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Der 1. und der 2. Mai 1933:

Unvorbereitete Gewerkschaften

Der 1. Mai 2008 steht für die arbeitenden Menschen im Zeichen eines historischen Datums: vor 75 Jahren, am 2. Mai 1933, besetzte die SA in ganz Deutschland die Gewerkschaftshäuser und zerschlug die Organisationsstruktur der freien Gewerkschaften. Alles Stillhalten gegenüber der Politik des Sozialkahlschlags und der Notverordnungen, der politischen Entrechtung in den Jahren vor 1933, alle Anbiederungsversuche der ADGB-Führer bei Hindenburg und Hitler hatten nichts genutzt. Der beschämende Aufruf des ADGB zur Beteiligung an der faschistischen Maifeier besiegelte die Kapitulation. Anpassung führt zum Untergang – diese wichtigste Lehre für die deutsche Arbeiterbewegung muss immerwährende Mahnung und Orientierung für unsere Politik sein.

Zur Zeit wird eine Wanderausstellung von Hans-Böckler-Stiftung und DGB in verschiedenen Städten der Republik gezeigt, die der Zerschlagung der Gewerkschaften gewidmet ist. Am 1. Mai wurde sie im Kieler Gewerkschaftshaus eröffnet. Sie ist sehenswert und bietet Anstöße für Diskussionen. Sie bietet sich geradezu an als Einleitung für Workshops, in denen etwa die vier darin gegebenen „Erklärungsansätze“ für die Niederlage der Arbeiterbewegung hinterfragt und durchgearbeitet werden könnten. All diese Ansätze sind arg kurz gefasst; der erste, mit dem Titel „das politische Gegeneinander von KPD und SPD“, lautet so: „In den letzten Jahren der Weimarer Republik standen Kommunistische Partei und

Sozialdemokraten in scharfer Konkurrenz zueinander. Dieses zerrüttete Verhältnis verhinderte ein gemeinsames Vorgehen nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Die KPD-Zentrale hielt den „bürgerlichen Parlamentarismus“ nicht für verteidigenswert und betrachtete Hitler als Übergangserscheinung vor der proletarischen Revolution. Die SPD ihrerseits hielt an den Buchstaben der   Ver- fassung fest und verbot ihren Mitgliedern noch im April 1933 die Vorbereitung auf die illegale Arbeit.“ Wie viel wäre dazu zu sagen…

Um hier ein paar Gesichtspunkte beizusteuern, füge ich einen kurzen Auszug aus einem Referat zum Thema „Arbeiterwiderstand gegen den deutschen Faschismus“ an, das ich im April auf einer von ver.di organisierten Tagung im Dokumentationszentrum in Prora (Rügen) gehalten habe. (Wenn vor Ort Interesse an dem Vortrag besteht – bitte melden!)

‚Ich möchte an eine Einsicht Erich Kästners erinnern, der die Tragödie der deutschen Arbeiterbewegung und damit der Demokratie in Deutschland in ein treffendes Bild gefasst hat: „Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muß den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.“ Ein Großteil der Chancen, den rollenden Schneeball zu zertreten, war nicht erst in den Tagen nach dem 30. Januar 1933 verspielt worden. Sein Vorspiel hatte dieser Tag mit dem „Preußenschlag“ im Juli 1932 gehabt.

„Der sogenannte ‚Papen-Staatsstreich’ schuf eine Situation, in der die Arbeiterschaft – ähnlich wie 1920 gegen Kapp – den Vorstoß der profaschistischen Reaktion nur zurückweisen konnte, wenn sie geschlossen auftrat, den Generalstreik erklärte und über alle Hindernisse hinweg ihre Kräfte vereinte. (…) Die sozialdemokratischen Führer dagegen vertrösteten ihre Anhänger auf die Reichstagswahlen. (…) Die Tatsache, dass Papen widerstandslos eine Regierung absetzen konnte, die bisher in den Augen der bürgerlichen Demokraten als das Bollwerk und die Garantie gegen den Faschismus galt, hatte eine verheerende Wirkung auf einen Großteil der Kleinbürger, die  unentschlossen zwischen Arbeiterschaft und Faschismus schwankten. Die am 20. Juli zum Ausdruck gekommene Aktionsunfähigkeit der Arbeiterklasse trieb diese Kleinbürger vollends ins Lager des Faschismus, weil dort, wie es schien, die entschlossenere und stärkere Kraft zu finden war, der allein noch eine Änderung der unerträglichen Verhältnisse zuzutrauen war.

Darüber hinaus hatte die Tatsache, dass die Monopolbourgeoisie und ihr Repräsentant Papen die Arbeiterklasse ungestraft so schwer hatten provozieren können, auch jene Kreise der Bourgeoisie ermutigt, die bislang aus Furcht vor der Reaktion der Arbeiter noch vor dem Äußersten, vor der   Machtübertragung an die Faschisten, zurückgeschreckt waren. (…) Der 20. Juli war für die zum Faschismus strebende deutsche Monopolbourgeoisie die Generalprobe gewesen, die ihr anzeigte, dass sie es wagen konnte, auch den letzten Schritt zu tun.“ (Kurt Gossweiler: Faschismus und antifaschistischer Kampf)

Diese Bereitschaft musste wachsen, je mehr die Führer der Arbeiterorganisation, aus denen Reihen der Widerstand hauptsächlich erwachsen musste – des Bundes freier Gewerkschaften – selbst von der Idee des Widerstandes abrückte. Beispielhaft für diesen Vorgang, der in der von Theodor Leipart verkündeten Kapitulation mündete, steht der letzte Leitartikel des theoretischen Organs des ADGB „Die Arbeit“, für den Leiparts Vertrauter Lothar Erdmann im März 1933 verantwortlich zeichnete. Er trägt den Titel „Nation, Gewerkschaften und Sozialismus“.  Er verkündet die Lösung der als überholt bezeichneten Verbindung des „deutschen Sozialismus“ mit der „positivistischen Weltauffassung von Marx und Engels“, denn darin sei „eines der entscheidensten Hindernisse für das Verständnis der sozialistischen Ideen außerhalb der Arbeiterschaft“ zu sehen. Sozialismus sei „ein Inbegriff von Überzeugungen von der staatlichen und gesellschaftlichen Gestaltung des Lebens der Nation. Jede Identifizierung mit einer bestimmten Weltanschauung würde seinen Wirkungskreis verengen.“ Und dann: „Die deutschen Gewerkschaften haben ihren Sozialismus von dem landläufigen Marxismus schon in einer Zeit klar abgegrenzt, als der Glaube an den Sieg des Nationalsozialismus in Deutschland noch das historische Vorrecht seiner Führer war. Sie haben es getan, ohne ihre Vergangenheit zu verleugnen. Sie haben diesen Schritt tun müssen in folgerichtiger Anwendung ihrer großen geschichtlichen Entscheidung von 1914. Die eigene geistige Entwicklung führte die deutschen Gewerkschaften zu einer freieren Auffassung der sozialistischen Idee, weil sie wollten, dass sie tiefer in den geistigen Wirkungszusammenhang der deutschen Geschichte eindringen und in fruchtbare Wechselwirkung treten sollte mit allen lebendigen Kräften der Nation.“

Volksgemeinschaft und Überwindung des Klassenkampfes seien Ziele der Gewerkschaftsbewegung. Die Beseitigung der Demokratie brauche keine Schranke für das Wirken der Gewerkschaften in diesem Sinne sein: „Die Gewerkschaften haben ihre Bereitschaft erklärt, auch im neuen Staate mitzuarbeiten. Sie brauchen, auch wenn sie manches aufgeben müssen, was ihrem geschichtlichen Wesen entsprach, ihre Devise: ‚Durch Sozialismus zur Nation’, nicht zu ändern, wenn die nationale Revolution ihrem Willen zum Sozialismus sozialistische Taten folgen lässt.“

Solchen Führern vertraute die Masse der organisierten deutschen Arbeiterschaft, als sie noch stark und bewaffnet war, bereit, auf das versprochene Signal hin auf den Plan zu treten… Nun müssen wir uns mit dem Stichwort beschäftigen, das alle Diskussionen um Arbeiterwiderstand gegen die Etablierung der faschistischen Diktatur in Deutschland bestimmt: Generalstreik! Zum Generalstreik aufgerufen hatte schon im Juli 1932 die KPD. Ihn eigenständig zu verwirklichen, hatte sie nicht die Macht – sie hatte ihre Mitglieder und Anhänger vorwiegend in Klein- und Mittelbetrieben und unter den Arbeitslosen. Die Masse der in den Großbetrieben beschäftigten gewerkschaftlich Organisierten gehörten den freien Gewerkschaften an und waren Mitglieder der SPD bzw. standen ihr nahe. Unter ihnen gab es viele, die auf den Ruf ihrer Führung selbst zum bewaffneten Kampf gegen den Staatsstreich und schon gar gegen die faschistische Diktatur warteten; sie hielten aber auch Ruhe, als der Ruf nicht kam; fest verwurzelt war in ihrem Denken die Disziplin als Quelle ihrer Kraft – dass die Voraussetzungen zu dieser Disziplin ihren Führungen gegenüber mehr und mehr hinfällig geworden waren, sahen sie nicht. Sie sahen sie auch dann noch nicht, als sich in den Reihen der SPD-Führer und selbst – ja, vor allen Dingen – unter den Gewerkschaftsführern eine Bereitschaft erkennen ließ, von der Idee des Widerstandes gegen die Diktatur ganz abzugehen und zu versuchen, sich und die von ihnen geführten Organisationen in den national-„sozialistischen“ Staat einzuordnen. Die ADGB-Führung sagte sich dazu sogar offiziell von der SPD los. Die Gewerkschaftsführung besiegelte ihre Kapitulation mit dem Aufruf zur Beteiligung an der faschistischen Maifeier; am Tag danach wurden die Gewerkschaftshäuser von den Faschisten besetzt. Die SPD erlebte den Tiefpunkt ihrer verhängnisvollen Politik etwa zwei Wochen später.

Am 17. Mai 1933 nahmen deutsche Sozialdemokraten zum letzten Mal vor der Befreiung vom Faschismus an einer Reichstagssitzung teil. Hitler hielt eine auf Täuschung der Weltöffentlichkeit zielende Rede über sein angebliches außenpolitisches Programm, in deren Anschluss – ohne Aussprache – eine von den Nazis mit den bürgerlichen Parteien abgesprochene Resolution verabschiedet werden sollte: „Der Reichstag als die Vertretung des deutschen Volkes billigt die Erklärung der Reichsregierung und stellt sich in dieser für das Leben der Nation entscheidenden Schicksalsfrage der Gleichberechtigung des deutschen Volkes geschlossen hinter die Reichsregierung.“ Wilhelm Hoegner, nach dem Krieg Ministerpräsident in Bayern, beschreibt in seinem Buch „Flucht vor Hitler“ die Rede des Naziführers als „äußerst maßvoll“, „eine sanftere Friedensrede hätte auch Stresemann nicht halten können“.

„Als einziges Ziel der   national- sozialistischen Umwälzung“ neben der  „Zurückführung des Arbeitslosenheeres zur friedlichen Arbeit“ und der „Wiederherstellung einer stabilen und autoritativen Staatsführung im Deutschen Reich“ habe Hitler „die Verhinderung des Bolschewismus“ genannt.“ Und dann: „Wir Sozialdemokraten warteten gespannt auf Angriffe gegen uns. Als sie ausblieben, sahen sich manche in unseren Reihen freudig überrascht und glücklich an. Jetzt kam die Abstimmung. Unsere Nachbarn zur Rechten, die katholischen Parteien, blickten voll Erwartung auf uns. Wir erhoben uns mit ihnen und stimmten der Erklärung des deutschen Reichstags zu. Da brach ein Beifallssturm der anderen Abgeordneten los. Selbst … Adolf Hitler schien einen Augenblick bewegt. Er erhob sich und klatschte uns Beifall zu. … Göring aber stand auf und sprach großartig die Worte: ‚Das deutsche Volk ist immer einig, wenn es um sein Schicksal gilt.’ Er befahl mit lauter Stimme, die Tatsache der einstimmigen Annahme der Erklärung des deutschen Reichstages in die Niederschrift über die Sitzung aufzunehmen. Dann fingen die deutschnationalen Abgeordneten das Deutschlandlied zu singen an. Die meisten in unseren Reihen sangen mit. Manchen liefen die Tränen über die Wangen. Es war, als hätte uns Sozialdemokraten, die man immer als die verlorenen Söhne des Vaterlandes beschimpfte, einen unsterblichen Augenblick lang die gemeinsame Mutter Deutschland ans Herz gedrückt.“ – Unfassbar!

So endeten alle von der SPD- und ADGB-Führung ergangenen Versprechungen, man werde im gegebenen, im „richtigen“ Augenblick die Organisationen der Arbeiterschaft zum aktiven Widerstand rufen.’

D.L.