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Gabriel und die Kohle:

Klimaschutz ade?

01. Dezember 2014 Anfang Dezember, kurz nach erscheinen dieser Ausgabe, wird das Bundes Kabinett ein Maßnahmepaket für den Klimaschutz beschließen. Die große Frage, die dabei im Raume steht, ist: Was wird aus den Kohlekraftwerken und dem Braunkohlebergbau. (Das Ende des Steinkohlebergbaus ist ohnehin besiegelt, denn die EU-Mitglieder haben verabredet, dass ab 2018 keine Subventionen mehr gezahlt werden.) Bereits in der ersten Regierung Merkel hatten sich SPD und Unionsparteien darauf geeinigt, die Deutschen Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren zu wollen. Das hört sich nach viel an und ist auch eines de ehrgeizigsten Ziele im Vergleich zu anderen Industrieländern, nur werden die deutschen Emissionen auch dann noch weit über dem liegen, was für die Stabilisierung des globalen Klima verträglich ist. Immer noch 9,4 Tonnen Treibhausgasemissionen pro Kopf und Jahr würde das 40-Prozent-Ziel bedeuten. Das sind rund zwei Tonnen mehr, als derzeit im Durchschnitt ein Chinese verursacht.

Der zusätzliche Haken an der Geschichte ist, dass es nicht danach aussieht, als werde Deutschland das vermeintlich ehrgeizige Ziel bis 2020 erreichen. Jedenfalls nicht bei der derzeitigen Energiepolitik, die die Kohlekraftwerke unangetastet lassen will. Seit ihrem Tiefstand 2009 nehmen die deutschen Emissionen wieder etwas zu, was vor allem auf die Energiewirtschaft zurückzuführen ist. Deren Emissionen sind zuletzt wieder gestiegen und liegen auf dem Niveau von Mitte der 1990er Jahre. Vn allen Sektoren hat dieser Bereich also bisher am wenigsten zu den Klimaschutzbemühungen beigetragen. Und das obwohl rund 40 Prozent des Treibhausgasausstoß auf sein Konto geht.

Schuld daran ist, salopp ausgedrückt, die Kohle. Der weitaus überwiegende Teil der Emissionen der Energiewirtschaft (85 Prozent) entsteht in den Stein- und Braunkohlekraftwerken. Diese tragen jedoch nur rund 45 Prozent zur Bruttostromerzeugung bei, und netto ist ihr Anteil wegen des hohen Eigenverbrauchs – acht Prozent in Stein- und sieben Prozent in Braunkohlekraftwerken – sogar noch geringer. Kohle, insbesondere Braunkohle, ist also die mit Abstand klimaschädlichste Form der Stromerzeugung, verdrängt aber in letzter Zeit wegen der Besonderheiten des Strommarktes die weniger schmutzigen Gaskraftwerke.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat nun ein Szenario durchrechnen lassen, mit welchen Emissionen 2020 noch zu rechnen ist. Das Ergebnis: Beim derzeitigen Trend werden die Emissionen zwar noch etwas zurückgehen, aber bis 2020 wird nur etwa 33 Prozent Reduktion erreicht. Vorausgesetzt wurde dabei ein sehr niedriger Ausbautrend für die Solarenergie und dass alle bereits zur Abschaltung angemeldeten Kohlekraftwerke auch tatsächlich wie vorgesehen vom Netz gehen. Letzteres ist allerdings kaum fraglich, denn der deutsche Kraftwerkspark ist überaltert. Schon jetzt ist eine knappe Hälfte der Kohlekraftwerke älter als 30 Jahre.

Dieser Aspekt wird in der öffentlichen Debatte über die Energiewende meist gerne ausgeblendet: Nicht nur die Atommeiler, deren schrittweises Abschalten bis 2022 mittels massiven öffentlichen Druck durchgesetzt werden konnte, sind betagt. Auch viele der anderen Kraftwerke müssen in diesem und im nächsten Jahrzehnten ersetzt werden. Neubaukosten fallen also auf jeden Fall an, und das Bundeswirtschaftsministerium hat bereits im Frühjahr nebenbei und wenig beachtet angemerkt, dass die derzeitigen Großhandelsstrompreise von unter fünf Cent pro Kilowattstunde zu niedrig sind, um diese abzudecken. Kostendeckende Preise für neue Kraftwerke liegen je nach Anlagenart zwischen sieben und zwölf Cent pro Kilowattstunde, also in jenem Bereich, mit dem heute auch die Betreiber neuer Windkraft- und Solaranlagen kalkulieren müssen.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hat im Auftrag der European Climate Foundation nun ein Szenario durchgerechnet, in dem mit moderaten Eingriffen dem offiziellen – unzureichenden – Klimaschutzziel noch deutlich näher gekommen werden könnte. Der Rest wäre dann mit Verbesserungen im Verkehrssektor und mehr Effizienz im Einsatz der Heizenergie zu erreichen.Nach dem Vorschlag des DIW sollten bis 2020 einige der ältesten und am wenigsten effizienten Kraftwerke zusätzlich abgeschaltet werden. Unter anderem ginge es um eine Reihe sehr alter Braunkohlekraftwerke im rheinischen Revier, die oft nicht viel mehr als ein Drittel der in der Braunkohle enthaltenen Energie in Strom umwandeln können.

Interessant an den Modellrechnungen sind die Nebenwirkungen, die eine Abschaltung eines äußerst bescheidenden Teils der alten, ineffizienten Kraftwerke hätte: Ersten würde der Druck auf die Gaskraftwerke verringert. Sie könnten mehr produzieren und wären damit wieder wirtschaftlich. Das ist aus zwei Gründen vorzuziehen. Zum einen weil sie weniger Treibhausgas pro erzeugter Kilowattstunde produzieren, zum anderen, weil Gas- anders als Braunkohlekraftwerke sehr flexibel einsetzbar sind. Das macht sie zu idealen Lückenbüßer für den nicht gleichmäßig anfallenden Sonnen- und Windstrom. Zweitens würde die Abschaltung der Kohlekraftwerke den Strom an der Börse etwa verteuern. Dadurch würde aber die EEG-Umlage sinken, mit der vor allem die privaten Verbraucher und die kleinen Gewerbetreibenden belastet werden.

Schließlich zeigt ein genauer Blick auf die DIW-Rechnungen noch etwas anderes: Zu den Voraussetzungen, die in die Szenarien einging, gehörte ein nur sehr langsamer Anstieg des Anteils der erneuerbaren Energieträger. Das entspricht zwar der derzeitigen faktischen Lage, wie sie von der Bundesregierung durchgesetzt wurde, muss aber nicht so bleiben. Insbesondere bei der Solarenergie gäbe es gute Gründe für einen neuen Boom, denn neue Solaranlagen kosten inzwischen nur noch einen Bruchteil dessen, was noch vor vier oder fünf Jahren ausgegeben werden musste. Ihren Ausbau abzuwürgen ist volkswirtschaftlich äußerst unvernünftig. Insbesondere, da es über die vom DIW vorgeschlagenen Anlagen hinaus noch mehrere Dutzend längst abgeschriebener Kohlekraftwerke gibt, die mit geradezu steinzeitlichen Wirkungsgraden arbeiten.

(wop)