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Kommentar:
Sterben für die EU?
Oder sich der Kriegsproduktion verweigern?
Nachdem der neue US-Präsident begonnen hat, die gewohnte internationale Ordnung durcheinanderzuwirbeln, scheint die große Unübersichtlichkeit perfekt. Die europäischen Verbündeten werden in unverblümter Offenheit als Subalterne behandelt, offen faschistische Kräfte in Westeuropa unterstützt und dann auch noch ein Handel mit dem russischen Präsidenten zulasten der Ukraine vorbereitet.
Die Desorientierung, die dies bei vielen auslöst, könnte kaum größer sein. Da ist zum Beispiel die Kampagnen-Organisation Campact, die unlängst in Berlin gemeinsam mit SPD, CDU, Grünen und der evangelischen Kirche »Für unser aller Freiheit und Sicherheit« demonstrierte. Ein starkes Europa müsse geschaffen und die neue Bundesregierung »Schritte hin zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik gehen«, heißt es in einem Campact-Aufruf.
Erstaunliche Worte für eine Organisation, deren Macher aus der globalisierungskritischen Bewegung der Jahrhundertwende stammen und sich einst an den Kampagnen gegen die sog. EU-Verfassung beteiligt hatten. Lang vorbei scheinen die Zeiten, in denen Campact Massendemonstrationen gegen jene Freihandelsabkommen organisierte, mit denen die EU die Länder des Südens auszuplündern pflegt.
Auf einmal scheint vergessen, dass diese selbe EU jährlich Tausende im Mittelmeer ertrinken oder an der polnischen Grenze erfrieren lässt, dass diese EU bis zu Putins Überfall auf die Ukraine die dortigen Behörden dafür bezahlte, Flüchtlinge einzusperren, damit sie nicht die EU-Grenzen erreichen, so wie sie libysche Folterbanden und sudanesische völkermordende Milizen für die Flüchtlingsabwehr ausrüstet. Vergessen scheint, wie die EU Griechenland quasi in Schuldknechtschaft gezwungen, das dortige Gesundheitssystem ruiniert und die Abschaffung von Gewerkschaftsrechten durchgesetzt hat.
Diese Art von »Freiheit und Sicherheit« sollen wir verteidigen? Gemeinsam mit Leuten, die immer wieder massive rassistische Kampagnen gegen Einwanderer und Flüchtlinge, gegen einen erheblichen Teil der Klasse der Arbeitenden organisieren? Verteidigen in einem Krieg womöglich, der, selbst wenn es nicht zu einem nuklearen Schlagabtausch käme, etliche Millionen Menschen das Leben kosten würde?
Oder ist es nicht eher Zeit, sich zu erinnern, dass »Unsere Mutter Erde und unser Vaterland … international« sind, wie es in einer Erklärung einiger VW-Arbeiter heißt, mit der sie ihre Kolleginnen und Kollegen aufrufen, sich der Kriegsproduktion zu verweigern?
Wolfgang Pomrehn