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Einzelhandel in Schleswig-Holstein

Streiks nicht ausgeschlossen -

ver.di-Tarifkommission beschließt Urabstimmung

01. Juli 2013  Nach dem Abbruch der Tarifverhandlungen für die rund 90.000 Beschäftigten im Schleswig-Holsteinischen Einzelhandel am 13. Juni hat die große Tarifkommission von ver.di Nord beschlossen, die Mitglieder in den Betrieben zu mobilisieren und im Rahmen einer Urabstimmung die Stimmung in den Betrieben auszuloten. „Auch mit Streiks ist zu rechnen“, heißt es in der ver.di-Presseerklärung zum Scheitern der Verhandlungen. Allem Anschein nach plant der Einzelhandelsverband offensichtlich,ganz aus dem Flächentarif auszusteigen. Ver.di-Sprecher Frank Schischefsky wurde deutlich: „Es hat ziemlich geknallt in den Verhandlungen.“ Und Dierk Böckenholt vom Einzelhandelsverband Nord erklärte: „Ich glaube, dass wir den Flächentarifvertrag verlieren.“

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„Wir werden keinesfalls einen Weg mitgehen, der einem Tarifdiktat gleichkommt und zur Schaffung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft der Beschäftigten führt. Verhandlungen machen nur Sinn, wenn echte Angebote im Lohn- und Gehaltsbereich gemacht werden und zwar ohne Vorbedingungen in Form von drastischen Verschlechterungen in anderen Bereichen“, so Conny Töpfer, Verhandlungsführerin von ver.di Nord.
 
ver.di fordert:

•    Erhöhung der Entgelte um 6,5 %, mindestens 140,00 Euro
•    Erhöhung der Ausbildungsvergütungen um 10 %
•    kein Stundenentgelt unter 8,50 Euro
•    Laufzeit von 12 Monaten
•    unveränderte Wiederinkraftsetzung des Manteltarifvertrages, mit Ausnahme der seit der letzten Tarifrunde offenen Regelungen zu AGG Themen
 
Laut ver.di verdienen Ungelernte im Einzelhandel anfangs 7,50 Euro pro Stunde und kommen auf 1.223 Euro im Monat. Ein Verkäufer erhält 1.536 bis 2.247 Euro, ein Kassierer 1.764 bis 2.428 Euro.
 
Die Arbeitgeber sind in die Tarifverhandlungen mit der Absicht gegangen, die Arbeit nicht nur billiger machen wollen, sondern verlangen zudem massive Verschlechterungen in bestehenden Tarifverträgen.So soll z.B.die Höhergruppierung von Kassierern abgeschafft werden, weil deren Jobprofil sich durch Scannerkassen angeblich sehr vereinfacht habe. Zudem möchten die Arbeitgeber den Stundenlohn von 10,03 Euro für KollegInnen, die Waren einräumen, senken.   „Solche Forderungen greifen massiv die Arbeits- und Einkommensbedingungen der Beschäftigten an und das ist mit uns nicht zu nicht zu machen“, so Conny Töpfer, stellvertretende Landesleiterin von ver.di Nord. „Es muss aufhören, dass die Beschäftigten die Zeche zahlen sollen für den ruinösen Verdrängungswettbewerb im Handel, der über Lohn- und Sozialdumping ausgetragen wird. Gemeinsam mit den Beschäftigten wehren wir uns gegen die Absicht der Arbeitgeber, die 'Abwärtsspirale' bei den Einkommen und Arbeitsbedingungen zu beschleunigen, notfalls auch mit Arbeitskampfmaßnahmen.“

Der Handelsverband Deutschland (HDE) sieht sich dagegen in dem Tarifkampf falsch dargestellt: „Durch mutwillige Fehlinterpretationen und gezieltes Weglassen wesentlicher Fakten wird wird hier auf völlig inakzeptable Weise ein Zerrbild des Einzelhandels verbreitet“, so der HDE-Präsident Sanktjohanser gegenüber der FAZ (13.6.13) und sieht sich einer unheilvollen „Achse aus ver.di und Linkspartei“ gegenüber. Dabei spielt er auf die Anfrage der LINKEN an die Bundesregierung zu „Lohndumping im Einzelhandel“ an. In der Anfrage musste die Bundesregierung mitteilen, dass jährlich rund 1,5 Milliarden Euro aus Hartz-IV-Mitteln an Beschäftigte des Handels flössen (Aufstocker), weil deren Einkommen nicht zum Leben reicht. Zudem gebe es in der Einzelhandelsbranche einen rapiden Rückgang von Vollzeitstellen. Das muss der HDE-Präsident im Grunde bestätigen, ebenso die Tatsache, dass die Stundenlöhne von gut einem Fünftel der Beschäftigten im Einzelhandel unter 8,50 Euro liegen. Aber: Er wertet diese Tatsache als Beleg dafür, wie gefährlich ein gesetzlicher Mindestlohn für die Sicherheit von Arbeitsplätzen im Handel sei!

Einen Sonderfall im gegenwärtigen Arbeitskampf im Einzelhandel stellt Karstadt dar. Dort sieht es für die Beschäftigten alles noch sehr viel bitterer aus. Bekanntlich ließ sich vor vier Jahren Nicolas Berggruen als Karstadt-Retter feiern, der den insolventen Karstadt-Warenhaus-Konzern nach vollmundigen Ankündigungen und ausgestattet mit satten Steurgeschenken in eine neue Zukunft führen wollte. Heute entpuppt sich der „Visionär“ als ganz ordinäre Finanz-Heuschrecke und Brutalo-Kapitalist. Von Kapitalinvestitionen bis zu 300 Millionen Euro in moderne Warenhäuser war die Rede – doch Berggruen investierte so gut wie keinen einzigen Cent in den Warenhaus-Konzern. Die größten Opfer bei der angeblichen Rettung  von Karstadt erbrachte die Belegschaft. VerkäuferInnen und Warenverräumer, die im Monat gerade mal 1.500 Euro brutto verdienen, verzichteten auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Lohn- und Gehaltserhöhungen, die in der Branche tariflich vereinbart wurden. Statt auf Geld für Modernisierungs-Investitionen komme es auf den „Wandel im Unternehmen selbst“ an, so Berggruen.
 
 
Dieser Wandel hat seit Sommer 2011 bereits zur Streichung von 2.000 Vollzeitstellen geführt. Jetzt soll ein erneutes Rationalisierungs- und Stellenstreichungsprogramm durchgezogen werden. Mehr noch: Berggruen und das Karstadt-Top-Management kündigten an, aus der Tarifbindung auszusteigen. Ein erneuter Ausschluss aus tariflichen Lohnerhöhungen für die Belegschaft wäre die Folge. Auf die von Karstadt angekündigte „Tarifpause“ antworteten Belegschaften einzelner Warenkäuser jetzt im Rahmen der Tarifauseienadersetzungen im Handel bereits mit ersten Warnstreiks. Solidarität erhalten die Karstadt-Beschäftigten z. B. von den Kaufhof-KollegInnen: „ver.di darf keinen Tarifabschluss im Handel ohne Rücknahme der Zwangstarifpause bei Karstadt abschließen“, so die stellvertretende BR-Vorsitzende Kaufhof Düsseldorf-Werhahn.

Auch in Hinblick auf die Tarifauseinandersetzungen im Einzelhandel wird eine Tendenz bestätigt: Seit Beginn diesen Jahres können wir feststellen, dass kaum ein Tag vergeht, an dem sich Belegschaften nicht in Warnstreiks oder Streiks zur Durchsetzung ihrer tariflichen Forderungen befinden. Und es geht dabei nicht nur um die Erhöhung der Löhne; die Auseinandersetzungen um prekäre Beschäftigung, Teilzeitarbeit, befristete Beschäftigung, Leiharbeit nehmen dabei ebenfalls zu. Um diesen neuen massiven Angriffen der Unternehmer auf erkämpfte betriebliche und tarifliche  Standards wirkungsvoll entgegentreten zu können sind gemeinsame gewerkschatliche Kämpfe nötiger denn je. Und daran fehlt es leider zur Zeit.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Beschlüsse des letzten ver.di-Bundeskongresses, wo  eine engere Zusammenführung von Warnstreiks und Tarifkämpfen der unterschiedlichen Fachbereiche in der Dienstleistungsgewerkschaft eingefordert wurde. Und: Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich bei gleichzeitiger Verringerung der Ladenöffnungszeiten gehören mit in die tarif- und gesellschaftpolitischen Auseinandersetzungen – jetzt und in Zukunft.

gst