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Sechs Punkte für den Exit aus der Krise:

Weg von der Austerität und Europa neu starten - sozial und demokratisch!

Großbritannien beabsichtigt, aus der Europäischen Union auszutreten. Das Brexit-Votum ist der vorläufige Höhepunkt einer Krise, in der die Europäische Union seit Jahren steckt. Es besteht die Gefahr, dass Europa zurückfällt in Nationalismus und Chauvinismus. Das wäre eine politische Katastrophe - auch für die gesamte europäische Linke. Der Brexit muss Ausgangspunkt für einen grundlegenden Kurswechsel und einen sozialen und demokratischen Neustart für Europa sein. Ein Weiter so darf es nicht geben.

 

Das Brexit-Votum ist ein Warnschuss für den Zustand der EU. Mehr als je zuvor ist heute klar: Entweder die Europäische Union wird sich grundlegend verändern oder sie wird Geschichte. Ein Weiter so wäre fatal; es müssen die richtigen Konsequenzen gezogen werden.Die Entscheidung von 52 Prozent der Britinnen und Briten, die EU zu verlassen, hat vielfältige Gründe. Offensichtlich ist, dass eine weit verbreitete Unzufriedenheit über die Entwicklung Großbritanniens als Mitglied der EU besteht. Das Votum ist die Antwort der Wählerinnen und Wähler auf das Zeitalter der Ungleichheit. In vielen anderen Mitgliedstaaten sieht es ähnlich aus.

Rassistische Übergriffe nach dem Referendum müssen entschlossen bekämpft werden. Doch Rassismus ist nicht ursächlich durch den Brexit entstanden, sondern wurde jahrelang von der Regierung Cameron betrieben, der zum Beispiel die Sozialleistungen für Migrantinnen und Migranten abgesenkt hat. Rechte Teile beider Seiten haben in der Referendumskampagne zu einem weiteren Anstieg von Rassismus beigetragen und der Ausgang wird von Rechten nun genutzt, um gegen polnische Mitbürgerinnen und Mitbürger rassistische Hetze zu betreiben. Wir stehen in internationaler Solidarität gegen jede Form von Rassismus. Die rechten Parteien in Europa, wie UKIP, sind auch deshalb entstanden, weil die EU statt die nationale Beschränktheit tatsächlich zugunsten einer grenzüberschreitenden, solidarischen Gesellschaft aufzuheben, nur einen bürokratischen, undemokratischen Überbau zur Regelung der Binnenmarktinteressen der Banken und Konzerne geschaffen und stetig aufgebläht hat.

Eine wichtige Ursache hierfür ist die neoliberale und marktradikale Ausrichtung der bisherigen europäischen Integration. Sie hat Konzerninteressen und Binnenmarktfreiheiten über die sozialen Interessen der Menschen gestellt. Die Austeritätspolitik der vergangenen Jahre hat zum sozialen Abstieg von Millionen Menschen geführt. Das neoliberale Wettbewerbsdogma hat Menschen ebenso gegeneinander ausgespielt, wie die Mitgliedsstaaten. Gepaart mit dieser Politik hat die mangelnde demokratische Legitimierung von EU-Institutionen wie der Kommission zu Recht dazu geführt, dass viele Menschen ihre Interessen nicht durch die EU vertreten sehen. Die EU wird nicht mit Wohlstand und sozialer Sicherheit, sondern mit Kürzungspolitik und Bürgerferne verbunden. Eine Hauptverantwortung für diese ökonomisch falsche, antisoziale und undemokratische, autoritäre Krisenpolitik trägt die deutsche Bundesregierung. Merkel, Schäuble und Gabriel haben die Austeritätspolitik in Europa vorangetrieben - bis hin zur Grexit-Erpressung gegenüber einer linken Regierung in Griechenland.

Diese Politik hat den Nährboden für den Aufstieg rechtspopulistischer und faschistischer Kräfte bereitet, die mit Demagogie Profit aus sozialen Ängsten schlagen konnten. Dementsprechend waren auch die Brexit-Kampagnen der britischen Rechten von Rassismus und Chauvinismus geprägt. Was die falschen Antworten auf diese Entwicklungen sind, führen uns die Regierenden auf nationaler wie europäischer derzeit vor: Finanzminister Schäuble will mit einer Radikalisierung des Neoliberalismus antworten. Kommissionspräsident Juncker will mit der forcierten Umgehung demokratischer Institutionen das Freihandelsabkommen CETA durchsetzen und die Demokratie aushebeln. Und mit ihrer "Globalstrategie der EU" will die EU-Außenbeauftragte Morgherini Aufrüstung, Militarisierung und Weltmachtanspruch der EU weiter vorantreiben. Sie stehen sinnbildlich für das Weiter so und setzen unbeirrt die falschen Strategien fort.

Wir wollen einen grundlegenden Kurswechsel. Als Internationalistinnen und Internationalisten kämpfen für ein demokratisches, soziales und friedliches europäisches Projekt. Die EU ist in ihrer aktuellen Form kein solches Projekt. Es bedarf eines Neustarts, der grundlegende strukturelle Fehler beseitigt. Als erste Reaktion fordern wir ein unverzügliches Ende der sozial wie wirtschaftlich verheerenden Austeritätspolitik und zu diesem Zweck ein umfassenden öffentliches und EU-weit koordiniertes sozial-ökologisches Investitionsprogramm, das den Ausbau leistungsfähiger öffentlicher Infrastrukturen ermöglicht und Armut und Erwerbslosigkeit bekämpft.

Bei der Flüchtlingspolitik versagt die Europäische Union und versagen ihre Mitglieder. Die EU besteht (noch) aus 28 Staaten, mit insgesamt 510 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von rund 15 Billionen Euro. Es waren nicht die rund eine Million Schutzsuchenden, die im Zuge ihrer Flucht nach Europa im Jahr 2015 eine sogenannte "Flüchtlingskrise" auslösten, sondern wir wurden vielmehr Zeugen, wie ein nationalistischer Furor in Kombination mit einer kaltherzigen Grenzschließung die Europäische Union in die tiefste Menschenrechtskrise ihrer Geschichte stürzten.

Denn dass täglich Menschen im Mittelmeer ertrinken, dass Grenzen geschlossen, neue Mauern um die Festung Europas gebaut werden und sich Europa einem Despoten wie Erdogan unterwirft, oder mit autoritären Regimen in Afrika zur Flüchtlingsabwehr paktiert, liegt in der Verantwortung all jener nationaler Regierungen, die unter Missachtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der europäischen Menschenrechtscharta zu keiner gemeinsamen solidarischen Flüchtlingspolitik bereit sind.

Für einen wirklichen Neustart brauchen wir neue Verträge für eine Demokratisierung der europäischen Institutionen, für eine wirksame wirtschaftspolitische Koordinierung im Interesse der Menschen sowie für eine friedliche, zivil ausgerichtete Außenpolitik. Ein wirklich soziales und demokratisches Europa muss von unten neu gegründet werden. Statt der Freiheiten des Kapitals auf dem Binnenmarkt müssen demokratische und soziale Grundrechte sowie umfassende Freiheitsrechte aller in Europa lebenden Menschen Vorrang haben. Statt fortschreitender Privatisierung muss es um demokratische Steuerung der Ökonomie, Stärkung der öffentlichen Daseinsvorsorge und Ausbau der sozialen Infrastruktur gehen.

Gleichzeitig muss ein Neustart der EU beginnen, ein verfassungsgebender Prozess. Wir brauchen eine neue Vision für ein soziales Europa der Hoffnung, Freiheit und des Friedens. Die aktuelle tiefe Legitimationskrise der EU und ihrer Institutionen muss durch mehr Demokratie und Teilhabe überwunden werden. Neben der Forderung von direktdemokratischen Elementen ist die Rolle des Europäischen Parlaments durch ein Initiativrecht zu stärken, sowie ein verbindliches Transparenzregister von Lobbyisten einzurichten. Am Ende werden die neuen Verträge, die Verfassung der Europäischen Union, den Bürgerinnen und Bürgern zeitgleich in allen Mitgliedstaaten der EU zur Abstimmung vorgelegt.

Um aus der Krise in Europa auszusteigen, schlägt DIE LINKE sechs Punkte vor:

1. Austeritätspolitik stoppen!

Als Einstieg in einen anderen Weg für Europa muss die Austeritätspolitik sofort gestoppt werden. Völlig undemokratische Institutionen wie die Troika gehören aufgelöst. Nicht nur für Griechenland, sondern für alle EU-Staaten fordern wir eine europäische Schuldenkonferenz.

2. Wirtschafts- und sozialpolitischen Kurswechsel einleiten

Wir fordern ein EU-weites öffentliches Zukunfts- und Investitionsprogramm für den wirtschaftlichen Aufbau und gute Arbeit in der EU, ökologischen Umbau, Bildung und soziale Dienstleistungen. Dringend ist ein Programm gegen die Massenerwerbslosigkeit, vor allem der Jugend Europas. Wir sagen NEIN zu Lohn- und Sozialkürzungen, zu Privatisierung und Abbau von Rechten der Beschäftigten. Die Europäische Zentralbank (EZB) muss in der EU öffentliche Investitionen in Infrastruktur, innovative Technologien und den ökologischen Umbau finanzieren statt zum Quasi-Nullzins Geld in die Finanzmärkte zu pumpen. Die EZB muss durch das Europäische Parlament demokratisch kontrolliert werden. Massive außenwirtschaftliche Ungleichgewichte in der Euro-Zone sind eine Ursache der Krise. Wir brauchen einen Ausgleichsmechanismus zwischen Ländern mit Überschüssen und Ländern mit Defiziten. Besonders Deutschland muss seine Exportüberschüsse abbauen, indem die Binnennachfrage durch höhere Löhne, öffentliche Investitionen und Ausbau des Sozialstaates gestärkt wird.

3. Wer Europa will, muss es den Reichen nehmen

Superreiche und Vermögenden müssen endlich ihren Beitrag leisten: Wir fordern, eine Abgabe auf Vermögen ab einer Million Euro in allen EU-Staaten zu erheben. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer ist überfällig. Steuerflüchtlinge sind die teuersten Flüchtlinge in Europa. Steuerflucht und Steuerhinterziehung müssen viel effektiver bekämpft werden. Jährlich gehen den EU-Staaten bis zu einer Billion Euro verloren. Gegen Steuerdumping wollen wir eine EU-einheitliche Mindestbesteuerung für Unternehmen einführen. Wir wollen eine Sozialklausel in den EU-Verträgen, die den Vorrang demokratischer, sozialer und ökologischer Rechte und Regulierungen vor den Binnenmarktfreiheiten festschreibt.

4. TTIP, CETA und TISA stoppen!

TTIP, CETA und TISA müssen gestoppt werden. Das ist eine entscheidende Frage der nächsten Monate. Wer TTIP, CETA und TISA ohne die Zustimmung der Parlamente in den Mitgliedstaaten durchwinkt, kann es nicht ernst meinen mit einem demokratischen Europa der Bürgerinnen und Bürger. DIE LINKE fordert, die Bevölkerungen der EU-Staaten über TTIP, CETA und TISA abstimmen zu lassen.

5. Europa muss ein Kontinent der Weltoffenheit sein

Europa muss nicht nur friedlicher werden, sondern auch all jenen, die vor Gewalt und Krieg fliehen ein Aufenthaltsrecht gewähren, das automatisch für die Zeit der Kriegshandlungen gelten sollte. Europa ist längst ein Kontinent der Einwanderung und braucht einen europaweiten Lastenausgleich zur Versorgung und sozialen Integration der Neuangekommenen. Das Dublin-III-Abkommen ist auszusetzen, Frontex muss aufgelöst werden. Das Asyl- und Aufenthaltsrechts kann nicht an die europäische Außengrenze abgeschoben werden, sondern gilt europaweit. Das unveräußerliche Recht auf Asyl muss europaweit in allen Mitgliedstaaten wiederhergestellt und garantiert werden. Es braucht eine neue menschenrechtsbasierte europäische Migrations- und Einwanderungspolitik, die das Sterben an den Außengrenzen sofort beendet und legale Fluchtwege und Aufenthaltsrechte ermöglicht.

6. Für ein friedliches Europa
Wir kämpfen gegen die fortschreitende Militarisierung und Aufrüstung sowohl der EU als auch auf nationaler Ebene, sowie gegen die verstärkte Kooperation zwischen EU und NATO. Die Aufrüstungsverpflichtung der EU-Staaten muss gestoppt werden. Die Rüstungsinvestitionen werden dringend für soziale Belange gebraucht.

Beschluss des Parteivorstandes vom 2. Juli 2016