Rede von Lucy Redler bei der Auftaktveranstaltung der Sozialismustage 2016
Zwischen Reaktion und Chancen für die Linke in Deutschland
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
„Man hat uns die Frontex geschickt, man hat uns die Nato geschickt und jetzt hat man einen Flüchtlingspakt beschlossen. Aber wer vor omben flieht, wird weiter versuchen, nach Europa zu gelangen.“ Das ist der Kommentar des Bürgermeisters der griechischen Insel Lesbos wenige Stunden nach dem blutigen Deal zwischen Angela Merkel, der EU und dem türkischen Staat. In dem Versuch in der letzten Minute nach Griechenland zu gelangen, um den neuen Regelungen zu entgehen, starben am Sonntag zwei kleine Mädchen. Das ist nur ein Beispiel von Tausenden. Seit Jahresbeginn ist jeden Tag mehr als ein Kind in der Ägäis bei dem Versuch der Flucht gestorben. Am Dienstag haben sich zwei Männer in Idomeni aus Verzweiflung selbst angezündet. Ärzte ohne Grenzen hat jetzt ihre Arbeit auf Lesbos eingestellt mit folgender Erklärung: „Wir werden nicht zulassen, dass unsere Hilfe für eine Massenabschiebung instrumentalisiert wird. Wir weigern uns, Teil eines Systems zu sein, das keine Rücksicht auf die humanitären Bedürfnisse oder die Schutzbedürfnisse von Asylsuchenden und Migranten nimmt.“
Diese Regierung unter Angela Merkel hat Blut an ihren Händen. Während in der Türkei Linke und RegierungskritikerInnen eingesperrt oder ermordet werden, überweist die EU dem Kriegstreiber Erdogan sechs Milliarden Euro, damit die Flüchtlinge in die Türkei zurück geführt werden. Etwas wogegen im übrigen letztes Wochenende in Spanien Tausende auf die Straße gingen unter Motto „Stoppt die Kriege nicht die Flüchtlinge“ „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit“ – so wird nun die Türkei von Donald Tusk, Merkel und der EU als „sicherer Staat“ bezeichnet. Die Türkei ist so „sicher“ wie Afghanistan sicher und Sigmar Gabriel ein Friedensengel ist. Sigmar Gabriel, der uns gestern in der BILD-Zeitung weis machen wollte, dass das TTIP-Abkommen zu Frieden führt. Ist der jetzt etwa auch auf der Maus ausgerutscht? Das TTIP-Abkommen führt nur zu Frieden für Großkonzerne. Sigmar Gabriel, der vor zehn Tagen neue Waffenlieferungen an Saudi Arabien genehmigte – nach Saudi Arabien wo Oppositionelle geköpft und Frauen massiv unterdrückt werden, während seine Kollegin, Kriegsministerin von der Leyen, gerade mehrere Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr beantragt hat. Wer Krieg sät, wird Terror ernten!
Es sind ihre Waffen und ihre Kriege in Syrien und anderswo, die Terror in die Welt bringen! Wenn die Bundeswehr einen Tag nach den Terroranschlägen in Brüssel zynisch versucht die Angst auszunutzen und plakatiert: „Gegen Terror hilft kein dislike- Button“, können wir nur sagen: Wer Krieg sät, wird Terror ernten! Abzug aller Truppen jetzt, Stop aller Rüstungsexporte! Wer mit Drohnen unschuldige Zivilisten und selbst Krankenhäuser bombardiert, wird den Islamischen Staat nicht stoppen, sondern ihm immer neue Unterstützer zuführen. Wir sind solidarisch mit den Opfern in Syrien, in der Türkei, in Belgien, Irak, Frankreich und international. Es sind immer ihre Kriege und unsere Toten. Ich bin stolz in einer internationalen Organisation gemeinsam mit Nihat zu sein, aber auch mit vielen anderen GenossInnen in Israel-Palästina, in Tunesien und anderen Ländern der Welt, die alles daran setzen, einen Beitrag zu leisten eine multiethnische Bewegung von ArbeiterInnen und Jugendlichen in extrem schwierigen Bedingungen aufzubauen und für die Abschaffung dieses menschenverachtenden kapitalistischen Systems zu kämpfen! Das ist das einzige, was dem Terror den Boden entziehen kann.
Kapitalismus: „Horror ohne Ende“
Lenin hatte Recht, als er schrieb, dass der Kapitalismus „Horror ohne Ende“ bedeutet. Viele Menschen ertragen die täglichen Nachrichten nicht mehr. In ihrer neuen Studie für 2015 zählt das Heidelberger Institut für Konfliktforschung 19 Kriege und 43 stark gewalttägige Konflikte weltweit. Kriege, der Islamische Staat, Schicksale von Geflüchteten, globale Wirtschaftskrise die alles andere als vorbei ist angesichts der Kursstürze an chinesischen Börsen, rechter Terror wo man hinschaut und eine Partei im Höhenflug, dessen stellvertretender Vorsitzender Gauland jüngst
meinte: „Wir müssen die Grenzen dicht machen und dann die grausamen Bilder aushalten. Wir dürfen uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen.“ Ja: Die Welt ist 2015 ein instabilerer und grausamerer Ort geworden.
Potential für die Linke und die Arbeiterbewegung
Aber, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, das ist nur die eine Seite! Auf der anderen Seite mobilisiert ein alter weißhaariger Mann namens Bernie Sanders in den USA gerade Millionen mit dem Slogan „Für eine politische Revolution gegen die Milliardärsklasse“ und trifft damit die Stimmung in der Bevölkerung gegen die Wall Street und das gesamte Establishment. Bei Bernie Sanders Kundgebung in Seattle standen seine AnhängerInnen bis zu acht Stunden an, es waren über 30.000 Menschen, nicht alle passten in die Halle, heute findet deshalb eine zweite Großveranstaltung statt. Hillary Clinton und Donald Trump konnten im Vergleich dazu, nur einen Bruchteil mobilisieren. Der Hype geht so weit, dass sich Leute Tattoos mit Sanders Halbglatze-Konterfei stechen lassen und Bernie for Singles Datingplattformen besuchen, die am ersten Tag vor dem großen Ansturm zusammen brachen. Sanders bezeichnet sich als demokratischen Sozialisten und unter 18-29 jährigen gibt es heute im einstigen Nummer-1-Land des Kalten Krieges mehr Zustimmung für Sozialismus als für Kapitalismus.
Gleichzeitig wird ein anderer linker Underdog in Großbritannien – Jeremy Corbyn – völlig überraschend Vorsitzender der Labour Partei und steht im Zentrum eines Bürgerkriegs in seiner Partei, weil er gegen Syrieneinsatz ist und Kürzungen ablehnt.
In Frankreich, dem Land in dem der Front national gerade bei einer Wahl nach der anderen abräumt und Terroranschläge Menschen eingeschüchtert haben, haben am 9. März eine halbe Million Menschen gegen die neuen Arbeitsgesetze protestiert. Im ganzen Land haben Schülerinnen und Schüler etwa 100 Schulen blockiert.
Dass die griechische Arbeiterbewegung nun trotz des Ausverkaufs von Syriza erneut kämpft; dass die griechische Tragödie nicht die Wirkung hatte, die Linke in Spanien und Portugal bei Wahlen massiv zu schwächen sondern diese punkten konnten – all das sollte uns Hoffnung geben.
All das zeigt: Die Welt ist auch für die Kapitalisten und ihre Regierungen ein instabilerer und gefährlicherer Ort geworden und das sollte uns Mut machen!
Während wir in vielen Ländern Erfolge für Rechtspopulisten sehen, gibt es gleichzeitig wichtige Chancen für die Linke und die Arbeiterbewegung. Die Legitimation von bürgerlichen Regierungen und des kapitalistischen Systems sinkt. Und das wird angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise deren Folgen wir gerade in China und Schwellenstaaten erneut sehen weiter zunehmen und auch vor Deutschland nicht Halt machen und die soziale Frage auch hier verstärkt zurück auf die Tagesordnung bringen.
Und in Deutschland?
Auch in Deutschland gibt es – wenn wir genau hinsehen – beide Elemente: Auf der einen Seite rechter Terror, Rassismus, Pegida, die AfD bei 13 Prozent in bundesweiten Umfragen und der heuchlerische Versuch von AntifeministInnen sexualisierte Gewalt für Rassismus zu instrumentalisieren. Auf der anderen Seite in 2015 große antirassistische Mobilisierungen, eine Demo gegen TTIP mit einer Viertelmillion und die meisten Streiktage seit Anfang der 90er Jahre. Außerdem eine ausgeprägte Hilfsbereitschaft gegenüber Geflüchteten. Erinnert euch daran,
dass Tausende an Bahnhöfen spontan Flüchtlinge willkommen geheißen haben und Essen und Kleidung verteilt haben. Das widerlegt auch das Mantra, dass der Mensch von Natur aus gierig und egoistisch und zu schlecht für den Sozialismus sei. Interessant ist auch, dass – trotz des AfD-Erfolgs – weiterhin 93 Prozent in Umfrage sagen, dass sie für die Aufnahme von Asylsuchenden sind, die vor Krieg und politischer Verfolgung fliehen. Jeder Zweite ist trotz aller Propaganda dafür, Menschen aufzunehmen, die aufgrund einer »schlechten Wirtschaftssituation« in ihrem Herkunftsland keine Perspektive mehr sehen. Forsa fragte jüngt in einer Umfrage, was Menschen in Deutschland am meisten beunruhigt. An erster Stelle nannten 83 Prozent die Angriffe auf Flüchtlingsheime und rassistische Gewalt.
Aber wo sind diese Menschen? Warum demonstrieren sie nicht? Warum prägen sie nicht das Bild? Warum drückt sich die Polarisierung in Deutschland – im Vergleich zu anderen Ländern – derzeit vor allem nach rechts aus?
Kampf gegen Rechts
Wir werden diese Frage in verschiedenen workshops und bei der Abschlussveranstaltung am Sonntag diskutieren und es gibt eine Reihe von Gründen. Ein zentraler Grund ist aber, dass die Gewerkschaften im Kampf gegen Rechts gerade weitgehend versagen und auch DIE LINKE ihren Aufgaben nicht gerecht wird. Ich möchte euch dafür ein Beispiel geben: Am 12.03. sind 2000 bis 3000 Nazis durch Berlin marschiert. Der DGB hatte zu einer Gegenkundgebung aufgerufen. Wer sich nun vorstellt, dass der DGB und die Einzelgewerkschaften Flugblätter in Betrieben verteilen, das Thema Antirassismus auf Betriebsversammlungen thematisieren, Werbung in U-Bahn-Fernsehen und ganzseitige Aufrufe in der Zeitungen geschaltet hätten und am Tag selbst den Naziaufmarsch aufgrund der schieren Masse an Gegendemonstranten blockieren, wurde massiv enttäuscht. Der DGB organisierte eine Kundgebung von ca 1000 Menschen in Hörweite, die eine Stunde bevor die Nazis losliefen, offiziell beendet wurde – nicht etwa um die Menschen zu Blockaden aufzurufen, sondern um nach Hause zugehen.
DIE LINKE Berlin, deren Mitglied ich bin, hielt am selben Tag einen Landesparteitag ab. Bei diesem Landesparteitag hat die LINKE Berlin beschlossen, dass sie erneut eine Regierung mit SPD und Grünen bilden will, nach der katastrophalen Regierungsbeteiligung 2001-2011. Ich kann euch sagen: eine erneute rot-rote oder rot-rot-grüne Koalition ist das beste Mittel, um die AfD am Leben zu halten, weil sie sich dann als einzige „angebliche“ Oppositionskraft darstellen kann! Dann passiert auch in Berlin das, was jetzt in Brandenburg der Fall ist, wo die LINKE geräuschlos bis zur Unkenntlichkeit mit der SPD regiert und die AfD in Umfragen nun neben der CDU zweitstärkste Kräft ist. Und während sich viele in der Partei nun überlegen, wie wir AfD, Merkel und Gabriel den
Kampf ansagen, schlägt Gregor Gysi allen Ernstes gemeinsame Bündnisse mit CDU vor! Der Erfolg der AfD und von Rechtsparteien anderswo in Europa erfordere, „dass alle springen, von der Union bis zur Linken“, sagte Gysi. Ich bin wahrscheinlich nicht die einzige in diesem Raum hier, die bei dem Gedanken an Bündnisse mit der Union die Assoziation hat, lieber von der Brücke zu springen. Dass es auch anders geht, hat DIE LINKE in hessischen Großstädten bei den Kommunalwahlen gezeigt, wo sie aufgrund einer jahrelangen Verankerung und durch einen bewegungsorientierten oppositionellen Kurs in Kassel, Marburg und anderen Städten Ergebnisse über zehn Prozent holen konnte. Ich möchte allen GenossInnen aus Hessen hier im Raum herzlich zu diesem Wahlerfolg gratulieren.
Im scharfen Gegensatz zu Gregor Gysis Idee eines Bündnisses mit der CDU, um die AfD klein zu halten, schrieben unsere GenossInnen von der Kasseler LINKE in einer Pressemitteilung diese Woche zu Recht: „SPD, Grüne und CDU haben durch ihre neoliberale Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik den Boden für die AfD bereitet“. Was wir brauchen ist eine LINKE, die Opposition ist gegen herrschende Verhältnisse und das zum Ausdruck bringt, was in den USA die Anti-Establishment-Bewegung für Bernie Sanders Positionen zum Ausdruck bringt. Die Sammelbewegung zur Proletarierdemütigung, wie Max Uthoff die SPD so schön nannte, hat bei den vergangenen drei Landtagswahlen 50 Prozent geholt…….wenn man ihre Ergebnisse in drei Ländern addiert! Wer mir jetzt noch erzählt, dass man mit der Idee von Rot-Rot-Grün auf eine Wechselstimmung trifft, sollte sich mal untersuchen lassen.
Die Grünen bereiten schamfrei und ohne Widerstand aus eigenen Reihen die zweite schwarz-grüne Koalition vor. Winfried Kretschmann von den Grünen wurde kürzlich von Monitor gefragt: „Haben sie irgendwelche Probleme, Spenden anzunehmen von Südwestmetall? Wo die ganzen großen Rüstungsexporteure drin sitzen, Diehl, Heckler und Koch, ADS, MTU?“ Kretschmann antwortete: „Nein, ich habe keine Probleme Spenden von Südwestmetall anzunehmen.“
Zu Recht forderte die heute show nach den Landtagswahlen eine Schweigeminute für PolitiklehrerInnen, denn sie müssen SchülerInnen erklären dass Kretschmann nicht in der CDU, Seehofer nicht in der AfD und Gabriel Sozialdemokrat ist! Wahrscheinlich ist nur Julia Klöckner mit ihrer ausgeprägten Links-Rechts-Schwäche eine noch größere Herausforderung für Politiklehrer, die doch tatsächlich behauptete, wer die AfF wähle, stärke die Linke. Die AfD steht nicht im Gegensatz zur Politik von CDU, SPD und Grünen, sondern treibt deren neoliberale, prokapitalistische Politik und ihren staatlichen Rassismus auf die Spitze. Diese Stimmung in der Bevölkerung gegen die etablierten PolitikerInnen, gegen die Reichen und Superreichen müssen wir befördern. Wir müssen all jenen, die fälschlicherweise denken, die Geflüchteten nehmen ihnen etwas weg, daran erinnern, dass 62 Männer dieser Welt – das sind so viele wie in einen Berliner Bus passen – so viel wie die Hälfte der Weltbevölkerung besitzen. Vor paar Tagen veröffentliche die Bundesbank die Zahl, dass in Deutschland jeder Bürger im Durchschnitt über ein Nettovermögen von 214.500 Euro verfügt. Ich weiß nicht wie es euch geht, aber offenbar hab ich diesen Betrag auf meinem Konto übersehen. Unsere Antwort auf diese Verhältnisse kann nur sein: Obergrenzen für Reichtum nicht für Geflüchtete! Millionärssteuer jetzt! Wir müssen die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen ohne – wie das leider gerade einige wenige auch in der LINKEN tun – Abstriche bei unserer Forderung nach einem Bleiberecht für alle Menschen vorzunehmen
Am 16. April mobilisiert eine Initiative von NoBärgida, Solid Berlin, die LINKE Berlin, die GEW Berlin, der Mietenvolksentscheid, Berlin nazifrei, der SAV und anderen zusammen unter dem Motto „Wir lassen uns nicht spalten: Soziales Berlin für alle! Rassisten stoppen!“ Lasst uns diese Demonstration gegen Rassismus und für Wohnraum, Arbeit, Bildung für alle zu einem gemeinsamen Erfolg machen und in Gewerkschaften, Betrieben, Schulen und Unis mobilisieren. Lasst uns in den anstehenden Tarifrunden im Öffentlichen Dienst, Metall, Telekom thematisieren, dass Rassismus die Arbeiterbewegung spaltet und wir gemeinsam kämpfen müssen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für alle
Aufstehen und aktiv werden
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aufgaben die vor uns liegen sind alles andere als einfach. Der erste Schritt ist selbst aufzustehen und nicht mehr hinzunehmen, dass Menschen für Profite sterben; nicht mehr hinzunehmen, dass alte Menschen in Mülleimern nach Essen suchen; nicht mehr hinzunehmen, dass Frauen und Mädchen alltäglichem Sexismus und sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. Wir müssen mehr werden und Menschen mobilisieren. Bertolt Brecht sagte: “Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen, ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.” Das ist nun 65 Jahre her und die Welt ist nicht friedlicher, ökologischer oder sozialer geworden. Was müssen wir tun, um ihre Hände zu zerschlagen? Get organized Es geht kein Weg daran vorbei, dass wir uns organisieren, um es mit denjenigen aufzunehmen, die die Welt an den Rand des Abgrunds bringen. Wer sich nicht bewegt und kämpft, schweigt und schaut zu. Ton Steine Scherben sangen einst: „Allein machen sie dich ein, Zu zweit zu dritt zu viern wird auch nichts andres passieren; Und: Zu hundert oder tausend kriegen sie langsam Ohrensausen“.
Doch wofür sollen wir uns organisieren? Unternehmer und Reiche sitzen fest im Sattel, nicht nur weil zu wenige von uns organisiert sind; sondern sie kommen mit ihrer Politik durch – absurderweise obwohl viele Menschen den Kapitalismus mittlerweile schlecht finden. Das müssen selbst ihre Schreiberlinge zugeben. Gestern erschien ein Artikel in der Wirtschaftswoche mit dem Titel: „Die Krise des Kapitalismus“. Der Artikel beginnt mit der Frage: „Warum eigentlich sollen Banker in Frankfurt, London und New York sechsstellige Boni kassieren, während kluge Wissenschaftler, die vielleicht ein neues Medikament gegen Krebs entwickeln, für so viel Geld zwei Jahre im Labor forschen müssen?“
Und dann: „Keine Sorge. Wenn Sie sich Fragen wie diese stellen, sind Sie nicht über Nacht zum Revolutionär geworden. Es geht Ihnen dann vielmehr wie Ökonomen des IWFs, die feststellten: Der Graben zwischen Armen und Reichen befinde sich auf dem „extremsten Stand seit Jahrzehnten“; das gefährde das weltweite Wachstum.“ Dieses System überlebt gerade, weil es keine starke sozialistische Alternative in Augen vieler gibt – immer noch hält sich die Idee wacker, man könne den Kapitalismus netter gestalten. Wie schnell diese Idee, den Kapitalismus zu
reformieren, gescheitert ist, haben wir in atemberaubenden Tempo in Griechenland letztes Jahr gesehen. Tsipras & Co haben nicht gewagt mit den Spielregeln des Kapitalismus und der EU zu brechen! Andros Payiatsos hat ausgeführt, was unsere GenossInnen vorgeschlagen haben: die Verstaatlichung der Banken, keine Schuldenrückzahlung, eine Mobilisierung der Massen zum Bruch mit dem Kapitalismus, der Appell an andere. Völker sich zusammen zu tun, die Einführung erster Schritte demokratischer Planung. Ich stelle die These auf, dass die Ereignisse in Griechenland anders ausgegangen wären, wenn nicht einige Hundert sondern mehrere Tausend eine Politik betrieben hätten wie sie Andros skizziert hat und sich dafür organisiert hätten.
Rosa Luxemburg hatte Recht, als sie schrieb, die Revolutionäre seien die besten und entschlossensten Kämpfer für Reformen – eben weil sie keine Angst haben vor einem Bruch mit dem System. Es gibt keine Garantien auf Erfolg, keine einfachen Siege und man kann verlieren, wenn man kämpft. Aber es gab und gibt eine Garantie dafür, dass die Strategie von Alexis Tsipras bis Gregor Gysi, innerhalb der EU und des Systems dauerhafte Veränderungen zu erzielen, scheitern wird.
Lasst uns aus diesen Ereignissen gemeinsam Schlussfolgerungen ziehen und das Wochenende nutzen um über sozialistische Alternativen zu diskutieren. Lasst uns uns gegenseitig den Rücken stärken, lasst uns voneinander lernen.
Lasst uns darauf hin arbeiten, dass der Sound von Massenbewegungen nicht nur zu einem Ohrensausen sondern einem Tinnitus im Ohr der Herrschenden wird, der ihnen schlaflose Nächte bereitet.