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5. Dezember 2020:

Aktionstag der Friedensbewegung – „Abrüsten statt aufrüsten“

Am 6. Dezember findet – diesmal in digitaler Form – der 27. Friedensratschlag statt. Das Motto der traditionell vom „Bundesausschuss Friedensratschlag“ organisierten Veranstaltung lautet: Weltkriegsgefahren entgegentreten – Wandel zum Frieden einleiten!

Am Tag zuvor, am Samstag, den 5. Dezember 2020 soll bundesweit an möglichst vielen Orten gegen die weitere Steigerung der deutschen Rüstungsausgaben protestiert werden. Die abschließenden Haushaltsberatungen im Bundestag in der Folgewoche (7.-12. Dezember 2020) sollen nach dem Willen der Friedensbewegung nicht ohne außerparlamentarischen Protest über die Bühne gehen. Dazu aufgerufen hat die Initiative „abrüsten statt aufrüsten“.
Bei der Konferenz sprachen sich Friedensaktivist*innen,Vertreterinnen und Vertreter vom DGB, von Ver.di und der IG Metall, den Naturfreunden, IPPNW und Greenpeace für gemeinsame Initiativen gegen die weitere Hochrüstung aus.
„Die bisher 175.000 Unterschriften unter unserem Aufruf ‚abrüsten statt aufrüsten‘ machen Mut für weitere Aktionen“ - das war die übereinstimmende Meinung auf der Anfang Oktober in Frankfurt/Main stattgefundenen Aktionskonferenz. Auf der Beratung wurde der „Frankfurter Appell“ vorgestellt, in dem es u. a. heißt: „Das Gespenst des Kalten Krieges ist zurück. Das Krebsgeschwür des Nationalismus breitet sich aus. Soziale Ungleichheiten spitzen sich zu. Die globale Klimakrise bedroht die Menschheit. Kriege und Naturzerstörung sind entscheidende Gründe für Flucht und Vertreibung. Die Corona-Pandemie ist ein Beleg dafür, dass die sozialen und ökologischen Schutzschichten des menschlichen Lebens dünn geworden sind. Es drohen neue Verteilungskämpfe – national, europäisch, global. Das Gebot der Stunde lautet: Investitionen in die soziale und ökologische Gestaltung der Transformation – in Hochschulen, Schulen und Kitas, in den sozialen Wohnungsbau, in die öffentliche Infrastruktur, in mehr soziale Sicherheit und in den Klimaschutz und eine ökologische Kreislaufwirtschaft.“ (Dokumentiert auch in der letzten Ausgabe der LinX 11-2020).
Wie notwendig der Kampf für Abrüstung und gegen eine zunehmend drohend und global ausgerichtete deutsche „Verteidigungspolitik“ ist, machen beispielhaft folgende aktuellen Meldungen deutlich:

Indo-Pazifik und Weltall im Blick

Anfang September hat das Bundeskabinett – von der Öffentlichkeit kaum beachtet – „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ verabschiedet, in denen sich die Bundesregierung verpflichtet, „sich an Maßnahmen zu Schutz und Sicherung der regelbasierten Ordnung im Indo-Pazifik, wie etwa an der Überwachung der Sanktionen gegen Nordkorea zu beteiligen.“
Vor allem aber geht es um „offene Seewege“ und die „Einhegung chinesischer Machtansprüche. Eine Beeinträchtigung der Seehandelswege im Indischen Ozean und im Südchinesischen Meer und damit der Lieferketten von und nach Europa hätte gravierende Folgen für den Wohlstand unserer Bevölkerung“, heißt es dort in aller frappierenden Offenheit.
Zur logistischen Planung vor Ort ist dazu ein „Regionales Deutschlandzentrum“ in Singapur vorgesehen. Bisher offen lässt das Verteidigungsministerium, ob sich deutsche Kriegsschiffe auch an sogenannte „Freedom of Navigation Operations“ im Südchinesischen Meer beteiligen werden, wie es die US-amerikanische Marine regelmäßig macht.
Zur Erinnerung: Deutsche Kriegsschiffe im Südchinesischen Meer gab es übrigens schon mal. Erstmalig wurde 1859 ein Geschwader der preußischen Marine in das „faszinierende Reich der Mitte“, nach China, entsandt. Zehn Jahre darauf wurde dort eine ostasiatische Schiffsstation als eigener Versorgungsstützpunkt auf chinesischem Boden errichtet. Unter Kaiser Wilhelm II. wurde die chinesische Kiautschou-Bucht 1897 dann zu einem deutschen „Schutzgebiet“ erklärt und wurde Bestandteil der staatlich organisierte Kolonialpolitik des deutschen Kaiserreichs. Doch der Indo-Pazifische Ozean ist den deutschen Militärstrategen noch nicht fern genug. Nachdem die Bundeswehr das Land, das Wasser und die Luft im globalen Maßstab auf dem Plan hat, fehlt eigentlich nur noch das Weltall. Aber auch diese Leerstelle wurde jetzt geschlossen.
Ministerin Kramp-Karrenbauer stellte am 21.9.20 das „Luft- und Weltraumoperationszentrum (Air and Space Operations Centre – ASOC) in Dienst. Diese neue Organisation soll rund um die Uhr das Geschehen im Weltraum überwachen und die deutsche Weltrauminfrastruktur schützen. Wohl nicht zufällig befindet sich diese Einrichtung in der Nähe von Kalkar. In Kalkar befindet sich bereits das „Zentrum Luftoperationen“ zur Planung und Führung von Luftoperationen sowohl der Luftwaffe als auch für die NATO. Von dort aus werden sämtliche Flugbewegungen über Deutschland beobachtet.
Aus dem hier Dargestellten wird deutlich, dass die herrschende Klasse und die Regierung 30 Jahre nach der „Einheit“ auch militärisch wieder in größeren Dimensionen denken.
Martin Jäger, Staatssekretär des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), brachte das in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen (6.9.202) unter dem eindeutigen Titel “Deutschland sollte interventionsfähig sein” sinnfällig zum Ausdruck. „Mit der Anrufung von wirtschaftlicher Stärke und ‚soft power‘ ist es nicht getan. Die Bundesrepublik muss ihr Verhältnis zur Intervention überdenken. Intervenieren bedeutet, einen Konflikt durch Einmischung von außen zur Entscheidung zu bringen. Wir müssen sie als Teil unserer außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten begreifen lernen. Die Intervention ist die kleine Schwester des Krieges“
Zu dieser Aussage passt, was seit Jahr und Tag in der Ostsee geübt wird.

Bundesmarine und GSG 9 üben für den „Ernstfall“ auf der Ostsee

Die militärische Macht, die die NATO inzwischen im Ostseeraum installiert hat, um Signale vor allem an Russland zu senden, ist beachtlich und soll offensichtlich immer weiter ausgebaut werden.
So ist die Ostsee seit Jahren zu einem Manöver-Übungsplatz verkommen, auf dem in immer kürzeren Abständen „Krieg gespielt“ wird. Das Szenario ist dabei immer das gleiche: Es geht dabei insbesondere um „amphibische Operationen“, sprich die Landung an fremden Küsten. Dabei kommen Marineinfanteristen, Fallschirmjäger und sogenannte Spezialkräfte zum Einsatz.
Mitte Oktober begann vor Travemünde zusätzlich noch eine große „Antiterrorübung“ auf See, in der auch eine Einsatzeinheit der GSG 9 mitwirken durfte, um Geiseln auf einer Fähre zu befreien und Attentäter unschädlich zu machen. In der örtlichen Presse hieß es schlussfolgernd: „In Sicherheitskreisen wird deshalb auch die Frage gestellt, ob die GSG 9 neben ihrem neuen, zusätzlichen Standort in Berlin nicht auch einen weiteren Standort an der Küste braucht, um besser für Einsätze auf See vor der deutschen Küste gerüstet zu sein.“

Sperrgebiet in der Eckernförder Bucht extra für Sprengversuche eingerichtet

Seit Jahren hat die Bundeswehr „Anspreng­übungen“ in der Ostsee geplant und hat extra für diesen Zweck ein Sperrgebiet eingerichtet. Vorgesehen sind Sprengversuche an der ausgemusterte Fregatte „Karlsruhe“. Dazu sollen bis zu 500 Kilogramm Sprengstoff in der Nähe des Rumpfes gezündet werden, um die Auswirkungen auf das Schiff zu testen. Insgesamt waren sechs Ansprengungen vorgesehen: jeweils zwei Ende Oktober, im Januar und im Mai. Wegen anhaltender Protesten von Anwohnern, Kommunalpolitikern, Umweltverbänden und Friedensgruppen sind diese Tests nun vorerst ausgesetzt worden.
Aber ganz abschreiben will die Marine dieses Vorheben noch nicht. Der Bundeswehr-Sprecher ließ verlauten, dass das Thema nochmal neu überdacht wird, wenn die Fragen des Naturschutzes geklärt seien. Und warum das alles? „Die Daten aus den Anprengungen fließen in Rechenmodelle für den Bau künftiger Marineschiffe ein,“ so Frank Menning, Direktor der Wehrtechnischen Dienststelle 71 in Eckernförde (Kieler Nachrichten vom 31.8.2020).

Der Kampf um Abrüstung ist gegenwärtig kein großes Thema – weder medial noch auf der Straße

Corona-Pandemie und deren ökonomische und soziale Folgen, Klimapolitik, US-Wahlen, Belarus – das sind Themen, die Tagesschau, heute und die Printmedien dominieren. Deutsche Militär- und Rüstungspolitik sind in den Hauptnachrichten so gut wie kein Thema. Dass die Ausgaben für Rüstung höher sind als die für Bildung und Gesundheit zusammen, wie die Fraktion der „Linken“ am 2.10. im Bundestag vorrechnete, ist ebenso wenig eine Erwähnung wert, wie der fortdauernde Skandal, dass die Bundesregierung sich weiterhin weigert, den UN-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen zu unterzeichnen oder aber die Rüstungsexporte an die an vielen Fronten Krieg führende Türkei.
Aber auch im alternativ-medialen und außerparlamentarischen Bereich fristet die Antikriegs- und Friedensbewegung gegenwärtig ein Mauerblümchen-Dasein. So spielen Fakten zu deutscher Kriegs-und Rüstungspolitik z. B. in den Aktionen der Fridays-For-Future-Bewegung und bei der Seebrücke kaum eine Rolle, obwohl hier die Anknüpfungspunkte zur Friedensbewegung eigentlich offenkundig sind.
Die Friedensaktivisten suchen zwar seit längerem danach, wie sie ihre öffentlichkeitswirksame Präsenz steigern und ihre Themen in andere Bewegungen einbringen können – die Erfolge bleiben aber bescheiden.
Da tröstet ein wenig ein Blick in die Geschichte der westdeutschen Friedensbewegung. Er zeigt, dass friedenspolitische Resonanz in Bevölkerung und Politik großen Schwankungen unterliegt. Nach Höhepunkten Ende der 50er („Kampf dem Atomtod“) und der Ostermarschbewegung im Zusammenhang mit der Studentenrebellion Ende der 60er Jahre war es in den 70er Jahren auch schon mal vergleichsweise ruhig um sie geworden. Das sollte sich dann schlagartig Anfang der 80er Jahre wieder ändern.

Vor 40 Jahren: „Krefelder Appell“ und die westdeutsche Friedensbewegung im Hoch

Der Krefelder Appell, der am 16. November 1980 öffentlich vorgestellt wurde, markiert den Beginn einer kurzen Zeitspanne in der BRD, in der „die Friedensbewegung“ Masseneinfluss auf größere Teile der Bevölkerung ausübte, deren Bewusstsein mitprägte und ein fester Bestandteil von Diskussion und Meinungsbildung in der Zivilgesellschaft war.
Zur Vorgeschichte: Am 12. Dezember 1979 hatte der NATO-Rat in Brüssel beschlossen, dass vom Herbst 1983 an 108 US-amerikanische Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II in der Bundesrepublik und 464 Marschflugkörper (Cruise Missiles) in mehreren Ländern Westeuropas stationiert werden sollten. In der Folgezeit machten die USA einen etwaigen Verzicht auf die Stationierung ihrer neuen Raketen von einem vorherigen Abbau der sowjetischen Mittelstreckenraketen des Typs SS 20 abhängig. Die Parallelität von Aufstellungsentscheidung und Verhandlungsangebot war in der Folgezeit Anlass, von einem „Doppelbeschluss“ der NATO zu sprechen. Da die Stationierung der neuen Mittelstreckenraketen mit einer angeblichen Überlegenheit der Sowjetunion begründet wurde, bezeichneten ihre Befürworter sie als „Nachrüstung“. Dem hielt die Friedensbewegung entgegen, dass die mit einem nuklearen Sprengkopf versehene Pershing II imstande war, in vier bis sechs Minuten punktgenau Ziele tief in der europäischen Sowjetunion zu erreichen. Sie waren somit geeignet, in einem Erstschlag gegnerische Stellungen zu vernichten, ohne dass eine adäquate Gegenwehr möglich war.
An dem Treffen, das den „Krefelder Appell“ Mitte November verabschiedete, nahmen etwa 1.500 Personen verschiedener friedenspolitisch aktiver Organisationen und Initiativen teil. Der „Krefelder Appell“ forderte die Bundesregierung auf, der Stationierung von Pershing II-Raketen und Marschflugkörpern nicht zuzustimmen.
Dieser „Krefelder Appell“ erhielt bis 1983 mehr als vier Millionen Unterschriften. Zu einer Friedenskundgebung im Bonner Hofgarten am 10. Oktober 1981 kamen 300.000 Menschen. Als im Juni 1982 der US-Präsident Reagan Bonn besuchte, waren es sogar 400.000 Teilnehmer. Es entstand ein neuer friedenspolitischer Diskurs von unten, der nicht nur Atomwaffen prinzipiell ablehnte, sondern die NATO als Zentrum des Militarismus generell infrage stellte. Zivile Konfliktbearbeitungsstrategien wurden verstärkt entwickelt. Dabei spielte die (damals noch) pazifistische Partei „Die Grünen“ eine wichtige Rolle.
Nach dem Scheitern der Regierung Schmidt 1982 stimmte der Bundestag unter Kanzler Kohl im November 1983 mehrheitlich der Stationierung der neuen Atomraketen zu. Die Raketen wurden stationiert – oft gegen massive Blockaden vor Ort, an denen prominente Intellektuelle wie die Schriftsteller Heinrich Böll und Walter Jens sowie der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer teilnahmen.
Die SPD musste das vehemente Eintreten ihres Kanzlers Helmut Schmidt für die „Nachrüstung“ teuer bezahlen. Sie verlor große Teile der kritischen Intelligenz, die ihr seit Mitte der sechziger Jahre zugewachsen waren. Dass zuletzt auch Willy Brandt auf einer großen Friedensdemonstration sprach, konnte dies nicht mehr verhindern.
Für die Friedensbewegten unterstreicht der Rückblick auf den Krefelder Appell: Es ist gut und wichtig, sich organisationsübergreifend auf überschaubare Ziele zu einigen, und um diese eine Auseinandersetzung zu führen. Der „Krefelder Appell“ ist nicht wiederholbar – die dabei gemachten Erfahrungen nicht zu vergessen und in dieser oder jener Form für gegenwärtige friedenspolitische Kämpfe nutzbar zu machen, bleiben aber auf der Tagesordnung.

(Günther Stamer)