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Streik am Nord-Ostsee-Kanal abgeblasen

NOK

 

01. Oktober 2013  Der Streik der Schleusenwärter am Nord-Ostsee-Kanal (NOK), der ab 9. September beginnen sollte, wurde von ver.di kurzfristig abgeblasen. Angst vor eigener Courage?

Die Gewerkschaft befindet sich seit dem Frühjahr wegen der geplanten Umstrukturierung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) im Arbeitskampf. ver.di fürchtet durch die Reform den Abbau von bis zu 3.000 der insgesamt 12.000 Arbeitsplätze und fordert deshalb eine tarifvertragliche Absicherung für die Beschäftigten – was Bundesverkehrsminister Ramsauer (CSU) aber strikt verweigert. Die WSV betreibt bundesweit 450 Schleusen, 290 Wehre, vier Schiffshebewerke, 15 Kanalbrücken und zwei Talsperren. Von den 12.000 Mitarbeitern sind etwa 10.000 Angestellte und damit auch voll streikberechtigt. Bei einer Urabstimmung Ende April hatten über 95 Prozent der ver.di-Mitglieder in der WSV für den Streik gestimmt.

Auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz am 7.September in Kiel vermittelten die ver.di-Verantwortlichen den Eindruck, dass sie Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen hatten was ihre Ankündigung der Bestreikung des NOK betrifft. Vielleicht waren sie auch überrascht über die Heftigkeit der öffentlichen Reaktionen auf die Streikankündigung.

Dem Streik-Rückzug der Gewerkschaft war ein massives politisches und mediales Trommelfeuer gegen ver.di vorangegangen. "Wird dem Nord-Ostsee-Kanal jetzt endgültig der Todesstoß versetzt?" fragte die "Schleswig-Holsteinische Landeszeitung" am 6.9.2013.

"Die Furcht im Land ist groß, seitdem die Gewerkschaft ver.di gestern angekündigt hat, von Montag bis zum folgenden Sonntag die Arbeit an Schleusen und Kanälen bundesweit niederzulegen."

Die Wirtschaftsverbände Schleswig-Holsteins, CDU und FDP schossen wie nicht anders zu erwarten ihre antigewerkschaftlichen Breitseiten ab und malten in düsteren Farben die Beschädigung des "Wirtschaftsstandortes Deutschland" und die Gefahr des Verlustes von Arbeitsplätzen in der maritimen Wirtschaft an die Wand. Die CDU-Landtagsfraktion forderte als Konsequenz der Streikdrohung endlich mit einer rigorosen Privatisierung aller Dienstleistungen an den Kanalschleusen zu beginnen. Auch die Wartungsarbeiten sollten möglichst schnell nur noch an Privatfirmen vergeben werden, um „das Erpressungspotenzial von ver.di“ zu verringern. Es gehe der Gewerkschaft längst nicht mehr um Tarifverträge, sondern um eine Machtdemonstration vor der Bundestagswahl, so der Unions-Fraktionsgeschäftsführer Arp. Der Landesvorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates und schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete Philipp Murmann forderte, ad hoc für einen Notbetrieb auf dem Kanal zu sorgen und die „Fließfähigkeit mit Hilfe von Drittunternehmen“ sicherzustellen.

Kurze Anmerkung am Rande: Derartige Privatisierungspläne, gegen die ver.di sich stemmt, sind keineswegs neu. Bereits 2001 – also zu rot-grünen Zeiten – hatte eine Arbeitsgruppe im Bundesverkehrsministerium vorgeschlagen, vorrangig die operativen Arbeiten rund um die Streckenunterhaltung, den Schleusenbetrieb und Reparatur- und Wartungsarbeiten auszugliedern und nur noch die Verwaltung und Aufsicht in öffentlicher Hand zu behalten. Seitdem kämpft ver.di gegen diese Pläne – teils vergeblich, denn einige Teile des Konzeptes sind längst umgesetzt.

Ralf Stegner, SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzender, räumte ein: „Der Streik beunruhigt mich sehr, weil er das Land auf dem falschen Fuß erwischt.“ Und auch die Landesregierung zeigte sich unverholen besorgt. „Jeder Tag, den der Nord-Ostsee-Kanal nicht befahrbar ist, schadet nicht nur dem Wirtschaftsstandort Norddeutschland, sondern dem Standort Deutschland“, erklärte Ministerpräsident Albig (SPD) und assistierte damit wortgleich der Argumentation von CDU und Wirtschaft.

"Wegen der Streiks und zahlreicher Mängel, unter anderem an den maroden Schleusentoren, musste der Kanal in diesem Jahr schon mehrfach gesperrt werden. Allein im ersten Halbjahr sank deshalb die Zahl de Schiffspassagen um über 2.000 auf 15.940." wusste die "Kieler Nachrichten" letzte Woche zur Einstimmung auf den drohenden Streik zu vermelden. Unverfroren werden hier die kaum ins Gewicht fallenden Streiktage mit der maroden Infrastruktur gleichgesetzt, die allein dafür verantwortlich ist, dass immer mehr Schiffe den Umweg über Skagerak in Kauf nehmen als tagelang vor kaputten Schleusen zu warten.

Die ver.di-Nord Vertrauensmänner/-frauen und Personalräte am NOK hatten Mitte März in einem Schreiben an Bundesverkehrsminister Ramsauer als Sofortmaßnahmen gefordert:

"Hierzu gehören die sofortige Aufstockungen der Instandsetzungstrupps an beiden Schleusenanlagen um jeweils mindestens 20 Handwerkerinnen und Handwerker, die Schaffung einer weiteren Tauchergruppe sowie ein Team aus jeweils mindestens 10 Ingenieurinnen und Ingenieuren sowie Technikerinnen und Techniker für die Grundinstandsetzung und die Planung von Sofortmaßnahmen an den Schleusenanlagen. Eine unbefristete Übernahme von Auszubildenden und die Entfristung befristeter Arbeitsverträge ist ein weiterer notwendiger Schritt für einen zukunftsfähigen NOK. Eine Auflösung von Ämtern und Standorten ist kontraproduktiv. Die Kanalstandorte Kiel, Brunsbüttel und Rendsburg müssen gestärkt werden."

Und als der NOK Mitte August für zwei Tage bestreikt wurde, begründete ver.di die Kampfmaßnahme in einem Flugblatt folgendermaßen:

„Wir wissen um die Probleme aller anderen Kanalnutzer, aber wir haben kein anderes Mittel, unsere Rechte durch zu setzen, als am Kanal zu streiken. Die Kollegen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung wissen von den kaputten Toren, den demolierten Schleusenwänden, der morschen Kanalbefestigung, den defekten Kaimauern seit Jahren. Aber sie werden nicht gehört. Stattdessen werden ihre Arbeitsplätze abgebaut und das Bundesverkehrsministerium zentralisiert eine Dienststelle, die ihre Aufgaben eigentlich dringend vor Ort erledigen müßte.

Zweieinhalbtausend Arbeitsplätze sollen abgebaut werden - Im laufenden Betrieb, ohne reelle Absicherung für die betroffenen Kollegen.

Seit Jahren wird Personal abgebaut, Leiharbeit und befristete Arbeit nehmen zu, und statt sich um die Instandhaltung zu kümmern sind die Kollegen mit mehreren „Feuerwehraufgaben“ gleichzeitig beschäftigt."

Da bisher in keiner Weise auf die Forderungen der Kolleg_innen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung eingegangen wurde, bleibt der Arbeitskampf auch auf dem Nord-Ostsee-Kanal auf der Tagesordnung.

Wichtig wäre, dass ver.di fachbereichsübergreifend Solidarität für die kämpfenden WSA-Mitarbeiter organisiert und die Kolleg_innen mit einer breiten Öffentlichkeitsarbeit unterstützt.

(Text / Foto: gst)