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Energiewende unter Beschuss:

Atomlobby wirft Nebelkerzen

01. 12.  2011 Das ist so eine Meldung, wie die großen Stromkonzerne sie lieben. „Ökostrom wird teurer“, so oder so ähnlich titelten Mitte November viele große Medien, und teilten damit den Inhalt einer Pressemitteilung der vier großen Netzgesellschaften mit. Einige Tag später wurde nachgelegt: Der Ausbau der Offshore-Windparks komme nicht voran, die Anbindung ans Netz sei zu teuer, Bürger würden auch auf Land den Ausbau des Höchstspannungsnetzes blockieren. Und zu guter letzt auch noch die Ratingagenturen: Moody's, so meldet die Financial Times Deutschland (FTD) droht den Stromkonzernen mit Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit, also mit höheren Zinsen. Grund: Die politischen Unwägbarkeiten.
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Dabei hatten die Netzbetreiber gerade erst bei der Bundesnetzagentur höhere Netzentgelte durchdrücken können. Und die Bundesregierung hat in der letzten Novelle die Vergütungen für Strom aus Offshore-Windparks kräftig herauf gesetzt. Obwohl er nun rund 50 Prozent teurer als an Land generierter Windstrom ist, wird er in der Planung der Bundesregierung als einer der Königswege der Energiewende ausgegeben. Ein Erfolg der Lobbyarbeit der an den Offshore-Windparks beteiligten Konzerne und Kapitalfonds. Die traditionellen Windanlagenbetreiber, die vom Bundesverband Windenergie vertreten werden und meist eher Kleinunternehmer und -anleger sind, stehen dem Ausbau auf See eher zurückhaltend gegenüber und verweisen auf die großen noch ungenutzten Potenziale an Land.

Dennoch befindet die FTD, dass die Anreize für private Investoren noch nicht ausreichen. Und es ist wohl nicht zu weit hergeholt hierin auch das wahre Motiv des medialen Trommelfeuers zu sehen. Die Energieversorgung ist nun einmal eines der größten Geschäfte in den modernen Volkswirtschaften, und der Übergangsprozess ist ohne Frage kompliziert und unübersichtlich – also eine gute Gelegenheit, die Kuh noch ein bisschen stärker zu melken. Zu einem der Mittel dazu hat sich in den letzten Jahren die sogenannte EEG-Umlage entwickelt, um die es in der Schreckensmeldung vom teuren Ökostrom ging. Mit ihr werden die Mehrkosten des Wind-, Solar und Biogasstroms auf alle Verbraucher umgelegt. Die örtlichen Netzbetreiber müssen ihn zu den rechtlich fixierten Vergütungssätzen des Erneuerbare-Energiegesetzes (EEG) ankaufen und bekommen ihre Mehrausgaben aus der Umlage erstattet. Der erste Kritikpunkt ist bereits die Berechnung der Mehrkosten. Sie werden definiert als die Differenz zwischen dem aktuellen stündlich ermittelten Preis an der Strombörse in Leipzig und der gezahlten Vergütung. Daher wird auch von Differenzkosten geredet. Mitunter kann der Börsenpreis aber ziemlich niedrig sein, unter anderem dann, wenn viel Sonnen- oder Windstrom auf den Markt drängt, auf dem wegen geringen Bedarfs und der weiterlaufenden Braunkohle- und Atomkraftwerke die Nachfrage nur sehr gering ist. Mit anderen Worten: Wenn viel sauberer Strom in den Netzen fließt, können sich die Übertragungsnetzbetreiber besonders viel Differenzkosten anrechnen.

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Sofern sie zugleich auch Besitzer der schwerfälligen AKW und Braunkohlekraftwerke sind, deren Produktion nur sehr schlecht dem aktuellen Bedarf angepasst werden kann, haben sie ein doppeltes Interesse, an dieser Situation nichts zu ändern. Sie kassieren zum einen für ihre oft schon abgeschriebene Alt-Kraftwerke, und sie verdienen zum anderen an der EEG-Umlage, die sie mit einem Stromüberangebot in die Höhe treiben können. Die EU-Kommission hat zwar bereits vor längerem verfügt, dass die Konzerne sich von den Übertragungsnetzen trennen müssen, aber umgesetzt wurde das bisher nur unvollständig. Einzig E.on hat sein Netz vollständig verkauft, und zwar an die niederländische TenneT TSO GmbH. Vattenfall hält noch 40 Prozent der Gesellschaft 50 Hertz Transmission und RWE noch 25,1 Prozent an Amprion. EnBW ist hingegen immer noch vollständig im Besitz seines Übertragungsnetzes.

Diese vier Netzgesellschaften haben Mitte November jene Studie vorgelegt, auf der besagte Meldungen fußten. Darin wird prognostiziert, dass die Umlage von derzeit 3,59 Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh) in zwei Jahren auf 3,66 bis 4,74 ct/kWh steigen wird. Gezahlt wird übrigens vor allem von den Privathaushalten, und da liegt auch ein weiterer Grund für die Höhe. Denn Energieintensive Betriebe zahlen  nur einen kleineren Teil der Umlage. Im laufenden Jahr sind es rund 500 Unternehmen, für die es eine Ausnahmeregelung gibt, aber diese wird demnächst ausgedehnt, so dass sie in den nächsten Jahren wohl an die 6.000 Betriebe betreffen könnte. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) weist schließlich noch auf einen weiteren Faktor hin, der die Umlage in die Höhe treibt. Die Bundesregierung will den Netzbetreibern künftig eine sogenannte „Liquiditätsreserve“ zugestehen. Das heißt, sie dürfen auf die Differenzkosten zehn Prozent draufschlagen und diese von den privaten Stromkunden als zinslosen Kredit kassieren. Derweil hat in Berlin eine Koalitionsarbeitsgruppe die Bundesregierung aufgefordert, bis Ende Januar 2012 zu prüfen, wie die EEG-Umlage konstant gehalten und die Industrie noch weiter entlastet werden könne. Da stelle sich die Frage, meint Rainer Baake von der DUH, ob dahinter nicht „ein perfides politisches Kalkül erkennbar“ werde. Jedenfalls werde durch die Verteuerung der Energiewende zulasten der privaten Verbraucher die überwältigende Unterstützung in der Bevölkerung für die Transformation des Energiesystems weg von Kohle und Atom und hin zu den Erneuerbaren Energien auf eine harte Probe gestellt.

Und noch ein weiteres propagandistisches Geschütz wurde Ende November gegen die Energiewende in Stellung gebracht. Fritz Vahrenholt, Anfang der 1990er SPD-Umweltsenator in Hamburg, dann Vorstandsmitglied bei der deutschen Shell AG und heute Chef der RWE-Erneuerbarensparte RWE Innogy, spricht in der FTD von „wachsenden Atomstromimporten“. Das ist eines der Panikargumente, mit denen die Atomkonzerne seit der Rücknahme der Laufzeitverlängerung für ihre Meiler im Mai gerne hausieren gehen. Mit den Tatsachen hat das wenig zu tun. Deutschland ist auch in der Zeitspanne von Januar bis August diesen Jahres, in der hierzulande zeitweise nur vier AKW liefen, noch Nettoexporteur von Strom gewesen. Unterm Strich wurden in dieser Zeit 2,3 Milliarden Kilowattstunden ausgeführt. Es stimmt zwar, dass viel Strom aus Frankreich und der Tschechischen Republik ins Land kommt und dieser meist mittels der Kernspaltung gewonnen wurde. Gleichzeitig wird aber auch viel exportiert, insbesondere nach Österreich, in die Schweiz und in die Niederlande. Deutschland ist in Zeiten der liberalisierten Strommärkte eben für die elektrische Energie zum Transitland geworden.

(wop)