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Kiel:

Proteste gegen Kreuzfahrtschiffe bleiben auf der Tagesordnung

Seit fünf Monaten hatten die weltweit 400 Kreuzfahrtschiffe Zwangspause. Doch nun soll – trotz weiterhin akuter Corona-Gefahr – dieses lukratives Geschäftsmodell wieder aufgenommen werden. Am 3. August 2020 startete TUI mit „Mein Schiff 2“ auch die Kreuzfahrt-Saison in Kiel. Der zweite Kreuzfahrt-Global Player AIDA will am 6. September 2020 mit der „Aidablu“ in Kiel neu starten und Hapag-Lloyd Cruises will ebenfalls ab Mitte September von Kiel aus wieder in See stechen. Das Kreuzfahrt-Unternehmen Aida Cruises wollte ursprünglich auch schon im August loslegen – zehn mit dem Covid-19-Virus infizierte Crewmitglieder setzten dem aber einen Riegel vor und warf gleichzeitig ein Schlaglicht auf das Ausbeutermodell Kreuzfahrten: Am 22. Juli 2020 waren 750 Besatzungsmitglieder für die AIDA-Kreuzfahrtschiffe – unter ihnen die Infizierten – aus Jakarta (Indonesien) und Manila (Philippinen) in Rostock eingetroffen. Die bereits an Bord der Kreuzfahrtschiffe befindliche Stammbesatzung umfasst gerade einmal 100 Personen.

Die lange boomende Seereisebranche hat nun durch Corona eine Delle erhalten. 2019 war der Rekord von rund 30 Millionen Passagieren erreicht worden, 2020 sollten es 32 Millionen werden. Jetzt ist also Schadensbegrenzung angesagt, damit die Kreuzfahrtaktien nicht weiter in den Keller rutschen. Die Aktien der Carnival Corporation, des AIDA-Mutterkonzerns und mit 104 Schiffen Weltmarktführer und des Rivalen Royal Caribbean (TUI) mit 63 Schiffen befinden sich jedenfalls im Sinkflug (FAZ 5.8.2020).

Deshalb hat die Kreuzfahrtindustrie gemeinsam mit den deutschen Behörden ein Hygienekonzept erarbeitet, damit ihr Geschäft auch unter erschwerten Pandemie-Bedingungen lukrativ fortgeführt werden kann. Die Wiederaufnahme der Kreuzfahrten soll in drei Phasen erfolgen: In Phase eins sollen die ersten Schiffe von Hamburg, Rostock und Kiel aus mit Gästen aus dem deutschsprachigen Raum an Bord starten können. Die Schiffe sollen bereits nach maximal sieben Tagen wieder im Starthafen ankommen; ein Landgang ist nicht vorgesehen. In der zweiten Phase dürfen auch ausländische Häfen angefahren werden und in der dritten sollen die Reedereien zu ihrer gewohnten Routengestaltung zurückkehren können. Einen konkreten Zeitplan dafür gibt es allerdings noch nicht.

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„Euer Urlaub zerstört unsere Zukunft“

Die Wiederaufnahme der Kreuzfahrtaktivitäten in Kiel wurde von Protesten begleitet. Rund 150 Umweltaktivisten haben am 26. Juli 2020 am Kieler Ostseekai gegen die Pläne der Kreuzfahrtbranche demonstriert. Ein Bündnis aus Fridays for Future, Extinction Rebellion, der Turbo Klima Kampf Gruppe (TKKG) und weiteren Organisationen fordert einen Stopp für das Anlaufen von Kreuzfahrtschiffen im Kieler Hafen. Dabei knüpfen die Kieler Aktivist*innen an ihre Aktionen und Demonstrationen aus dem Vorjahr an, bei dem u.a. das Auslaufen des Kreuzfahrtschiffs „Zuiderdam“ durch waghalsige Blockadeaktionen um Stunden verzögert werden konnte.

Allein in Kiel waren im vergangenen Jahr etwa 160 Kreuzfahrtschiffe ein- und ausgelaufen. Für dieses Jahr war ein weiteres dickes Plus anvisiert worden; deshalb auch der Bau eines weiteren Abfertigungsterminals. Dabei hatte die Stadtverordnung Kiel 2019 offiziell den „Klimanotstand“ ausgerufen, der die Verwaltung der Landeshauptstadt verpflichtet, unverzüglich konkrete Maßnahmen in Sachen Klimaschutz in die Wege zu leiten. Wie Kreuzfahrtschiff-Boom und Lösung des Klimanotstandes zusammengebracht werden können, bleibt das Geheimnis des Oberbürgermeisters. Und es grenzt schob an Satire, dass die Stadt Kiel jetzt auch noch den Deutschen Nachhaltigkeitspreis einer gleichnamigen Stiftung zugesprochen bekommen hat.

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In den Redebeiträgen auf der Kundgebung vor dem Kreuzfahrer-Terminal wurde die Kritik an dem Kreuzfahrer-Tourismus an folgenden Punkten festgemacht:

• Der Kreuzfahrt-Tourismus treibt weltweit den Klimawandel voran. Nach Berechnungen des WWF liegt der individuelle ökologische Fußabdruck einer Kreuzfahrt (einschließlich An- und Abreise, Unterkunft, Verpflegung und Aktivitäten wie Landausflüge) bei knapp 1.200 kg CO2. Zum Vergleich: Zuhause hätte man in derselben Zeit knapp 50 kg CO2 verbraucht. „Wenn es die Gesellschaft mit dem 1,5 Grad-Ziel ernst meint, werden wir in den nächsten Jahren einen drastischen Rückbau der Kreuzschifffahrt in Kiel benötigen. Lasst uns mit den noch existierenden Kreuzfahrtschiffen doch lieber die Seenotrettung im Mittelmeer unterstützen“, schlugen die Aktivist*innen in Kiel vor.

• Zu den Umweltschäden der Kreuzfahrer kommen schlechte Arbeitsbedingungen und Ausbeutung der Beschäftigten hinzu. Fast alle dort Arbeitenden sind über Subunternehmen angestellt. Es gibt kaum Arbeitsrechte und für viele Hilfsjobs liegt der Stundenlohn teilweise bei nur 2 Euro. Das kommt dadurch zu Stande, dass die Reedereien ihre Schiffe in Ländern mit den „besten Konditionen”, d.h. mit den geringsten Steuern und den wenigsten arbeitsrechtlichen Vorgaben anmelden. Für die Crew heißt das: Arbeitszeiten von 10 Stunden täglich bei einer 7-Tage-Woche an Bord sind eher die Regel als die Ausnahme. Zusätzlich zu schlechter Bezahlung und miesen Arbeitszeiten kommen jetzt noch Totalisolationsphasen wegen der Pandemie und die Gefahren einer Ansteckung.

• In der Corona-Krise wird die Kreuzfahrtindustrie vom Staat mit Milliarden-Krediten unterstützt. TUI, Teileigentümerin zweier Kreuzfahrtreedereien, hat einen ersten staatlichen Corona-Notkredit in Höhe von 1,8 Milliarden Euro von der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) erhalten. Deutschlands größte Kreuzfahrtreederei AIDA und die Meyer Werft in Papenburg, die sich auf den Bau dieses Schiffssegments spezialisiert hat und in dem Bereich weltweit führend ist, haben ebenso Staatshilfen beantragt. Auf Anfrage des Fernsehmagazins Panorama (11.6.2020) teilte ein Sprecher der Meyer Werft mit, man habe einen frischen Kredit mit der KfW in Höhe von 200 Millionen Euro vereinbart. Die Bundesregierung begründet diese Unterstützung damit, dass dies ein Beitrag zur „Sicherung von Arbeitsplätzen und Knowhow in der deutschen Exportwirtschaft“ sei – so werde „ein Beitrag zu wirtschaftlichem Wachstum geleistet“.

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Klima- und Meeresschutz beißt sich mit Kreuzfahrttourismus und Flottenmanöver!

Die Kooperation aus SPD, Grünen und FDP hatte in der Ratsversammlung im Juni 2020 beantragt, „Kiel als Meeresschutzstadt weiter[zu]entwickeln“. 

Allerdings fehlten diesem Antrag leider jegliche konkrete Schritte für tatsächlichen Schutz des Meeres vor Kiels Haustür. Die Ratsfraktion DIE LINKE hatte deshalb in einem Ergänzungsantrag dazu gefordert, die Zahl der Kreuzfahrtanläufe zunächst auf dem aktuellen Stand einzufrieren und langfristig deutlich zu reduzieren, sich deutlich gegen Flottenmanöver auf der Ostsee auszusprechen und rechtliche Schritte zu prüfen, um Kiel nicht mehr als Basishafen für solche zur Verfügung zu stellen und Feuerwerke, die deutlich zur Belastung der Kieler Förde mit Mikroplastik beitragen, auf ein Minimum zu reduzieren. Die Ratsmehrheit war jedoch nicht bereit, diesen Vorschlägen zu folgen. „Die Landeshauptstadt Kiel ist die Stadt mit den drittmeisten Kreuzfahrtanläufen Deutschlands und ihr regionales Tourismus-Entwicklungskonzept beruht zu einem großen Teil auf dem weiteren Ausbau des Kreuzfahrtourismus. Wenn Kiel sich nun selbst das Etikett einer Meeresschutzstadt ansteckt ohne irgendetwas an seiner Ausrichtung auf diese, klima- und meeresschädigende, Form des Tourismus zu ändern, ist das so, als wenn sich eine burgerbratende Fastfoodkette zum Zentrum für gesunde Ernährung erklärt. Das mag vielleicht das Image werbewirksam aufpolieren, mit Klima- oder Umweltschutz hat es aber leider gar nichts zu tun!“, ärgert sich Ratsfrau Bierwirth von den LINKEN.

Günther Stamer