Neuer israelischer Militäreinsatz in Gaza:
IPPNW fordert mehr Druck auf die israelische Regierung
Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW ruft die Bundesregierung anlässlich des neuen israelischen Militäreinsatzes im zentralen Abschnitt des Gazastreifens erneut dazu auf, die Waffenlieferungen nach Israel zu stoppen, die humanitären Zahlungen an UNRWA in Gaza wieder aufzunehmen und sich noch engagierter für einen Waffenstillstand einzusetzen. Zusammen mit mehr als 250 Nichtregierungsorganisationen ruft die IPPNW Deutschland internationale Regierungen in einem offenen Brief dazu auf, sofort alle Waffenlieferungen an Israel zu stoppen. Nach dem israelischen Angriff auf ein iranisches Konsulargebäude in Syrien und den iranischen Drohungen warnt die Friedensnobelpreisträgerorganisation zudem vor einem Flächenbrand im Nahen Osten mit atomarem Eskalationspotential.
„Der Gazastreifen erlebt eine beispiellose humanitäre Krise. Nach Einschätzung der US-Behörde für internationale Entwicklung ist im Norden Gazas eine Hungersnot im Gange. Laut UNRWA wurden im März 2024 insgesamt 420 Lebensmitteltransporte von den israelischen Behörden verweigert oder behindert. Die Bundesregierung muss den Druck auf die Regierung Netanjahu für einen Waffenstillstand erhöhen“, erklärt die IPPNW-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen.
„Wir freuen uns, dass viele Bundesbeamt*innen und -angestellte der Regierung diese Einschätzung teilen“, so die Vorsitzende. In der vergangenen Woche haben sich 600 Bundesbeschäftigte in einem Offenen Brief an die Bundesregierung gewendet. Sie fordern, die Waffenlieferungen an die israelische Regierung mit sofortiger Wirkung einzustellen. Daneben müsse Deutschland die Zahlungen an das UN-Hilfswerk UNRWA mit „sofortiger Wirkung wieder aufnehmen“ sowie „alles in seiner Macht Stehende tun, um Israel dazu zu veranlassen, Hilfslieferungen unverzüglich in den Gazastreifen zu lassen“.
Am Freitag letzter Woche stimmte der UN-Menschenrechtsrat mit 28 zu sechs Stimmen bei 13 Enthaltungen für eine Resolution, in der Israel aufgefordert wird, für mögliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Deutschland votierte gegen die Resolution. Ein palästinensischer Arzt aus Deutschland sowie eine Gruppe Berliner Anwält*innen will den sofortigen Stopp der Genehmigung von Kriegswaffenexporten aus Deutschland an Israel auf juristischem Wege erzwingen.
Die Klage und ein Antrag auf einstweilige Unterlassung von Waffenlieferungen nach Israel gegen die Bundesrepublik Deutschland des palästinensischen Arztes ist seit dem 19. Februar 2024 vor dem Berliner Verwaltungsgericht anhängig. Am Freitag letzter Woche reichte eine Gruppe von Anwält*innen im Namen von drei Palästinensern aus Rafah einen entsprechenden Eilantrag beim Verwaltungsgericht in Berlin ein. Genehmigungen von Kriegswaffenexporten dürfen gemäß Paragraph 6 Kriegswaffenkontrollgesetz nicht erteilt werden, wenn sie gegen das Völkerrecht verstoßen. Insgesamt sind in Bezug auf Deutschland mehrere Klagen und Anzeigen anhängig, die sich auf die Unterstützung Israels beim Krieg in Gaza beziehen Laut einer aktuellen Studie von Forensic Architecture genehmigte die Bundesregierung im vergangenen Jahr die Lieferung von Rüstungsgütern an Israel in einem Wert von 326,5 Millionen Euro. Der Großteil der Lieferungen erfolgte nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023, darunter der Export von 3.000 tragbaren Panzerabwehrwaffen und 500.000 Schuss Munition für halb- und vollautomatische Waffen. Bereits nach der Klage Südafrikas gegen Israel wegen einem möglichen Völkermord soll die Bundesregierung laut Medienberichten eine Lieferung von 10.000 Schuss einer Präzisionsmunition für Panzer aus Beständen der Bundeswehr vorbereitet haben. In Großbritannien soll ein vom Außenministerium in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zurückgehalten werden, dass zum Ergebnis komme, aufgrund des möglichen Völkerrechts sei die Regierung verpflichtet, Waffenlieferungen nach Israel zu stoppen.
• Weiterführende Links: Offener Brief von 200 Organisationen (darunter IPPNW Deutschland) <https://reliefweb.int/report/occupied-palestinian-territory/more-250-humanitarian-and-human-rights-organisations-call-stop-arms-transfers-israel-palestinian-armed-groups>
• Link zur Studie von Forensic Architecture <https://content.forensic-architecture.org/wp-content/uploads/2023/04/Forensis-Report-German-Arms-Exports-to-Israel-2003-2023.pdf>
• Link zum UNWRA-Report <https://www.unrwa.org/resources/reports/unrwa-situation-report-100-situation-gaza-strip-and-west-bank-including-east-Jerusalem>
• Bessere Welt Info zu Waffenlieferungen an Israel <https://www.besserewelt.info/konfliktregionen/israel-palaestina/israel-hamas-krieg-2023/waffen-fuer-israels-gaza-krieg>
(Quelle: IPPNW-Pressemitteilung vom 12.04.2024)
Autonome Antifa-Demo Kiel:
Rassistische Deportationsstrategen zur Rechenschaft ziehen
Bis zu 6.000 Teilnehmer*innen zählte die Demo „Rassistische Deportationsstrategen zur Rechenschaft ziehen: Nazi-Heilpraktiker Pless aus der Deckung holen!“ am Freitagabend am 19.1.2024 in der Kieler Innenstadt, zu der antifaschistische Gruppen aufgerufen hatten.
Die Demo zog von der Filiale der Burgerkette „Hans im Glück“ am Berliner Platz, über die AfD-Landeszentrale am Walkerdamm und den Sitz der CDU am Hauptbahnhof zur Praxis des Neonazis Henning Pless in der Ringstraße. Der im Berufsleben unscheinbar agierende Heilpraktiker war vor einer Woche vom Recherche-Portal CORRECTIV als Teilnehmer der rassistischen Potsdamer Deportationskonferenz einflussreicher Faschist*innen geoutet worden und ist Antifaschist*innen u.a. als ehemaliger Vorsitzender der mittlerweile verbotenen „Heimattreuen Jugend“ bekannt. Dessen politische Hintergründe in die Öffentlichkeit zu tragen stellte einen zentralen Fokus der Demo dar. Zudem standen auch die weniger geheimen Remigrationspläne der Ampelregierung in Form von GEAS-Abkommen und „Rückführungsverbesserungsgesetz“ in der Kritik.
Nach einem Eröffnungsredebeitrag der Autonomen Antifa-Koordination Kiel, der zum Kampf gegen sämtliche Deportationspläne aufrief, sprach die Initiative „Gemeinsam Kämpfen“ mit Bezug auf die Unterstützung des Rechtsrucks durch Unternehmer*innen wie Hans-Christian Limmer zum Zusammenhang von Kapital und Faschismus.
Dabei offenbarte sich die politische Ambivalenz der derzeitigen spontanen Massenmobilisierung gegen die Rechte: Einigen anständigen Bürger*innen, die sich offenbar nicht im Klaren waren, dass sie sich auf eine linke Antifa-Demo verirrt hatten, waren wenige Minuten Kapitalismuskritik zu viel des Erträglichen und keiften gegen den Redner.
An der AfD-Zentrale thematisierte die TKKG Turboklimakampfgruppe Kiel die Rolle der faschistischen Partei beim Rechtsruck und rief zum Widerstand auch im bevorstehenden Europa-Wahlkampf auf.
Die Feministische Antifa Kiel griff an der CDU-Zentrale die Funktion der „Werteunion“ beim Brückenschlag vom rechten Rand der CDU zu offenen Faschist*innen auf.
Beim Endspurt die Ringstraße hinauf erleuchteten Bengalos die Straße, woraufhin die Kampagne „An die Substanz“ vor Pless‘ Praxis feststellte: Dieser sei ein Nazischwein und gehöre auch so behandelt.
„Wir danken allen Freund*innen und Genoss*innen, die heute mit uns auf der Straße waren sowie allen, die die Demo und die Mobilisierung unterstützt haben. Zusammen haben wir den heutigen Tag zu einem weiteren großen, hoffnungsvollen Tag für die antifaschistische Bewegung in Kiel und darüber hinaus gemacht! Lasst uns auch in den kommenden Wochen an die starken Mobilisierungen gegen den Rechtsruck und den rassistischen Normalzustand anknüpfen. Lasst uns die Faschist*innen – ob AfD, Werteunion, Neonazi Henning Pless oder andere – wieder in ihre Löcher zurück drängen und linke, antifaschistische Perspektiven gegen die kapitalistische Dauerkrise entwickeln. Bleiben wir laut, kämpferisch und unversöhnlich und lassen wir uns nicht von den doppelzügigen Kräften der selbsternannten Mitte zur fügigen Manövriermasse machen.
Organisiert den antifaschistischen Widerstand - heute und an jedem Tag!“
(Presserklärung Autonome Antifa-Koordination Kiel, 19.1.2024)
Kommentar
Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg
Das war ohne Zweifel eine große antifaschistische Mobilisierung. 1,3 Millionen Menschen waren am dritten Januarwochenende gegen die AfD und gegen das Potsdamer Faschisten-Treffen auf den Straßen (siehe Artikel Demonstrationen gegen die AfD-Faschisten: Gemeinsam gegen Abschiebungen, Rassismus und Krieg). Es war ein Zeichen, das Hoffnung machen kann, Hoffnung, die natürlich nur Bestand haben wird, wenn wir darauf aufbauen.
Ein erster Schritt wäre die Sprache. Nennen wir Faschisten wieder Faschisten. Offensiv, so dass auch der Mainstream von seinen verdrucksten Sprachregelungen abrücken muss. Sprechen wir darüber, was die Aufgabe von Faschisten ist, weshalb es auch kein Zufall war, dass gutbetuchte Unternehmer beim Potsdamer Treffen dabei waren: Das gewaltsame Spalten und Niederhalten der unteren Klassen und ihrer Organisationen. Nennen wir die Dinge beim Namen und vermeiden die Wortschöpfungen der Faschisten: Sie wollen Massendeportationen und Lager und nennen es „Remigration“, weil es sich harmloser anhört.
Ein nächster Schritt wäre mehr linke Initiative. Es ist äußerst erfreulich, dass die Kieler Demo am 19.1. (siehe Pressemitteilung Autonome Antifa-Demo Kiel) von Antifagruppen organisiert und entsprechen explizit war. In den meisten anderen Städten war das nicht der Fall und entsprechend weichgespült waren die Reden. Denn – drittens – ohne eine Kritik an der Regierungspolitik geht es dieser Tage nicht, wenn man die Faschisten bekämpfen will. Denn die Ampelparteien sind es, die gerade weite Teile des AfD-Programms umsetzen. Mit ihrer Hetze gegen Arme und den neuen Sanktionen gegen Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger, mit ihrem Ausbau der Repressionsapparate und Aufrüstung der Polizei in den Ländern, mit der weiteren Verschärfung der Abschiebepraxis, der Schaffung einer höchst mörderischen EU-Außengrenze und der Kriminalisierung der Hilfe auf der Flucht und nicht zu letzt mit Aufrüstung und Militarisierung. Während die SPD die Gesellschaft kriegsfähig machen will und Außenministerin Baerbock auf die Philippinen reist um Öl ins Feuer dortiger Konflikte zu gießen und den Krieg mit China herbeizureden, sollte uns klar sein: Ein Land im Krieg braucht massive Repression im Inneren – wie man derzeit in der Ukraine und Russland beobachten kann. Repression, für die gegebenenfalls die Faschisten zuständig sein werden. „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ lautet der Schwur von Buchenwald. Zwei Dinge, die auch 2024 noch immer zusammen gehören. (wop)
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein:
Deportationsfantasien faschistischer Kreise und unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe
Am 18. Januar 2024 haben sich die Abgeordneten des Bundestags in einer aktuellen Stunde – wenn man von den Parlamentarier*innen der vom Verfassungsschutz wegen rechtsextremistischer Umtriebe beobachteten AfD absieht – unisono gegen rechte Entwicklungen und rassistische Auswüchse in Politik und Gesellschaft ausgesprochen.
Anlass waren die vom Recherchekollektiv Correctiv unlängst aufgedeckte Zusammenrottungen von Rechtsextremisten aller Coleur – darunter AfDler, aber auch Mitglieder der CDU-nahen sogenannten Werteunion – in einem Potsdammer Hotel. Die hatten sich dort zur Beratung über einen Plan getroffen, der zum Ziel hat, nach einer Machtübernahme die „Remigration“, d.h. die systematische Deportation aller Nichtdeutschen sowie deutschen Staatsangehörigen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland, zu vollstrecken.
Seit dem Bekanntwerden gehen gegen diese menschenverachtenden Vorhaben und ihre nicht allein in der AfD organisierten faschistischen Protagonist*innen bundesweit regelmäßig Zigtausende auf die Straße. Jetzt haben also auch die Abgeordneten im Bundestag ihre Stimmen erhoben gegen die nicht erst in Potsdamm öffentlich gewordenen „demokratiefeindlichen Tendenzen“.
CDU-MdB Philipp Amthor – ansonsten eher als Anhänger teutonischer Leitkulturideen auffällig - wetterte, „wer von einem Menschenbild von Staatsbürgern erster und zweiter Klasse ausgehe, beweise eine erhebliche Geschichtsvergessenheit und, auf Kriegsfuß mit der freiheitlich demokratischen Rechtsordnung zu stehen“. SPD-Chef Lars Klingbeil echauffierte sich gegen diese unverholene gegen „unsere Kolleg*innen auf der Arbeit, unsere Vereinskamerad*innen und unsere Nachbarn“ gerichtete Bedrohung und gegen die Versuche der AfD-Bundesvorsitzenden Alice Weidel, „die Deportationspläne ihrer Partei herunterzuspielen“. FDP Bundesvorstandsmitglied Konstantin Kuhle versicherte: „Wir lassen uns die politische Agenda nicht von Rechtsextremisten bestimmen“. Die grüne Abgeordnete Gerda Hasselmann beteuerte, Geflüchteten Schutz gegen die Feinde des Rechtsstaats garantieren zu wollen.
Was die so Gemeinten allerdings im politischen Alltag von solchen Versprechungen zu erwarten haben, offenbarte sich umgehend, als der Bundestag nach der aktuellen Stunde zur Tagesordnung überging. Auf der Stand die Absegnung des „Rückführungsverbesserungsgesetzes“, eines rechtspolitischen Machwerks, das v.a. im Asylverfahren nicht erfolgreiche Schutzsuchende ultimativ ins Fadenkreuz eines restriktiven Abschiebungsregimes stellt. Unter anderem mit Dauerkasernierung für Erwachsene und Kinder ohne Bleibeperspektive, mit einer Eskalation der Dauer des Abschiebungsgewahrsams und der Abschiebungshaft, mit jederzeit – auch nachts – möglichen Razzien in Wohnräumen geflüchteter Familien in Lagern – aber auch mit Strategien zur Kriminalisierung der zivilen uneigennützigen Seenotrettung Geflüchteter.
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein stimmt mit PRO ASYL in der Kritik überein, dass die mit dem „Rückführungsverbesserungsgesetz“ einhergehenden rechtsstaatlich fragwürdigen Verschärfungen bei der sozialen Ausgrenzung und Abschiebungen Geflüchteter schwerwiegende Eingriffe in ihre Grundrechte sind, denen jede Verhältnismäßigkeit fehlt.
Aber schlimmer geht immer! Abgesehen von einzelnen grünen Abgeordneten stimmte auch die CDU gegen das Gesetz. Letztere aber wohl nur deshalb, weil es ihr nicht restriktiv genug ist. In ihrem aktuell bekannt gewordenen Entwurf eines Grundsatzprogramms lässt die Partei die flüchtlings- und grundrechtsfeindliche Katze aus dem Sack: „Wir wollen das Konzept der sicheren Drittstaaten realisieren. Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren. Dazu wird mit dem sicheren Drittstaat eine umfassende vertragliche Vereinbarung getroffen.“
Einmal mehr liefert die Politik also gute Gründe, auf die Straße zu gehen: sowohl gegen menschenverachtende Deportationspläne einer faschistischen Clique um die AfD und ihre Konsorten, als auch gegen eine unehrliche bürgerliche politische Klasse, die im Bundestag Betroffenheit heuchelt und in ihren Hinterzimmern das rechtspolitische Rüstzeug für eine im Kern verfassungsfeindliche und rassistische Politik auflegt.
(Presseerklärung Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, Kiel, 19.1.2024)
Demonstrationen gegen die AfD-Faschisten:
Gemeinsam gegen Abschiebungen, Rassismus und Krieg
Um es vorweg zu sagen: Es ist gut, dass Tausende gegen die AfD und andere Ultrarechte auf die Straße gehen. Sie werden es hoffentlich auch weiterhin tun, dann mit weitergehenden Forderungen. Denn es muss auch die politische Situation mit Krisen- und Kriegspolitik genannt werden, es müssen auch die zur Rede gestellt werden, die diese Entwicklung stillschweigend und bewusst zugelassen haben.
Woher kommt dieses plötzliche Aufbegehren gegen die AfD?
Seit der Gründung der AfD wird von einigen Organisationen die Ideologie dieser rassistischen Partei aufgezeigt. Es gibt Kampagnen und Aktionen gegen die AfD, insbesondere zu deren Wahlauftritten und Veranstaltungen.
Die AfD selbst macht immer wieder deutlich, dass sie die Partei der ultrarechten und deren parlamentarischer Arm in die Parlamente ist. Hier greifen sie die Themen auf, die von der Regierung nicht oder schlecht bearbeitet werden.
Und aus ihren Zielen machte die AfD noch nie einen Hehl.
Dennoch tun heute einige überrascht, dass diese Partei immer stärker wird in den Umfragen und in den Parlamenten. Die gewollte Nichtwahrnehmung der menschenverachtenden, sozialdemagogischen Politik der AfD und ihres Gefolges durch die Regierenden zeigt Spuren.
Was anscheinend niemand lesen, sehen und hören wollte, jedoch seit 2018 in einem Buch des Faschisten Björn Höcke steht, beschreibt Ingar Solty, Sozialwissenschaftler, bereits 2019 in einem Artikel: „Höcke schreibt in diesem Buch, dass ein Alleinherrscher, der sich seines ‚verkümmerten männlichen Selbstbewusstseins‘ entledigt habe (und der natürlich er selber sein soll), nötig sei, um die Demokratie, die er ‚im letzten Degenerationsstadium‘ sieht, zu überwinden. Dieser Führer solle das Projekt einer ‚Rückeroberung‘ des Landes von ‚fremde(n) Völkerschaften‘ forcieren und ein ‚groß angelegtes Re-Migrationsprojekt‘ durchführen.“ und weiter zitiert Solty:
„Wenn einmal ‚die Wendezeit gekommen‘ sei, ‚dann machen wir Deutschen keine halben Sachen‘. Politische Gegner dieses Projektes sollen dabei ausgeschaltet oder in einem ‚Aderlass‘ zur Emigration gezwungen werden; es bedürfe hierfür männlicher Härte und Unerbittlichkeit, denn man werde ‚leider ein paar Volksteile verlieren (…), die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen (…)“.
[https://www.freitag.de/autoren/ingar-solty/terror-mit-ankuendigung]
Solche Aussagen finden sich auch in Reden von Höcke und Co.
Auch die Opfer dieser AfD-Politik werden gesehen und von Politiker:innen beklagt: es sind Tote und Verletzte durch rassistische, antisemitische und faschistische Gewalt. Es gab und gibt Vereinbarungen von Parteien, die sich selbst demokratisch nennen, zum Umgang mit der AfD in Parlamenten. Aber es gibt auch immer wieder den Hinweis, dass die AfD eine Partei ist, die die gleichen Rechte wie alle anderen hat. Und es werden die politischen Ziele der AfD im Bundestag, in Landtagen und in Kommunen durch andere Parteien aufgegriffen und umgesetzt, wenn sie selbst nur treibend genug ist.
Jetzt hat das Recherchenetzwerk correctiv aufgedeckt, dass es im November 2023 ein Treffen von Personen verschiedener rechter Organisationen gegeben hat. In diesem Treffen wurden Pläne gesponnen, um noch mehr Menschen abzuschieben: Menschen, die hier Asyl beantragen wollen, Menschen, die seit vielen Jahren hier leben und Menschen, die hier geboren wurden.
Der Bericht über das Treffen, die Beteiligten und auch die Aussagen sind nachzulesen und sollen hier nicht weiter dargestellt werden.
[www.correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/]
Dieser correctiv-Bericht allein scheint der Anlass, dass sich in kürzester Zeit zig-tausende Menschen in der ganzen Republik mobilisieren lassen und auf die Straße gehen.
Es werden Forderungen gegen die AfD und für ein Verbot dieser Partei gestellt, es wird mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass rechte Organisationen zusammenarbeiten und dass der rechte Flügel der CDU mit der AfD, mit der Identitären Bewegung, mit Burschenschaften an einem Tisch sitzt. Auch Mitglieder des Vereins für Deutsche Sprache sollen dabei gewesen sein.
„Gegen Rechts!“ so steht es auf den Schildern der Demonstrierenden und auch „Mehr Liebe – weniger Hass!“
Das eint in diesen Tagen – wenn da nicht einige der jahrelang Aktiven gegen Rassismus und Faschismus auch weitergehende Forderungen auf Transparenten und Flugblättern stellen würden.
• Seit Jahren werden die Rechte für Geflüchtete, das Recht auf Asyl durch Regierungspolitik mit immer schärferen Gesetzen geschliffen.
• Seit Jahren wird auch in der Sozialpolitik gespart und gekürzt – davon sind alle Menschen betroffen.
• Geflüchtete werden in zwei Kategorien eingestuft und diejenigen, die nicht aus der Ukraine kommen, erhalten danach ihren kärglichen Betrag zum Leben. Wenn ihnen denn überhaupt ein Leben hier gewährt wird.
Doch Forderungen, die sich an die Verantwortlichen dieser Politik und dieser Rechtsentwicklung richten, gibt es auf diesen Demonstrationen wenig. Das Sterben der Menschen auf der Flucht im Mittelmeer, die Abschottungspolitik der EU, die tödlichen Fluchtrouten, die Abschiebungen, das wird nur von wenigen Gruppen aufgezeigt und verurteilt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lebt politisch nach den drei Affen – nichts hören, nichts sagen, nichts sehen.
Noch im Sommerinterview 2023 sprach er über die AfD als eine „Schlechte-Laune-Partei“. Er übernahm aber, leicht abgespeckt, deren Vorschläge zum Dichtmachen der Grenzen, neue Regelungen für Asylbewerber:innen, steckte die Milliarden Steuergelder lieber in Hochrüstung und für die Kriegsfähigkeit der Bundeswehr und der Bevölkerung, statt sie in soziale Bereiche in diesem Land oder für humanitäre Zwecke ins Ausland zu bringen. Im Oktober 2023 verlangte er im SPIEGEL eine „neue Härte in der Flüchtlingspolitik“ und kündigte Abschiebungen »im großen Stil« an.
Nun stand er am Sonntag (14.1.2024) auf dem Marktplatz in Potsdam und ließ sich für „Haltung zeigen gegen die AfD“ von seinen noch verbliebenen Wähler:innen feiern.
Neben ihm dabei, die grüne Außenministerin Baerbock. Wenige Tage vorher hatte sie noch Waffendeals mit Saudi Arabien vereinbart, wenige Wochen vorher hat sie dem von der Kommission der Europäischen Union vorgelegten Entwurf „Gemeinsames Europäisches Asylsystem“ (GEAS), mit dem das individuelle Asylrecht abgeschafft wird, freie Fahrt gegeben.
Sie wendet sich gegen den von vielen UN-Organisationen und dem UN-Generalsekretär geforderten humanitären Waffenstillstand in Gaza, um Israel die Zeit für seinen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser:innen und die ethnische Säuberung des Gazastreifens zu geben. Die Bundesregierung kündigt an, Israel vor dem Internationalen Gerichtshof im Prozess wegen Völkermordes beizustehen - das Völkerrecht gilt eben nur, wenn es dem Westen in seinen Kram passt.
Wie vergesslich muss ein Mensch seine Mitmenschen halten, um sich dennoch als mit „weißer Weste“ ausgestattet zu präsentieren?
Das Vergessen ist es nicht allein, sondern politisches Kalkül wird dabei sein, sich hier zu zeigen und abzulenken von den mit Steuergeldern unterstützten Kriegen in der Ukraine und in Nahost, von den Protesten der Landwirt:innen, der Verschiebung des Klimageldes auf den St.-Nimmerleinstag, der auf 2025 verschobenen Kindergrundsicherung, dem Bürgergeld, den Renten, fehlenden Wohnungen, Verkehrs- und Energieprobleme, abzulenken auch von den gleichzeitig an anderer Stelle erfolgten Repressionen gegen Demonstrant:innen wie z.B. beim G7-Gipfel in Hamburg, Repressionen gegen Kurd:innen, Palästinenser:innen und nicht auf Kriegskurs stehenden Jüd:innen; abzulenken von Wire-Card- und Cum-Ex-Skandalen.
Ja – der Plan der rechten Zusammenrottung in Potsdam von AfD bis CDU ist zu verachten!
Aber es gibt den Abbau des Rechts auf Asyl durch die Regierungsparteien SPD, Grüne, FDP.
Der SPD-Vorsitzende Klingbeil sagt dem RND:
„Die AfD will Menschen aus unserem Land schmeißen, die fester Teil des Landes sind. … Es sind Leute, die seit Generationen hier leben. Aber für die rechte Ideologie der AfD passen sie nicht in unsere Gesellschaft. …. Wir lassen nicht zu, dass die Rechtsradikalen entscheiden, wer deutsch ist und wer nicht.“
[https://www.rnd.de/politik/proteste-gegen-afd-spd-und-gruene-loben-demonstrationen-der-anstaendigen-LSE35IWDCVGWXMYTB4GAC6ER6E.html ]
Bei so viel Scheinheiligkeit ist das sarkastische Zu-Ende-Denken der Worte Klingbeil´s nicht weit: „ … Denn dazu machen wir als Regierung die Gesetze!“
Erinnerungen werden wach an den sogenannten Asylkompromiss von 1993, der nur mit der Zustimmung der SPD zustande gekommen ist. Vor und nach diesem Gesetz brannten viele Wohnungen und Unterkünfte für Geflüchtete.
Der Rassismus ist seitdem in diesem Land nicht weniger geworden. Faschistische und rassistische Organisationen machen bis heute Jagd auf Menschen. In Institutionen gibt es rechte Netzwerke, z.B. bei der Polizei und Bundeswehr.
Gestern war der Jahrestag des Brandanschlags in der Lübecker Hafenstraße. In der Nacht zum 18. Januar 1996 wurden drei Erwachsene, sowie sieben Kinder und Jugendliche aus Zaire, Angola, Togo und dem Libanon ermordet. 38 weitere Hausbewohner:innen wurden verletzt. Das Verbrechen wurde bis heute nicht aufgeklärt.
Es gab im Jahr 2000 den „Aufstand der Anständigen“, ausgerufen von Kanzler Schröder nach dem Brand der Düsseldorfer Synagoge. Versucht wurde damals, die Bewegung der Antifaschist*innen zu spalten in die angeblich „gewaltbereiten“ und die „friedlich“ Demonstrierenden. Erstere wurden und werden kriminalisiert.
Verhindert wurden damit nicht die Morde des NSU, die Morde von Halle und Hanau, der Mord an Walter Lübcke, die Toten in Gefängniszellen, die Opfer der Abschiebungen. Dies ist auch in Verantwortung von Regierenden der vergangenen Jahrzehnte.
Im Kampf gegen die Pegida-Bewegung waren 2015 wieder Hunderttausende auf den Straßen. „Gesicht zeigen gegen Rechts“ und für Menschenrechte war „anständig“. In der Großen Koalition wurde von Innenminister Seehofer die Debatte zu „Obergrenzen für Geflüchtete“ aufgerollt, 2017 kamen Aussagen über „irreguläre Migration“ hinzu. Trotz der Kritik daran, werden diese Begriffe inzwischen oft als „normaler Sprachgebrauch“ akzeptiert.
Der CDU-Vorsitzende Merz nimmt AfD-Parolen auf, wenn er von einer Ausnutzung der Sozialsysteme durch Geflüchtete spricht und das Beispiel seines Zahnarztbesuches bemüht.
Diese Politik setzt sich bis heute fort.
Gestern, am 18.1.24, hat die Mehrheit des Bundestags das zynisch genannte „Rückführungsverbesserungsgesetz“ beschlossen. Die Größe der Demonstration vor dem Bundestag gegen dieses menschenfeindliche Gesetz war sehr überschaubar. (Foto oben) Auch bezeichnend: Der CDU/CSU und der AfD gingen die Verschärfungen des Gesetzes nicht weit genug.
Foto: Sea-Watch am 18. Januar 2024 vor dem Bundestag; Protest gegen das genannte „Rückführungsverbesserungsgesetz“
Dies bestätigt: die vor einiger Zeit proklamierte Brandmauer gegen die AfD – es gibt sie nicht! Weder in den Parlamenten, noch in den gesellschaftlichen Institutionen.
Im Gegenteil wird weiter die Spaltung von Protest in gute und böse Demonstrant:innen betrieben.
Nicht zufällig sagt der Fraktionsvorsitzende von Die Grünen im Kieler Rathaus, Samet Yilmaz, dass er „stolz“ empfindet angesichts der Demonstration von 8000 Menschen:
„Wir in Kiel stehen für eine offene Gesellschaft. (…) Wer gegen Nazis ist, ist nicht links sondern Demokrat.“ (Kieler Nachrichten, 15.1.2024)
Der kleine Seitenhieb reicht, um die Standorte zu bestimmen.
Dass es auf dieser Demonstration gegen Rechts nicht ganz so offen zuging, berichten kurdische Aktivist*innen. Sie wurden mehrfach aufgefordert ihre Fahnen einzupacken, die nur durch kurdische Farben aufgefallen sind, jedoch ohne irgendein Schriftzeichen waren.
Im RND lesen wir: „SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte am Dienstag in Berlin, es sei beachtlich, wie viele sich spontan den Demonstrationen der „Anständigen“ angeschlossen hätten.“
[https://www.rnd.de/politik/proteste-gegen-afd-spd-und-gruene-loben-demonstrationen-der-anstaendigen-LSE35IWDCVGWXMYTB4GAC6ER6E.html]
Die Beteiligung an den Demonstrationen mit klaren Aussagen zu den Ursachen der Rechtsentwicklung und dem Erstarken ultrarechter Parteien kann auch für manche „Anständige“ ein Gewinn sein und die Erkenntnis über Zusammenhänge bringen.
Bettina Jürgensen, marxistische linke
Über alte Nazis und gegen neue Nazis:
Ausstellung „Naziherrschaft von 1933 - 45“ in Elmschenhagen
Im Juli 2021 haben Menschen im Stadtteil Kiel-Elmschenhagen ein Bündnis gebildet und sind aktiv geworden gegen rechte rassistische Propaganda. Den Aufklebern der Identitären Bewegung im öffentlichen Raum, Drohungen gegen Personen und rassistischen Aussagen sollte etwas entgegengesetzt werden.
Der Name des großen, über 20 Jahre bestehenden, stadtweiten organisationsumfassenden und von Gewerkschaften getragene Bündnis „Runder Tisch gegen Rassismus und Faschismus Kiel“ wurde mit dem Zusatz „Elmschenhagen“ in den Stadtteil getragen. Nun wird von Menschen, die im Stadtteil leben und arbeiten, Bündnisarbeit gemacht. Auch gegen Nazis, aber dennoch mit eigenem Profil.
Zu den regelmäßigen Treffen kommen bis zu 30 Personen, Informationsstände werden durchgeführt und in gemeinsamer Aktion rechte und rassistische Aufkleber im Stadtteil entfernt. Die Aktiven aus unterschiedlichen sozialen und politischen Organisationen haben seitdem viele Veranstaltungen durchgeführt, unter anderem zu rassistischer und faschistischer Symbolik, Auftreten und Parolen heute. Unterstützt wird dies durch kostenfreie (Stadtteil)-Räume in Kulturstation, Kirche, Jugendtreff, Djido Kher der Sinti und Roma und in Schulen.
Welche Bedeutung der 8. Mai als Tag der Befreiung im Stadtteil hatte war ebenfalls Thema. Auch die Zusammenhänge zwischen sogenannten Reichsbürgern und faschistischen Organisationen wurden schon diskutiert, ebenso die Politik der rassistischen AfD und ihre Rolle als parlamentarischer Arm der extremen Rechten und ob sich diese in Elmschenhagen zeigen. Das Ergebnis der Kommunalwahl für die AfD mit 9 % in Elmschenhagen-Süd und 12,6 % in Elmschenhagen-Nord zeigen die Notwendigkeit antifaschistischer Arbeit im Stadtteil.
Bei der Planung zu einer Veranstaltung „1933 in Elmschenhagen“ wurde im Oktober 2022 die Idee für eine Ausstellung genannt. Über ein Jahr hat eine Arbeitsgruppe des Bündnis dazu recherchiert, diskutiert, getextet, Tafeln erstellt und mögliche Ausstellungsorte und die Medien angeschrieben. Klar war: es sollte inhaltlich um die Zeit der Machtübergabe an die Faschisten 1933 gehen und wie sie in Elmschenhagen stattgefunden hat. Wie war die politische Wende in einem Stadtteil mit vor 1933 großem Anteil an SPD- und KPD-Wahlstimmen? Wie hat sich das Leben der Bevölkerung verändert? Welchen Widerstand gab es? Unterstützt wurde die Arbeitsgruppe vom Historiker Eckhardt Colmorgen, der auch im AKENS mitarbeitet.
Geplant waren 15 bis max. 20 Tafeln, das Ergebnis sind nun 30 Ausstellungstafeln. Auf ihnen wird in Rubriken über die Täter aus Elmschenhagen, den Widerstand, die im gesamten Stadtteil errichteten Zwangsarbeiterlager – deren Insassen zur Arbeit in Kieler Unternehmen vornehmlich für die Rüstung und weitere Mobilmachung gezwungen waren, die aus dem Boden gestampften Wohnsiedlungen für die Beschäftigten der naheliegenden Rüstungsbetriebe und -werften, die Straßennamen, die Rolle der Kirche, die Bunker zum Schutz vor den Bomben der Alliierten, die das Ende der Zeit des Faschismus brachten.
Viel wurde in der Arbeitsgruppe und auch in den Treffen des Plenums am "Runden Tisch … Elmschenhagen" diskutiert. Nicht immer konnte ein gemeinsames Verständnis hergestellt werden, wie z.B. zur Frage, ob es Nationalsozialismus (Eigenbezeichnung der Nazis), Faschismus oder Drittes Reich heißt – Nazizeit ist dann in den Titel genommen. Und wie es oft so geht: bei der Arbeit an der Ausstellung fand sich in einigen Bereichen mehr Material als bearbeitet werden kann und gleichzeitig gibt es immer wieder neue Fragen. Diskussionen werden daher folgend weitergeführt.
Die Ausstellung wurde in Elmschenhagen in der Maria-Magdalenen-Kirche Anfang November 2023 vor über 200 Gästen eröffnet und in den folgenden drei Wochen von mehr als 1000 Menschen, überwiegend aus dem Stadtteil, angesehen. Erfreulich ist der Zuspruch, die kritischen und nachfragenden Kommentare. Spontan und kurzfristig wird sie anschließend gleich im Gymnasium Elmschenhagen gezeigt. Eine nächste Station wird im Januar der „Waldhof – Marie-Christian-Heime“ sein.
Der Wunsch nach einer Broschüre, in der das Gezeigte nachlesbar ist, wurde geäußert. Ein Stadtteilrundgang zu auch in der Ausstellung genannten Orten ist in Planung. Insgesamt ist diese Form der Erforschung und das Sichtbarmachen ein zeitaufwändiger aber Kenntnis bringender Beitrag von Stadtteilgeschichte.
Wichtig bleibt es jedoch, sich aufgrund der Geschichte den aktuellen Herausforderungen gegen eine zunehmende Rechtsentwicklung zu stellen. Und diese sollte nicht nur darin bestehen, die soziale Demagogie und den Rassismus und den Faschismus der AfD aufzudecken, sondern sich auch den Versuche von regierenden Parteien, den Abbau von Demokratie zu betreiben, entgegenzustellen. Repression und Überwachung gegen antifaschistische Kräfte, gegen klimaaktive Kräfte stellen jetzt mit der „vorbeugenden Ingewahrsamnahme“ demokratische Rechte außer Kraft, die Polizeigesetze in den Bundesländern bieten weitere Möglichkeiten zur Unterbindung und Reglementierung von Protest.
Jede Stärkung von Militarisierung und Kriegspolitik, durch „Sondervermögen“, Erhöhung des Wehretats, Waffenlieferungen in Kriegsgebiete und in Forderungen wie „kriegstüchtig werden“, sollen dazu beitragen, Entscheidungen von Regierungen als alternativlos zu akzeptieren. Das spielt den Befürwortern eines „starken Staats“ in die Hände, den ultranationalen und faschistischen Kräften. Deshalb muss der Kampf gegen neue Nazis immer verbunden werden mit dem Erhalt und dem Ausbau demokratischer und auch sozialer Rechte.
Ausstellungen über die Geschichte zeigen uns, wie notwendig dies und wie wichtig die Einbeziehung großer Teile der Bevölkerung ist.
Bettina Jürgensen,
aktiv bei „Runder Tisch gegen Rassismus und Faschismus Kiel“ und … Elmschenhagen
Kurdistan-Kulturwochen:
Gedenkveranstaltung für Rojava und die Politik der AKP
Nach dem Sieg Erdoğans und der AKP – Die Situation der Kurd*innen nach den Wahlen in der Türkei
Nach den „Kulturwochen-Kiel“ zu Afghanistan, Syrien und Iran, wird 2023 die Region Kurdistan mit Politik, Kultur und den Kämpfen für ein menschenwürdiges Leben dargestellt. Mit Ausstellungen, Musik, Theater, Tanz, Kochkursen, Filmen, Lesungen, Vorträgen und Diskussionsangeboten soll sich der Region Kurdistan genähert werden.
Festgestellt wird auf der Internetseite zu den Kurdischen Kulturwochen: „Kurdinnen erleben als Geflüchtete in vielen Ländern anhaltende und systematische Diskriminierung. Kurdische Gebiete wurden in den letzten Monaten vermehrt durch Länder wie beispielsweise der Türkei angegriffen. Recepp Tayyip Erdogan benutzt in Bezug auf seine Ziele Wörter wie „Ausrotten“. Auch das iranische Regime geht besonders hart gegen die aktuellen Proteste in kurdischen Gebieten vor. Dennoch wissen viele Personen der deutschen Mehrheitsgesellschaft kaum etwas über die prekären Lebenssituationen von Kurdinnen.“
Ayse Fehimli, Mitglied im Kurdischen Frauenverein Jiyana Jin e.V., schreibt: „Wenn Kulturen miteinander bekannt werden, dann schwindet die rassistische Wand, vor der wir stehen, immer mehr.“
In zwei Veranstaltungen haben das Kurdistan Solidaritätskomitee Kiel, Defend Kurdistan Kiel und die Rosa-Luxemburg-Stiftung Schleswig-Holstein über die politische Situation in den Ländern, in denen kurdische Bevölkerungen leben, informiert. Dies kann ein Beitrag zum Schwinden dieser rassistischen Wand sein.
Die Situation der Kurd*innen nach den Wahlen in der Türkei und dem Sieg Erdoğans und der AKP analysierte Kerem Schamberger, Kommunikationswissenschaftler und Autor. In dem zur Wahl im Mai 2023 geführten Wahlkampf wurden kurdische Aktivist*innen vom Erdoğan-Regime durch Festnahmen ausgeschaltet. Trotz der Krisen und Kriege, in denen sich die Türkei befindet, hat die AKP die Wahl gewonnen.
Der Referent gab zunächst einen Blick in die Geschichte der türkischen Republik seit 1923. Dabei wies er auf den mit der Gründung erfolgten Versuch hin, die ideologische Grundlage des Staates die „Homogenität des Staatsvolkes“ herzustellen. Dargestellt wird dies in dem Spruch: „Tek Vatan, Tek Millet, Tek Bayrak, Tek Devlet“, also „Ein Vaterland, ein Volk, eine Fahne, ein Staat“ und man könnte ergänzen: „eine Sprache und eine Religion“, so Schamberger.
„Alles, was nicht in das Identitätsbild des neuen türkischen Prototyps passte, wurde entweder vertrieben, assimiliert oder ermordet.“
Hinzu kommt die ökonomische Ebene. Die Enteignungen der ArmenierInnen, der kurdischen Bevölkerung, die Zwangsumsiedelungen, das Verbot der kurdischen Sprache, kurdischer Namen und kurdischer Kultur machten eine politische Beteiligung für diese Bevölkerungen unmöglich. Dies entwickelte andererseits den Widerstand der Kurd*innen gegen die türkische Politik und Regierung. Als Reaktion auf die Unterdrückung wurde die PKK 1978 gegründet.
Seitdem gab es einige Friedensprozesse in der Türkei, die jedoch von der AKP beendet wurden, als Reaktion auf den Wahlsieg der Partei der kurdischen Freiheitsbewegung HDP im Juli 2015 in Istanbul. Die daraufhin einsetzende Selbstermächtigung der kurdischen Bevölkerung über die von ihnen bewohnten Gebiete wird seit 2015 mit brutaler Gewalt des türkischen Militärs unterdrückt.
In dieser Situation haben die Wahlen im Mai 2023 stattgefunden. Dezidiert beschreibt Kerem Schamberger, die Wahlen und blickt dann auf das Ergebnis: „70% der Stimmen an rechte, nationalistische Parteien gegangen: AKP + MHP + IYI Partei + Zafer Parti + Teile der CHP – also an Repräsentanten des türkischen Nationalismus in unterschiedlichen Ausprägungen. Mal mehr mal weniger islamistisch. Davon fast 25% an offen faschistische Kräfte. Der türkische Nationalismus in all seinen Ausprägungen ist der Gewinner der Wahlen. Wieder einmal…GenossInnen des Bündnisses der Arbeit und Freiheit kommen auf 10,5% und 65 Abgeordnete, davon 4 von der TIP (2018: 67 Abgeordnete und 11,7%).“
Westliche Regierungen, wie Olaf Scholz für die BRD, gratulierten Erdoğan umgehend zum Wahlsieg. Dass dies trotz der Verhaftungen von Kritiker*innen der Erdoğan-Regierung erfolgte, nimmt dieser als Legitimation und setzt seine Politik der Unterdrückung und Gewalt fort.
Diese erschwert die Diskussionen in den kurdischen Gebieten über das gemeinsame Vorgehen nach den Wahlen. Dabei, so Schamberger, muss die „Konzentrierung auf Aufbau gesellschaftlicher Gegenmacht und einem gegenhegemonialen Projekt: Linke Kräfte, gewerkschaftliche Verankerung, Verankerung in den Städten und Stadtteilen“ folgen.
„Es muss eine Gegenhegemonie von unten aufgebaut werden. Ganz im Gramscianischen Sinne. Weg von reiner Fixierung auf Wahlen – insbesondere Parlament und Präsidentschaftswahlen. … auch (um) dem türkischen Nationalismus entgegenzuwirken. Darum muss es jetzt in der vor uns liegenden Phase gehen – auch um so einen Grundstein zu legen, die „kurdische Frage“ von unten zu lösen. Das ist nicht einfach, vor allem wenn man sich die aktuelle Weltkonjunktur ansieht – aber versuchen muss man es trotzdem.“
Das Gedenken an Konstantin Gedig - Sehid Andok Cotkar zwei Tage nach der Veranstaltung über die Wahlen machte noch einmal deutlich, wie brutal die um ihre Rechte kämpfende kurdische Bevölkerung unterdrückt wird.
Konstantin war ein junger Landwirt aus Schleswig-Holstein, der sich 2016 der YPG im Kampf gegen den IS angeschlossen hatte. Bei der Verteidigung der syrischen Grenzstadt Serêkaniyê (Raʾs al-ʿAin) wurde Andok Cotkar am 16.10.2019 durch die türkische Luftwaffe getötet.
Seine Eltern besuchten im März 2023 Nordostsyrien/Rojava um mit den Menschen zu sprechen, die mit ihrem damals 24-jährigen Sohn gekämpft haben. Auf der Gedenkfeier teilen sie ihre Erlebnisse und Eindrücke von Rojava und Nordostsyrien in einem Vortrag mit Fotos von ihrer Reise und den Erzählungen über Gespräche und Begegnungen. Über die Reise gibt es eine Dokumentation, in der die auf 2500 km besuchten Stationen im Film festgehalten sind.
Zu vielen Grußworten, in denen der Kämpfe und Gefallenen gedacht wurde, gab es eine Videobotschaft von Mazlum Abdi, dem Generalkommandanten der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD). Abdi betonte das Ansehen und die Ehrung, die internationalistischen Freiwilligen in Nord- und Ostsyrien widerfährt.
In einer Live-Schalte nach Rojava wurde von Internationalist*innen über die aktuellen Angriffe des türkischen Militärs, vor allem auf zivile Infrastruktur und Bevölkerung in den letzten Wochen, berichtet. „Der Widerstandsgeist der Bevölkerung ist ungebrochen“ lautet die deren Aussage.
Kerem Schamberger hat in seiner Rede zum Gedenken auf die Errungenschaften der Rojava-Revolution hingewiesen. Er erinnerte daran, dass grundsätzliche Alternativen zum bestehenden kapitalistischen System immer mit brutaler Gewalt von Kräften des Status quo bekämpft werden:
„Die Pariser Kommune 1871, die Arbeiter- und Soldatenräte in Russland 1917, die Spanische Republik 1936 und die sozialistische Regierung von Salvador Allende in Chile, die vor genau 50 Jahren durch einen faschistischen Putsch gestürzt wurde. Veränderung sollte als Ding der Unmöglichkeit erscheinen.
Doch Konstantin hat als Internationalist den Beweis verteidigt, dass die Emanzipation des Menschen und der Gesellschaft möglich ist.“
Wir verharren in der Defensive, sind oft überwältigt von dem derzeitigen Rechtsrutsch und nicht in der Lage eine Utopie zu entwerfen und sie zu leben, sagte Schamberger und endete mit Pablo Neruda: „Nur mit brennender Geduld werden wir die strahlende Stadt erobern, die allen Menschen Licht, Gerechtigkeit und Würde schenken wird.“
Bettina Jürgensen,
ungekürzt auf www.kommunisten.de
Kundgebung am 25. Februar 2023, 14 Uhr, am Brandenburger Tor in Berlin
Es muss etwas passieren! Jetzt.
Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!
Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen.
Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.
Darum haben Alice Schwarzer, Sahra Wagenknecht und Brigadegeneral a. D. Erich Vad für den 25. Februar 2023 einen Protesttag initiiert: eine Kundgebung am Brandenburger Tor.
Alle, die es nach Berlin schaffen, sollten an diesem Samstag, den 25. Februar, ab 14 Uhr dabei sein: bei der Kundgebung am Brandenburger Tor, wo wir gemeinsam ein starkes Zeichen für den Frieden setzen wollen. *)
Jeder Tag, den wir durch Verhandlungen für den Frieden gewinnen, rettet Menschenleben – und vielleicht sogar die Welt. Kommt bitte alle zahlreich, denn nur gemeinsam können wir ein starkes Zeichen für den Frieden setzen.
So kannst Du aktiv mitmachen!
Wir bitten herzlich: Unterschreibt alle das Manifest (www.change.org/p/manifest-für-frieden)! Das ist wichtig, auch über den 25. Februar hinaus. Wichtig ist ebenfalls, den Aufruf zu teilen und diesen unter dem Hash-Tag #aufstandfuerfrieden zu verbreiten.
Wenn Ihr einen eigenen Bus organisiert und damit anreist, teilt uns das bitte mit, dann wird ein Parkplatz organisiert. Und wir vermitteln Mitreisende, die sich bei uns melden, an euch.
Aktuell werden auch noch Ordner gesucht. Für beides könnt Ihr uns ganz einfach per E-Mail schreiben an: kontakt@aufstand-fuer-frieden.de
*) Auf der Demo gilt folgender Konsens: Wir bitten auf das Mitbringen von Parteifahnen und Nationalfahnen jeder Art zu verzichten. Rechtsextreme Flaggen, Embleme und Symbole haben auf unserer Kundgebung keinen Platz.
Manifest für Frieden
Heute (am 10. Februar 2023) ist der 352. Kriegstag in der Ukraine. Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert. Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land. Und auch viele Menschen in ganz Europa haben Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Sie fürchten um ihre und die Zukunft ihrer Kinder.
Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges? Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass „wir“ einen „Krieg gegen Russland“ führen. Im Ernst?
Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen? Noch versichert der deutsche Kanzler, er wolle weder Kampfjets noch „Bodentruppen“ senden. Doch wie viele „rote Linien“ wurden in den letzten Monaten schon überschritten?
Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre vielleicht der letzte.
Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen. Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley. Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Warum dann nicht jetzt? Sofort!
Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!
Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“.
Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.
Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht am 10. Februar 2023
30 Jahre nach dem Möllner Brandanschlag:
Erinnern heißt verändern
150 Antifaschist*innen beteiligten sich auch in Kiel am Gedenken zum 30. Jahrestag der rassistischen Mordanschläge von Mölln. Anlässlich der Jährung der Morde an Bahide und Yeliz Arslan und Ayşe Yılmaz durch einen Brandanschlag von Neonazis auf das von der türkisch-stämmigen Familie Arslan bewohnte Haus in der Mühlenstraße vom 23.11.1992 hatte der Runde Tisch gegen Rassismus und Faschismus Kiel zu einer Demonstration aufgerufen.
Die insgesamt dreistündige Demo zog nach einer Auftaktkundgebung am Holstenfleet durch die Innenstadt nach Gaarden. Am Platz der Matrosen sowie auf dem Vinetaplatz wurden Zwischenkundgebungen abgehalten, auf denen diverse beteiligte Organisationen auf die Geschehnisse von Mölln, das ignorante Verhalten der Behörden gegenüber den Betroffenen sowie die Kontinuität rechten Terrors in der BRD aufmerksam machten. Am Bahide-Arslan-Platz wurde abschließend gemeinsam das italienische Partisan*innenlied „Bella Ciao“ in türkischer und deutscher Sprache gesungen und eine Grußbotschaft von Ibrahim Arslan, Überlebender der Anschläge und antirassistischer Aktivist, gezeigt.
„Dies haben Betroffene in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten zu Genüge erfahren müssen und die Erinnerung und Erzählung der mörderischen rassistischen Kontinuität deshalb selbst in die Hand genommen. Nicht zuletzt die Familie Arslan hat seit vielen Jahren vehement vertreten und durchgekämpft, dass die Betroffenen als Hauptzeugen der Anschläge zu gelten und gehört zu werden haben. Dass dies heute zunehmend passiert, ist auch ihrer Ausdauer zu verdanken. Sie haben sich der Opferrolle, in die sie gedrängt werden sollten, immer wieder verweigert und kämpfen bis heute, und gerade auch am heutigen Jahrestag der Morde von Mölln, als selbstbewusste politische Subjekte für eine würdige antirassistische Gedenkkultur und unterstützen selbst aktive Betroffene rassistischer Gewalt. Auch wir sind dankbar, dass wir von ihnen lernen und immer wieder auch Teil ihres Kampfes sein durften. Ihnen und allen Betroffenen rassistischer Gewalt zur Seite zu stehen, ist deshalb auch 30 Jahre nach den Mordanschlägen fester Bestandteil unseres antifaschistischen Selbstverständnis.“
(Autonome Antifa-Koordination Kiel)
30. Jahrestag der Möllner Brandanschläge
Demonstration am Mi., 23. November 2022 in Kiel
Auftaktkundgebung: 18 Uhr, Holstenfleet
Gedenkveranstaltung mit musikalischer Begleitung: 19.30 Uhr auf dem Bahide-Arslan-Platz in Gaarden
Am 23. November 1992 ermordeten deutsche Nazis in Mölln drei Menschen, deren Familien aus der Türkei zum Arbeiten nach Deutschland gekommen waren: die vierzehnjährige Ayse Yilmaz, die zehnjährige Yeliz Arslan und ihre 51-jährige Großmutter Bahide Arslan kamen bei einem Brandanschlag ums Leben. Vorher hatten die Täter bereits ein Haus in der Ratzeburger Straße in Brand gesetzt. Neben den Toten forderten ihre Anschläge neun zum Teil schwer verletzte Menschen.
Vor wenigen Wochen, am Abend des 5. September 2022, haben rassistische Brandstifter in Mölln wiederum zugeschlagen: Sie legten Feuer im Eingangsflur der Möllner Moschee. Menschen kamen diesmal nicht zu Schaden. Überfälle auf Flüchtlingsunterkünfte, rassistische Angriffe und Morde gibt es bis heute in vielen Städten, und sie werden – man denke an den NSU – nicht hinreichend aufgeklärt, die Verantwortlichen kommen allzuoft davon. Gleiche Rechte für alle Menschen, die hier leben, gibt es hingegen immer noch nicht. Geflüchtete, Menschen schwarzer Hautfarbe und People of Colour, Sinti und Roma und andere sehen sich in deutschen Amtsstuben immer wieder rassistischer Behandlung ausgesetzt. Antisemitische Gewalttaten häufen sich.
Erinnern heißt verändern!
Rassistischer Hetze und Gewalt stellen wir die Solidarität aller entgegen, die ein gutes, von Bedrohung freies Leben mit gleichen Rechten für alle Menschen erreichen wollen, die in unserem Land leben. Unser Gedenken ist kein Ritual, sondern handlungsorientiert. Auch am 23.11. 2022 in Kiel. Wir haben den Familien Arslan und Yilmaz, die im vergangenen Jahr unsere Stadt besucht haben, versprochen, nicht nachzulassen in unserem Kampf für eine Gesellschaft, in der Rassismus und Faschismus keinen Nährboden mehr finden.
Demo in Kiel:
Zwei Jahre nach dem rassistischen Anschlag von Hanau
Vor zwei Jahren, am 19. Februar 2020, erschoss ein deutscher rassistischer Attentäter in Hanau neun Menschen. Am Jahrestag des Anschlags wurde in rund 100 Städten der Toten gedacht – auch in Kiel. Am Holstenfleet kamen am 19.2.2022 rund 200 Menschen zu einer Kundgebung zusammen.
Bundesweit aufgerufen hatte dazu die „Initiative 19. Februar Hanau“, der Angehörige der Opfer und ihre Unterstützer*innen angehören. „Ihre Namen sollen erinnern und mahnen, den rassistischen Normalzustand im Alltag, in den Behörden, den Sicherheitsapparaten und über all zu beenden. Der rassistische Anschlag war auch ein Ergebnis der rechten Hetze von Politiker:innen, Parteien und Medien. Behörden und Sicherheitsapparate haben ihn durch ihre strukturelle Inkompetenz und Ignoranz weder verhindert noch aufgeklärt. Das ist das Zusammenspiel, das in den Handlungen Einzelner ihre mörderische Zuspitzung und Folge findet, und damit sind rechte Terrorakte niemals Einzeltaten. Schluss damit! Damit wir keine Angst mehr haben müssen, muss es politische Konsequenzen geben. Rassismus, egal in welcher Form, darf nicht mehr geduldet, verharmlost oder ignoriert werden. Wir geben keine Ruhe!“ hieß in ihrem Aufruf.
An der Bündniskundgebung des Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus wurde nach einer Schweigeminute in insgesamt neun Redebeiträgen verschiedener Gruppen und Organisationen an die neun Ermordeten erinnert und ihre Leben porträtiert. Immer wieder wurden auch die rassistischen Verhältnisse in der BRD, die systemische Ignoranz der staatlichen Behörden im Nachklang der Morde sowie die Verharmlosung des kontinuierlichen rechten Terrors in der BRD als vermeintliche Einzelfälle angeprangert.
Zu einer weiteren öffentlichen, knapp einstündigen Gedenkaktion von „KOA-Kollektiv afrodeutscher Frauen“ und „Embipoc-Empowerment von Black, Indigenous und People of Color“ versammelten sich am späten Nachmittag etwa 200 Teilnehmer*innen auf dem Rathausplatz. In verschiedenen, teils sehr persönlichen Beiträgen thematisierten mehrere Rednerinnen Rassismus und Rassismuserfahrungen im deutschen Alltag. Anschließend wurden die Namen der Todesopfer von Hanau einzeln verlesen und ihrer mit Schweigeminuten, Kerzen und Blumen gedacht.
Im Stadtteil Gaarden erneuerten Antifaschist-*innen außerdem die Straßenschilder der Mercedes-Kierpacz-Straße (ehemals Iltisstr.), der Vili-Viorel-Păun-Straße (ehemals Gazellenstr.) und der Ferhat-Unvar-Straße (ehemals Medusastr.). Diese hatten Anwohner*innen bereits zum ersten Jahrestag von Hanau in Erinnerung an die Todesopfer rechter Gewalt in der BRD umbenannt und ihre militaristischen und kolonialististischen Namen entfernt. Zudem entstanden im Viertel an öffentlichen Plätzen zwei kleine Gedenkstätten mit Kerzen, Blumen und den Porträts der Opfer. In den Straßen wurden außerdem zahlreiche Gedenkplakate verklebt.
Wir trauern und erinnern an Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin.
(Quelle: „Revolutionsstadt Kiel“)