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Chorizos aufhängen

Im südspanischen Estepa brannten Häuser von Romnja-Familien.

Auf dem zentralen Platz der südandalusischen Kleinstadt Estepa muß es voll gewesen sein am 5. Juli. Über WhatsApp und Twitter war gehetzt und mobilisiert worden gegen mehrere Familien, die nur „Die Chorizos“ genannt werden und angeblich ständig Einbrüche und Diebstähle in Estepa begangen hätten. Die Bezeichnung kommt vermeintlich daher, von der Landarbeit so dunkel braungebrannt zu sein wie eine Paprikawurst, eine Chorizo. Darauf legen Leute aus Estepa Wert, wenn sie interviewt werden: Ist alles nicht rassistisch gemeint, Estepa sei eine friedliche Stadt.

Tausend der 12.000 EinwohnerInnen versammelten sich am 5. Juli, um gegen die Welle von Einbrüchen zu protestieren und für eine Bestrafung der Diebe. Die Guardia Civil erklärte die unangemeldete Kundgebung für aufgelöst, die Teilnehmenden kamen dem gerne nach und zogen zweihundert Meter weiter in die Calle Federico García Lorca. Vor sechs Häusern, in denen „die Chorizos“ bis dahin wohnten, rotteten sie sich wieder zusammen. Viele beteiligte junge Männer begannen, die Fenster zu entglasen. Es folgen Steine, Flaschen, Gegenstände aller Art.

Dahinter standen Hunderte, die applaudierten. Viele drangen in die Häuser ein. Die sechs nebeneinanderliegenden, einfachen Einfamilienhäuser wurden geplündert und verwüstet, zwei wurden angezündet und brannten komplett aus. Dazu wurde gerufen: „El Pueblo unido, jamás será vencido“ - „Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden“. Die Parole der chilenischen Volksfront unter Salvador Allende wurde umgewidmet für einen pogromartigen Überfall auf Romnja-Familien. Venceremos, Racistas! Eine dicke schwarze Rauchsäule stand über Estepa, auf Fotos sind auf der Straße davor viele offensichtlich entspannte Schaulustige und Mitdemonstrierende zu sehen. In Interviews wurde der gewalttätige Überfall auf bewohnte Häuser von Beteiligten bagatellisiert: Die einen erklärten, in allen sechs Häusern sei niemand gewesen. Andere dagegen behaupteten, die „Gitanos“, wie Romnja auf Spanisch genannt werden, hätten ihre Häuser selbst angezündet. Roberto Chía erklärte gegenüber der Zeitung „El Mundo“: „Bei dem Protest haben wir uns die Sachen, die sie uns gestohlen haben zurückgeholt. Ein Kapitän und ein Sergeant der Guardia Civil standen daneben und wir haben ihnen gesagt, ihr kennt uns ja, das sind unsere Sachen“.

„Wir mussten aus unseren Häusern fliehen“ schilderte dagegen Consuelo Jiménez, die einige Tage später vom Fernsehsender „Antena 3“ als „Matriarchin des Chorizo-Clans“ vorgestellt und interviewt wurde, den Überfall anders: „Ein Kind von mir wurde durch einen Stein am Kopf verletzt. Unsere Häuser wurden ausgeraubt. alles Wertvolle haben sie mitgenommen, unsere Küchenmaschine, den Plasmafernseher, Alles“. Consuelo Jiménez schilderte, wie sie durch den Hinterausgang, durch den Garten geflohen sind vor der aufgebrachten, gewalttätigen Menschenmenge vor ihrem Haus. Sie wurde in Sevilla interviewt – aus Estepa sind die Familien geflohen: „Wir schlafen in Parks, die Kinder haben wir bei befreundeten Familien untergebracht. Es ist kein gutes Leben so auf der Straße. Uns geht es ohne Haus schlecht. Wir wurden alle bestraft, weil wir Gitanos sind.“

Auch Mari Jiménez erklärte gegenüber „Antena 3“, im Haus von dem Überfall überrascht worden zu sein: „Mir brach das Herz, als ich sah, wie mein Haus brannte, wie das Dach zerbrach und einstürzte.“ Mari Jiménez spricht aus, was die Mehrheit in Estepa abstreitet: „Sie wollen uns nicht, weil wir Gitanos sind, wir sind die einzige Gitano-Familie in Estepa“.

Aber die Payos, wie spanische Romnja die Mehrheitsbevölkerung nennen, wollen die eigentlichen Opfer sein, mit dem pogromartigen Überfall hätten sie sich nur gegen die Gewalt und Delinquenz des „Chorizo-Clans“ zur Wehr gesetzt. Dass ist auch der Tenor in den Medien, so kam etwa eine namenlose Weiße nach Mari Jiménez bei „Antena 3“ zu Wort, um klarzustellen: „Wir sind keine Rassisten, wir sind zusammen mit welchen von den Chorizos aufgewachsen, hier leben Rumänen und Moros.“ Dass von den über 12.000 EinwohnerInnen von Estepa gerade mal 480 keinen spanischen Ausweis haben, wird dabei verschwiegen. „Aber die Chorizos sind bei uns eingebrochen und haben uns bestohlen“ erklärte die namenlose Weiße nach dem Überfall und der Vertreibung der ganzen Familien stellvertretend für Viele ohne Schuldbewusstsein. Mari Jiménez: „Eine Sache ist eine Demonstration, eine ganz Andere ist es, ein Wohnhaus niederzubrennen, weil eine Person aus dem Haus geklaut hat.“

Miguel Fernández Baena, Bürgermeister von Estepa von der regionalistischen „Andalusischen Partei“, PA, die im Bündnis mit der konservativen Volkspartei, PP, regiert, rief nach der gewalttätigen Vertreibung der Familien Jiménez, die er „Vorfälle“ nannte, dazu auf, die „Ruhe zu bewahren“ und „auf den Rechtsstaat zu vertrauen“. Gegen die „Krise“, die dadurch entstanden sei, dass „Estepa nun in einem schlechten Licht dastehe“, müssten die BewohnerInnen „wie eine einheit zusammenstehen“ um klarzustellen, dass es hierbei keineswegs um „rassistische Ereignisse gehe“. Die Einbrüche, wegen der es zu den Vorfällen gekommen sei, würden jetzt verstärkt geahndet werden, die „Diebe und Einbrecher werden vom Rechtsstaat bestraft werden“. Während die 22 durch die Aufnahmen identifizierten, namentlich bekannten Beteiligten an dem pogromartigen Überfall nach kurzem Verhör bei der Polizei ohne Auflagen wieder nach Hause gehen konnten, wird der polizeiliche Druck gegen die Familien Jiménez massiv erhöht – und so exekutiert, was bei dem Überfall gefordert wurde: elf Angehörige der Familien flohen gemeinsam aus Estepa mit einem Transporter. In der nahegelegenen Ortschaft Puente Genil besetzten sie ein leerstehendes Haus, wurden aber auf Betreiben des sozialdemokrastischen Bürgermeisters umgehend von der Polizei des Ortes verwiesen. In Sevilla wurden sie von der Guardia Civil kontrolliert, alle sieben Erwachsenen vorübergehend festgenommen, die drei Kinder sich selbst überlassen. Von den mitgenommenen Möbeln wurde sofort ohne Beweise behauptet, es sei Diebesgut. Zwei Männer der Familien sitzen seitdem ohne Möglichkeit auf Kaution in Haft, eine Frau wurde nur unter Auflagen freigelassen. In der vergangenen Woche wurden zwei weitere Männer aus den Familien verhaftet, als sie versuchten, leerstehende Häuser zu besetzen. Auch sie sitzen weiter in Haft, wegen Hausbesetzung.

Der Bürgermeister von Estepa beeilte sich nach dem pogromartigen überfall bereits umgehend festzustellen, dass fünf der sechs von den vertriebenen Familien bewohnten Häuser besetzt gewesen seien und Banken gehören würden – oder der Stadt, wie die beiden niedergebrannten Häuser. Eigentlich sei so die Stadt geschädigt worden, nicht die besetzenden, illegal wohnenden Familien.

Die werden wohl nicht nach Estepa zurückkehren, die ethnische Säuberung war erfolgreich. Am 12. Juli wurde wieder demonstriert, um sich mit den 22 wegen des überfalls am 5. Juli angezeigten

Estepeños zu solidarisieren. Die Parolen des Tages: „Wir waren es Alle!“ und wieder „El Pueblo unido, jamás será vencido“. Auf einer Wandparole zur Demonstration am 12. Juli am zentralen Platz von Estepa steht: „Los choris se curan corgaos. 12:h.“ Ein übles Wortspiel, dass bedeuten kann: Die Chorizos (Würste) reifen hängend, aber auch: „Die Chorizos kurieren wir aufgehängt“.

G.K.