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Europäische Flüchtlingspolitik:

Tod und Elend


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01. Juli 2013  Tod und Elend charakterisieren die derzeitige europäische Flüchtlingspolitik: Verdeutlicht wird dies an den etwa 20.000 Flüchtlingen und Migranten, die seit 1993 an den EU-Außengrenzen ums Leben gekommen sind und an Haftanstalten und Elendslager für neu ankommende Schutzsuchende, die in den EU-Staaten wie Pilze aus dem Boden schießen.
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Das sogenannte Asylpaket, dass das Europäische Parlament am 12. Juni nun beschlossen hat, wird an diesen Menschenrechtsskandalen nichts ändern. Flüchtlingsinitiativen in unserem Land weisen daruf hin, dass sie einen Großteil ihrer Energie darauf verwenden müssen, Asylsuchende davor zu bewahren, in menschenrechtswidrige Lebensumstände in andere EU-Staaten abgeschoben zu werden – in Deutschland betraf dies 3000 Asylsuchende allein im letzten Jahr. Das inhumane Asylzuständigkeitssystem (Dublin) bleibt auch nach dem nun beschlossenen Asylpaket in seinen Grundstrukturen erhalten. Die Dublin-Verordnung legt fest, daß immer der Staat für ein Asylverfahren zuständig ist, über dessen Grenze ein Antragssteller in die EU gelangt ist. Damit wurde ein System der Aufnahme von Asylsuchenden etabliert, das die Staaten an den Außengrenzen systematisch überlastet. Fehlt dann noch der politische Wille für eine menschenwürdige Aufnahme der Asylsuchenden, entstehen Zustände wie  in Griechenland. Dorthin wird seit Anfang 2011 von Deutschland aus nicht mehr abgeschoben, nachdem das Bundesverfassungsgericht in Einzelfällen eine Rücküberstellung untersagt hatte. Aber auch die Lebensbedingungen für Asylsuchende in anderen Ländern (Italien, Spanien, Zypern) sind alles andere als human.

PRO ASYL stellt in einer ersten Stellungnahme zum Asylpaket des Europäischen Parlaments fest: „Knapp 14 Jahre nach dem Startschuss zu einem gemeinsamen europäischen Asylrecht ist auch nach der zweiten Etappe kein 'Europa des Asyls', so der EU-Anspruch, oder gar ein 'gemeinsamer Schutzraum für Flüchtlinge' geschaffen worden. Die so genannte Aufnahmerichtlinie sollte eigentlich die sozialen Aufnahmebedingungen für Asylsuchende regeln. Im Zuge der Verhandlungen wurde daraus eine Inhaftierungsrichtlinie für Schutzsuchende. Bei den Verhandlungen wollte kein Staat auf seine Haftgründe verzichten. So kam es dazu, dass die Richtlinie nun sechs Haftgründe enthält, die es erlauben, Asylsuchende zu inhaftieren (ungeklärte Identität, Beweissicherung im Asylverfahren, Prüfung des Einreiserechtes, verspätete Asylantragsstellung, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Dublinverfahren). Selbst die alte Position des Europaparlaments, zumindest die Inhaftierung von unbegleiteten Flüchtlingskindern zu verbieten, wurde im Zuge der Verhandlungen aufgegeben. Die Zustimmung des Europaparlaments zu diesem europäischen Inhaftierungsprogramm stellt aus Sicht von PRO ASYL ein menschenrechtliches Armutszeugnis dar.“

Im Zusammenhang mit dem Asylpaket ist auch die Tatsache zu sehen, dass an den europäischen Außengrenzen immer weiter aufgerüstet und auch innereuropäisch an den Grenzen wieder stärker auf Kontrolle gesetzt wird. Unlängst hat Frontex, die „Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“, angekündigt, künftig auch Drohnen einzusetzen, um auf dem Mittelmeer nach Flüchtlingsbooten zu suchen. Außerdem haben sich die wichtigsten EU-Staaten Ende Mai auf eine Neufassung des Schengen-Regelwerks geeinigt, wonach wieder stärker Binnengrenzkontrollen durchgeführt werden können. War das bisher auf sicherheitspolitisch sensible Ereignisse wie Großveranstaltungen (Gipfeltreffen, Fußball-EM usw.) beschränkt, kann künftig auch eine große Zahl angeblich illegaler Grenzübertritte als „Notfall“ interpretiert werden,was ständige Grenzkontrollen zur Folge hätte. Dabei beklagt z.B. der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein schon jetzt eine erhebliche Zunahme von willkührlichen Personen-Kontrollen in grenznahen Räumen des nördlichsten Bundeslandes. Dies wird vor allem begründet mit der „Abwehr und Bekämpfung von grenzüberschreitender Kriminalität“ oder der „Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise.“ Und anlassgebend ist dabei häufig die Hautfarbe oder das vermeintlich nichtdeutsche Aussehen der Betroffenen, im Fachjargon auch „racial profiling“ genannt.

Der Deutsche Gewerkschaftsbundes (DGB) stellte am Freitag gegenüber Pressevertretern in Berlin gemeinsam mit Pro Asyl und Interkulturellem Rat die Positionen der Organisationen zur kommenden Bundestagswahl vor. „Statt die eigentlichen Ursachen der Krise zu benennen, werden diejenigen als Verursacher diskreditiert und stigmatisiert, die in besonderem Maße von ihr betroffen sind – die Bevölkerungen der sogenannten Krisenstaaten Süd- und Osteuropas sowie Flüchtlinge, Migranten und andere gesellschaftliche Minderheiten“, begründete Annelie Buntenbach die Forderungen nach einer Neuausrichtung der Einwanderungs-, Aufenthalts- und Flüchtlingspolitik sowie zur Bekämpfung von Rassismus und Neofaschismus.

Das Papier verlangt die Beendigung der gewaltsamen Abwehr von Flüchtlingen an den Außengrenzen der EU sowie die Gewährleistung eines fairen Asylverfahrens in dem Land, in dem ein Asylsuchender einen Asylantrag stellt. Darüber hinaus wird die Verabschiedung einer dauerhaft wirksamen Bleiberechtsregelung und die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes gefordert. Die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union, ein erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt und ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht für Migranten und Flüchtlinge müsse gefördert werden.

Nach den neuerlichen Beschlüssen des EU-Parlaments zu Asylfragen bleiben die Forderungen der Flüchtlingsverbände mehr denn je auf der Tagesordnung: Dazu gehören als Sofortforderungen an die Bundesregierung: Schluss mit der Residenzpflicht, die Asylbewerbern verbietet, den Landkreis zu verlassen, in dem sie untergebracht sind; Stopp von Abschiebungen; die Schließung von Flüchtlingslagern und die Gewährleistung von ärztlicher Hilfe für nicht krankenversicherte Flüchtlinge.   

Europaweit muss ein gemeinsames Asylrecht erkämpft werden, das mehr Solidarität und Humanität bei der Aufnahme von Flüchtlingen und den gefahrenfreien Zugang zum EU-Territorium gewährt. Denn nicht die Abwehr der Flüchtlinge, sondern aktive Bekämpfung der Fluchtursachen wie Krieg, Hunger und soziale Not sind das Gebot der Stunde. Nur die internationale und solidarische Zusammenarbeit für eine umfassende Verwirklichung der individuellen und sozialen Menschenrechte ermöglicht ein menschenwürdiges Leben aller in unserer gemeinsamen Welt.

text/foto: gst