Daten/Fakten  

   

Sozialistische Zeitung für Kiel

Aktuelle Ausgabe vom 01. Dezember 2019

Zur Eröffnung von Primark in Kiel riefen am 9.11.2019 Attac-Kiel, Extinction Rebellion, Greenpeace und die Kampagne für Saubere Kleidung zu einer Protestaktion auf. Es nahmen ca. 100 Aktivisten teil. Auch der DGB, die IG Metall, der BUND und die Grüne Jugend beteiligen sich. (uws)

Primark-Proteste in Kiel:

FAST FASHION KILLS.

Mitte der ersten November-Woche eröffnete der neu gebaute Primark-Shop in der Kieler Fußgängerzone in der Nähe des Bootshafens. Bereits am Eröffnungstag gab es Proteste gegen den irischen Modekonzern. Am Samstag, den 9. November 2019, fanden ganztägig Protestaktionen von verschiedensten Gruppen wie ATTAC, Extinction Rebellion, Greenpeace Kiel, Kampagne für Saubere Kleidung, BUND, Grüne Jugend etc. statt.

Kritikpunkte an Primark sind unter anderem:

Die Textilindustrie stößt mehr CO2 aus als der gesamte internationale Flug- und Schiffsverkehr.

Die Modekonzerne verkaufen immer mehr Kleidungsstücke, die wir nicht wirklich brauchen (40 % der Kleidungsstücke in Deutschland werden selten oder nie getragen) und

die Löhne in der Textilindustrie liegen oft weit unter dem Existenzminimum.

An diesem Protesttag kam es in der Mittagszeit zu einem spannenden Gespräch bei Primark:  Wir Demonstrierenden wurden zu einer Gesprächsrunde mit dem Geschäftsführer von Primark Deutschland eingeladen. Es nahmen daran fünf Menschen aus verschiedenen Gruppen teil.

Anfänglich ging es um die Stromversorgung des neuen Primark-Gebäudes. Wir machten unsere Forderung nach Ökostrom-Nutzung deutlich angesichts der Tatsache, dass Kiel Klimanotstandstadt ist. Der Geschäftsführer, ein freundlicher, ruhiger Herr mittleren Alters beantwortete alle Fragen bemüht sachlich und deeskalierend: Primark kaufe seinen Strom europaweit ein und er könne nicht sagen, ob es in Kiel möglich sei, auf Ökostrom umzusteigen, dafür sei der Mietvertrag (Primark ist Mieter der Immobilie) noch zu neu.

Des Weiteren wurde kritisiert, dass nur Kleidung aus 100 % Baumwolle recycelt werden kann. In den meisten Kleidungsstücken sind aber Kunstfasern enthalten, die ein Recyceln unmöglich machen, also Kleidung zur Wegwerfware werden lassen. Der Geschäftsführer meinte, dass einer der Gründe für den Einsatz von Kunstfasern in Kleidung sei, dass es weltweit nicht genügend Baumwolle gäbe. Unsere Vorstellung von: „Dann gibt es eben weniger Kleidung“ widerspricht natürlich völlig der Verkaufsideologie von Kleidungskonzernen wie Primark.

Am Ende der Gesprächsrunde wurden die Lohnbedingungen in den Herstellungsländern der Kleidung angesprochen: 

Primark lässt in China und Bangladesch, aber auch in Nordafrika und Rumänien herstellen. Dabei werden viele Fertigungsfabriken nicht von Primark alleine genutzt, sondern auch von Modeketten wie H& M, KIK und anderen, so dass die genauen Lieferwege schwer nachvollziehbar und kontrollierbar sind.

Wir fragten, welche Länder der Geschäftsführer selbst mal in Augenschein genommen habe: China und Bangladesch. Auf unsere Frage, was denn eine Fabrikarbeiterin in Bangladesch verdiene, sagte er, das sei „ein existenzsicherndes Einkommen!“ Bei 80 Euro im Monat, bei 7 Tagen pro Woche mit jeweils 12 Stunden Arbeitszeit bedeutet das einen Stundenlohn von 25 Cent! Und das bei Akkord-Arbeit. Zum Leben zu wenig, aber zum Sterben zu viel!  

Jedenfalls kann davon neben Essen und Miete kaum ordentliche Gesundheitsversorgung, Schulgeld für Kinder oder dergleichen bezahlt werden. 

Das Gespräch dauerte etwa eine Stunde. Unser Eindruck, den wir nach dem Gespräch mitnahmen, war folgender: Auch ein Konzern wie Primark nimmt die Proteste und deren Gründe wahr und schickt für ein Gespräch mit DemonstrantInnen nicht nur den Geschäftsführer von Primark Kiel vor, sondern von Primark Deutschland. Primark (und wahrscheinlich alle anderen Modeketten) haben Sorge, dass irgendwelche Missstände in der Kleidungsproduktion an die Öffentlichkeit geraten, die dem Ruf eines Modekonzerns Schaden zufügen könnten. 

Wir verließen das Gebäude mit dem Gefühl, ein ruhiges, sachliches Gespräch mit einem „Wolf im Schafspelz“ geführt zu haben.

Vor dem Primark-Gebäude verteilten wir Flugblätter gegen Fast Fashion. Unser Eindruck dabei war, dass die meisten Menschen, die trotz des Protestes an uns vorbei in den Primark-Laden strömten, durch Flugblätter und Aufklärung allein wahrscheinlich nicht zu erreichen sein werden. 

(Gottfried Müller)

 

Kommentar

Ohne Solidarität geht es nicht !

In Bolivien machen Polizei und Militär Jagd auf Gewerkschafter, Bergarbeiter, Linke, Indigene. Wer gegen den Putsch demonstriert, muss damit rechnen erschossen zu werden. Journalisten werden von den neuen Machthabern massiv bedroht, den Soldaten und Polizisten per Dekret Straffreiheit zu gesichert. Doch Europa kann keinen Putsch erkennen. Für die Bundesregierung ist alles in bester Ordnung und die deutschen Medien haben nur mäßiges Interesse. So wie es sie auch nicht interessiert, dass in Jemen mit deutschen Waffen vom treuen Freund des Westens, nämlich das wahibitische Saudi Arabien, Krieg geführt wird und Tausende Kinder deswegen Hungers sterben. Oder wie es sie nicht interessiert, dass die Türkei mit Hilfe islamistischer Milizen Krieg gegen die Bevölkerung Nordsyriens betreibt, dass in den Reihen dieser Milizen auch bekannte ehemalige IS-Kämpfer sind, die nun erneut, zusammen mit türkischen Soldaten und den anderen Milizionären schwere Kriegsverbrechen begehen, Politikerinnen ermorden, Leichenschändung an gefallenen Kämpferinnen begehen und Kurden, Christen und Yeziden aus den eroberten Gebieten vertreiben. Das ganze auch dort mit deutschen Waffen.

Zu all dem großes Schweigen in Berlin. Mehr noch: Deutschland und die EU zahlen weiter an die Türkei, damit es die Flüchtlinge zurückhält, keine Menschen in die EU einreisen lässt, die hier Asyl beantragen könnten. Zugleich werden Kurden hier kriminalisiert, wenn sie sich mit den Kämpfern in Syrien solidariseren. Die Schäbigkeit der Regierung kennt keine Grenzen, und auch die Grünen halten sich reichlich bedeckt. Man will sich schließlich die Option offen halten nach der nächsten Bundestagswahl mit der CDU zu koalieren. Denn wie hat einst Joschka Fischer gesagt, um seine Partei auf den dritten deutschen Krieg gegen Jugoslawien einzuschwören: Es gibt keine grüne Außenpolitik sondern nur eine deutsche Außenpolitik.

Erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass an manchen Orten bei den Fridays-for-Future-Gruppen der Groschen gefallen ist und sie auch gegen den Krieg gegen Rojava protestieren. Das lässt hoffen, dass in der neuen politischen Generation, der Blick wieder über die nationalen Grenzen hinausgerichtet und die aggressive Politik der Bundesregierung stärker kritisiert wird. Denn eins ist eigentlich ganz klar: Das Rezept der Bundesregierung mit mehr Rüstung und Kriegen in aller Welt mitmischen zu wollen, macht auch den Klimaschutz zu nichte. Den wird es nur in einer friedlichen und sozial gerechten Welt geben. (wop)

Kiel-Gaarden:

Gegen Mietwucher und Verdrängung

Trotz Kieler Schmuddelwetter beteiligten sich etwa 200 Menschen an der Demo am 2.11.2019 in Kiel-Gaarden gegen hohe Mieten und Verdrängung. Zahlreiche Transparente und Schilder machten darauf aufmerksam, wo das Problem liegt: Die Mieten sind zu hoch, Löhne, Stütze und Renten sind zu niedrig und es gibt keine bezahlbaren Wohnungen mehr.   

Da durfte natürlich auch eine gehörige Kritik am größten Vermieter in Kiel, dem Vonovia-Konzern, nicht fehlen. Auf den zahlreichen Redebeiträgen kam noch mal ganz deutlich zur Sprache, dass betrügerische Nebenkostenabrechnungen ebenso zum Handwerkszeug gehören wie Einschüchterungen, wenn sich jemand wehrt, dass aber ein gemeinsames Vorgehen gegen diese Machenschaften durchaus erfolgreich sein kann. 

Besonders schön war die breite Zustimmung auf der Straße und aus den Fenstern heraus. Lautstarke Sprechchöre wurden mit großem Beifall beantwortet. 

Wenn beim Nächstenmal alle, die unzufrieden sind, mit auf die Demo kommen, dann sind die Gaardener Straßen rappelvoll. Und natürlich noch besser: sich mit der Nachbarschaft austauschen, mal bei den MieterInnentreffen vorbeischauen und gemeinsam und solidarisch gegen diese Zumutungen kämpfen. Gerade die Vereinzelung macht es den Vermietern viel zu leicht, ihre Profite auf unsere Kosten in die Höhe zu treiben. 

Mehr Bilder und Infos unter: www.mietwucher-kiel.de

Attac-Veranstaltung in der Alten MU:

Vom Leben auf Kosten anderer ins gute Leben für alle?

Wo immer man hinschaut – Krisen: Klimawandel, Flucht, Vertreibung, Naturzerstörung, Feinstaub, Mietenwahnsinn, Wirtschaftskrise und viele mehr. Schaut man auf die Zusammenhänge, wird schnell deutlich: All diese Krisen sind eng mit unserer Lebensweise im Globalen Norden verknüpft. Überspitzt gesagt: Wir leben auf Kosten anderer. Anderer Menschen und der Natur. Auch wenn wir es gerne ändern wollen, diese Lebensweise scheint extrem stabil zu sein. Alleine geht’s nicht. Wie kann es also weitergehen?

Eingeladen war der Referent Jonas Lage, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Norbert Elias Center der Europa-Universität Flensburg, Teil des I.L.A. Kollektivs und Mitautor des Buchs: „Das gute Leben für alle – Wege in die solidarische Lebensweise“

Die Attac-Veranstaltung fand in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und mit Fridays for Future am 13.11.2019 statt und war mit ca. 100 TeilnehmerInnen im Fahrradkino der Alten Mu gut besucht.

Jonas Lage bezieht sich in seinem Vortrag eng auf unsere alltägliche Lebenswelt und erläutert mit zahlreichen Beispielen das Konzept der “imperialen Lebensweise“. Davon ausgehend stellt er solidarische Alternativen sowie mögliche Wege des Wandels zur Diskussion. Die zentrale Frage ist: Wie überwinden wir das Leben auf Kosten anderer, das sich auch stark in den Auswirkungen des Klimawandels niederschlägt, und wie gehen wir erste Schritte auf dem Weg zum guten Leben für alle weltweit?

Das Buch und die Grafiken/Poster zu dem Vortrag liegen auf der Internetseite https://dasgutelebenfueralle.de als PDF zum Download bereit. Es steht unter der Creative Commons 3.0 (CC BY-NC-SA 3.0 DE) Lizenz zur nichtkommerziellen Verwendung zur Verfügung.  (uws)

CHEFDUZEN.DE:

Wie ein Kieler Internetprojekt die Ausbeuter auf die Palme brachte – 

sich online austauschen und offline kämpfen!

Das neue Jahrtausend war gerade angebrochen, da entstand die Idee für ein klassenkämpferisches Projekt, das sich in seinem Ansatz von linken Gruppen und Initiativen stark unterschied. Es ging darum, sich nicht nur von einem politischen Thema zum nächsten zu hangeln, wo man sich nach dem Protest gegen einen Wirtschaftsgipfel dem Kampf gegen eine Nazidemo widmet. So wichtig solche Aktivitäten sein mögen, bieten sie keine Perspektive gegen die Erniedrigungen des Alltags durch die kapitalistischen Verhältnisse. Unsere Idee war denkbar simpel. Wir wollten zu einem Stammtisch einladen, um sich über die Probleme bei der Arbeit oder der Arbeitslosigkeit auszutauschen. Es sollte nicht um das gehen, was man „Politik“ nennt, sondern um die soziale Frage, die auch Menschen betrifft, die sich nicht als links definieren. Ausbeutung, Verarmung, Stress beim Amt und Ärger mit dem Vermieter. Allerweltsprobleme, die letztendlich hochpolitisch sind. Es war Zufall, dass zur gleichen Zeit in den USA die Dotcom Blase platzte und zehntausende Beschäftigte ihren Job verloren. Sie kommunizierten mit Hilfe des Forums „Netslaves“ und bestachen durch ihre lebensnahe und undogmatische Haltung in ihrer Selbstorganisierung, die sich stark von den klassischen gewerkschaftlichen Organisierungs- und Kampfformen unterschied. Man verlor dabei nicht den Humor, quatschte über den neuen Alltag mit der Jobsuche und machte sich auch Gedanken über die „große Politik“. Dieser ungewöhnliche Kampf amerikanischer IT-Leute wurde zu dem Vorbild für das Projekt chefduzen.de, das im Dezember 2002 in Kiel online ging.

      

Es dümpelte eine ganze Zeit vor sich her. Der Stammtisch hat nun auch nicht gerade den großen Zulauf, wir nötigten erst einmal Leute aus dem eigenen Bekanntenkreis zu unserer Runde und auch das Internetforum war nicht gerade am Brummen. Die Beiträge schrieben die wenigen Aktivisten des Projekts unter verschiedenen Nicknames selbst, bis die ersten realen Postings auftauchten. Das änderte sich erst, als ein bayrisches Leiharbeitsunternehmen die Forenbetreiber aufforderte, einen Bericht über ihr Unternehmen zu löschen. Als das keinen Erfolg hatte, wurden juristisch große Geschütze aufgefahren und da die juristische Beurteilung von Internetaktivitäten Neuland war, war das Vorgehen des bayrischen Gerichts von bundesweitem Interesse. Über die Androhung eines Zwangsgelds von bis zu 250.000 € oder einer bis zu sechsmonatigen Haft wurde bundesweit von den großen Medien berichtet. Seit dem kann sich das Forum nicht über mangelnde Bekanntheit beschweren und es wird täglich von tausenden Menschen besucht.

Die Betreiber der Forums mussten sich an die Vielzahl von Löschungsaufforderungen, Anwaltsschreiben und teilweise auch juristische Verfahren erst gewöhnen, doch es bestätigte sie, wie groß die Wirkung die offene Diskussion unter den Ausgebeuteten doch ist. Ohne die aktive Hilfe der Roten Hilfe hätte des Forum den Angriffen der Ausbeuter auch nicht standhalten können. 

Der Stammtisch konnte keinen so rasanten Aufstieg in seiner Bedeutung erfahren und er war fast 10 Jahre lang nur eine nette Runde für den Austausch über Probleme, Klatsch und Tratsch. Es half gegen Vereinzelung, man blieb auf dem Laufenden, es war meist recht lustig, doch es kamen keine gemeinsamen Aktivitäten dabei heraus. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Es wurden aus diesem Kreis Veranstaltungen organisiert, Flugblätter verfasst und verteilt und es wurden auch weitere Aktivitäten in Richtung Stadtteil- und Mieterarbeit aufgenommen. Besonders erwähnenswert ist jedoch die Wirkung des Forums in Betriebe hinein. Gerade in den Bereichen der prekären Arbeit, wo die Menschen sich nicht durch Gewerkschaften vertreten fühlen, spielt chefduzen eine manchmal besondere Rolle. Zu den erwähnenswertesten Geschichten gehört ein erfolgreicher Kampf von Leiharbeitern auf einem Flughafen in einer Mischung aus Sabotage und Wildem Streik, dann ein Sick-out von 3/4 einer 600 köpfigen Belegschaft eines Callcenters und dem grenzüberschreitenden Protest mit VW-Leiharbeitern in China, der zur Festeinstellung von 900 Leiharbeitern zum doppelten Lohn in die Stammbelegschaft geführt hat.

Wir treffen uns weiterhin jeden ersten Donnerstag des Monats ab 19 Uhr im Raucherraum der Babule in Kiel-Gaarden und es finden nun eine Reihe von Veranstaltungen im „Li(e)ber Anders“ (Iltisstraße 34) am jeweils ersten Dienstag zu verschiedenen Themen statt. Am 3. Dezember 2019 zum Thema Callcenterarbeit, am 7. Januar 2020 wohl zum Thema Leiharbeit.

www.chefduzen.de

 

Stadthaushalt Kiel 2020: 

Jedenfalls tiefer ins Schuldenloch

Der neue Stadtkämmerer Christian Zierau hat jetzt auch entdeckt, dass es mit dem Haushalt der Stadt Kiel gar nicht so rosig aussieht. Das Haushaltsplus aus dem Jahr 2018 war bejubelt worden, weil trotz erwarteten Defizit ein Überschuss von 42,8 Mio. herauskam. Vermutlich handelte es sich um unerwartete Gewerbesteuereinnahmen, aber Genaues wird ja nicht verraten. Jetzt ist klar geworden, dass es sich um einen einmaligen Vorgang gehandelt hat. Besonders schmerzlich sind ausfallende Gewerbesteuereinnahmen, wenn z.B. große Finanzinstitute abgewickelt werden oder große Firmen ihren Hauptsitz verlegen usw. Klar ist nur, dass einige wenige Betriebe den größten Anteil zahlen. Welcher Betrieb aber wieviel Gewerbesteuer in Kiel zahlt, bleibt ein Geschäftgeheimnis.

Anfang des Jahres hatten wir in der LinX, Februar 2019 die jahrzehntelange Unterfinanzierung des Stadthaushalt mit Zahlen dargestellt und vorausgesagt, dass die Gesamtverschuldung in diesem Jahr die Milliarden-Grenze überschreiten wird. Die Stadt ist tatsächlich seit ca. 20 Jahren dauerhaft unterfinanziert. Trotzdem wurde der Haushaltsabschluss bejubelt und die tatsächliche finanzielle Lage der Stadt schöngeredet. 

Aber das ist jetzt anscheinend vorbei. Im aktuellen Haushaltsergebnis von 2019 steht die Gesamtverschuldung für Ende 2019 bei 1.112.400.000 Euro (1,112 Mrd.) und ein positiver Haushaltsabschluss für die Jahre 2020-2022 wird nicht erwartet. Im Gegenteil, es wird mit einem Defizit von ca. 180 Millionen gerechnet. Ursache sei der Rückgang der Schlüsselzuweisungen aufgrund der guten Steuerlage der Landeshauptstadt (also wirken sich zu viel Gewerbesteuereinnahmen auch schlecht aus).

Erwartet wird weiterhin, dass Mehrbelastungen für die Kommunen zu erwarten sind, z.B. sind wegen „Aufwendungen im Bereich der sozialen Hilfen in ihrer Struktur und Höhe aufgrund der Änderungen durch das neue Bundesteilhabegesetz und durch das zweite und dritte Pflegestärkungsgesetz“ hohe Unsicherheiten und steigenden Kosten zu erwarten.

In Anbetracht der schlechten Haushaltsentwicklung will der Stadtkämmerer jetzt eine neue Finanzstrategie vorlegen und „die Zügel anziehen“. Aber das ist bekanntlich nicht neu, sondern bedeutet Kürzungen. Der Personalzuwachs soll auf max. 50 neue Stellen pro Jahr begrenzt werden, der hohe Krankenstand soll reduziert werden durch „Gesundheitsmangement“ und es soll alles effizienter und besser geplant werden. Die Eigenbetriebe sollen mehr Eigenwirtschaftlich werden und es soll wie überall „nachhaltig“ werden. Das größte Problem wird dabei sein, dass Herr Zierau auch an die freiwilligen Zuwendungen der Stadt ran will. Das trifft dann vor allem die Verbände und Vereine, Kultur, Freizeit und Sport und all das, wo etwas bei den Menschen in der Stadt direkt ankommt.

Aber der kommunale Kassenwart will auch Bund und Land in die Pflicht nehmen. „Was Bund und Land der Stadt aufbürden müssen sie auch bezahlen und strukturell sichern.“ soll er den KN gesagt haben. Möglicherweise hat er erkannt, wo die wirklichen Ursachen dieser Verschuldung liegen. „Der Großteil der Erträge ergibt sich aus Mitteln aus dem kommunalen Finanzausgleich (21,4%), aus den Kostenerstattungen und Kostenumlagen (19,6%) sowie aus der Gewerbesteuer (15,7%).“ Tatsächlich bekommt die Stadt aus der Einkommens- und Umsatzsteuer nur 13,1 %. Hier liegt der Hase im Pfeffer: Die Kommunen werden vom Bund geradezu ausgehungert. Der Anteil müsste mindestens auf 20 % gesteigert werden, damit die Städte und Gemeinden mit den steigenden Ausgaben klar kommen. Darüberhinaus müssten die Städte entschuldet werden, denn wer glaubt denn wirklich, dass die Stadt Kiel, ihre Bürger und Betriebe eine Milliarde Euro erwirtschaften können, um die Stadt von den Schulden zu befreien? In der nächsten Ausgabe der LinX werden wir den Haushalt etwas genauer betrachten und wollen sehen, wie sich das mit den nötigen Investitionen darstellt. (uws)

Letzter Artikel zum Kieler Stadthaushalt 2018 in der LinX Februar 2019 siehe hier: 02-2019 Kieler Stadthaushalt 2018

Kiel: November 2019 – Solidaritätsdemonstration für Rojava jeden Samstag auf dem Bahnhofsvorplatz.

Fotos: gst

Rojava verteidigen:

Das türkische Regime führt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg

Am 9. Oktober 2019 begann der völkerrechtswidrige Angriff des türkischen Regimes auf Rojava in Nordsyrien. Nach diesem Monat hat die Türkei ein Gebiet auf der Länge von 120 km und 32 km tief zwischen Ras al-Ain und Tall Abyad besetzt. Bei dem Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Putin und Erdogan in Sotschi wurde dieses Gebiet der Türkei zugeschlagen und der Rückzug der kurdischen YPG und YPJ aus einer 30 km Zone entlang der türkisch-syrischen Grenze festgelegt. Die Türkei darf 15 km tief gegen Einheiten der Syrisch Demokratischen Verteidigungskräfte (SDF) vorgehen. Die Einhaltung des russisch-türkischen Abkommens wird durch gemeinsame Patrouillen überwacht.

Die Invasion trägt den Namen „Friedensquelle“, ähnlich zynisch wie vor Jahresfrist die Operation „Olivenzweig“, als die türkische Armee mit Al-Quaida-Kämpfern Afrin besetzte. Die deutschen Leopard-Panzer in Afrin sind noch gut im Gedächtnis. Der Angriffskrieg gegen die selbstverwaltete Konföderation Nordsyrien (Rojava) wurde erst mit dem Rückzug der US-Truppen aus der Kampfzone ermöglicht. Die US-Armee zog ihre 1000 Soldaten in den Nordirak und an die Ölfelder Rojavas zurück.

Die Türkei plant die Einrichtung einer 35 Kilometer tiefen „Sicherheitszone“, einen Korridor entlang der gesamten türkisch-syrischen Grenze. Auf der Karte des Osmanischen Reichs kann gut gesehen werden, dass dies alte Gebietsansprüche der Türkei sind. Erdogan plant die Vertreibung der dort ansässigen überwiegenden kurdischen Bevölkerung und der kurdischen Selbstverteidigungskräfte von YPG und YPJ. Ein Ziel ist die Ansiedlung von syrischen Flüchtlingen aus der Türkei sowie von türkisch kontrollierten dschihadistischen Milizen mit ihren Familien. Dazu fordert er von der UN und der EU 26,5 Milliarden Dollar. Erdogan und der UN-Generalsekretär Antonio Guterres trafen sich in Istanbul. Danach erklärte die UN, die Pläne zur Ansiedlung von Millionen Flüchtlingen durch ein Expertenteam in den eroberten Gebieten Nordsyriens zu prüfen. Das UNHCR werde ein Team zusammenstellen und zusammen mit den türkischen Verantwortlichen einen Plan erstellen. (ANF, 3.11.)

Am 24. September 2019, hatte der türkische Präsident Erdogan in der Generalhauptversammlung der Vereinten Nationen seinen Plan einer ethnischen Säuberung der meist kurdischen Bevölkerung mittels eines völkerrechtswidrigen Krieges in Nordsyrien vorgestellt. Sein Hauptargument dabei war der sogenannte Kampf gegen Terror. So versucht Erdogan sich auf ein „Selbstverteidigungsrecht“ zu berufen. Im türkischen Fernsehen und auf Kundgebungen erklärte Erdogan, dass die Armee den kurdischen Milizen „die Köpfe zerquetschen werde“.

Die türkische Armee bombardiert und zerstört Infrastruktur, beschießt zivile Ziele, setzt Phosphorbomben ein. Ihrer Armee vorausgeschickt hat die türkische Militärführung dschihadistische (Freie Syrische Armee) und IS-Verbände. Diese begehen, belegt in Videos auf Social-Media-Kanälen, schwere Verbrechen gegen Zivilisten, gefangengenommene Kämpfer der YPG und YPJ (Fraueneinheiten), sie richten hin, morden und köpfen. Mittlerweile sind 300.000 Menschen auf der Flucht. Trotz zweier von Russland und der Türkei verkündeten Waffenstillstände wurde und wird weiter angegriffen.

In Deutschland und auf der ganzen Welt wird seit Wochen gegen den Angriffskrieg demonstriert. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags erklärte in seinem Gutachten „Völkerrechtliche Aspekte der türkischen Militäroperation ‚Friedensquelle‘ in Nordsyrien“: „Im Ergebnis lässt sich selbst bei großzügiger Auslegung des Selbstverteidigungsrechts eine akute Selbstverteidigungslage im Sinne des Art. 51 VN-Charta zugunsten der Türkei nicht erkennen. […] Mangels erkennbarer Rechtfertigung stellt die türkische Offensive im Ergebnis offensichtlich einen Verstoß gegen das Gewaltverbot aus Art. 2 Ziff. 4 VN-Charta dar.“ (www.bundestag.de/resource/blob/663322/fd65511209aad5c6a6eae95eb779fcba/WD-2-116-19-pdf-data.pdf)

Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Maas hatten erst noch bestätigt, dass die Türkei ein „berechtigtes Interesse“ habe. Auf Druck der Demonstrationen und einer aktuellen Stunde im Bundestag sah Maas am 21.10. sich zur Aussage in der Sendung „Berlin direkt“ gezwungen: „Wir glauben nicht, dass ein Angriff auf kurdische Einheiten oder kurdische Milizen völkerrechtlich legitimiert ist oder auch legitimierbar ist … Wenn es keine Grundlage im Völkerrecht gibt für eine solche Invasion, dann ist sie auch nicht im Einklang mit dem Völkerrecht.“ (www.ndr.de/nachrichten/Tuerkei-Offensive-Europa-muss-endlich-handeln,syrien930.html) Sein Auftritt am 24.10. in der Türkei bei einem Treffen mit dem türkischen Außenminister konterkarierte sogleich diese Aussage. Dort distanzierte er sich von dem Vorstoß Kramp-Karrenbauers, eine internationale Schutzzone unter starker Beteiligung deutscher Soldaten in Nordsyrien zu errichten.

Zuvor hatte sich Maas maßgeblich auf dem EU-Außenministertreffen in Luxemburg gegen eine noch schärfere Verurteilung des türkischen Einmarsches und ein sofortiges Waffenembargo gestemmt. Der angebliche Waffenstopp aus Deutschland soll nur neue Waffenprojekte betreffen, die die Türkei in Syrien einsetzen könnte. (Antwort auf die Anfrage der Linken im Bundestag, siehe „Süddeutsche Zeitung“, 19.10.2019) Ansonsten wird kräftig weiter geliefert: Bis zum 9. Oktober wurden Rüstungslieferungen im Wert von 28,5 Millionen Euro genehmigt. Das ist bereits jetzt mehr als doppelt so viel wie im gesamten Jahr 2018 mit 12,9 Millionen Euro. „Auch die Einzelgenehmigungen an die Türkei stiegen dieses Jahr an – waren es 2018 noch 58, haben sie sich in den ersten neuneinhalb Monaten dieses Jahres auf 182 mehr als verdreifacht.“ Nicht nur die Zahl der neuen Genehmigungen, sondern auch die momentan tatsächlich stattfindenden Lieferungen erreichen Rekordwerte: „In den ersten acht Monaten des Jahres [2019] hat die Türkei Kriegswaffen im Wert von 250,4 Millionen Euro von Deutschland erhalten. Das ist bereits jetzt der höchste Jahreswert seit 2005.“ (Tagesschau, 17.10.2019, www.imi-online.de)

Mit der russisch-türkischen Vereinbarung und dem erzwungenen Rückzug des SDF aus dem Grenzgebiet gehen Gebiete in Rojava verloren, von denen die Revolution ausgegangen war. Dazu gehört Kobane, die Stadt, in der der IS seine erste große Niederlage erlitt. Derzeit erscheinen Erdogan, Assad und Putin Erfolg zu haben. Die türkische Invasion wird sanktioniert, Assad bekommt weitere Kontrolle über verlorengeglaubte Gebiete, und Putin festigt den russischen Einfluss im Mittleren Osten. Eines seiner Ziele ist die immer weitere Abspaltung der Türkei von der Nato.

Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz Ischinger fordert die weitere Zusammenarbeit mit der Türkei: „Die Türkei ist und bleibt ein Nato-Partner und ein wichtiges Bindeglied für alle strategischen Fragen der Region. Wir müssen uns klar werden, was unser Interesse ist.“ So drängt er ähnlich wie Kramp-Karrenbauer auf die Ausdehnung einer eigenen deutschen und europäischen Politik in Mittleren Osten, was er „Verantwortung übernehmen“ nennt. (www.rnd.de/politik/ischinger-die-bundesregierung-verharrte-viel-zu-lange-in-lethargie-25PP2FJR2FEGXNNC3DOBKNWXVQ.html)

Die politische und militärische Lage in Nordsyrien ist weiterhin fragil und unübersichtlich. Es droht ebenso die Reorganisierung des IS. Die geplante Vertreibung aus und Neuansiedlung in Rojava wird die Konflikte weiter verschärfen. Eine Politik, die auf Frieden zielt und Rassismus und Nationalismus ablehnt, muss die Werte Rojavas verteidigen.

Als Konsequenz müssen die Waffenlieferungen an die Türkei komplett gestoppt und die milliardenschwere finanzielle Unterstützung des türkischen Regimes von der EU eingefroren werden. Die Kriegsverbrechen müssen vor dem Gerichtshof in Den Haag verhandelt werden. Die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in Deutschland, die Verfolgung wegen Unterstützung von YPG und YPJ muss endlich ein Ende finden.

(Quelle: VEREIN für POLITISCHE BILDUNG, LINKE KRITIK und KOMMUNIKATION, www.linkekritik.de, Politische Berichte Nr. 11/2019, Rudolf Bürgel, Karlsruhe)

Dokumentiert: Der Gesellschaftsvertrag der Demokratischen Föderation von Nordsyrien

Die Revolution von Rojava steht im krassen Kontrast zu den monistischen Staaten des Mittleren Ostens, die auf eine Identität, eine Nation und eine Sprache und eine Religion setzen und jede Abweichung diskriminieren oder gar zu vernichten versuchen. Rojava umfasst viele Ethnien, viele Identitäten, viele Religionen und Weltanschauungen und zielte von Beginn der Revolution darauf ab, durch direkte Repräsentation aller gesellschaftlichen Gruppen ein Modell von pluralistischer, radikaler Demokratie zu schaffen. Dieses Denken schlägt sich auch im Namen wieder – Rojava ist ein kurdischer Name, doch die Demokratische Föderation Nordsyrien repräsentiert nicht nur Kurdinnen und Kurden, daher reichte die ursprüngliche Bezeichnung der Region nicht aus. Die Demokratische Föderation Nordsyrien grenzt sich von Staatlichkeit und Nation scharf ab, was sich auch in der Präambel des Gesellschaftsvertrags niederschlägt.

Frauenbefreiung, Ökologie und Demokratie stehen als Grundprinzipien gleich am Anfang des Gesetzeswerkes. Insbesondere die Hervorhebung der lokalen Selbstverwaltung der Menschen in Räten und zivilgesellschaftlichen Organisationen hebt dieses Werk von anderen Verfassungen deutlich ab. Im Rahmen des Gesellschaftsvertrages haben alle Menschen in den Kantonen das Recht, über ihre eigenen Anliegen zu entscheiden: Die Macht liegt in der Region und nicht im Zentrum. Das gibt der Bevölkerung die Möglichkeit, sich selbst zu repräsentieren und über ihr Leben zu entscheiden.

Auch menschenrechtlich ist dieser Vertrag beispielhaft. So dürfen Asylsuchende nicht gegen ihren Willen abgeschoben werden, und jeder Bürger und jede Bürgerin haben das Recht auf medizinische Versorgung, Arbeit und Wohnraum. Sicher ist es ein langer Weg, bis eine Realität geschaffen ist, in der die Menschen ihre im Gesellschaftsvertrag verankerten Rechte vollkommen in Anspruch nehmen können. Dass die Menschen in Nordsyrien in dieser Situation ein solche Verabredung treffen und sich auf ein solches Dokument einigen, untermauert die immense Bedeutung ihres Projekts – Friede bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern gesellschaftliche Versöhnung, Demokratie, Ökologie, Frauenbefreiung und soziale Gerechtigkeit.

Die Demokratische Föderation Nordsyrien sieht sich ganz klar im Kontext einer zukünftigen Demokratischen Föderation Syrien – jenseits des Baath-Regimes und imperialistischer Einflussnahme der Großmächte. So sollen die Bodenschätze gerecht geteilt und eine gemeinsame Verfassung ausgearbeitet werden. Dieser Gesellschaftsvertrag stellt ein Beispiel für eine mögliches friedliches Syrien der Zukunft dar und gibt Hoffnung, dass eine demokratische Alternative zur kapitalistischen Moderne und nationalstaatlicher Barbarei in die Welt ausstrahlen kann.

Präambel des Gesellschaftsvertrags

Wir, die Völker von Rojava in Nordsyrien – Kurd*innen, Araber*innen, Assyrer*innen, Turkmen*innen, Armenier*innen, Tschetschen*innen und Tscherkess*innen, Muslime, Christen, Jesiden sowie Anhänger*innen der verschiedenen Glaubensrichtungen und kleinerer Religionsgemeinschaften – erklären, dass der Nationalstaat Kurdistan, Mesopotamien und Syrien zum Dreh- und Angelpunkt des Chaos im Nahen Osten gemacht und unseren Völkern schwere Krisen und Leiden gebracht hat.

Die tyrannische, nationalistische Regierung, die den Völkern in Syrien weiterhin Ungerechtigkeit und Unterdrückung zufügt, hat das Land in einen Zustand der Zerstörung und Verwüstung geführt, die das gesellschaftliche Gefüge auseinandergerissen haben.

Wir sind davon überzeugt, dass ein demokratisches föderales System die beste Lösung für die Beendigung des Chaos und für die Bewältigung der historischen, sozialen und nationalen Probleme in Syrien darstellt.

Die Demokratische Föderation Nordsyrien beruht auf einem geografischen Konzept sowie administrativer und politischer Dezentralisierung. Sie ist Teil der Vereinigten Demokratischen Föderation Syriens.

Die Demokratische Föderation Nordsyrien übernimmt ein konsens-basiertes Regierungssystem, in dem alle Individuen und Gruppen an den Diskussionen und Entscheidungsprozessen gleichberechtigt beteiligt sind. Auf Grundlage der Koexistenz und Geschwisterlichkeit werden in der Föderation alle ethnischen und religiösen Gruppen mit all ihren Charakteristiken respektiert. In der Föderation besitzen alle Menschen gleiche Rechte und Pflichten. Die Föderation respektiert alle Menschenrechtsverträge und ist bestrebt, den inneren und internationalen Frieden zu fördern.

Im Rahmen des konsensbasierten, demokratischen, föderalen Systems bilden alle Bevölkerungsteile, insbesondere Frauen und Jugendliche, ihre demokratischen Organisationen und Institutionen. Alle politischen, sozialen und kulturellen Aktivitäten sollen frei ausgeübt werden können und jeder Mensch soll ein erfülltes, freies und gleichberechtigtes Leben führen können.

Mit diesem Vertrag stellt die Demokratische Föderation Nordsyrien ihr Regierungssystem auf die Grundlage der moralischen und materiellen Werte der demokratischen Zivilisation des Nahen Osten. Dieser Vertrag wurde mit dem freien Willen aller Bevölkerungsteile Nordsyriens und gemäß den Prinzipien einer demokratischen Nation beschlossen.

www.civaka-azad.org/der-gesellschaftsvertrag-der-demokratischen-foederation-von-nordsyrien/

Dokumentiert:

Stellungnahmen der kurdischen Kräfte „Methoden der syrischen Regierung sind nicht lösungsorientiert“

31.10.2019. Die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien hat sich in einer schriftlichen Stellungnahme zu dem zwischen den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) und der syrischen Armee geschlossenen Abkommen geäußert:

„Das über die Vermittlung Russlands geschlossene Abkommen zwischen der Generalkommandantur der QSD und der syrischen Armee beinhaltet die Grenzsicherheit und den Schutz der territorialen Gesamtheit Syriens vor den Besatzungsangriffen der Türkei. Die Generalkommandantur der QSD und die Autonomieverwaltung haben bereits zuvor erklärt, dass das Ziel dieses Abkommens die Sicherheit der Grenzlinie und die Souveränität Syriens ist. Ein Abkommen zu den Einrichtungen und der Arbeit der Autonomieverwaltung ist nicht getroffen worden. Alle Einrichtungen und Mitarbeiter*innen der Autonomieverwaltung setzen ihre Arbeit fort und erfüllen ihre Mission in allen Bereichen. Die Autonomieverwaltung hat mehrmals zum Dialog aufgerufen und hält diesen Aufruf weiter aufrecht. Die Generalkommandantur der QSD und die Autonomieverwaltung haben einen großen Schritt für eine wirkliche und dauerhafte Lösung der Syrien-Krise gesetzt.

Die Ministerien für Verteidigung, Inneres und Bildung der Regierung in Damaskus haben in diesem Zusammenhang Aufrufe an Einzelpersonen innerhalb der Autonomieverwaltung gerichtet. Diese Methode dient jedoch nicht einer politischen Lösung, sondern vertieft die Krise weiter. Wenn die Regierung in Damaskus eine Lösung der Syrien-Krise ernsthaft verfolgt, muss sie es den Einrichtungen der Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien in offener Form kundtun.

Die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien hat im Krieg gegen den IS über 11.000 Gefallene zu verzeichnen. Über 24.000 Menschen wurden verletzt. Täglich gibt es Dutzende weitere Opfer. Fast die Hälfte Syriens ist von Terrororganisationen befreit worden. Wir versorgen die Menschen, die von den Angriffen Erdoğans auf Syrien betroffen sind.

Die Autonomieverwaltung hat sich immer für die Einheit Syriens und die Geschwisterlichkeit der Völker in der Region eingesetzt. Unsere Waffen haben sich gegen den Terror gerichtet. Wir haben den Menschen in Syrien die Hand gereicht. Um die Errungenschaften der Bevölkerung zu schützen, haben wir einen hohen Preis gezahlt und unser Kampf geht weiter.

Die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien ist zu Gesprächen mit allen Parteien bereit, die sich für eine politische Lösung einsetzen und für die Völker kämpfen. Wir werden mit aller Kraft weiterarbeiten für ein vielfältiges und demokratisches Syrien, in dem Rechte und Freiheiten respektiert werden.“

https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/methoden-der-syrischen-regierung-sind-nicht-loesungsorientiert-15076

Die Pläne der verschiedenen Kräfte in Syrien

Seyit Evran, Freitag, 1 Nov 2019. Das Verhalten Russlands und der USA zum Angriff auf Rojava, das sich im Abzug der USA und verschiedenen sogenannten Waffenstillstandsvereinbarungen widerspiegelt, zeigt deutlich, dass dahinter ein planvolles Vorgehen steckt. Wenn es kein Abkommen zwischen den USA und Russland über die Invasion der Türkei in Nordsyrien sowohl zwischen diesen Kräften als auch mit der Türkei gegeben hätte, dann hätten diese ein Abkommen und einen Waffenstillstand zwischen der Demokratischen Selbstverwaltung und der Türkei vermittelt. Aber stattdessen haben sie eine Kraft, die seit acht Jahren Widerstand leistet, die im Kampf gegen barbarische Kräfte wie dem IS 11.000 Gefallene hatte, so behandelt, als existiere sie nicht. Sie haben ein Prozess eingeleitet, in dem es um nichts weiter als um die Legitimierung der Besatzung geht. Dazu gehört, dass keine dieser Parteien auch nur das geringste Interesse am Waffenstillstand gezeigt hat. Denn der Angriff hat nicht einmal für einen Moment nach dem angeblichen Beginn der Waffenruhe aufgehört. Normalerweise gibt es Beobachter für so einen Waffenstillstand. Aber weder haben der türkische Staat und seine furchtbaren Milizen ihren Angriff eingestellt noch wurde eine Delegation gebildet, um die sogenannte Feuerpause zu beobachten. Die USA und Russland haben sich selbst an die Stelle der autonomen Selbstverwaltung gesetzt und ein ihren und den Interessen der Türkei entsprechendes, die Erdoğan-Invasion legitimierendes Abkommen geschlossen.

Beide Kräfte haben ihre politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Interessen, aus denen heraus sie die Invasion unterstützen. So hat die Revolution von Rojava und Nordostsyrien das System und den Status quo beider Kräfte wie auch in der Türkei erschüttert. Deshalb gab es für sie kein besseres Mittel als Erdoğan, der seine Existenz auf Kurdenfeindschaft aufbaut, um dieses System zu beseitigen. Anstelle des Modells in Nord- und Ostsyrien ein System wie in Südkurdistan einzurichten, ist im Interesse beider Mächte. Deswegen hatten die USA bei ihrem Abkommen mit der Türkei Angriffe auf Kobanê ausgenommen. Deshalb hat Russland in seinem Abkommen mit der Türkei Angriffe auf Qamişlo ausgenommen. Es geht dabei darum, zwei Zentren wie die südkurdischen Metropolen Silêmanî und Hewlêr zu schaffen. Die Kurden sollten in diesen beiden Städten weiter existieren dürfen, während sie aus ganz Nord- und Ostsyrien ansonsten vertrieben oder vernichtet werden sollten. Das wird aber erst nach den völkermörderischen Angriffen Erdoğans erlaubt. So wie in Südkurdistan, als die Autonomieregion erlaubt wurde, nachdem Saddam seinen Genozid mit chemischen Waffen vollzogen hatte. (https://anfdeutsch.com/hintergrund/analyse-die-plaene-der-verschiedenen-kraefte-in-syrien-15082)

„Verfassungskomitee ohne Selbstverwaltung nicht bindend“

30.10.2019. Am Mittwoch sind in Genf erstmals die Mitglieder des vom UN-Sonderbeauftragten für Syrien Geir Pedersen ins Leben gerufenen Komitees zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung für Syrien zusammengekommen. Pedersen sprach bei der Eröffnung von einem „historischen Moment“ und einem „neuen Kapitel für Syrien“. Auf Drängen der Türkei saß eine Partei nicht am Tisch: Die autonome Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens. Diese hat anlässlich des Welt-Kobanê-Tags am 1. November eine Stellungnahme abgegeben, in der die Autonomiebehörde auch darauf hinweist, kein Ergebnis der Genfer Zusammenkunft zu akzeptieren, solange die Selbstverwaltung aus den Gesprächen ausgeschlossen bleibt.

In der Erklärung spricht die nordostsyrische Autonomieverwaltung zunächst den 30 Ländern, die den Widerstand von Kobanê unterstützten, ihren Dank aus. „Der Welt-Kobanê-Tag war ein Tag der Solidarität mit dem historischen Widerstand in der Stadt Kobanê, in der der IS besiegt wurde. Dieser Sieg trug maßgeblich dazu bei, dass der Terror auch in den anderen Regionen Syriens beseitigt werden konnte.“ Die Selbstverwaltung weist zudem auf die Unterstützung der türkischen Regierung für die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) hin: „So wie heute unterstützte die faschistische Regierung unter Erdogan auch im Widerstand von Kobanê den IS und spielte eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung der Miliz in Syrien, Irak und dem Rest der Welt. Tausende Menschen, darunter Frauen und Kinder, wurden vom IS brutal massakriert und auf Sklavenmärkten verkauft. Zahlreiche kurdische Kämpferinnen und Kämpfer opferten ihr Leben, um die Menschheit angesichts dieses Terrors zu verteidigen.“

Nun stehe das kurdische Volk erneut einem Massaker gegenüber, da die Sicherheit, Demokratie und das friedliche Zusammenleben der verschiedenen ethnischen und religiösen Gemeinschaften in Nord- und Ostsyrien wieder im Visier des türkischen Staates sind, erklärt die Selbstverwaltung.

„Die Demokratischen Kräfte Syriens und ihre Komponenten YPG und YPJ haben im Kampf gegen den Terrorismus mehr als 11.000 Kämpferinnen und Kämpfer verloren. Über 20.000 ihrer Angehörigen wurden verletzt. Die Welt ist den Kurden und anderen Gemeinschaften in den selbstverwalteten Gebieten Nord- und Ostsyriens, die im Namen der ganzen Welt für Frieden und Sicherheit gekämpft und all dieses große Opfer gebracht haben, etwas schuldig. Die internationale Gemeinschaft sollte ihrer moralischen Verpflichtung nachkommen, die Kurden und die anderen Gemeinschaften vor den Massakern und ethnischen Säuberungen zu schützen, die die türkische Armee und ihre dschihadistischen Verbündeten in der Selbstverwaltungszone verüben“, fordert die Autonomieverwaltung.

Zu den Genfer Gesprächen heißt es in dem Statement: „Der UN-Sonderbeauftragten für Syrien Geir Pedersen sagte, dass die Syrienkrise durch das Verfassungskomitee und die Genfer Konferenz gelöst wird. In diesem Zusammenhang möchten wir Herrn Pedersen nach den Kriterien fragen, die bei der Auswahl der Teilnehmer des Komitees und bei den Genfer Gesprächen angewandt wurden. Ist es fair, die Kurden auszuschließen, die gegen den Terrorismus gekämpft und große Opfer gebracht haben, und alle radikalen, von der Türkei unterstützten Gruppen einzuladen, die mit der Al-Nusra-Front, Ahrar al-Sham und anderen extremistischen Gruppen verbunden sind?

Der Ausschluss der Selbstverwaltung aus dem Verfassungskomitee für Syrien bedeutet nichts anderes, als den Willen von fünf Millionen Menschen zu missachten. Wir fordern Herrn Pedersen auf, die Vertreter Nord- und Ostsyriens miteinzubeziehen, da das kurdische Volk keine Ergebnisse akzeptieren oder sich zu diesen verpflichten wird, solange es aus dem Komitee ausgeschlossen bleibt. Solange die Repräsentanten der Selbstverwaltung in diesen Prozess nicht miteinbezogen werden, wird sich der Konflikt weiter verschärfen.“

https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/verfassungskomitee-ohne-selbstverwaltung-nicht-bindend-15047

Manöver Defender 2020:

Vernetzungsaufruf

In einem knappen halben Jahr werden 20.000 US-Soldaten und große Mengen an Militärmaterial quer durch Deutschland gen Osten ziehen. Im Rahmen der Übung „Defender 2020“ proben die USA und ihre europäischen Verbündeten die transatlantische Mobilmachung gegen Russland. Es ist die größte Übung in der Region seit 25 Jahren. Sie ist dabei der neueste Höhepunkt der Kriegstreiberei vom NATO-Block in Europa. Die Europa-Politik der NATO seit den 90er Jahren war nichts als eine kontinuierliche Eskalation. Die NATO hat die sicherheitspolitische Situation in Europa nachhaltig verschlechtert. Im Laufe der letzten Jahre hat das Kriegsbündnis dementsprechend begonnen, die militärische Infrastruktur für einen Krieg mit der Atommacht Russland aufzubauen. Das Fundament ist inzwischen gelegt. Das belegt nicht zuletzt Defender 2020. Denn noch vor ein paar Jahren wäre solch ein gigantisches Manöver in Europa wohl nicht möglich gewesen. Die Militarisierung Europas trägt also schon jetzt erste bittere Früchte. Und der Prozess ist längst nicht abgeschlossen. 

Deutschland beteiligt sich tatkräftig an dieser Kriegstreiberei. Vor allem in der Ostseeregion baut die BRD militärische Strukturen auf: so ist sie verantwortlich für eins der vier NATO-Bataillone, die 2017 im Rahmen der Enhanced Forward Presence im Baltikum und in Polen stationiert wurden. Sie beteiligt sich regelmäßig an Manövern in der Ostsee und trägt damit maßgeblich dazu bei, die militärische Präsenz der NATO in der Region zu erhöhen. Sie baut in Rostock ein NATO-Marinekommando auf, das die zentrale Schaltstelle für einen Seekrieg gegen Russland werden soll. Sie unterstützt regelmäßig die US-Army auf ihren Märschen durch Deutschland zur russischen Grenze. Deutschland will logistische „Drehscheibe“ und „potenzielles rückwärtiges Einsatzgebiet“ für einen Krieg mit Russland werden[1]. 

Aber nicht nur das: Nach gegenwärtigen Planungen soll 2023 eine erste schwere Brigade (ca. 5.000 Soldaten) in die NATO eingebracht werden, 2027 dann die erste Division (10.000 bis 20.000 Soldaten) und 2031 will die Bundeswehr dann drei Divisionen zur Verfügung stellen[2]. Die Bundesregierung nutzt die Eskalation der Lage gezielt, um die eigenen militärischen Kapazitäten auszubauen und die Militarisierung der EU unter deutscher Führung voranzutreiben. Alles, um sich im internationalen Konkurrenzkampf nach vorne zu drängen. 

Konkret bedeutet Defender 2020, dass von April bis Mai 2020 für alle wahrnehmbar Panzer durchs Land rollen werden. Mehrere Zwischenstopps in deutschen Kasernen sind öffentlich angekündigt[3]. Dank dem Deal zwischen Bundeswehr und Bahn werden Züge voller Waffen und Panzer über die Schienen rollen, während wir auf dem Abstellgleis warten müssen. Wir werden im Stau stehen, während vor uns militärische Konvoys die Autobahnen verstopfen. 

Die Politiker und Militärs machen sich jetzt schon Sorgen, in der Bevölkerung damit auf Ablehnung und Unverständnis zu stoßen. Zurecht! Lasst uns unser Bestes tun, genau diesen Unmut zu schüren! Von April bis Mai werden ihre Kriegsvorbereitungen nicht mehr zu übersehen sein. Sie werden nicht mehr zu leugnen sein. Lasst uns diese Situation nutzen, um die noch viel zu häufig übersehene oder unterschätzte Militarisierung der Ostseeregion stärker ins Bewusstsein zu rücken. Lasst uns Anlaufstelle sein, für Menschen, die gegen die Kriegstreiberei der NATO und der BRD auf die Straße gehen wollen. 

Stoppt den neuen Kalten Krieg! 

Es ist höchste Zeit, dass wir wieder Strukturen aufbauen, in denen wir als Friedensbewegung bundesweit vernetzt handeln können. Für alle die sich einklinken wollen, entsteht gerade in einem ersten Schritt ein überregionaler Informations- und Vernetzungsverteiler. Bei Interesse meldet euch bei gegendenneuenkaltenkrieg@riseup.net 

Anmerkungen 

[1] Vgl. Konzeption der Bundeswehr, 20. Juli 2018. 

[2] vgl. Wagner, Jürgen: Bundeswehr: Per Fähigkeitsprofil in den Neuen Kalten Krieg, in: AUSDRUCK (Oktober 2018). 

[3] Für genauere Informationen über die betroffenen Standorte vgl. Haydt, Claudia: Defender 2020. Europäisches Mega-Militärmanöver mit starker deutscher Beteiligung, IMI-Standpunkt 2019/046,  abrufbar über imi-online.de 

 

Quelle: http://www.imi-online.de/2019/11/04/manoever-defender-2020-vernetzungsaufruf/ 

(Merle Weber, 4. November 2019)

Defender 2020:

Europäisches Mega-Militärmanöver mit starker deutscher Beteiligung

Die Streitkräfte der USA beabsichtigen mit Beteiligung anderer NATO-Staaten und der Bundeswehr im Frühjahr 2020 die Durchführung eines militärischen Großmanövers mit der Bezeichnung „DEFENDER 2020“ (DEF 20). Dieses Militärmanöver wird in wesentlichen Teilen auch aus Deutschland unterstützt. DEF20 ist ein militärisches Großmanöver unter Beteiligung vieler europäischer Staaten, das es in der dieser Größenordnung seit 25 Jahren nicht mehr gegeben hat. Mit DEF 20 soll unter Beweis gestellt werden, dass es möglich ist,- in kurzer Zeit große Mengen an Panzern und Soldaten quer durch Europa an die russische Grenze zu transportieren.

Deutschland als ‚Drehscheibe und Transitland‘

Schon allein geographisch kommt Deutschland für die US-Militärpläne eine große Bedeutung zu, doch die Bundesregierung versteht sich spätestens seit der Veröffentlichung der jüngsten Konzeption der Bundeswehr (April 2018, S. 61) ganz bewusst „als mögliche Basis für Operationen, rückwärtiges Einsatzgebiet und Drehscheibe der Unterstützung.“ Dieser Anspruch soll nun im Rahmen von DEF 2020 unter Beweis gestellt werden. Im Zusammenhang mit dem Manöver soll von Januar bis Mai 2020 eingeübt werden wie eine Division, also ein militärischer Großverband, quer durch Europa ins Baltikum und nach Polen verbracht werden kann. 

Die Architekten des Manövers vergleichen es mit dem D-Day und damit mit dem Kampf gegen Hitlerdeutschland (Lt.Col. Fraser, Sgt.Maj. Abernethy, Strong Europe: A continental style combat sustainment laboratory, 1.4.2019). Einmal abgesehen davon, was so ein Vergleich über das Verhältnis von USA und Russland sagt, wird klar, dass hier großangelegte militärische Auseinandersetzungen vorbereitet werden.

Die Verlegung der Truppen durch Deutschland und damit auch die Einbeziehung von Bundeswehrstandorten wird schwerpunktmäßig von April bis Mai 2020 stattfinden. Zu den involvierten Standorten in Deutschland gehören drei „Convoy Support“ Zentren, in Garlstedt (Landkreis Oberholz in Niedersachsen), Burg (bei Magdeburg in Sachsen-Anhalt) und das Support Zentrum im Truppenübungsplatz Oberlausitz. Welche Ausmaße DEF 20 hat, zeigt sich daran, dass beim Truppenübungsplatz Bergen (Lüneburger Heide, Niedersachsen) eigens für dieses Megamanöver eine Tankanlage aufgebaut wird. In Grafenwöhr (Oberpfalz, Bayern) sollen Gefechtsstandsübungen stattfinden.

Es geht neben der Transportlogistik auch explizit um Kämpfe und Kampfvorbereitung, wie aus der Aufgabenbeschreibung für die Bundeswehr und besonders das deutsche Heer hervorgeht, die den Obleuten im Verteidigungsausschuss am 1.10.2019 zuging. „Kampf, Kampfunterstützung und Führung – in Deutschland, Polen und Litauen“, werden dort explizit als Schwerpunktbereiche für die Beteiligung der Bundeswehr benannt. Deswegen ist es auch  wenig überraschend, dass die von deutschen Soldaten geführte enhanced Forward Presence (eFP) Battlegroup in Litauen integraler Bestandteil dieser Mobilmachung ist.

Das Ulmer JSEC Kommando (Joint Support and Enabling Command) wird durch die Übung Combined Defender in das Großmanöver einbezogen. Es ist davon auszugehen, dass das JSEC hier übt, was zukünftig seine zentrale Rolle in der NATO sein soll, die Koordinierung der transatlantischen Mobilmachung gegen Russland. Daneben wird voraussichtlich das Europa-Kommando der US-Streitkräfte (EUCOM) in Stuttgart-Vaihingen wesentliche Aufgaben übernehmen. 

Manöver ist ein Angriff auf Frieden und Umwelt

Wegen der Größe von DEF 20 werden umfangreiche Abstimmungen zwischen Bundesregierung und Landesregierungen nötig sein und auch massive Auswirkungen auf Straßen- und Schienenverkehr sind zu erwarten. Um allzu großen Unmut in der Bevölkerung zu verhindern, verspricht die Bundesregierung, dass es während der Osterfeiertage nicht zu Truppenbewegungen kommen soll. Selbst wenn diese kurze Pause eingehalten werden sollte,  wird allein die Ökobilanz dieser Großtransporte quer durch Europa verheerend sein. 

Die Bundesregierung begrüßt dennoch das Manöver DEF 20 und unterstreicht „die Wertschätzung der USA für multinationale Zusammenarbeit“ und das „deutliche Bekenntnis“ der USA zur „Sicherheit Europas“. Ob solches Säbelrasseln wirklich mehr Sicherheit bringt, darf bezweifelt werden – es ist im Gegenteil zu befürchten, dass durch solche Manöver die Kriegsgefahr in Europa wächst. Deswegen ist es notwendig – und wegen der größeren Vorlaufzeit auch möglich – sowohl dezentrale auch bundesweite Aktion der Friedensbewegung und hoffentlich zahlreicher Bündnispartner vorzubereiten.

(Quelle: IMI-online, Claudia Haydt, 2. Oktober 2019)

 

Offizielle Infografik zum Truppenaufmarsch von NATO und USA

Im April und Mai 2020 sollen beim Großmanöver Defender 2020 20.000 US-Soldaten von den USA u.a. über Deutschland bis an die Grenze zu Russland verlegt werden (siehe nebenstehenden IMI-Standpunkt 2019/046). Eine neue Infografik des USEUCOM zeigt die diversen hier aktuell geplanten Routen. Wer Interesse an kontinuierlichen Infos zu Defender 2020 hat, kann sich per Mail an gegendenneuenkaltenkrieg@riseup.net in einem Verteiler anmelden. 

Am 10.11.2019 auf dem Friedhof Eichhof in Kiel: 

Aktion des Kieler Friedensforums zum Gedenken an die Opfer der Novemberrevolution 1918 in Kiel.

Foto: gst

The Germans to the front: 

Deutsche Kanonenbootpolitik

Die deutsche Verteidigungsministerin fordert die Entsendung deutscher Soldaten nach Ost- und Südostasien zu einer Machtdemonstration gegen die Volksrepublik China. „Unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum“ fühlten sich von Beijing „zunehmend bedrängt“, behauptete Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer gestrigen Grundsatzrede an der Münchener Bundeswehr-Universität; es sei daher „an der Zeit“, „mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region“ zu zeigen. Die USA, Großbritannien und Frankreich demonstrieren seit geraumer Zeit im Südchinesischen Meer per Kanonenbootpolitik ihre militärische Macht. Darüber hinaus sprach sich die Ministerin generell für eine Ausweitung der deutschen Militäreinsätze aus; außerdem müssten ein Nationaler Sicherheitsrat geschaffen sowie der Wehrhaushalt deutlich aufgestockt werden. Laut Kramp-Karrenbauer wird die Bundesregierung die deutsche EU-Ratpräsidentschaft in den Dienst der Militarisierung stellen und ein „E3-Format“ etablieren, das es ermöglicht, eine deutsch-französisch-britische Führung über die EU-Militärpolitik zu etablieren.

„Das militärische Spektrum ausschöpfen“

Eine Ausweitung der deutschen Militäreinsätze hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am gestrigen Donnerstag in einer Grundsatzrede an der Münchener Universität der Bundeswehr gefordert. Ein „Land unserer Größe und unserer wirtschaftlichen und technologischen Kraft, ... unserer geostrategischen Lage und mit unseren globalen Interessen“ könne „nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen“, erklärte Kramp-Karrenbauer in Anklang an mehrere Reden, die der damalige Bundespräsident Joachim Gauck, der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor rund sechs Jahren gehalten hatten.[1] Deutschland dürfe „nicht einfach nur abwarten“; es müsse „selbst Vorschläge machen, Ideen entwickeln, Optionen vorstellen“. Es gehe darum, die „Rolle der Gestaltungsmacht“ anzunehmen. Wie bereits Gauck am 3. Oktober 2013 behauptete Kramp-Karrenbauer, im Ausland werde um deutsche Militäroperationen gebeten; „überall werde ich gefragt: ‚Könnt ihr Deutschen bitte noch mehr tun?‘“ Die Bundesrepublik müsse nun die „Initiative ergreifen“ - und dazu gehöre letztlich „auch die Bereitschaft, ... das Spektrum militärischer Mittel wenn nötig auszuschöpfen“. Andernfalls „verzwergen wir uns selbst“.[2]

„In unserem eigenen Interesse“

Konkret kündigt die Verteidigungsministerin zum einen Maßnahmen in der Bundesrepublik an. So soll der Bundessicherheitsrat, der unter anderem Rüstungsexporte genehmigt, in einen „Nationalen Sicherheitsrat“ transformiert werden; dieser müsse in Zukunft die „Entwicklung strategischer Leitlinien“ für die deutsche Außen- und Militärpolitik übernehmen, hatte Kramp-Karrenbauer bereits im März dieses Jahres verlangt. Die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats wird in den deutschen Eliten bereits seit dem Jahr 2006 immer wieder gefordert (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Die Verteidigungsministerin sprach sich zudem für eine „Vereinfachung und Beschleunigung“ des parlamentarischen Verfahrens zur Entsendung der Bundeswehr in Auslandseinsätze aus. Schließlich soll auch das Militärbudget massiv aufgestockt werden. Vor wenigen Wochen war bekannt geworden, dass Berlin für das kommende Jahr erstmals Militärausgaben von mehr als 50 Milliarden Euro an die NATO melden wird; in den NATO-relevanten Zahlen sind auch Kosten enthalten - zum Beispiel Ausgaben für Auslandseinsätze -, die die Bundesregierung in anderen Etatposten, etwa im Haushalt des Auswärtigen Amts, versteckt.[4] Wie die Ministerin gestern bekräftigte, sollen die deutschen Wehrausgaben im Jahr 2024 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen, „spätestens 2031“ dann zwei Prozent des BIP. Beim BIP des vergangenen Jahres wären dies 66,8 Milliarden Euro gewesen; bis 2031 wird die deutsche Wirtschaftsleistung aber wohl noch klar ansteigen. Die massive Aufstockung liege, erklärte Kramp-Karrenbauer, „in unserem eigenen Sicherheitsinteresse“.

Das „E3-Format“

Zum anderen plant die Verteidigungsministerin Maßnahmen, die die EU betreffen. So werde es ein Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 sein, „die europäische Zusammenarbeit in der Verteidigung [zu] verstärken“. Dabei werde man „der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU einen Strategischen Kompass geben“: einen Kompass „für eine selbstbewusste Europäische Verteidigungsunion“. Laut aktuellen Plänen soll Brüssel in seinem nächsten Etat allein 13 Milliarden Euro für den EU-Rüstungsfonds zur Verfügung stellen; unter dem Orwell‘schen Schlagwort „Europäische Friedensfazilität“ sollen 10,5 Milliarden Euro für Militäreinsätze eingeplant werden, während 6,5 Milliarden Euro für die Verbesserung der „militärischen Mobilität“ vorgesehen sind.[5] Bemerkenswert ist darüber hinaus Kramp-Karrenbauers Plan, ein „E3-Format“ zu „verstetigen“. Mit „E3“ sind die drei Mächte Westeuropas gemeint, die in den Verhandlungen um das Atomabkommen mit Teheran kooperieren (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) und sich dabei in gewissem Umfang auch gegen die Vereinigten Staaten positionieren. Das „E3-Format“ ermöglichte es, Großbritannien auch nach seinem Austritt aus der EU in deren Außen- und Militärpolitik einzubinden und die „E3“ als eine Art informelles Führungsgremium für die EU-Außen- und Militärpolitik zu etablieren. „Auf der Ebene der Verteidigungsminister“ wird laut Kramp-Karrenbauer „dieses Format fest etabliert werden ..., mit einem weiteren Treffen noch dieses Jahr“.

Kanonenbootpolitik gegen China

Schließlich hat Kramp-Karrenbauer gestern die Entsendung deutscher Soldaten nach Ost- und Südostasien gefordert. Wie die Ministerin behauptete, fühlten sich „unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum - allen voran Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien - ... von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt“. Sie wünschten sich „ein klares Zeichen der Solidarität“. Es sei nun „an der Zeit, dass Deutschland ... ein solches Zeichen setzt“; dazu solle man „mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen“. Forderungen, die Bundeswehr müsse im Umfeld Chinas operieren, wurden bereits Mitte dieses Jahres öffentlich erhoben. Damals hieß es in einem Pressebericht, im Verteidigungsministerium werde diskutiert, an der Kanonenbootpolitik der USA, Großbritanniens und Frankreichs im Südchinesischen Meer teilzunehmen und auch ein deutsches Kriegsschiff dorthin zu entsenden. „Die Einleitung einer Marineoperation vor der Küste Taiwans“ etwa könne als „ein geradezu bahnbrechender, bisher ungesehener Akt des Heldenmuts“ eingestuft werden, hieß es in einer Zeitung aus dem „Springer“-Verlag.[6] Seitdem hat die Bundesregierung die deutsche Militärkooperation mit Australien [7] und mit Indien [8] intensiviert.

Zwei weltkriegsfähige Konflikte

Mit Marineoperationen in Ost- und Südostasien würde Deutschland zur militärischen Partei in einem zweiten weltkriegsfähigen Konflikt. Bereits jetzt ist die Bundesrepublik führend an NATO-Maßnahmen beteiligt, die westliche Truppen in größtmöglicher Nähe zur russischen Westgrenze stationieren und zusätzlich zur partiellen Einkreisung Russlands schnellstmöglich einsatzfähige Kampftruppen („NATO-Speerspitze“) trainieren (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Zum neuen Kalten Krieg gegen Moskau droht nun ein weiterer Kalter Krieg hinzuzukommen - gegen Beijing. Washington, in gewissem Maß aber auch Paris und London sind in der Asien-Pazifik-Region mit Stützpunkten und Patrouillenfahrten längst präsent; die Vereinigten Staaten haben vor geraumer Zeit in Aussicht gestellt, rings um China ihre Mittelstreckenraketen aufzustellen.[10] Damit wäre der gegenwärtige militärische Rahmen für eine asiatisch-pazifische Präsenz der Bundeswehr abgesteckt.

 

Bitte beachten sie auch unsere Video-Kolumne: 

Krieg gegen China. https://www.youtube.com/watch?v=5V68uj2sXPU&list=PLTJHO_DZA590ij9FhcNCCwB9wXvVHkd1h&index=3

 

[1] S. dazu Schlafende Dämonen und Der Weltordnungsrahmen.

[2] Zitate hier und im Folgenden: Rede der Ministerin an der Universität der Bundeswehr München. bmvg.de 07.11.2019.

[3] S. dazu Führung aus einer Hand (II).

[4] Deutsche Verteidigungsausgaben sollen auf 50 Milliarden Euro steigen. faz.net 16.10.2019.

[5] S. dazu Sparen für Deutschland.

[6] John Vinocur: Das wäre das Ende der deutschen Zurückhaltung. welt.de 11.06.2019. S. dazu Angriff auf die Ein-China-Politik (I).

[7] S. dazu Der transpazifische Kalte Krieg.

[8] S. dazu Chinas Gegenspieler.

[9] S. dazu Im Aufmarschgebiet, Noch näher an den Konflikten und Führungsansprüche an der „Nassen Flanke“.

[10] S. dazu „Ein Alptraumszenario für China“ und Abschied vom INF-Vertrag (III).

 

(Quelle: „Informationen zur Deutschen Außenpolitik“ (german-foreign-policy.com), 08.11.2019 MÜNCHEN/BERLIN)

 

Leben und Gesundheit sind weniger wert als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ?

Mit der Verabschiedung des Wasserrrechts-Modernisierungsgeseztes am 13.11.2019 hat das Volksbegehren die Zuständigkeit unserer Kreise für den Schutz des Wassers bei Bohrungen (bisher: niedersächsisches Bergamt), einen sofortigen Bohrstopp bei unerwartetem Wasserfund und die Haftung von Ölkonzernen für Schäden erreicht. 

Diesem großartigen Erfolg war eine jahrelange Auseinandersetzung mit dem Umweltministerium und der Jamaikakoalition vorausgegangen.

Wie beim Start des Volksbegehrens kommuniziert, geht es jetzt in die zweite Phase des Volksbegehrens. 

WIR WOLLEN TRANSPARENZ!

Es fehlt immer noch der sehr wichtige Punkt Transparenz, damit in Zukunft in Schleswig-Holstein z. B. Leben und Gesundheit der Bevölkerung einen höheren Wert erhalten, als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Obwohl seriöse Unternehmen mit dem Auskunftsrecht des Informationszugangsgesetzes keine Schwierigkeiten haben, fürchtet die FDP um den Wirtschaftsstandort, wenn Behörden auch ohne Anfrage über Gefahren und Missstände informieren dürfen.

Alle Schleswig-Holsteiner*innen können mit ihrer Unterstützung des Volksbegehrens darüber entscheiden, ob in Zukunft Leben und Gesundheit wichtiger sind als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse.

Die Unterschriften können sowohl auf Ämtern und Rathäusern abgegeben, als auch unter https://www.vi-wasser.de heruntergeladen, ausgedruckt und an die angegebene Adresse geschickt werden. Unter dieser Internetadresse gibt es auch umfassende Informationen und einen Rathausfinder https://www.rathausfinder.de/1204/search/ für Sammelstellen für Unterschriften.

TERMINE DEZEMBER 2019

Mi., 04.12., 17 Uhr im Emma-Sorgenfrei Foyer des Kieler Gewerkschaftshauses

Eröffnung der Jahresausstellung der Kieler Arbeiterfotografen.

 

Mi., 11.12., 19 Uhr, Haßstr. 22, PUMPE

Attac-Plenum, www.attac-kiel.de

 

Di., 17.12., 19 Uhr, Pumpe, Haßstr. 22, Kiel, Gruppenraum 2

Kieler Treffen des Volksbegehrens zum Schutz des Wassers, Bündnis Kielwasser

 

Sa., 21.12., 11-15 Uhr, Holstenplatz (neben Rossmann) / Weihnachtsmarkt

Aktionsstand des Volksbegehrens zum Schutz des Wassers

www.vi-wasser.de

 

Leider erreichen uns viele Terminmeldungen erst nach Redaktionsschluss.

Beachtet bitte die aktuellen Terminhinweise auf unserer Internetseite www.sozialismus-jetzt.de