Daten/Fakten  

   

Linksregierungen in Europa haben versagt

Die linken Erfahrungen beim Mitregieren sind weitgehend ernüchternd bis enttäuschend

Die Beteiligung einer linken Partei an einer Regierung erscheint oft als naheliegendster Weg, um einzelne Reformschritte und Verbesserungen innerhalb des Bestehenden durchsetzen zu können. Und um vielleicht sogar Brüche mit dem Neoliberalismus einzuleiten, zumindest anzudeuten. Häufig wird sie auch mit der Logik des »kleineren Übels« begründet: Es wird schon nicht ganz so schlimm kommen, wenn Linke mit in der Regierung sitzen. Vielleicht können wenigstens die schlimmsten Angriffe abgemildert und durch Regierungsbeteiligungen von links zumindest die Bildung einer weiter rechts stehenden Regierung verhindert werden, so die Hoffnung.

In jedem Fall wird mit Regierungsbeteiligungen die Erwartung verknüpft, als linke Partei einen gesellschaftlichen Gebrauchswert für WählerInnen und Mitglieder zu beweisen, der zu einer Stärkung der linken Partei führen wird.

Doch können diese Hoffnungen den in den letzten 25 Jahren in Europa gemachten Erfahrungen mit linken Regierungsbeteiligungen tatsächlich Stand halten?

Rifondazione Comunista

Zu Beginn der 2000er Jahre war die italienische Rifondazione Comunista (PRC) im Heimatland der einst stärksten kommunistischen Bewegung Westeuropas Hoffnungsträgerin für linke Parteien in ganz Europa. Tief in den kommunistischen Traditionen des Landes verwurzelt, selbstkritisch der eigenen Geschichte gegenüber, innerparteilich plural, offen für neue linke Diskurse und fest in den sozialen Bewegungen verankert, erschien die PRC als Role Model für eine junge, radikale Linke auf dem ganzen Kontinent. Sie war eine treibende Kraft der globalisierungskritischen Proteste in Genua und einer Antikriegsbewegung, die am 15. Februar 2003 in Rom drei Millionen Menschen auf die Straße brachte.

2006 bis 2008 beteiligte sich die PRC, der Logik des kleineren Übels folgend, an einer Mitte-Links-Regierung: Eine Rückkehr des rechtskonservativen Silvio Berlusconi sollte unbedingt verhindert werden. Regierend sah sich die PRC nicht nur gezwungen, von ihr bisher abgelehnte Haushaltskürzungen mitzutragen, sondern auch Militäreinsätze wie in Libanon und Afghanistan, die sie zuvor entschieden abgelehnt hatte.

Wie einst die SPD Karl Liebknecht, so schloss die PRC zwei ihrer Senatoren aus, weil sie weiter gegen den Afghanistan-Einsatz stimmten. Aus der »Partei der Bewegungen« wurde in der Regierung eine Partei, die den Bewegungen eher als Gegner gegenübertrat. Den neoliberalen Regierungskurs konnte die »Partei der Alternativen« nicht ändern.

Die Folgen waren katastrophal: Nur zwei Jahre später kehrte Berlusconi an die Regierung zurück. Die PRC flog aus dem Parlament, in dem erstmals seit 1945 keine kommunistische Partei mehr saß, und befindet sich seitdem im steten Niedergang. Dabei riss sie auch viele Bewegungen mit in eine Depression von historischer Tiefe. Die Linke war nicht mehr im Stande, die tiefe Entfremdung weiter Teile der italienischen Bevölkerung vom politischen System aufzufangen. Diese kam in der Folge fast ausschließlich der Fünf-Sterne-Protestpartei von Beppe Grillo zu Gute.

Die französischen Kommunisten

Wenige Jahre zuvor hatte bereits die andere historische Großpartei des westeuropäischen Kommunismus, die französische FKP, Erfahrungen mit einer massiven Schwächung durch eine Regierungsbeteiligung machen müssen. Bei den Parlamentswahlen 1997 hatte sie 9,9 Prozent erhalten und trat in die vom Sozialdemokraten Lionel Jospin geführte und zunächst von großen Hoffnungen begleitete rot-rot-grüne Koalition der »gauche plurielle« (plurale Linke) ein. Dieser Regierung gelangen tatsächlich einige Reformmaßnahmen, wie die Einführung der 35-Stunden-Woche. Zugleich wurden aber die bisher umfangreichsten Privatisierungen vorgenommen, und das rot-rot-grün geführte Frankreich beteiligte sich 1999 am NATO-Krieg gegen Serbien. Bei den Wahlen 2002 stürzte die FKP auf 4,8 Prozent ab, und selbst ihr Bündnis mit Jean-Luc Melenchons sozialistischer Parti de Gauche (Linkspartei) erzielte 2012 mit 6,9 Prozent nur ein Ergebnis deutlich unter dem vor der Regierungsbeteiligung.

Nordeuropa

Ein aktuelleres Beispiel bietet Island, wo vor dem Hintergrund von Massenprotesten nach dem Ausbruch der Finanzkrise 2009 die Links-Grüne Bewegung (LGB) 21,7 Prozent der Stimmen erhielt und in die Regierung eintrat. Obwohl die folgende Bankenrettung in Island anders ablief als in anderen Ländern, wurde auch hier nicht mit dem neoliberalen Paradigma gebrochen. Und während die LGB immer gegen die Mitgliedschaft Islands in NATO und EU gekämpft hatte, stellte nun ausgerechnet ihre Regierung den Aufnahmeantrag in die EU. Bei den Wahlen 2013 stürzte die LGB um die Hälfte auf nur noch 10,9 Prozent ab. Von der auf die Panama-Papers-Enthüllungen folgende neue Krise des politischen Systems Islands konnten die linksgrünen, nun wieder aus der Opposition heraus, nur begrenzt profitieren: Bei den Parlamentswahlen 2016 kamen sie auf 15,9 Prozent.

Die anderen skandinavischen Linksparteien machten ähnliche Erfahrungen: Die norwegische Sozialistische Linkspartei schrumpfte in ihrer Regierungszeit 2005 bis 2013 von 8,8 Prozent auf 4,1 Prozent der Stimmen. Ähnlich ist das Bild in Schweden. Hier hatte die Linkspartei auf der Grundlage eines sehr linken und EU-kritischen Wahlkampfes 1998 noch 12 Prozent erhalten. In der Folge schleifte die Partei ihr radikales Profil und trat 2008 in eine rot-rot-grüne-Regierung ein. 2014 entfielen auf die Partei nur noch 5,6 Prozent der Stimmen.

Auch die Sozialistische Volkspartei Dänemarks, 2007 noch bei 13 Prozent, brach nach ihrer Regierungsbeteiligung auf 4,2 Prozent bei den Wahlen 2015 ein.

Etwas weniger dramatisch weist die Bilanz in Finnland in diese Richtung. Hier war das Linksbündnis 1995 mit einem Ergebnis von 11,2 Prozent in die Regierung einer Regenbogen-Koalition mit Sozialdemokraten, Konservativen, Schwedischer Volkspartei und den Grünen eingetreten; 2003 erhielt die Partei noch 9,9 Prozent. 2011 trat sie mit 8,1 Prozent erneut in die Regierung ein. Dass sie diese vor Ende der Legislatur verließ, da sie den neoliberalen Kurs nicht bis zum Letzten mitzugehen bereit war, dürfte sie vor einem dramatischen Absturz bewahrt haben: 2015 entfielen noch 7,1 Prozent auf die Partei.

Stärkste Kraft macht alles anders?

Ist die Lage aber vielleicht eine andere, wenn eine linke Partei die stärkste Kraft in der Regierung ist? Das Beispiel Griechenlands legt nahe, dass dem zumindest nicht zwingend so ist: Auch die SYRIZA-geführte Regierung sah sich durch den Druck der Troika genötigt, die neoliberale Politik fortzusetzen, sogar teilweise zu verschärfen. SYRIZA musste eine schmerzhafte Austrittwelle auch zentraler Persönlichkeiten verkraften, verlor bei den Neuwahlen im Sommer 2015 nach nur einem halben Jahr Regierungsbeteiligung bereits einige hunderttausend Stimmen und verliert nach aktuellen Umfragen weiter deutlich an Zustimmung.

Die zyprische Erfahrung weist nicht unbedingt in eine andere Richtung: Bei den Präsidentschaftswahlen 2008 wurde erstmals ein Kommunist zum Präsidenten der Insel gewählt. Er bildete eine von der kommunistischen AKEL, der stärksten Partei Zyperns, geführte Regierung. Nach massivem Druck durch die europäischen Institutionen und den IWF wurden jedoch drakonische Kürzungsmaßnahmen getroffen. Die folgenden Präsidentschaftswahlen verloren die Kommunisten mit einem um 10 Prozent schlechteren Ergebnis, während AKEL bei den Parlamentswahlen leicht zulegte.

In Grönland, soweit man es zu Europa zählt, ist die gleiche Tendenz zu beobachten: 2009 erzielte die linkssozialistische Inuit-Ataqatigiit-Partei mit 43,7 Prozent einen Erdrutschsieg. Die Partei übernahm die Regierung, konnte die in sie gesetzten Reformhoffnungen aber nicht erfüllen. 2013 erhielt sie daraufhin nur noch 34,4 Prozent und schied aus der Regierung aus.

Magere Bilanz

In der Bilanz kann man festhalten: In keinem einzigen Fall der vergangenen 25 Jahre konnte eine linke Regierungsbeteiligung in Europa eine Abkehr vom Neoliberalismus herbeiführen. Auch in der Logik des »kleineren Übels« sind keine echten Erfolge zu verzeichnen. Eher trifft das Gegenteil zu: In einigen Ländern beförderten enttäuschte Reformhoffnungen und die Wahrnehmung der regierenden Linken als Teil des Establishments den elektoralen Aufstieg des größtmöglichen Übels: rechtspopulistischer und faschistischer Parteien.

Die Gründe für die häufigen Niederlagen in Folge linker Regierungsbeteiligungen sind in den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen unserer historischen Epoche zu suchen. Das Kapital hat im Neoliberalismus eine derartige Stärke erreicht, dass die Linke ihm aus einer Regierungsposition heraus nicht nur nicht wirkungsvoll entgegentreten kann. Selbst Regierungen mit linken Beteiligungen werden zu Instrumenten der Durchsetzung seiner Interessen. Die aufgeführten Beispiele belegen eindrücklich, dass es gegenwärtig in Europa keinen Spielraum für eine linke Reformpolitik aus einer Regierungsposition heraus gibt, die zur Überwindung des Neoliberalismus oder zu einer echten Stärkung der Linkskräfte führt.

Strategie jenseits der Regierungen

Die Linksparteien in Europa sollten akzeptieren, dass der Weg sozialökologischer Transformationen durch Regierungsbeteiligungen gegenwärtig versperrt ist. Die Europäische Linke muss eine alternative Strategie entwickeln, die zunächst den Fokus auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse durch den geduldigen und nachhaltigen Aufbau starker, verbindender und organisierender linker Parteien, massenhafter sozialer Bewegungen und kämpferischer Gewerkschaften legt. Erst wenn das Kapital durch eine Eskalation sozialer Kämpfe so sehr in die gesellschaftliche Defensive gedrängt wird, dass es Angst um seine Zukunft hat, wird es wieder zu substanziellen Konzessionen und Klassenkompromissen bereit sein. Auch dann wäre noch zu diskutieren, ob Regierungsbeteiligungen tatsächlich die adäquate Strategie einer sozialistischen Transformation darstellen. Aber zumindest würden sich dann wieder Spielräume für Reformen eröffnen, die es linken Parteien erlauben, in Regierungen mehr als nur immer neue Niederlagen zu erleben.

101302-Wilde.jpg

Dr. Florian Wilde, Jahrgang 1977, ist Mitarbeiter am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er wuchs in Kiel auf, studierte Geschichte und Politikwissenschaft, ist in der globalisierungskritischen Bewegung aktiv. Von 2012 bis 2014 gehörte er dem Vorstand der Linkspartei an. Foto: Rico Prauss