Beiträge
Richterschelte vom Innenminister:
Im Zweifel gegen das Recht
Die Amtsrichterin verurteilte den Polizisten am 6. Juni 2011 wegen „gefährlicher Körperverletzung im Amt“ zu einer Geldstrafe von 7.000 Euro, zu zahlen in monatlichen Raten von 100 Euro.
In dieser Situation meldete sich Innenminister Schlie (CDU), oberster Dienstherr der Polizei, zu Wort. Er schrieb der Richterin einen Brief, datiert vom 15. Juni. Darin schrieb er, das Urteil wäre zwar noch nichts rechtskräftig, es gäbe allerdings schon Reaktionen von der Polizei selbst, aber auch aus dem politischen Raum. Er wollte die „Frage der angemessenen Verwendung von Zwangsmitteln im polizeilichen Einsatz“ ansprechen. In seiner Fürsorge für die Beamtinnen und Beamten der Landespolizei halte er das Urteil für „nicht unproblematisch“.
Der Einsatz von Zwangsmitteln wie Pfefferspray sei eine „überaus schwierige Entscheidung“. Der Beamte müsste „in einer für das jeweilige Szenario angemessenen Art und Weise und mit den erforderlichen Mitteln ... reagieren“, diese Entscheidung müssen „häufig in Sekundenschnelle erfolgen“. „Immer häufiger“, und damit greift Schlie eine seiner eigenen Thesen auf, seien die Polizisten heutzutage „mit Situationen konfrontiert, die durch Aggressionen und zunehmende Gewaltbereitschaft gekennzeichnet“ seien. Deshalb lud er die Richterin ein, „einmal mit mir zusammen in einer Nachtfahrt Polizeibeamte in ihrem Dienst zu begleiten, um deren konkrete Arbeitsbelastungen und -erlebnisse persönlich mitzuerleben“ – wovon eine Richterin offensichtlich ja keine Ahnung hat. Dann gab er der Richterin noch eine Telefonnummer, unter der sie sich mit ihm verabreden könnte. Diesen Brief schickte er dann nicht nur an die Richterin, sondern via Intranet unter voller Namensnennung an alle Polizistinnen und Polizisten des Landes Schleswig-Holstein. Er schickte ihn nicht an den Direktor des Amtsgerichts oder an den Justizminister.
Der Justizminister reagiert Am 20. Juni 2011 schrieb Minister Emil Schmalfuß an seinen Kollegen Klaus Schlie. Er habe „mit großem Erstaunen“ den Brief zur Kenntnis genommen, „in dem Sie unter Umgehung des Justizministerium eine Richterin auf Probe direkt anschreiben und eine noch nicht rechtskräftige Entscheidung kritisieren“. Er hält, so Schmalfuß, dieses Schreiben aus mehreren Gründen für „unangebracht“. Erstens kritisiert er, dass der Minister Schlie die Urteilsbegründung nicht gelesen hat. Das war auch noch nicht möglich, denn es gab bisher nur das Urteil. Aber dieses ohne „sorgfältige Lektüre“ der Begründung zu kritisieren sei „wie ein Buch zu rezensieren, das man nicht gelesen hat“. Das gelte insbesondere für die Tatsachenfeststellungen, das Urteil würde schließlich nicht den Pfeffersprayeinsatz generell in Frage stellen.
Zweitens sagt Schmalfuß, die Richterinnen und Richter im Landesdienst müssten „ebenfalls alltäglich schwierige Entscheidungen treffen, bei denen viele tatsächliche und rechtliche Umstände zu berücksichtigen sind“ – und sagt damit eben, nicht nur Polizistinnen und Polizisten hätten es schwer.
Drittens merkt Schmalfuß an, „Ihre allgemeinen Ausführungen zum Einsatz von Zwangsmitteln wie z.B. Pfefferspray sind zutreffend und dürften der zuständigen Richterin bereits bekannt gewesen sein.“ Und dann kommt die nächste Spitze: Die Staatsanwaltschaft hat nach den polizeilichen Ermittlungen immerhin Anklage erhoben, also gäbe es wohl gegen den Polizeibeamten einen „hinreichenden Tatverdacht“. In einem Rechtsstaat, so belehrt der Minister den Minister, müsste „im Einzelfall ein unverhältnismäßiger Einsatz von Zwangsmitteln ... sanktioniert werden“.
Viertens weist Schmalfuß darauf hin, dass alle Referendarinnen und Referendare im Rahmen ihrer Ausbildung Polizisten auf Nachtfahrt begleiten – ein Punkt, der Klaus Schlie im Prinzip hätte bekannt sein müssen. „Allgemein kann von mangelndem Verständnis für die besonderen Belastungen der Polizei bei den schleswig-holsteinischen Gerichten ... keine Rede sein.“ Schließlich, so Schmalfuß, wäre solch ein Ministerbrief möglicherweise einschüchternd für eine Richterin, die Einzelentscheiderin ist, also keine Gruppe im Rücken hat, und die sich nicht öffentlich wehren kann, weil sie dann als „befangen“ gelten würde. Die Veröffentlichung des Briefes unter voller Namensnennung bei allen Polizistinnen und Polizisten sei „schlicht nicht hinnehmbar“. Er habe sich jetzt, „entgegen meiner sonstigen Gepflogenheiten erlaubt, dieses Schreiben allen Richterinnen und Richtern der ordentlichen Gerichtsbarkeit zukommen zu lassen“, so Emil Schmalfuß.
Der Landtag debattiert
Im Landtag gab es eine „aktuelle Stunde“: Die Opposition forderte von Schlie eine Entschuldigung, ansonsten sollte Ministerpräsident Peter Harry Carstensen eingreifen und den Streit zwischen den beiden schlichten, notfalls eben Klaus Schlie entlassen.
Die Regierungsfraktionen verhielten sich nicht wie immer. Die CDU verteidigte ihren Minister: Polizisten hätten es schwer, der Minister müsste sich vor sie stellen. Anders die FDP: Minister Schlie sei zu weit gegangen, Minister Schmalfuß habe Recht. Minister Schlie selbst dachte nicht daran, sich zu entschuldigen. Er schilderte die Schwierigkeiten nächtlicher Einsätze der Polizei, Familienstreitigkeiten, Alkohol, dunkle Flure und aggressive Männer, die unbekannte Gegenstände in den Händen halten. Dank des Pfeffersprays müssten die Polizisten nicht schießen, aber sie müssten auch nicht warten, bis ihr Gegenüber (betrunken, aggressiv, dunkler Flur) zuschlägt.
Die Urteilsbegründung
Inzwischen liegt die Urteilsbegründung vor, und freundlicherweise haben wir sie vom Amtsgericht Elmshorn erhalten. Die Namen sind hier allerdings nicht mehr offen genannt, so weit wie der Innenminister Klaus Schlie wollte die Amtsrichterin dann doch nicht gehen.
Der Mann, der später das Pfefferspray ins Gesicht bekam, hatte am 25. September 2010 nachmittags schon mit der Polizei zu tun:
„Am 25.09.2010 kam es am Nachmittag zu einem Polizeieinsatz im Zusammenhang mit dem Zeugen ... und dessen ehemaliger Lebensgefährtin. Hierbei hielt der Zeuge ... sich in der Wohnung seiner ehemaligen Lebensgefährtin auf, welche er zunächst nicht freiwillig verlassen wollte. Aufgrund der zur Hilfe gerufenen Polizei, wobei auch der Zeuge PM ... am Einsatz beteiligt war, verließ der Zeuge die Wohnung letztlich ohne größere Probleme. Bei dem Zeugen ... war bereits zu diesem Zeitpunkt ein Alkoholgeruch in der Atemluft wahrnehmbar.“ (aus der Urteilsbegründung)
Das weitere Geschehen stellt sich dem Gericht nach allen Zeugenaussagen so dar:
„Am Abend des 25.09.2010 gegen 20.30 Uhr suchten der Angeklagte und der Zeuge PM ... aufgrund eines von der Leitstelle weitergeleiteten Ersuchens wegen Lärmbelästigung die Wohnung des Zeugen ... auf. Ein Nachbar, welcher den Vorfall auch der Polizei gemeldet hatte, öffnete die Haustür und ließ den Angeklagten und seinen Kollegen PM ... ins Haus. Die Beamten begaben sich sodann in die Etage, in welcher die Wohnung des Zeugen ... lag. Weder der Angeklagte, noch der Zeuge PM ... konnten zu diesem Zeitpunkt Lärm feststellen. Sie entschieden sich trotzdem an der Wohnungstür des Zeugen ... zu klopfen. Beiden war der Zeuge bereits aus anderen Polizeieinsätzen bekannt. Dabei war auch beiden bewusst, dass der Zeuge ... zu früheren Zeiten, jedoch nicht am selben Tag, bereits mehrfach wegen Lärmbelästigung aufgefallen war und in Polizeikreisen als unter Alkoholeinfluss gewaltbereit gilt. Der Zeuge ... öffnete auf das Klopfen des Angeklagten die Wohnungstür. Er ließ den Angeklagten und seinen Kollegen PM ... vor der Tür stehen und führte das von ihm geführte Telefonat weiter. Er äußerte gegenüber dem Gesprächspartner am Telefon sinngemäß, dass die “Bullen” gerade vor seiner Tür stünden. Nach einigen Minuten kehrte der Zeuge ... zur geöffneten Wohnungstür zurück und fragte den Angeklagten und seinen Kollegen PM ..., was sie denn von ihm wollten. Der Angeklagte erläuterte daraufhin den Grund des Einsatzes und wies den Zeugen ... darauf hin, dass dieser in Gewahrsam genommen werden würde, wenn noch eine weitere Beschwerde wegen von ihm ausgehender Lärmbelästigung an die Polizei gerichtet werden würde. Der Zeuge ... wies den Angeklagten darauf hin, dass es ja zur Zeit wohl keine Lärmbelästigung gäbe und schloss ohne weitere Worte die Wohnungstür. Der Angeklagte und der Zeuge PM ... warteten im Flur des Wohnhauses. Nach einigen Minuten konnten die beiden Polizisten laute Musik aus der Wohnung des Zeugen ... im Flur wahrnehmen. Sie entschlossen sich deshalb, wieder an die Wohnungstür zu klingeln und den Zeugen dann dem Gewahrsam zuzuführen. Der Zeuge ... öffnete die Tür. Der Angeklagte teilte ihm mit, dass er nun in Gewahrsam genommen werde. Der Zeuge ... nahm dies zur Kenntnis und bat den Angeklagten und den Zeugen PM ... in seine Wohnung. Er wollte noch die Musik ausschalten und den PC herunterfahren, sowie einige Sachen für den Gewahrsam zusammenpacken und dann mit beiden mitkommen. Der Angeklagte und der Zeuge PM ... bedeuteten dem Zeugen ..., dass er dieses tun solle. Er schaltete den Computer aus und begab sich zu seinem Sofa, welches in dem ca. 20qm großen Wohnzimmer steht. Der Zeuge ... setzte sich und fing an, einige Sachen sowie sein Portemonnaie und sein Handy zusammenzusammeln. Auf die Aufforderung des Angeklagten, nun vom Sofa aufzustehen und endlich mitzukommen, erklärte der Zeuge ..., dass er dieses tun werde, nachdem er sich noch eine Zigarette gedreht und diese geraucht habe. Der Angeklagte erklärte ihm, dass dieser Vorgang nicht abgewartet werden solle und er nunmehr direkt mit beiden mitkommen müsse. Der Zeuge ... entgegnete darauf, dass sie, also beide Beamten, 'dies ja mal versuchen könnten' und er sich erst, wie bereits gesagt, eine Zigarette drehen würde. Der Angeklagte stand während dieser Diskussion aus Sicht des Zeugen ... auf der anderen Seite des Wohnzimmertisches unmittelbar vor dem Sofa und damit nur in sehr geringer Entfernung zu dem Zeugen .... Der Zeuge PM ... stand direkt neben dem Angeklagten. Da der Zeuge ... sich weiter mit dem Tabak beschäftigte und keine Anstalten machte, von selbst mit dem Angeklagten und dem Zeugen PM ... mitzugehen, zog der Angeklagte das Reizstoffsprühgerät (RSG III) von seinem Gürtel und sprühte dessen Inhalt dem Zeugen ... direkt ins Gesicht. Der Zeuge ... saß zu diesem Zeitpunkt noch immer auf dem Sofa.“ (aus der Urteilsbegründung)
Dieses Geschehen, so das Gericht, entspreche nicht nur den Zeugenaussagen, sondern auch den Schilderungen des Angeklagten. Es gab eine keinen dunklen Flur, keine Entscheidung in Sekunden, keine Aggression, keine Gefahr... Strittig war nur, dass der Polizeibeamte vor Gericht sagte, er habe mit dem Pfefferspray erst gedroht und dann gesprüht. Dagegen sagte der (später) Festgenommene, der Polizeibeamte habe sofort gesprüht, also ohne Vorwarnung. Denn: Der zweite Polizeibeamte schrieb in seinem Bericht nichts von einer Vorwarnung oder Androhung – und dieser Bericht, so die Richterin, sei im übrigen so detailliert, dass es sicherlich genau diese Androhung des Pfefferspray-Einsatzes nicht gegeben habe.
Die Begründungen des angeklagten Polizisten, das Opfer seines Einsatzes „galt als gewaltbereit“ und habe in anderen Situationen, bei anderen Begegnungen aggressiv gewirkt, war für die Richterin kein Grund: „Es gab keinen ersichtlichen Grund durch unmittelbar bevorstehende Gefahr für Werte wie Leib oder Leben oder auch nur Sachwerte im Umfeld der konkreten Situation. Der Angeklagte handelte schuldhaft. Der Angeklagte unterlag vorliegend keinem Erlaubnistatbestandsirrtum.“ (aus der Urteilsbegründung) Und weiter: „Dem Angeklagten muss bewusst gewesen sein, dass ein rein präventiver Einsatz eines Hilfsmittels der körperlichen Gewalt nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist. Es wird von ihm verlangt auch im Hinblick auf die oft innerhalb weniger Momente zu treffenden Entscheidungen als Polizeibeamter im Einsatz stets eine Abwägung aller widerstreitende Interessen in der konkreten Situation durchzuführen. Vorliegend weist das Gericht nochmals daraufhin, dass in der konkreten Situation durch den Angeklagten gerade keine Entscheidung innerhalb von Sekunden getroffen werden musste. Der Geschädigte saß auf dem Sofa in seiner Wohnung und drehte sich eine Zigarette. Er war nicht im Begriff die Beamten anzugreifen.“
Fazit
Es könnte eine Provinzposse sein. Ein Polizist ist genervt und „bestraft direkt“, obwohl – oder weil – gegen den Mann nichts vorliegt, vermutlich auch eine Anzeige wegen Lärms zu nichts führt. Direkt bestrafen nennt man auch Lynchjustiz, und genau das dürfen Polizeibeamte nicht. Dass Innenminister Klaus Schlie sich im Zweifel und auch ohne konkrete Informationen vor seinen Polizisten stellt, ist für sich genommen auch keine Überraschung. Selbst nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung hat „die Landeskasse“ die Kosten des Polizeibeamten für ein Berufungsverfahren schon im Voraus übernommen.
Der „offene Brief“ gegen die Richterin, weitergeschickt an alle Polizistinnen und Polizisten, zeigt aber, worum es dem Minister geht. Er will zeigen, wo sein Hammer hängt, will die Kernkompetenz der CDU rechtzeitig deutlich machen. In bestimmten Kreisen wird er damit Erfolg haben.
(Reinhard Pohl)
Die Ministerbriefe sind als Umdruck 17/2529 des schleswig-holsteinischen Landtages veröffentlicht. Das Urteil des Amtsgerichts Elmshorn hat das Aktenzeichen 30 Ds 309 Js 30050/10