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Novemberrevolution Kiel:

Erinnerungen eines revolutionären Matrosen

 

Kuefken Erinnerungen1917-1930

„Wir sind die Genossen Piraten“

01.05.2018 Am 5. April fand im Kieler Gewerkschaftshaus eine Veranstaltung des DGB Kiel zur Novemberevolution von 1918 statt, auf der Rolf Becker, Schauspieler und ver.di-Mitglied, aus den Erinnerungen des Revolutionärs Hermann Knüfken (1893 – 1976) las.

Knüfken – Marinesoldat, Gewerkschaftsaktivist, kommunistischer Revolutionär und antifaschistischen Widerstandskämpfer – schildert in seinen Erinnerungen u. a. anschaulich die Kieler Ereignisse um den 3. November, die den Startschuss zur Novemberrevolution gaben.

Dieter Nelles und Andreas Hansen, die Herausgeber des Buches „Von Kiel bis Leningrad - Erinnerungen eines revolutionären Matrosen“, gaben zu Beginn der Veranstaltung eine historische Einordnung der Person Knüfkens und den Entstehungshintergrund seiner Erinnerungen.

Knüfken wurde 1914 zur kaiserlichen Marine eingezogen. 1917 desertierte er, wurde aber gefasst und in Kiel eingeknastet. Im November 1918 befreiten ihn die revolutionären Matrosen im Rahmen des Kieler Matrosenaufstandes aus der Haft.

„In unseren Wäschespinden fanden sich von Kropotkin bis Marx, von Bakunin bis Hebel, von Bernstein bis Liebknecht. Literatur, die bekanntlich vor der Meuterei 1917 nicht verboten war. Bei der Nennung dieser Namen habe ich absichtlich Anarchisten und Sozialdemokraten zusammengemischt, um zu zeigen, dass wir keine Parteifanatiker waren ... Alle, die an der Niederlage arbeiteten, waren uns gleich lieb und willkommen. ... Unser Ziel war ein gemeinsames: die militärische Niederlage der deutschen Kriegsmacht.“ schreibt er in seinen Erinnerungen.

Knüfken gelangte 1918/19 von Kiel nach Skandinavien, wo er in den Häfen und auf den Schiffen im Untergrund als „Berufsrevolutionär“ arbeitete. Im April 1920 brachte er den von Cuxhaven nach Island auslaufenden Fischdampfer „Senator Schröder“ mit einigen Gesinnungsgenossen in seine Gewalt und dirigierte ihn nach Murmansk, damit zwei als blinde Passagiere eingeschleuste Delegierte der „Kommunistischen Arbeiterpartei“ zum Komintern-Kongress nach Moskau gelangen konnten.

Neben den Kieler Ereignissen vom November 1918 las Becker das Kapitel aus Knüfkens Erinnerungen, als „die Genossen Piraten“ 1920 von Lenin empfangen wurden und freundschaftlich über unterschiedliche strategische Sichtweisen diskutierten. Zu jener Zeit war Knüfken Mitglied der Kommunistischen Arbeiterpartei (KAPD) sowie der linken Gewerkschaft „Allgemeine Arbeiter-Union Deutschlands (AAUD). Die wichtigsten inhaltliche Differenzen zwischen KPD und Rätekommunisten bestanden in der Ablehnung des Parlamentarismus und in der Einschätzung der Führungsrolle der Partei, die von den Rätekommunisten zugunsten des Gedankens der Selbstverwaltung vehement abgelehnt wurde. Als Abschiedsgeschenk erhielt Knüfken von Lenin die gerade fertiggestellte Schrift „Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus“ mit der Bitte, nachdem Knüfken dies gelesen hätte, die Diskussion fortzuführen.

Dazu kam es dann aber nicht mehr. Illegal nach Deutschland zurückgekehrt, wurde Knüfken verhaftet und im Mai 1921 vom Hamburger Schwurgericht zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Seine mehrfachen Hungerstreiks und Soliaktionen von Gewerkschaftern veranlassten die Hamburger Behörden, ihn vorzeitig aus dem Zuchthaus zu entlassen und nach Sowjetrussland abzuschieben. In Petrograd/Leningrad arbeitete Knüfken für die Internationale Transportarbeiter-Föderation in der Sowjetunion und übernimmt die Vertretung für viele europäische Seemannorganisationen. 1929 wird er wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in antistalinistischen Oppositionsgruppen verhaftet. Er durchläuft mehrere Gefängnisse und landet schließlich in der Lubjanka in Moskau. Hier enden die Aufzeichnungen Knüfkens. Nach Protesten im Ausland wird er im Mai 1930 entlassen.

(gst)

Hermann Knüfken „Von Kiel bis Leningrad. Erinnerungen eines revolutionären Matrosen“ 1917-1930. Hrsg. von Andreas Hansen in Zusammenarbeit mit Dieter Nelles. Mit Dokumenten, 80 Fotos und Faksimiles. BasisDruck Verlag Berlin 2008. 474 S., 28 Euro