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Filmkritik:
Ende wie Anfang unterm Durchschnitt
(„Schurback“ (Arne Körner, D 2012)
01.04.2012 „Was macht eigentlich ...?“ hieß mal so eine Reihe, wo ehemals bekannten Künstlern, Show-Sternchen oder sonstigen C-Promis lange Jahre nach ihrem Vergessengewordensein nachgeforscht wurde. Diese Reihe nimmt HFBK-Student Arne Körner in seinem Mockumentary „Schurback“ wieder auf, vielfältig gebrochen (im mehrfachen Wortsinne) und eine über nun Jahrzehnte perfekt (selbst-) inszenierte multipersonale Maskerade, ja, ein kleines Welttheater im Souterrain-Format, fortsetzend.
Schurback, Sohn eines mittelständischen Fahrradhändlers, übernahm das väterliche Geschäft nur der Räumlichkeit nach. Ansonsten machte er in Regenschirmen und scheiterte mit dieser Geschäftsidee, denn er „hat sich nicht digitalisiert, den Anschluss verloren“, weil er ihn „gar nicht erst knüpfen wollte“ zu dieser Weltherrschaft ausbeuterischer Märkte. Ursache, wie Schurback mittels einer etwas hahnebüchenen, gleichwohl mit dem Ernst der Überzeugung vorgetragenen Gesellschaftstheorie belegt: Die „tieferen sozialpsychiatrischen Gründe der Schnäppchenmentalität ... die Jagd des Schirmkunden danach, seine Beute billig zu erhaschen“. Fünf Jahre nach der Geschäftsaufgabe ist er Langzeitarbeitsloser, schwer vermittelbar, und erzählt freimütig bis höchst ironisch augenzwinkernd von den zahllosen Programmen der ARGE mit so unfreiwillig entlarvenden Namen wie „KOALA“ oder „Mittenmang“, durch die er nun geschleust wird, um schließlich als Figur dort wieder zu enden, wo er als Mensch (und Klangkünstler) hinter der Maske mal startete vor mehr als 30 Jahren: Unterm Durchschnitt, als Ein-Euro-Zwangsarbeiter im Abraum einer Gesellschaft, die diesen nur noch wegverwaltet.
In dazu passenden Szenerien führt ihn Körner nicht nur in das alte, baufällige Geschäft „unterm Durchschnitt“, auch in einen Bunker, wo er den Müll der Geschichte studiert und schließlich „eingeeurot“ wegzuräumen hat – den Müll, zu dem ihn die Geschichte 23 Jahre nach dem „Wiedererstarken Großdeutschlands“ (dagegen brüllten so einst die „Deutschland,halt’sMaul!“-Punk-Aktivisten) gemacht hat. Schurback – nein, es war Dr. Kurt Euler auf einer „Walter-Ulbricht-Schallfolie“, veröffentlicht um 1990 und dort begleitet von einem Mädchenchor, der das „FDJ-Lied“ sang – hat es schon damals geahnt: „Es ist eine Zeit der Schmach, der Einschrumpfung des Lebens“.
Sie ist nun eingetreten. Und es macht diebischen Spaß, dabei zuzusehen, wie Herr Schurback/von Donnersperg/Rehberg in Birkis („aus dem Dritte-Welt-Laden, diesem Geschäft für Betroffene“) durch die spinnverwebten Keller stapft und radelt und dabei diebisch untergründig murmelnd singt: „Bau auf, bau auf, Freie Deutsche Jugend, bau auf, an der Seite der Genossen woll’n wir heut’ das Morgen bau’n ...“
Eine herrlich mehrdeutige Studie darüber, was nach dem Ende des Sozialismus folgte: der Anfang des Ab- raums. Und vielleicht ja irgendwann mal wieder eine neue friedliche Revolution derer unterm Durchschnitt ...?
(jm)
„Schurback“, D 2012, 29 Min., Buch, Regie, Kamera, Schnitt: Arne Körner, Ton: Tim Machatschek und Jonas Link, Dramaturgische Beratung: Gisela Gondolatsch, Mischung: Jan Hinz
Wilfried Schurback in der Einschrumpfung des Hartz-IV-Lebens (Still aus dem Film)