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Landesinnenminister Grote:
Keine Beteiligung an AnKER-Zentren
01. Juni 2018 Anlässlich der Feierstunde zum 25-jährigen Bestehen des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten (LfA) erteilte Schleswig-Holsteins Innenminister Hans-Joachim Grote den AnKER-Plänen seines Bundeskollegen Horst Seehofer eine Abfuhr. Bundesinnenminister Horst Seehofer will im Sommer seinen Masterplan zur Beschleunigung der Asylverfahren vorlegen. Kernstück soll die langfristige Internierung von Asylsuchenden in Großeinrichtungen Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückkehr – sogenannte AnKER-Zentren – sein.
Als Hauptredner bei der Feierstunde des LfA zu seinem 25-jährigen Bestehen am 7. Mai in Boostedt nutzte Minister Grote die Gelegenheit die Position des Landes zu den AnKER-Zentren zu erläutern. Für das Land bestünde keine Notwendigkeit in die Strategie der sogenannten AnKER-Zentren einzusteigen. Auch dass das Bundesinnenministerium die Verantwortung für den Betrieb dieser Zentren den Ländern zuschieben will, sieht Grote kritisch. Mit den AnKER-Zentren würden, wenn es dazu käme, systematisch Brennpunkte mit eingepferchten Menschen geschaffen. „Ich habe meine Zweifel, dass das so in der Theorie Geplante tatsächlich umgesetzt werden kann“, schloss Minister Grote seine Ausführungen.
„Wir begrüßen die Abfuhr, die Minister Grote den AnKER-Plänen des BMI erteilt hat, sehr“, freut sich Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Die im Juni in Sachsen-Anhalt anstehende Innenministerkonferenz (IMK) werde die Richtung der künftigen bundesdeutschen Flüchtlingspolitik vorgeben. „Wir appellieren an die Landesregierung, sich auch bei den Beschlüssen der IMK an die im Jamaika-Koalitionsvertrag verabredete ‚humane Flüchtlingspolitik als Leitlinie‘ zu halten, und dem flüchtlingsfeindlichen Masterplan Horst Seehofers gegenüber widerständig zu bleiben“, erklärt Link.
Hintergrund
Der Flüchtlingsrat hat sich am 24. April mit einem Appell an Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther und Innenminister Grote gewandt: Mindestens solange es keine die Beteiligung Schleswig-Holsteins erzwingende Rechtsgrundlage gibt, solle die Landesregierung alles unterlassen, was als Beteiligung an der vom Bundesinnenministerium (BMI) betriebenen Kasernierung von Schutz und Asylsuchenden verstanden werden könnte, und sich ausdrücklich einer Beteiligung an der vom Bund ausgelobten Pilotphase zur Etablierung von AnKER-Zentren in den Ländern zu enthalten. Der Flüchtlingsrat hat der Landesregierung und der Öffentlichkeit gegenüber schon verschiedentlich seine Vorbehalte gegen die systematische - zumal langfristige - Kasernierung von Schutz und Asyl Suchenden in Lagern kundgetan. Die Kritik von ProAsyl zu den vom Bund geplanten AnKER-Zentren wird von Flüchtlingsrat voll umfänglich geteilt.
Aber auch bis dato nicht-öffentliche aber öffentlich bekannt gewordene Kritik aus Länderverwaltungen, Polizei und Bundesamt ist aus Sicht des Flüchtlingsrats beachtenswert. Dabei wird vor allem der Mehrwert der AnKER-Zentren bezweifelt. Denn aus Verwaltungssicht funktionierten inzwischen Registrierung, Erstaufnahme, Anhörungen usw. einigermaßen effizient und die erheblich verzögernde Wirkung einer Umbauphase wird verwaltungsintern eher gefürchtet.
Erfahrungsgemäß sei auch mit erheblichem Widerstand aus Ortsgemeinden und lokaler Bevölkerung zu rechnen, wenn Großeinrichtungen geschaffen oder Kapazitäten an bisherigen Standorten hochgefahren würden. Das ist wohl insbesondere zu erwarten, wenn der lokalen Bevölkerung bekannt wird, dass im AnKER-Lager vor allem hoffnungslose Menschen untergebracht werden, die im Asylerfahren chancenlos gestellt worden sind sowie keine zukunftsweisenden Integrationsförderung erhalten und sehr wohl wissen, dass das Hauptziel dieser Zentren ihre Externalisierung ist.
Darüber, ob es Sinn macht, unter diesen Bedingungen die derzeit noch von der Bundesarbeitsagentur ihre bis dato vorgehaltenen Erstberater*innen in den AnKER-Zentren zu belassen, herrschen in der Agentur berechtigte Zweifel. Darüber hinaus wird die Justiz sich – jedenfalls außerhalb Bayerns – wohl nicht mitkasernieren lassen. Auch die Polizei hat kein Interesse an Abordnungen in solcherart Hotspots. Mit Schreiben vom 12. April 2018 an die demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag erklärt die GdP: "Vorschlägen, die fundamentale verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen, wie es der Ruf nach Lagern/'AnKER-Zentren' tut, erteilen wir eine klare Absage." GDP-Sprecher Jörg Radek betonte am 25.4.2018 in der Tagesschau, es gehe um Kasernierung über Monate, vielleicht sogar Jahre anstatt um Integration. Das sei gesellschaftspolitisch falsch. Es sei nicht Job der Bundespolizei, da die Verantwortung zu übernehmen. Die Bundespolizei solle die Grenzen sichern - und wenn es dafür genug Personal gäbe, wären die "Ankerzentren" überflüssig. Die Bundespolizei wolle keine Großeinrichtungen mit zahlreichen Plätzen als Problemschwerpunkte administrieren.
Die sozialen Reibungsverluste, die eine mit den AnKER-Zentren geplante Qualität von Dauerunterbringung mit sich bringt, und die längst an vielen Standorten im Bundesgebiet destruktive Praxis ist, wird z.B. mit Blick auf Gewalt gegenüber Frauen und zwischen ethnischen Gruppen oder die nachhaltige Verstörung und psychische Belastung von langfristig gettoisierten Kindern und Jugendlichen offenbar. Das ist auch hierzulande in Neumünster und Boostedt regelmäßiges Thema.
Doch auch haushalterische Gründe sprechen aus Sicht des Flüchtlingsrats gegen eine Beteiligung des Landes Schleswig-Holstein an der Strategie der sog. AnKER-Zentren. Das sog. Milliardenprogramm der Bundesregierung zur Unterstützung der Länder bei der Flüchtlingsaufnahme läuft aus. Der Bund hat sich bislang noch nicht zu der Frage geäußert, wie denn die neuen AnKER-Pläne finanziert werden sollen. Die zentrale Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden in Lagern ist bekanntlich die mit Abstand teuerste Form der Unterbringung. Auch zur Finanzierung der geplanten Asylverfahrensberatung hält Bundesinnenminister Seehofer sich bislang bedeckt. Weiterhin ist die Frage der Kosten für Beschulung pp. in den Zentren noch völlig ungeklärt.
Und selbst wenn der Bundesinnenminister alsbald seine Pläne konkretisiert und möglicherweise Fördermittel des Bundes in Aussicht stellt, ist zu erwarten, dass diese sich mit der im Jamaika Koalitionsvertrag verabredeten „humanen Flüchtlingspolitik als Leitlinie“ reiben werden. Der schleswig-holsteinische Jamaika-Koalitionsvertrag nimmt aus gutem Grund ausdrücklich Abstand von einer langfristigen integrationsfeindlichen Kasernierung von Asylsuchenden. Darüber hinaus wird sich die noch nicht offizielle, aber wohl durch die Bundesregierung längst beschlossene Reduzierung der Herkunftsgruppen mit guter Bleiberechtsperspektive auf nur mehr zwei (Syrien und entweder Eritrea oder Somalia), als zusätzlicher Push-Faktor der verschiedenen o.g. Probleme bei der Umsetzung von AnKER-Zentren und die Lebenssituation der dort Internierten auswirken.
Martin Link, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein