mahnen:

Kriege in der Ukraine, in Gaza und Nahost beenden und Atomwaffen abrüsten!

Der vorliegende Text ist eine erweiterte Fassung eines Vortrags des Autors anlässlich einer Mahnwache für den Frieden am 9. August am Wedeler Mühlenteich. In der Druckversion wurde der Beitrag stark gekürzt. Hier jetzt der Beitrag in voller Länge. Autor: Klaus-Dieter Kolenda, IPPNW

Die Atombomben, die am 6. August 1945 von den USA abgeworfen wurden, töteten auf einen Schlag in Hiroshima mehr als 80.000 Menschen (Fußnote 1), und die am 9. August auf Nagasaki zielende etwa 22.000 (Fußnote 2).

Die genauen Zahlen an diesem Tage und an den anschließenden Wochen und Monaten sind immer noch umstritten. Die Gesamtzahl der Todesopfer dürfte aber bei mindestens 200.000 liegen (Fußnote 2). Denn in den Tagen und Wochen nach den Bombenangriffen war es nicht möglich, eine genaue Zählung der Opfer durchzuführen. Aufgrund der massenhaften Zerstörungen der staatlichen Einrichtungen, der Krankenhäuser, der Polizei- und Feuerwehrstationen herrschte völliges Chaos und Verwirrung (Fußnote 1).  

Als langjähriges Mitglied der IPPNW, das ist die Abkürzung für die berufsbezogene Friedensorganisation „Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung“, die 1985 den Friedensnobelpreis erhalten hat, bin ich gebeten worden, hier ein paar einleitende Worte zu sagen.

Aus aktuellen Gründen werde ich im Folgenden nicht so sehr über die Opfer von Hiroshima und Nagasaki sprechen, sondern vor allem über die steigende Atomkriegsgefahr, der wir mit der immer weiteren Eskalation der Kriege in der Ukraine und auch in Gaza bzw. im Nahen Osten in zunehmendem Maße ausgesetzt sind und die mir große Sorgen bereitet.

Diese Gefahr war ja nach dem Ende des „Kalten Krieges“ im Jahre 1990/91 anscheinend überwunden. Seit Beginn des Ukraine-Krieges besteht sie jedoch wieder ganz real.

Und jetzt wurde am Rande des diesjährigen Nato-Gipfel in Washington vom 9. bis 11. Juli in einer gemeinsamen Erklärung der US-Regierung und der deutschen Bundesregierung verkündet, dass ab 2026 wieder atomwaffenfähige Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite bis zu 2.800 km in Deutschland stationiert werden sollen. Das hat die Bedrohung, der wir alle ausgesetzt sind, noch einmal deutlich erhöht (Fußnote 3).  

Atomkriegsgefahren im ersten „Kalten Krieg“

Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen. Deshalb möchte ich mit einem kurzen Rückblick beginnen.

Mit den US-amerikanischen Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 begann die Geschichte des atomaren Wettrüstens zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion.

Zugleich bedeuteten diese Ereignisse den Eintritt in eine neue und vielleicht letzte Epoche der Menschheitsgeschichte. Diese ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass die Menschen seit dieser Zeit die Fähigkeit besitzen, die Menschheit insgesamt auszulöschen und damit 12.000 Jahre Zivilisationsgeschichte mit einem Schlag zu beenden, wie es die US-Journalistin Annie Jacobsen kürzlich in ihrem neuen Buch in einem erschreckenden Szenario sehr eindrucksvoll dargestellt hat (Fußnote 4).

Wie sagte doch Albert Einstein: „Ich weiß nicht, mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber der Vierte Weltkrieg wird bestimmt mit Stöcken und Steinen ausgetragen.“

Die Geschichte des Wettrüstens ist aber auch die Geschichte des Widerstands gegen die atomare Aufrüstung in Deutschland. Sie begann 1957, als 18 führende Atomwissenschaftler mit ihrem berühmten "Göttinger Manifest" die Öffentlichkeit über die Gefahren eines Atomkrieges alarmierten.

Sie warnten vor den Plänen der damaligen Regierung, die Bundeswehr mit Atomwaffen aufzurüsten. Bereits 1955 hatten die USA - unter strengster Geheimhaltung - damit begonnen, atomare Kurzstrecken-Raketen in der Bundesrepublik zu stationieren.

Daraufhin entstand mit der Kampagne "Kampf dem Atomtod" eine Protestbewegung gegen die atomare Aufrüstung. 1960 begannen dann die jährlich stattfindenden "Ostermärsche der Atomwaffengegner".

Kuba-Krise

Ich gehöre zu der Generation, deren Angehörige sich aus eigenem Erleben noch an die dramatischen Tage der Kuba-Krise im Oktober 1962 erinnern können.

Diese geopolitische Krise zwischen den beiden damaligen Supermächten USA und Sowjetunion wurde durch einen Kompromiss beendet, bei dem Chruschtschow die von den USA als bedrohlich angesehenen russischen Atomraketen in Kuba abzog und im Gegenzug Kennedy auf entsprechende in der Türkei und in Italien stationierten, gegen die Sowjetunion gerichtete Raketen verzichtete.

Dieser Kompromiss, der 1962 eine atomare Katastrophe um Haaresbreite gerade eben noch verhindert hat, soll das Ergebnis einer Absprache zwischen den beiden verantwortlichen Politikern hinter dem Rücken der Militärs und der Geheimdienste gewesen sein. Deshalb war ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen Voraussetzung für sein Zustandekommen.

Dieses notwendige Vertrauen ist aber heute durch die Politik der Nato-Osterweiterung, die mit Täuschungen und Lügen von westlicher Seite einhergegangen ist, durch eine in den letzten Jahren ständig zunehmende und zuletzt maßlose russlandfeindliche Propaganda in unseren Hauptmedien (zum Beispiel: „Putin ist ein Wiedergänger Hitlers“; Fußnote 5) und durch die beispiellosen völkerrechtswidrigen Sanktionen des Westens gegen Russland weitgehend zerstört worden.

Nato-Doppelbeschluss

In den 1960er und 1970er Jahren erreichte das atomare Wettrüsten zwischen den beiden damaligen Supermächten USA und Sowjetunion seinen Höhepunkt.

Damals war die Zahl der Atomwaffen bis auf ca. 30.000 (Fußnote 4) mit den entsprechenden Trägersystemen auf jeder der beiden Seiten angewachsen. Diese Zahlen schlossen Tausende von taktischen Atomwaffen der USA in Deutschland ein, die im Ernstfall auf dem Gebiet der DDR oder der BRD zum Einsatz gekommen wären.

Als dann Ende der 1970er Jahre entsprechend dem Nato-Doppelbeschluss noch atomare Pershing-II-Raketen und Marschflugkörper in Deutschland aufgestellt werden sollten, brachte die damalige Friedensbewegung in der ersten Hälfte der 1980er Jahre viele Hunderttausende in der Bundesrepublik auf die Straßen, die gegen diese Politik protestierten (Fußnote 6).

Dazu gehörten auch viele IPPNW-Mitglieder mit Losungen wie „Raketen sind Magneten“ oder Plakaten, auf denen zu lesen war: „Wir werden Euch nicht helfen können“ (Fußnote 7).

Auch wenn es damals der Friedensbewegung nicht gelang, die Stationierung der Pershing-Raketen zu verhindern, dürfte ihr unüberhörbarer Protest jedoch mit dazu beigetragen haben, dass 1987 der wichtigste Vertrag über die atomare Abrüstung, der sogenannte INF-Vertrag, von Regan und Gorbatschow unterzeichnet wurde. In dessen Folge wurden Tausende von Mittelstrecken-Raketen bis zum Ende des „Kalten Krieges“ 1991 vernichtet.

Atomare Beinahe-Unfälle

Während es bisher außer in Hiroshima und Nagasaki glücklicherweise zu keinem weiteren kriegerischen Einsatz von Atombomben gekommen ist, findet man im Internet eine Liste von atomaren Beinahe-Unfällen mit Atomwaffen („nuclear close calls“, im Deutschen auch als sogenannte „Vorfälle“ bezeichnet- Fußnote 8). Darunter versteht man „Vorfälle“, die zumindest zu einer unbeabsichtigten nuklearen Detonation oder Explosion hätten führen können.

Die Liste zeigt, dass seit den 1950er Jahren bis Anfang der 1990er Jahre insgesamt mindestens 16 Vorfälle dieser Art bekannt geworden sind, die einen Atomkrieg hätten auslösen können.

Einen dieser Beinahe-Katastrophen möchte ich als Beispiel kurz anführen.

Es geht um Stanislaw Petrow, einem Menschen, dem wir Älteren wahrscheinlich zu verdanken haben, dass wir noch leben, und die Jüngeren unter uns, dass sie geboren worden sind (Fußnoten 9 und 10).

Am 26. September 1983 stufte Petrow als leitender Offizier in der Kommandozentrale der sowjetischen Satellitenüberwachung einen vom Überwachungssystem gemeldeten Angriff der USA mit nuklearen Interkontinentalraketen auf die UdSSR nicht als einen Alarm ein, wie das System es anzeigte und die Auslösung eines schnellen Gegenschlags erforderlich gemacht hätte, sondern bewertete ihn als einen Fehlalarm.

Später ergab sich, dass es sich tatsächlich um einen Fehlalarm gehandelt hatte, der durch einen Satelliten des sowjetischen Frühwarnsystems ausgelöst worden war. Eine fehlerhafte Software hatte einen Sonnenaufgang und Spiegelungen in den Wolken als Raketenstarts in den USA interpretiert.

Durch sein Eingreifen verhinderte Petrow damals wahrscheinlich das Auslösen eines umfassenden Atomkriegs mit strategischen Nuklearwaffen zwischen den USA und der Sowjetunion.

Deshalb gibt es Bemühungen, den 26. September im Andenken an diesen „Weltretter“, der 2017 in Moskau gestorben ist, als „Petrow-Tag“ zu begehen.

Dieser Fall und weitere in der Liste angeführte Beispiele zeigen, dass wir es mutigen und selbständig denkenden Menschen und darüber hinaus Zufällen und glücklichen Umständen zu verdanken haben, dass es im ersten Kalten Krieg zu keinem nuklearen Inferno gekommen ist.  

Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen heute und Schicksal bisheriger Abrüstungsverträge                                                      

Heute verfügen die neun Atommächte (neben Russland und den USA sind das China, Frankreich, Großbritannien, Pakistan, Indien, Israel und Nordkorea) über rund 12.000 nukleare Sprengköpfe (Fußnote 11).

Es handelt sich dabei um taktische, aber auch strategische Atomwaffen. Taktische Atomwaffen haben in der Regel eine geringere Sprengkraft und kürzere Reichweite als strategische Atomwaffen, aber die Übergänge sind fließend.

New START

Trotz einiger Reduzierungen von strategischen Atomwaffen, die sich im Besitz von Russland und den USA befinden, z. B. 2010 durch den neuen START-Vertrag (New Start: Strategic Arms Reduction Treaty) auf jeweils 800 Trägersysteme mit ca. 1500 Atomsprengköpfen, sind laut SIPRI immer noch mehr als 90 Prozent aller Atomwaffen je etwa zur Hälfte im Besitz der beiden größten Atommächte. Das bedeutet, dass sowohl Russland als auch die USA heute insgesamt über jeweils etwa 5000 bis 5500 Atomsprengköpfe verfügen.

2021 bzw. 2022 unterzeichneten Putin und Biden eine Vereinbarung zur Verlängerung von New START, dem letzten großen atomaren Abrüstungsvertrag der beiden Staaten, um fünf weitere Jahre (Fußnote 12).

Im August 2022 gab das russische Außenministerium jedoch bekannt, dass es Kontrollen von Atomwaffenbeständen im Rahmen des Abkommens vorerst aussetze, weil Russland wegen der Sanktionen gegen seine Flugzeuge keine Inspekteure in die USA fliegen könne. Deshalb würde eine Wiederaufnahme der US-Inspektionen auf russischem Gebiet den Amerikanern einen Vorteil verschaffen. Man werde sich aber weiter an New Start halten.

"Nukleare Teilhabe" Deutschlands

Deutschland verfügt über keine „eigenen“ Atomwaffen, ist aber über die „Nukleare Teilhabe“ an der Atomkriegsstrategie der Nato direkt beteiligt.

Im Rahmen der Nuklearen Teilhabe haben die USA in vier europäischen Nato-Staaten ca. 150 taktische Atomwaffen stationiert. Das sind frei fallende Atombomben vom Typ B61. Neben Deutschland sind das Belgien, Italien, die Niederlande und die Türkei.

Die USA liefern also die Atomwaffen, während die Stationierungsländer die Stützpunkte, die Trägerflugzeuge und die Piloten zur Verfügung stellen, die im Kriegsfall die Atomwaffen ins Ziel fliegen und abwerfen müssen. In Deutschland sollen dafür schätzungsweise ca. 20 US-Atombomben auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel in der Eifel stationier sein.

Die IPPNW hat sich eindeutig gegen die Nukleare Teilhabe ausgesprochen, unter anderem, weil sie gegen den Atomwaffensperrvertrag von 1970 verstößt, den auch Deutschland nach langen Auseinandersetzungen 1975 unterzeichnet hat.

Darin haben sich alle Nicht-Atomwaffenstaaten verpflichtet, "Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen.“

Trotz eines parteiübergreifenden Beschlusses des Bundestages im Jahr 2010 hält die Bundesregierung weiterhin an der Stationierung der US-Atombomben in Deutschland fest und lässt Piloten der Bundeswehr regelmäßig den Atomwaffeneinsatz für den Ernstfall trainieren.

B61-12

Beachtenswert ist, dass in den letzten Jahren eine „Modernisierung“ der in Büchel stationierten US-Atombomben erfolgt ist. Die neue B61-12 ist eine "Allround"-Atombombe, eine zielgenaue, elektronisch gesteuerte und gelenkte Atomwaffe mit variabler Sprengkraft, vergrößerter Reichweite und der Fähigkeit, tief verbunkerte Ziele zu zerstören.

Die B61-12 ist die erste Nuklearbombe, die mit einem derartigen Steuerungssystem ausgestattet ist. Durch die variable Sprengkraft, in der Größenordnung von sog. Mini-Nukes bis zur Sprengkraft der Hiroshima-Bombe, ergeben sich für die Kriegsplaner erweiterte operative Möglichkeiten für den Einsatz dieser Nuklearwaffen.

Zusätzlich ist in Deutschland der Kauf einer neuen Generation von Atombombern (F 35) von den USA als Ersatz für die derzeitigen Tornados vorgesehen.

Atomwaffenverbotsvertrag

2017 haben die atomwaffenfreien Länder den Aufstand gegen die Atommächte gewagt. 122 Mitgliedstaaten der UNO haben damals den Vertrag über das Verbot aller Atomwaffen beschlossen.

Für den Atomwaffenverbotsvertrag erhielt ICAN, ein internationales Bündnis von Nichtregierungsorganisationen, das sich viele Jahre für die Abschaffung aller Atomwaffen durch einen bindenden völkerrechtlichen Vertrag eingesetzt hat, 2017 den Friedensnobelpreis. Auch die IPPNW ist Teil dieses Bündnisses.

Nachdem über 50 Staaten diesen Vertrag ratifiziert hatten, ist er 2021 in Kraft getreten.

Der Atomwaffenverbotsvertrag verbietet den Vertragsstaaten, Kernwaffen zu entwickeln, herzustellen, zu erwerben und zu besitzen, Kernwaffen einzusetzen oder ihren Einsatz anzudrohen, Kernwaffen zu lagern oder die Verfügungsgewalt darüber unmittelbar oder mittelbar anzunehmen und Kernwaffen über ihr Staatsgebiet zu transportieren.

Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung, zwar mit wohlfeilen Lippenbekenntnissen, eine Welt ohne Atomwaffen zu befürworten, in der Uno gemeinsam mit den anderen Nato-Staaten gegen die Aufnahme der Verbotsverhandlungen gestimmt, und, gemeinsam mit den Atommächten, die Verhandlungen in der Uno boykottiert hat.

Der Atomwaffenverbotsvertrag war ein Ziel des jahrzehntelangen Kampfes der weltweiten Bewegung gegen die atomare Aufrüstung und auch des jahrzehntelangen Kampfes gegen die in Deutschland stationierten Atombomben.

Die Friedensbewegung Deutschland hat deshalb allen Grund, den Widerstand gegen die Beteiligung unseres Landes an der Atomkriegsstrategie der USA, gegen die in Büchel stationierten US-Atomwaffen, gegen die damit verbundene Gefahr eines Atomkrieges in Europa und für die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags auch unseres Landes verstärkt fortzusetzen.

Kündigung von Abrüstungsverträgen und neue atomare Aufrüstung

Obwohl sich alle Kernwaffenmächte, die ebenfalls den Atomwaffensperrvertrag von 1970 mitunterzeichnet haben, damals feierlich zur nuklearen Abrüstung verpflichtet haben, gibt es seit dieser Zeit leider keinerlei substanzielle Fortschritte in diese Richtung.

Es ist vor allem der Anspruch der USA auf Ausbau und Erhaltung ihrer weltweiten militärische Überlegenheit, der das Wettrüsten auch bei den Atomwaffen anheizt und weitere Abrüstungsmaßnahmen verhindert.

Bereits unter Präsident Obama hatte die US-Regierung beschlossen, ihr Atomwaffenarsenal in den kommenden 30 Jahren für 3.000 Milliarden Dollar- das sind 100 Mrd. jährlich- aufzurüsten.

2001 haben die USA einen der wichtigen Abrüstungsverträge, den sogenannten ABM-Vertrag von 1972, einseitig gekündigt, der die Errichtung von Raketenabwehrsystemen verboten hatte.

Darüber hinaus kündigte die US-Regierung im Februar 2019 den INF-Vertrag, bei dem es sich um den wichtigsten Vertrag über die atomare Abrüstung gehandelt hat. Er wurde 1987 von Reagan und Gorbatschow unterzeichnet und in dessen Folge sind, wie schon gesagt, Tausende von Mittelstrecken-Raketen bis zum Ende des „Kalten Krieges vernichtet worden (Fußnote 13).

Nach der Kündigung des ABM-Vertrages 2001 und des INF-Vertrages 2019 droht jetzt die Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen und damit ein erneutes Wettrüsten zwischen den beiden größten Atommächten.

Im Zusammenhang mit der erfolgten Kündigung sowohl des ABM-Vertrags als auch des INF-Vertrags steht die Stationierung von angeblichen Raketenabwehrsystemen in Polen und Rumänien, die in den letzten Jahren erfolgt ist.

Diese inzwischen von den USA stationierten sogenannten "Aegis Ashore"-Systeme können "Abfangraketen" abfeuern, angeblich gegen eine Bedrohung aus dem Iran.

Diese Systeme können aber auch durch eine einfache Änderung der Programmierung Raketen gegen Bodenziele abschießen. Und sie können Marschflugkörper abfeuern und somit gegnerische Ziele bis weit hinter Moskau erreichen und zerstören.

Neben den bereits installierten Aegis-Ashore-Systemen in Rumänien und in Polen, die -wie gesagt- auch Mittelstrecken-Raketen abschießen können, planen die USA seit Längerem die Stationierung von neuen Hyperschall-Raketen mit dem Namen "Dark Eagle" (zu Deutsch: „schwarzer Adler“), die Moskau in etwa 20 Minuten erreichen können und ausgerechnet am früheren Standort der Pershing-II-Raketen, in Mainz-Kastel, aufgestellt werden sollen (Fußnote 14).

Auch die neuen taktischen B61-12-Atomwaffen, deren Stationierung in Europa im Rahmen der „Nuklearen Teilhabe“ inzwischen wahrscheinlich erfolgt ist, könnten die Hemmschwelle für einen Atomwaffeneinsatz weiter senken. In der Logik der US-Militärs macht die neue Bombe einen auf Europa begrenzten Atomwaffeneinsatz kalkulierbar, ohne einen atomaren Gegenschlag Russlands auf US-Territorium bzw. einen globalen Atomkrieg zu riskieren.

Ein „begrenzter“ Atomwaffenkrieg zwischen den USA und Russland in Europa würde aber sehr wahrscheinlich auch das Ende Deutschlands bedeuten, von den sonstigen Folgen eines derartigen Krieges einmal ganz abgesehen, auf die ich hier nicht näher eingehen kann (Fußnote 15).

Geplante Stationierung neuer Mittelstreckenraketen verschärft nukleare Bedrohung

Mittelstreckenwaffen sind, wie dargestellt, keine Defensivwaffen, sondern aufgrund ihrer kurzen Vorwarnzeit Waffen für den atomaren Erstschlag. Damit wächst die Gefahr eines Atomkrieges in Europa.

Am Rande des letzten Nato-Gipfels in Washington im Juli dieses Jahres ist mehr beiläufig bekannt gegeben geworden, dass die USA von 2026 an in Deutschland weitere zerstörerische Waffensysteme stationieren wollen, die weit bis nach Russland reichen sollen. Die Ampelregierung hat dem schon zugestimmt, ohne dass darüber im deutschen Bundestag eine Debatte erfolgt ist.

Zum ersten Mal seit Ende des Kalten Krieges sollen jetzt in Deutschland wieder US-Raketen stationiert werden, die Russland treffen können. Dieser Tabubruch wird wahrscheinlich einen gefährlichen neuen Rüstungswettlauf einläuten, der keine Sicherheit, sondern kommende Katastrophen vorbereiten kann.

Darunter sollen Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit einer Reichweite von bis zu 2500 Kilometern sein, die technisch gesehen auch nuklear bestückt sein können, sowie Flugabwehr-Kurzstreckenraketen vom Typ SM-6 und auch neu offensive entwickelte Hyperschallraketen.

Russland und China haben auf diese Ankündigung scharf reagiert.

Der Kreml-Sprecher Peskow sagte auf eine entsprechende Frage eines russischen Fernsehjournalisten:

„Unser Land steht im Fadenkreuz amerikanischer Raketen in Europa. Wir haben das alles schon einmal durchgemacht“. Russland habe die Fähigkeit zur Abschreckung dieser Raketen. „Aber das potenzielle Opfer sind die Hauptstädte dieser Staaten“, fügte er hinzu.

Die IPPNW hat zu den höchst alarmierenden Plänen zur Stationierung von neuen Mittelstreckenraketen in Deutschland in einer Presseerklärung vom 17.07.2024 ebenfalls klar Stellung bezogen (Fußnote 16). Dort heißt es u. a.:

„Die ärztliche Friedensnobelpreisträger-Organisation IPPNW kritisiert die Beschlüsse der Nato als weitere Stufe der Eskalation und als brandgefährlich. Mit der Ankündigung der Stationierung neuer Mittelstreckenraketen vom Typ Tomahawk in Deutschland sollen erstmals seit dem Abzug der atomaren Mittelstreckenraketen im Jahr 1991 im Zuge des INF-Abkommens wieder Raketen auf deutschem Boden stationiert werden.

Tomahawks können mit konventionellen oder atomaren Sprengköpfen bestückt werden. Am 1. Februar 2019 hatten die USA das INF-Abkommen zum Verzicht auf atomare Mittelstreckenraketen aufgekündigt.

Zudem ist die Einrichtung eines neuen Ukraine-Kommandos in Wiesbaden ein weiterer Eskalationsschritt, der Deutschland tiefer in den Krieg hineinzieht.

Der Konflikt um die Entwicklung der sowjetischen SS-20-Raketen und der Nato-Doppelbeschluss im Jahr 1979 hatte die Welt damals an den Rand eines Atomkriegs gebracht. Wer den Krieg verhindern will, muss den Frieden vorbereiten, statt weitere Schritte in Richtung atomarer Eskalation zu gehen“, erklärt die IPPNW-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen.

Verteidigungsminister Pistorius erklärte die Stationierung in Deutschland zu einer bloßen Abschreckungsmaßnahme. Russland habe in der Vergangenheit ähnliche Waffensysteme stationiert, etwa in Kaliningrad. Nun gehe es lediglich darum, »diese Fähigkeitslücke zu schließen«.

Inzwischen ist aber bekannt geworden, dass die Einrichtung der sogenannten Multi-Domain Task Force (MDTF) in Deutschland mit den genannten verschiedenen Raketentypen spätestens im April 2021, also vor dem Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine, beschlossen worden ist (Fußnote 17).

„Tatsächlich dürften aber handfeste politische Gründe vorliegen, wieso die Entscheidung gerade jetzt bekannt gegeben wurde: Deutschland möchte seine Rolle innerhalb der Nato stärken und gegenüber der Weltgemeinschaft Handlungsbereitschaft und Willensstärke demonstrieren“, meinen Juliane Hauschulz und Xanthe Hall von der IPPNW in einem aktuellen Beitrag zu diesem Thema (Fußnote 18).

Ein Blick in die Geschichte verdeutlicht jedoch die Tragweite der Entscheidung der Bundesregierung. Bereits während des Kalten Krieges drohte Europa immer wieder, zum atomaren Schlachtfeld zu werden. Und auch damals spielte die Stationierung von Tomahawks in Westeuropa eine wichtige Rolle.

Das Abrüstungsabkommen – der INF-Vertrag – zwischen den USA und der Sowjetunion über nukleare Mittelstreckensysteme führte im Ergebnis dazu, dass die Tomahawks Ende der 1980er Jahre unter Ronald Reagan zusammen mit den Pershing-II-Raketen aus Deutschland abgezogen wurden.

Aber wie schon dargestellt, ist der INF-Vertrag 2019 von den USA einseitig gekündigt worden, sodass das atomare Wettrüsten in Zukunft wieder ungebremst Fahrt aufnehmen kann.

Schlussfolgerungen:

  1. Der Einsatz von Atomwaffen im Ukraine-Krieg oder anderswo wäre die ultimative Katastrophe (Fußnote 19 und 20) und darf niemals zugelassen werden.
  1. Je länger der Krieg in der Ukraine andauert, desto eher besteht die Gefahr, dass sich daraus ein Dritter Weltkrieg entwickelt, in dem auch Atomwaffen zum Einsatz kommen könnten.
  1. Deshalb muss der Ukraine-Krieg so schnell wie möglich auf diplomatischem Wege mit Kompromissen von Seiten aller Beteiligten beendet werden, bevor die Welt in ein Chaos gestürzt wird.
  1. Es mangelt nicht an Friedensvorschlägen, insbesondere aus Ländern wie China und Brasilien. Die jetzige deutsche Regierung hüllt sich diesbezüglich leider in Schweigen.
  1. Aus der Ukraine wird berichtet, dass eine Meinungsumfrage vom 15. Juli ergeben hat, dass 44 Prozent der ukrainischen Bevölkerung, die Meinung geäußert habe, dass es Zeit ist, mit Russland Friedensverhandlungen zu beginnen.
  1. Auch eine Mehrheit der Deutschen ist der Meinung, dass der Westen, und damit vor allem auch unsere Bundesregierung, Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges in der Ukraine anstoßen sollte.
  1. Waffenlieferungen aus Deutschland (und anderen Ländern) können den Krieg in der Ukraine dagegen nur verlängern und dazu beitragen, dass das Sterben von Ukrainern und Russen und die Zerstörungen in der Ukraine weitergehen und die von dort ausgehende nukleare Bedrohung auch unseres Lebens weiter anhält.
  1. Sehr zu hoffen ist, dass die Antwort auf die durch nichts zu rechtfertigenden Gefahren einer weiteren Eskalation aufgrund der geplanten Aufstellung der neuen Mittelstreckenraketen in Deutschland eine Auferstehung der Friedensbewegung in Deutschland sein wird, d. h. eine Friedensbewegung 2.0.
  1. Ein Kristallisationskern einer Friedensbewegung 2.0 könnte die geplante bundesweite Demonstration am 3. Oktober in Berlin sein.
  1. Caitlin Johnstone, eine bekannte unabhängige australischen Journalistin, hat die folgende nachdenkenswerte Einschätzung abgegeben, die ich zum Schluss noch anführen möchte (Übersetzung von KDK; Fußnote 21):  „Für jüngere Menschen ist es schwer zu verstehen, dass das gleiche nukleare Armageddon-Szenario, über das sich ihre Eltern und Großeltern früher Sorgen gemacht haben, immer noch existiert. Wenn jedoch eine kritische Masse der Bevölkerung wirklich verstehen würde, dass ihr Leben aus keinem anderen Grund als der Bereitschaft des US-Imperiums, alles zu riskieren, um ihre Hegemonie, d. h. ihre weltweite Vorherrschaft auf dem Planeten, zu sichern, durch einen Atomkrieg bedroht ist, würde es für die Machthaber sofort schwieriger werden, mit ihr so umzugehen, wie sie es wollen.“

Fußnoten:

  1. Annie Jacobsen: 72 Minuten bis zur Vernichtung. Atomkrieg- ein Szenario. Heyne Verlag, München 2024, S. 34
  1. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1086264/umfrage/geschaetzte-zivile-todesopfer-und-verletzte-in-hiroshima-und-nagasaki/#:~:text=Am%2006.%20und%20am%2009.%20August%201945%20z%C3%BCndete,Todesopfern%20und%20in%20Nagasaki%20zu%20etwa%2064.000%20Opfern.
  1. https://www.telepolis.de/features/Ukraine-Krieg-Einsatz-von-Atomwaffen-wieder-moeglich-7334432.html
  1. Annie Jacobsen: 72 Minuten bis zur Vernichtung. Atomkrieg- ein Szenario. Heyne Verlag, München 2024
  1. https://www.telepolis.de/features/Die-10-gaengigsten-Propaganda-Thesen-zum-Ukraine-Krieg-kurz-erklaert-9617603.html
  1. Wir werden euch nicht helfen können. Ärzte gegen den Atomkrieg. Herausgegeben von Till Bastian 1983                                                                           https://www.amazon.de/werden-nicht-helfen-k%C3%B6nnen-Atomkrieg/dp/3885920492
  1. https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/gefahr-des-einsatzes-von-atomwaffen-wieder-real/
  1. https://en.wikipedia.org/wiki/Nuclear_close_calls
  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Stanislaw_Jewgrafowitsch_Petrow
  1. https://de.richarddawkins.net/articles/frohen-petrow-tag
  1. https://www.sipri.org/yearbook/2024
  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Strategic_Arms_Reduction_Treaty
  1. Scott Ritter: Disarmament in the time of Perestroika. Arms Control and the End oft he Soviet Union. Clarity Press, 2022
  1. https://www.ippnw.de/frieden/konflikte-kriege/ukraine/artikel/de/hyperschallkriege-eine-neue-aera-des.html
  1. https://www.telepolis.de/features/Neue-Studien-zu-nuklearer-Hungersnot-7240037.html
  1. https://www.ippnw.de/startseite/artikel/de/ippnw-kritisiert-plaene-zur-stationie.html
  1. https://overton-magazin.de/top-story/swp-rechtfertigt-stationierung-von-us-mittelstreckenraketen-keine-grossen-zusaetzlichen-risiken/
  1. Juliane Hauschulz und Xanthe Hall: Die Stationierung von US-Raketen verschärft die nukleare Bedrohung. Jacobin 24.07.2024   https://www.jacobin.de/artikel/mittelstreckeraketen-atomwaffen-usa-deutschland-nato-gipfel-inf-vertrag
  1. https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/nukleares-armageddon-unmittelbare-und-laengerfristige-auswirkungen-eines-moeglichen-atomkriegs/
  1. https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/nuklearer-winter-laengerfristige-auswirkungen-eines-moeglichen-atomkriegs/
  1. Johnstone C. A nuklear state of denial. Consortium News, June 24, 2022  https://consortiumnews.com/2022/06/24/caitlin-johnstone-a-nuclear-state-of-denial/

Erstveröffentlichung dieses Artikels am 12.08.2024 im Overton-Magazin:

https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/frieden-durch-diplomatie-statt-weiterer-eskalation-bis-zum-atomkrieg

Autor: Klaus-Dieter Kolenda

E-Mail-Kontakt: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

Kommentar: Erfolge feiern

Nun ist es endlich so weit. Am 15. April 2023 wurden die letzten drei deutsche Atommeiler abgeschaltet. Isar 2 in Bayern, Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg und Emsland in Niedersachsen. Für die Anti-AKW-Bewegung ist das auf jeden Fall ein Grund zum Feiern, und für den Rest der Gesellschaft auch. Zumindest ist jetzt die Gefahr gebannt, dass es doch noch zu einem größeren Atomunfall kommt. Besonders Neckarwestheim 2 war in den letzten Jahren dadurch aufgefallen, dass in den Rohren des Kühlkreislaufs zahlreiche Haarrisse gefunden wurden. In allen drei Anlagen war die turnusgemäß alle zehn Jahre durchgeführte große Sicherheitsüberprüfung seit vier Jahren überfällig.

48 Jahre nach der Besetzung einer AKW-Baustelle im baden-württembergischen Wyhl ist es nun also so weit. 45 Jahre nach den massiven und legendären Kämpfen in Brokdorf an der Elbe, 42 Jahre nach der gewaltsamen Räumung des Gorlebener Hüttendorfs in Niedersachsen, 37 Jahre nach den heftigen Auseinandersetzungen um die schließlich verhinderte Wiederaufbereitungsanlage im bayerischen Wackersdorf kann ein vorläufiger Schlussstrich gezogen werden. Endlich.

Es war ein langer Kampf, einer gegen viel staatliche Gewalt, einer gegen die Lügen der großen Medienhäuser und gegen mächtige Kapitalinteressen. Denn mit dem Atomstrom ließ sich viel Geld verdienen. Unter anderem strich die Industrie 169 Milliarden Euro an staatlicher Unterstützung für Entwicklung, Bau und Betrieb ihrer Anlagen ein. Ganz zum Schluss hat man den Betreibern auch noch die Gelegenheit gegeben, sich aus der Verantwortung für ihren Strahlenmüll freizukaufen. Die Risiken wurden, wie im Kapitalismus üblich, verstaatlicht, die Gewinne blieben, wie immer, privat.
Dennoch haben wir allen Grund uns ein wenig auf die Schulter zu klopfen. Ein sehr wichtiger Etappensieg wurde erreicht, und wir sollten uns noch einmal daran erinnern, dass ohne die hartnäckige, mitunter militante Bewegung womöglich doppelt so viele AKW gebaut worden wären, Deutschland wie Frankreich eine Plutoniumfabrik hätte und schwerfällige AKW den Ausbau der Erneuerbaren massiv behindert hätten. Wie der Nachbar westlich des Rheins stünden wir heute mit einer Flotte anfälliger, in Hitze-Sommern ausfallender Methusalemreaktoren und mit noch viel größeren Strahlenmüllbergen da und müssten – wegen des Alters der Anlagen – mehr denn je eine Reaktor-Havarie á la Fukushima oder Tschernobyl fürchten. (wop)

BUND:

1.000 Kraniche für ein Ende der Brennelemente-Industrie in Deutschland

Der Kranich steht in Japan für Glück und Gesundheit, aber auch für die Anti-Atomkraft-Bewegung. Anlässlich des Atomausstiegs in Deutschland Mitte April will der BUND Landesverband Schleswig-Holstein mit 1.000 Kranichen ein Zeichen für einen Atomausstieg setzen. Eine japanische Legende besagt, dass jemand, der 1.000 Papierkraniche faltet, einen Wunsch erfüllt bekommt. Inspiriert durch diesen Gedanken will der BUND Schleswig-Holstein am Do., 13. April 2023 mindestens 1.000 Papierkraniche im Hiroshima Park in Kiel aufhängen:

Für den Ausstieg aus der industriellen Fertigung von atomaren Brennstoffen auf deutschem Boden. Anlässlich des 10. Jahrestags des dreifachen GAUs in Fukushima haben wir uns 2021 mit dieser Aktion bereits eine gelingende Endlagersuche auf Augenhöhe in Deutschland gewünscht und begleiten seitdem diesen Prozess kritisch.

Auch in diesem Jahr benötigen wir eure Hilfe! Die Papierkraniche können aus beliebigen quadratischen Papierstücken gefaltet werden – gerne aus buntem, recyceltem Material. Persönliche Wünsche und Nachrichten machen die Kraniche noch individueller. Eine Anleitung findest du im Anhang und auf der Homepage des BUND SH.

Ein witziges Video unter https://youtu.be/uNobXnw1m0o zeigt dir im Schnelldurchlauf das Entstehen eines Papierkranichs.
Schicke uns deine gefalteten Kraniche per Post bis zum 3. April 2023 oder bring ihn uns vorbei.

Bund für Umwelt und Naturschutz
Schleswig-Holstein e.V. (BUND SH)
Lorentzendamm 16, 24103 Kiel

www.bund-sh.de

Kommentar:

Der Grüne Abschied vom Klimaschutz

Großer Ausverkauf bei den Grünen. Dass die Friedenspolitik längst aufgegeben wurde, ist ja nun wirklich nichts Neues. Diese Eintrittskarte in den Club der potenziellen Regierungsparteien hat Joschka Fischer bereits vor mehr als 25 Jahren gelöst. Bezahlen durften den Preis die Menschen in Jugoslawien und Afghanistan. Aber dass nun auf einem grünen Parteitag die Frauenrechte in der Ukraine, im Iran, in Afghanistan und Saudi-Arabien unter frenetischem Beifall beschworen werden, während zugleich die grüne Außenministerin Annalena Baerbock die ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher Organisationen in Afghanistan im Stich lässt und im Kabinett mit Robert Habeck indirekte Waffenlieferungen an Saudi-Arabien abnickt, ist dann doch noch eine Steigerung an Verkommenheit. Doch, naja, der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour hat uns ja erklärt, dass Waffenlieferungen Menschenleben retten.
Neu ist allerdings, dass die Grünen auf breiter Front auch den Abschied vom Klimaschutz vollziehen. Zwar hat man sich schon in der Vergangenheit auf Landesebene immer wieder am Bau von Autobahnen und Kohlekraftwerken beteiligt. Doch nun wird hinter einem Nebel aus falschen Zahlen die Infrastruktur für Flüssiggasimporte ausgebaut, die auch in 20 oder 30 Jahren noch genutzt werden wird, werden Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt, sollen rissige und leckende AKW, deren Sicherheitsüberprüfung fast fünf Jahre überfällig ist, noch ein paar Monate länger betrieben werden. Und zur Krönung handelt das grüne Wirtschaftsministerium mit RWE eine Ausweitung des Braunkohleabbaus aus. Dabei wurde schon vor mehr als zwei Jahren vorgerechnet, dass die Kohle, die jetzt unter dem Weiler Lützerath im Rheinland abgebaggert werden soll, in der Erde bleiben muss. Jedenfalls dann, wenn Berlin die Unterschrift unter das Pariser Klimaabkommen ernst nimmt und die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschränken will.
Vollmundig wird versprochen, der Kohleausstieg sei auf 2030 vorgezogen. Doch zum einen bleiben die Braunkohlekraftwerke in Ostdeutschland unerwähnt und zum anderen ist es dem Klima vollkommen egal, ob die Emissionen auf 16 oder acht Jahre verteilt werden. Es kommt allein auf ihre Summe an. Doch nicht einmal in dieser für die Klimaschutzbewegung so zentralen Frage wagte der Parteitag seinen Idolen Habeck und Baerbock zu widersprechen. Aber natürlich tut es einem um Lützerath wirklich leid. (wop)

BUND Logo

11 Jahre nach Fukushima:

Kein Ende der Atomkraft?

Anlässlich des 11. Jahrestages des Super-Gaus in Fukushima ist der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland in Schleswig-Holstein (BUND SH) aufgrund des aktuellen Kriegsgeschehens auch in Sachen Atomkraft in großer Sorge.

Am 11. März 2011 kam es nach einem Tsunami zum Super-Gau im japanischen Atomkraftwerk bei Fukushima. Es gab tausende Opfer. Die Landschaft wird auf Jahrtausende verseucht und unbewohnbar bleiben. Die Erinnerungen daran sind schmerzvoll. Genauso überraschend und schockierend wie die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima ist der bis vor drei Wochen noch undenkbare russische Angriffskrieg in der Ukraine. Nicht nur aufgrund der geografischen Nähe geht er auch uns in Westeuropa und in Deutschland etwas an. Die Gefahren der Atomenergie sind elf Jahre nach Fukushima wieder allgegenwärtig, denn das Atomkraftwerk in Saporischschja ist Ziel von kriegerischen Auseinandersetzungen geworden. Es ist das leistungsstärkste Atomkraftwerk Europas. Schon lange weist der BUND SH auf die Empfindlichkeit von Atomkraftwerken in Krisensituationen hin. Sie sind nicht nur leicht als Angriffsobjekte zu identifizieren, sondern auch Ziele mit immensem Verwüstungs- und Erpressungspotenzial.
Dass die EU-Kommission Kernenergie unlängst als nachhaltig eingestuft und dadurch die Förderung der Atomkraft weiterhin ermöglichen möchte, stößt deshalb auf völliges Unverständnis beim BUND SH. Diese Entscheidung steht im Gegensatz zu den Zusagen an eine klimafreundliche und risikoarme EU-Energiepolitik. „Einer Renaissance der Atomkraft in Europa müssen wir mit aller Kraft entgegensteuern“, so Rainer Guschel Sprecher des Landesarbeitskreis Atomenergie im BUND SH. „Atomkraftwerke, die eigentlich schon auf eine Restlaufzeit ausgelegt sind, werden auch in Zukunft nicht sicher zu betreiben sein. Ein kurzfristiges Wiederanfahren halten wir für ein enormes Risiko für die Bevölkerung. Denn: Atomkraft ist nicht beherrschbar.“

„Frieden und Naturschutz gehören zusammen, denn nur im Frieden sind wir in der Lage unsere Lebensgrundlagen zu sichern und zu schützen. Wir solidarisieren uns deshalb klar mit den Friedensprotesten im Land und den verzweifelten und hilfsbedürftigen Menschen, die sich weltweit auf der Flucht vor kriegerischen Handlungen befinden“, betont Ole Eggers, Landesgeschäftsführer des BUND SH und ergänzt: „Atomkraft? Nein Danke! Give Peace a Chance – zwei Forderungen, die heute nötiger sind denn je.“

(Ole Eggers, BUND-Landesgeschäftsführer)

Kundgebung zum Jahrestag Atomwaffenverbotsvertrag in Kiel

Am Sa., 22.1.2022, 5 von 12 Uhr, versammelten sich vor dem Kieler Rathaus ca. 70 Menschen um auf die dringende Umsetzung des Atomwaffenverbots hinzuweisen. Benno Stahn sprach sich für das Kieler Friedensforum dafür aus, dass auch Deutschland den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet. 

Das hätte dann zur Folge, dass die amerikanischen Atomwaffen, die in Deutschland stationiert sind, abgezogen werden müssen. Stattdessen werden die Flugzeuge modernisiert, mit denen die Bomben von deutschen Piloten ins russische Ziel gebracht werden sollen, um die westliche Vorherrschaft zu sichern.

Die atomare Bedrohung sei bei Vielen heute nicht mehr so präsent, so Stahn. Mit dem Blick auf die Verschärfung des aktuellen Russland-Ukraine-Konflikt wird dies aber wieder deutlich. „Die Situation bewegt uns sehr, ist beunruhigend und trägt nicht zur Sicherheit in der Region bei. Wir sehen ein Säbelrasseln, ähnlich wie wir es bei uns im Ostseeraum beobachten“, so der Kieler Friedensaktivist.

Auch Kiels Stadtpräsident Hans-Werner Tovar unterstützte die Kundgebung als einen „wichtigen Schritt in eine atomwaffenfreie Welt“ und wünschte sich, dass auch die schleswig-holsteinische Landesregierung den Atomwaffenverbotsvertrag unterstützt, genauso wie die Stadt Kiel, die eine Petition unterzeichnet hat, die die Bundesregierung zum Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrags auffordert.

Siegfried Lauinger, sprach für die IPPNW, die zusammen mit dem Kieler Friedensforum und der DFG/VK zu dieser Kundgebung aufgerufen hat.

„Seit nunmehr einem Jahr ist der Atomwaffenverbotsvertrag Teil des humanitären Völkerrechtes. Der Vertrag ist am 22.01.2021 in Kraft getreten, nachdem er von 50 Staaten ratifiziert worden war. Bis heute haben ihn 86 Staaten unterzeichnet und 59 Staaten haben ihn ratifiziert.

Leider hat Deutschland den Vertrag noch nicht unterzeichnet und weigert sich beharrlich das in Erwägung zu ziehen. Immerhin will Deutschland an der ersten AVV-Staatenkonferenz im März in Wien teilnehmen. Als Begründung ihrer Weigerung verweist die Bundesregierung auf die Notwendigkeit der nuklearen Teilhabe; auf die Notwendigkeit der nuklearen Abschreckung gegenüber Russland und auf den bestehenden Atomwaffensperrvertrag von 1970, der die Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung für die Atomwaffenstaaten enthalte und deshalb genüge.

Nukleare Teilhabe bedeutet, dass deutsche Flugzeuge im Ernstfall Atombomben gegen Russland einsetzen. Atombomben, die in Büchel in der Eifel für diesen Fall bereit liegen. Flugzeuge, die den deutschen Staatshaushalt mit hunderten Millionen Euros belasten. Geld, das dringend für die Energie und Verkehrswende gebraucht wird. Die Nukleare Teilhabe ist Teil der NATO-Strategie „Frieden durch Abschreckung“. 

Frieden durch Abschreckung bedeutet, dass durch eine, auch atomar betriebene, Hochrüstung einem potentiellen Feind signalisiert wird, und meist wird dabei hierzulande an Russland gedacht, ihm im Falle eines Angriffes auf das Bündnisgebiet unakzeptablen Schaden zugefügt wird.

Und schon ist die Rüstungsspirale in Gang gesetzt, die beiderseits gewaltige Ressourcen verschlingt. Und mit den Waffenarsenalen wächst das gegenseitige Misstrauen.

In der Ostseeregion stehen sich die NATO und Russland unmittelbar waffenstarrend gegenüber. Wegen der Bedeutung dieser Region sowohl für die NATO, als auch für Russland, ist in einem Kriegsfall Schleswig-Holstein mit seinen Werften, Marine- und Luftwaffenstützpunkten und Kommandozentralen als ein vorrangiges Ziel russischer Verteidigungs- oder gar Präventivschläge zu betrachten. Auch bei einer entfernteren Nuklearexplosion, beispielsweise in den baltischen Staaten oder in Kaliningrad, ist Schleswig-Holstein durch radioaktiven Fallout bedroht. Von daher muss S.-H. ein großes Interesse daran haben, diese Risiken weitestgehend zu minimieren.

Leider hat sich der Atomwaffensperrvertrag als Maßnahme zur atomaren Abrüstung nicht als wirksam erwiesen. Seit über 50 Jahren gibt es diesen Vertrag, durch den sich die Atommächte zu einer atomaren Abrüstung verpflichtet haben. Geschehen ist nichts. Deshalb ist der Atomwaffenverbotsvertrag, der heute seinen ersten Geburtstag hat, notwendig geworden. Er ist eine Mahnung und eine Aufforderung vieler Staaten, die alle von einem Atomkrieg zwischen den Großmächten betroffen wären, endlich Schluss zu machen mit der Bedrohung durch Atomwaffen.

Im Schleswig-Holsteinischen Landtag wird derzeit beraten, ob eine Empfehlung an die Bundesregierung ausgesprochen werden soll, dem AVV beizutreten. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Vier Bundesländer und alle Landeshauptstädte, auch Kiel, haben diese Empfehlung bereits ausgesprochen.

Der Beitritt Deutschlands zum Atomwffenverbotsvertrag wäre ein wichtiges Signal den untauglichen Versuch „Frieden durch Abschreckung“ zu verlassen. Frieden ist niemals das Ergebnis einer Rüstungsspirale. Frieden kann nur das Ergebnis der Bemühung um eine gemeinsame Sicherheit sein. Das bedeutet:

Jedes Land ist dafür verantwortlich, dass alle anderen sich vor ihm sicher fühlen. Das erfordert Gespräche und führt schrittweise zu immer mehr Abrüstung.“

(Aufruf der AG Atomwaffenverbotsvertrag Schleswig-Holstein, Siegfried Lauinger/uws)

An den Europaausschuss des Landtags von Schleswig-Holstein: 

Unterschrift unter den Atomwaffenverbotsvertrag

An die Mitglieder des Europaausschusses des Landtags von Schleswig-Holstein. 

Sehr geehrte Damen und Herren! 

Der Antrag der SPD-Fraktion, der Landtag von S.-H. möge auf die Bundesregierung einwirken, dass diese den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichne, wurde an den Europaausschuss überwiesen. Damit kommt Ihrem Votum eine hohe Bedeutung bei. Wir hoffen, dass die nachfolgenden Argumente Sie erreichen können. 

Zwar ist die Entscheidung über die Unterschrift unter den Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) Bundessache, doch ist das Land S.-H. mit seinen Werften, Marine- und Luftwaffenstützpunkten im Kriegsfall als ein vorrangiges Ziel potentieller gegnerischer Verteidigungs- oder gar Präventivschläge zu betrachten, nicht zuletzt selbst bei einer entfernteren Nuklearexplosion durch radioaktiven Fallout bedroht. 

Von daher muss S.-H. ein großes Interesse daran haben, diese Risiken weitestgehend zu minimieren. Laut dem gerade veröffentlichten Koalitionsvertrag planen die Parteien der künftigen Bundesregierung, an der Wiener Überprüfungskonferenz des AVV als Beobachter teilzunehmen und „die Intention dieses Vertrags konstruktiv zu begleiten“. 

Damit wird Deutschland nach Norwegen der zweite NATO-Staat und das erste Land, in dem Atomwaffen stationiert sind, das als Beobachter an der AVV-Staatenkonferenz teilnimmt. Deshalb könnten Sie der Meinung sein, dass sich nun der im Europaausschuss zu behandelnde Antrag doch eigentlich erübrigen würde. Doch die Bereitschaft der Bundesregierung zur Teilnahme an der AVV-Staatenkonferenz ist nur ein erster, wiewohl sehr wichtiger und erfreulich hoffnungsvoller Schritt. 

Ein unterstützendes Votum des S.-H. Landtags an die Bundesregierung zum Beitritt zum AVV, wie bereits von vier anderen Bundesländern und auch der Landeshauptstadt Kiel erfolgt, ist jedoch gerade deshalb von Bedeutung, weil im Koalitionsvertrag von der neuen BR explizit das Ziel „Deutschland frei von Atomwaffen” angestrebt wird, wie dies ja auch die große Mehrheit der Bevölkerung fordert.

Unzweifelhaft liegt Ihnen allen, die Sie Verantwortung für das Wohl unseres Landes tragen, die Sicherheit von uns Bürgern am Herzen. Strittig ist jedoch offenbar, welche Methoden am besten geeignet sind, diese Sicherheit zu gewährleisten. 

Über das Ziel, die US-Atomwaffen aus Deutschland zu entfernen, herrscht Uneinigkeit, meist mit Verweis auf unsere Bündnisverpflichtungen und das Risiko, dass dadurch die NATO destabilisiert würde. Deshalb sollte sich Deutschland unbedingt dafür einsetzen, den schon 2011 mit dem NATO „Deterrence and Defense Posture Review Committee“ begonnenen Dialog, bei dem ein Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe diskutiert wurde, wieder aufzunehmen. 

Der Sorge, dass die USAtomwaffen dann in Polen stationiert würden muss mit Verweis auf die NATO-Russland-Charta von 1997 begegnet werden, in der dies eindeutig verboten ist. Auch dürfen unsere „Bündnisverpflichtungen“ nicht bedeuten, dass wir uns zu Geiseln politischer Entscheidungen machen, die nicht in unserer Hand liegen! Denn die „nukleare Teilhabe Deutschlands“ bedeutet nicht, dass Deutschland im Ernstfall Einfluss auf die Entscheidung über einen Atomwaffeneinsatz hätte. 

Diese Entscheidung liegt letztlich allein beim US-Präsidenten, auch die für einen Ersteinsatz von Atomwaffen! Weiter wird von Gegnern des AVV argumentiert, dass alle Atomwaffenstaaten, wie im Atomwaffensperrvertrag (Nichtverbreitungsvertrag NVV) von 1970 beschlossen, zunächst abrüsten müssten. Doch wurde der AVV ja gerade deshalb initiiert, weil die Reduktion der Atomwaffen seit langem stagniert und deren „Modernisierung“ einer Aufrüstung gleichkommt. 

Wie vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages am 19.1.2021 bestätigt, steht der AVV nicht im Widerspruch zum NVV, sondern ergänzt diesen vielmehr, indem er die Verhandlungen des NVV befördern kann, statt zu einer Schwächung der Verhandlungsposition zu führen. 

Zentraler Konfliktpunkt in der Frage des Beitritts Deutschlands zum AVV ist die Strategie der Abschreckung. 

Nukleare Abschreckung ist bis heute die zentrale Sicherheitsstrategie der Großmächte. Abschreckung bedeutet, dass im Fall eines nuklearen Angriffs der Angreifer durch einen Zweitschlag mit für ihn inakzeptablen Schäden und Nachteilen zu rechnen hätte. Der Abschreckungslogik ist also die nukleare Zweitschlagslogik immanent. 

Hauptargument der Vertreter einer atomaren „Abschreckungsstrategie“ heute ist jedoch immer noch, dass dank der Abschreckungsstrategie im Kalten Krieg durch das „Gleichgewicht des Schreckens“ ein Atomkrieg verhindert worden sei. Dabei wird zum einen verschwiegen, dass es aufgrund von Fehlalarmen und Fehlinterpretationen vermeintlicher Angriffe wiederholt um Haaresbreite zu einem „Atomkrieg aus Versehen“ gekommen wäre. – Je kürzer die Vorwarnzeit, umso höher ist dieses Risiko! 

Zum anderen setzte diese gegenseitige Abschreckung damals und setzt heute wieder einen ungeheuren, Ressourcen verbrauchenden und die Umwelt belastenden, äußerst gefährlichen Rüstungswettlauf in Gang. Der auf diese Weise in Gang kommende Rüstungswettlauf verringert so die Chancen einer friedlichen Lösung politischer Konflikte. Die Abschreckungslogik sorgte im damaligen bipolaren atomaren Patt zwischen den Blöcken USA/NATO und Sowjetunion/Warschauer Pakt für eine gewisse, jedoch durch Fehlalarme immer gefährdete Stabilität und sollte die damalige konventionelle Überlegenheit des Warschauer Pakts in Schach halten. 

Heute ist die NATO jedoch auch konventionell Russland weit überlegen. In dem heute multipolaren Kräftefeld von mindestens sieben Atommächten funktioniert diese gegenseitige Abschreckungsstrategie nicht mehr. Außerdem beinhaltet die neue, auf eine Vormachtstellung ausgerichtete US-Nuklearstrategie schon seit 2014/15, Atomwaffen auch in einem Ersteinsatz als sog. nukleare Gefechtsfeldwaffen mit vorwählbarer Sprengkraft von 0,3 - 50 kt(!) einzusetzen. (Zum Vergleich: die Hiroshimabombe hatte eine Zerstörungskraft von 20 kt!). 

Das potentielle nukleare Gefechtsfeld wäre Deutschland und Europa! Ein Einsatz von strategischen Atomwaffen wäre ein „game changer“! Er lässt sich nicht auf ein „Gefechtsfeld“ begrenzen und würde zwangsläufig zur atomaren Eskalation führen! Diese zunehmende Atomkriegsgefahr, die durch das Vorrücken der Zeiger auf der „Doomsday Clock“, der Weltuntergangsuhr, auf 100 Sekunden vor 12 symbolisiert wird, muss durch völkerrechtlich verbindliche Verträge wie den AVV unbedingt verhindert werden! 

Die Befürworter der nuklearen Teilhabe Deutschlands stützen sich jedoch noch immer auf die schon im Kalten Krieg gefährliche Strategie „Frieden durch Abschreckung“. Sie verkennen dabei die Gefahr, dass Deutschland und Europa im Ernstfall, wenn ein militärischer Konflikt atomar eskalieren würde, zum nuklearen Schlachtfeld werden würde! 

Nicht zuletzt braucht eine Abschreckungsstrategie zu ihrer Rechtfertigung den „absoluten Feind“, d.h. Feindbilder werden geschürt, statt sich in die Situation des Gegners, der sich ebenfalls bedroht fühlt, hinein zu versetzen und Frieden durch vertrauensbildende Maßnahmen zu befördern. Insbesondere das Festhalten der Bundesregierung an der nuklearen Teilhabe durch die auf deutschem Boden stationierten US-Atombomben wird auf russischer Seite als Bedrohung seiner nationalen Sicherheit bewertet und führt wiederum zu den Westen beunruhigenden Gegenmaßnahmen. 

„Frieden durch Abschreckung“ heute bedeutet Aufrüstung auf Grund der vermeintlich oder tatsächlich empfundenen Bedrohung der Sicherheit Deutschlands und Europas speziell durch Russland. Wir empfinden es deshalb als sehr beunruhigend, dass seit vielen Jahren einseitig die Bedrohung durch Russland vermittelt wird und nicht die gegenseitige Bedrohtheit durch Großmanöver beidseits der russischen Grenze anerkannt wird, die fatalerweise auf beiden Seiten zu Aufrüstungsmassnahmen führt. Diese Aufrüstungsmassnahmen verschlingen Unmengen an finanziellen und materiellen Ressourcen, die dringend für die Abwendung der die ganze Welt bedrohenden Klimakatastrophe benötigt würden. 

Deshalb ist der Beitritt Deutschlands zum AVV eine wichtige Möglichkeit, Abrüstungswillen zu signalisieren und dadurch die gegenseitige Rüstungs- und Bedrohungsspirale zu durchbrechen. Es wäre ein wichtiges Signal an Russland, dass Deutschland einen Beitrag für die gemeinsame Sicherheit mit Russland zu leisten bereit wäre. Der Beitritt zum AVV ist ein wichtiger Beitrag für Rüstungskontrolle und Abrüstung und damit ein Schritt auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt, ein Aufbruch in eine Welt, in der jeder Staat sich dadurch für die eigene Sicherheit einsetzt, dass er dafür sorgt, dass andere Staaten sich vor ihm sicher fühlen können. 

Wir bitten Sie deshalb dringend, das Votum des S.-H. Landtages an die Bundesregierung für einen Beitritt zum AVV zu ermöglichen! 

gez. Siegfried Lauinger

AG Atomwaffenverbotsvertrag Schleswig-Holstein Kiel, 28.11.2021 

c/o Siegfried Lauinger Dorfstr. 80 24232 Tökendorf Tel: 04348-9132264 

Bilder: Aktion am 22.01.2021 beim Kanzleramt in Berlin

Kommentar:

Zu teuer, zu gefährlich, zu spät – EU will Atomkraft fördern

Alle Jahre wieder. Immer wenn es auf die herbstliche UN-Klimakonferenz zugeht, werden die Reste der deutschen Atomlobby aktiv, um die Trommeln für ihre alten Meiler zu rühren. Und mit ziemlicher Regelmäßigkeit finden sie in den Redaktionsstuben jemanden, der aus purer Lust an der gedankenlosen Provokation versucht, deren immer gleichen Sermon von der vermeintlichen Sicherheit der klimarettenden Atomkraft als brandneue Einsicht und Ausgeburt der Rationalität zu verkaufen, während alle anderen natürlich Ideologen oder Naivlinge sind. Ganz so, als schrieben wir das Jahr 1997 und die Umweltministerin und spätere „Klimakanzlerin“ würde noch immer den Propaganda-Unsinn von RWE nachplappern, dem zu Folge die erneuerbaren Energieträger nie viel mehr als zwei Prozent der Stromversorgung würden abdecken können. Tatsächlich sind es in Deutschland inzwischen fast 50 Prozent und in einigen anderen EU-Ländern sogar noch mehr.

Hierzulande nahm in den letzten Jahren kaum noch jemand dieses Märchen von der sauberen Atomkraft ernst, doch hinter den Kulissen ist die Lobby offenbar noch immer einflussreicher, als man denken mag. Das liegt vor allem auch daran, dass zwar viele EU-Mitglieder wie Deutschland in den nächsten Jahren die letzten AKW stilllegen werden oder gar keine besitzen, andere aber weiter am Bau neuer interessiert sind. Vor allem Finnland, Frankreich, Tschechien und die Slowakei.

Und so kommt es, dass die EU kurz davor ist, die Atomkraft in ihren Werkzeugkasten für nachhaltige Entwicklung aufzunehmen, was ihr besondere Förderung zu kommen lassen würde. Das führte kürzlich zu einem internationalen Aufschrei bei den Umweltverbänden, die sich mit einem Appell zum Eingreifen an den voraussichtlichen nächsten Kanzler Olaf Scholz wandten.

Wie man hört, hatte nämlich die nur noch geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel es unterlassen, bei der letzten Sitzung des Europäischen Rates gegen den Griff der Atomlobby nach den EU-Fördertöpfen zu intervenieren. Aber das kann eigentlich nur jene erstaunen, die vergessen haben, wie die „Klimakanzlerin“ einst gerne zur Einweihung von RWEs neuen Braunkohlekraftwerken anreiste und 2010 zusammen mit der FDP den Atomausstieg kippte. Freilich nur um ein halbes Jahr später nach der dreifachen Havarie im japanischen Fukushima öffentlichem Druck nachgebend einen Rückzieher zu machen.

Doch nun sollen die altersschwachen AKW auf einmal die Klimaretter sein und sogar der Neubau gefördert werden. Deshalb ist es vielleicht Zeit, einmal an ein paar einfache Fakten zu erinnern. Erstens ist der Abbau von Uran mit erheblichen Gesundheitsproblemen in den betroffenen Regionen verbunden und der Rohstoff zudem inzwischen sehr knapp. Zweitens sind Unfälle selten aber möglich und dann extrem zerstörerische. Siehe Tschernobyl oder Fukushima.

Drittens braucht es aktuell in Europa über zehn Jahre, um ein neues AKW zu bauen. Viertens gibt es noch immer kein sicheres Endlager für den Strahlenmüll, der für 100.000 Jahre oder mehr verwahrt werden muss. Fünftens sind AKW sehr schwerfällig und passen nicht zur variierenden Stromerzeugung der Erneuerbaren. Sechsten ist Atomstrom deutlich teurer als Solar- oder Windstrom.

Und schließlich ist siebentens die AKW-Technologie wegen des nötigen Material- und Kapitalaufwandes ein sehr zentralistischer Ansatz und konnte zudem bisher in den meisten Ländern nur mit massiver Polizeigewalt durchgesetzt werden. Mit einer demokratische kontrollierten kommunalen Energieversorgung ist sie nicht vereinbar.

(wop)

Infos: https://www.ausgestrahlt.de/themen/klima-und-atom/

 

Termine

Sa., 04.12.2021, 13.30 - 18 Uhr,

auf dem Planet Alsen-Gelände (altes Zementwerk Alsen), Otto-F.-Alsen Straße, Itzehoe
Feier anlässlich der Stilllegung des AKW Brokdorf

Veranstalter: BUND, Kreisgruppe Steinburg

Bringt gerne Fahnen, Transparente, Banner mit, die ein buntes Bild abgeben würden.

Anmeldung unter Karsten Hinrichsen:
karsten-hinrichsen@web.de 

Die Zufahrt ist Itzehoe, Otto-F.-Alsen Straße, stadtauswärts über die Stör, dann gleich rechts halten, am MEDIA-Markt vorbei und dem Pfeil folgend noch ca. 200 m. Der Veranstaltungsraum liegt auf dem Planet Alsen-Gelände (altes Zementwerk Alsen).

 

So., 12.12.2021, 18 Uhr
Redaktionsschluss LinX

10 Jahre FUKUSHIMA:

Anti AKW Sonne web

Atomaustieg 2022 und keine Laufzeitverlängerung für AKWs!

 

Ca. 100 TeilnehmerInnen bildeten am 19.3.2021 um 12 Uhr rund um den Exerzierplatz in Kiel eine Menschenkette um der Atomkatastrophe von Fukushima vor zehn Jahren zu gedenken. Zur Mahnwache aufgerufen hatten verschiedene Umweltorganisationen und u.a. die bundesweite Organisation .ausgestrahlt gemeinsam gegen atomenergie! In Kiel wurde die Aktion organisiert von Gottfried Müller von der Friedenswerkstatt und der DFG/VK.

Demo Fokuschima 19 03 2021 kiel

Insbesondere richtete sich die Aktion auch gegen die Bundesregierung mit der akuten Forderung:
Atomausstieg 2022 und keine Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke!

Nach dem Super-GAU in FUKUSHIMA wurden in Deutschland nur 8 von 17 Reaktoren abgeschaltet. 6 Atomkraftwerke dürfen noch bis zum Jahre 2022 weiterlaufen. Sie erzeugen täglich große Mengen hochradioaktiven Atommüll, bei dem bis heute weltweit niemand weiß, wie und wo er sicher gelagert werden kann.

In Schleswig-Holstein haben sich jetzt sogar die GRÜNEN breitschlagen lassen, dass der angeblich nicht so stark belastete Abfall von den abgeschalteten Atomkraftwerken auf die kommunalen Mülldeponien verteilt werden soll. In einigen Gemeinden und Städten, wie z. B. Lübeck gibt es starken Protest dagegen. Da haben wir den Salat: Zehntausende von Menschen aus Schleswig-Holstein haben gegen das Atomkraftwerk in Brokdorf demonstriert und gekämpft, um es zu verhindern und jetzt kriegen sie den atomaren Dreck direkt vor die Tür geschüttet. Solange es noch keine sichere Endlagerung gibt, muss der Atommüll da bleiben, wo er ist und dort zur Not über 100.000de von Jahren sicher eingebunkert werden. Und warum sollen es nicht die Energiekonzerne als Verursacher bezahlen?

Auch die geplanten neuen Atomkraftwerke in Polen oder Niederlande oder anderswo müssen verhindert werden. Und schon gar nicht brauchen wir Experimente mit sogenannten „Small Modular Reactors (SMR)“ die angeblich sicherer und billiger seien und kaum Atommüll produzieren würden.

Die einzige Lösung: Umstellung auf dezentrale, vergesellschaftete und erneuerbare Energien und die Senkung des Energieverbrauchs.

Für eine konsequente Energiewende hin zu regenerativer Energie und für mehr Energieeinsparungen! Und für die Rekommunalisierung unserer Energieversorgung!

Global ist die Nutzung der Atomkraft der Einstieg in den Bau von Atombomben. Atomanlagen stellen bereits in Friedenszeiten eine verantwortungslose Bedrohung für alles Leben auf der Erde dar. Unter Bedingungen, die zunehmend von wirtschaftlichen und militärischen Konflikten, Aufrüstung und Kriegsvorbereitungen bis hin zur Gefahr eines 3. Weltkrieges gekennzeichnet sind, verschärft sich die Gefahr. Statt atomarer Aufrüstung sollte ein weltweites Atomwaffenverbot auf der Tagesordnung stehen.
(uws)

Dafür gehen wir Ostern auf die Straße:

• Abrüstung statt Erhöhung des Rüstungshaushalts
• Eine gesamteuropäische entmilitarisierte Region statt weiterer Konfrontationspolitik gegenüber Russland
• Einhaltung des Völkerrechts und Stärkung der UNO statt illegaler Kriege durch NATO-Länder
• Stopp der Rüstungsexporte, weil damit Kriege wie gegen die Kurden in Syrien, im Irak, dem Iran oder durch Saudi-Arabien im Jemen befeuert werden
• Keine bewaffneten Kampfdrohnen für die Bundeswehr! Stopp der US-Drohneneinsätze, die über die US Air Base Ramstein und US-Kommandozentralen in Deutschland geführt werden
• Abzug der US-Atomwaffen in Büchel, Verzicht auf atomare Teilhabe und Unterzeichnung des UN-Vertrages zum Verbot von Atomwaffen durch die Bundesregierung
• Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr

www.kieler-friedensforum.de

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