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Kritik von Attac:
Die Personalnot in Krankenhäusern ist Folge der jahrelangen Sparpolitik infolge der Ökonomisierung und Profitorientierung!
Durch Lockdown-Maßnahmen wird versucht, die Kurve der an Corvid-19-Erkrankten möglichst flach zu halten, um das Gesundheitssystem vor einem Kollaps zu bewahren. Denn durch die Coronakrise wird der Mangel an Pflegekräften besonders auf Intensivstationen offensichtlich.
Zwar wurden schnell zusätzliche Intensivbetten und inzwischen auch Beatmungsgeräte bereit gestellt, doch es fehlen ausreichend qualifizierte Pflegefachkräfte, um die besonders Pflegeintensiven Corvid-19 Patient*innen zu versorgen!
Dies wird zwar zunehmend öffentlich auch so gesagt, allerdings wird die Ursache für den Mangel an Pflegepersonal nicht benannt, nämlich ein massiver Abbau der Pflegepersonalstellen, um Kosten zu sparen!
Schon in Vor-Corona-Zeiten mussten teilweise bis zu 20 % der Erwachsenen- und Kinder-Intensivbetten abgemeldet werden, weil das dafür notwendige qualifizierte Personal fehlte! Die Folge waren oft lebensgefährliche Verzögerungen einer Intensivbehandlungsmöglichkeit.
Wie konnte es in unserem medizinisch so hoch entwickelten Land so weit kommen?
Die Personalnot im Pflegebereich ist die direkte Folge der seit Jahren herrschenden Sparpolitik im Pflegebereich durch die zunehmende Ökonomisierung und Profitorientierung der Krankenhäuser!
Dabei durften Krankenhäuser vor 1985 keine Gewinne machen! Es herrschte wie bei Schulen, Museen oder der Feuerwehr das Prinzip der echten Selbstkostendeckung durch duale Finanzierung, d.h., die Länder waren für die Investitions- und die Krankenkassen für die Betriebskosten zuständig. Doch entsprechend dem neoliberalen Credo in der Wirtschaft, dass der Markt alles regle, zog sich der Staat immer mehr aus der Finanzierung zurück, die Krankenhäuser wurden zunehmend marktwirtschaftlich ausgerichtet. Deshalb mussten die Investitionskosten nun durch Einsparungen bei den Betriebskosten, und hier besonders der Personalkosten, aufgefangen werden: Es kam zu massiven Stellenstreichungen, besonders im Pflegebereich! Zum Vergleich: In Deutschland muss eine Vollzeitpflegefachkraft in der Tagesschicht durchschnittlich 13 Patient*innen versorgen, in Norwegen dagegen sind sind es nur gut 5 Patient*innen, in England, dessen marodes National Health System NHS oft angeprangert wird, sind es immerhin durchschnittlich 8,6 Patient*innen/Pflegekraft. Untersuchungen zeigen, dass eine Erhöhung der Zahl der zu versorgenden Patient*innen/Pflegekraft von 6 auf 7 bereits ein deutlich erhöhtes Risiko für Fehler, Infektionen, Kreislaufkomplikationen und sogar eine erhöhte Sterblichkeit zur Folge hat.
Seit 1990, nachdem nicht mehr mit dem sozialistischen System konkurriert werden musste, kam es zu einer zunehmenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Daseinsvorsorge. Doch Solidarsysteme eignen sich nicht für eine Wettbewerbssteuerung.
Da die Krankenhäuser rote Zahlen schrieben, waren die Kommunen verführbar, sich durch die Privatisierung der Krankenhäuser Erleichterung zu erhoffen. So stieg die Zahl privater Kliniken und zunehmend größerer privater Krankenhauskonzerne stark an.
Die Abschaffung des sozialstaatlichen Selbstkostendeckungsprinzips war die Voraussetzung dafür, den Krankenhaussektor zu ökonomisieren und zu einem lukrativen Geschäftsfeld für Investoren zu machen. – Inzwischen werden sogar ambulante Versorgungszentren als Gewinn-trächtige Investitionsmöglichkeiten für Aktionäre entdeckt.
Die Wende zum neoliberalen Umbau machte Gesundheit zur Ware und beförderte eine Zweiklassenmedizin.
Im Jahr 2004 sollte mit dem Fallpauschalsystems (DRGs = Diagnose Related Groups) ein Steuerungsinstrument zur Kostensenkung eingeführt werden. Jedoch kam es nach kurzer Zeit stattdessen zu einer massiven Kostensteigerung. Die Ursache dafür liegt nicht nur in den teureren technischen Untersuchungsmethoden und der älter werdenden Bevölkerung, sondern die Steigerung der Kosten um das Zwei- bis Dreifache ist vor allem eine Folge der Fallzahlsteigerungen.
Das Fallpauschalen- oder DRG-System vergütet nämlich je nach Diagnose einen Festpreis. Diese DRG-Vergütung umfasst die gesamte Behandlung, unabhängig von der Behandlungsdauer. Ist ein Patient kürzer stationär, macht das Krankenhaus Profit, muss er länger behandelt werden, bedeutet das Verlust. Das heißt, um „wirtschaftlich“ zu arbeiten, müssen möglichst viele Patient*innen in möglichst kurzer Zeit behandelt werden.
Deshalb versuchten insbesondere private Kliniken, relativ gesunde, unkomplizierte Patient *innen mit „lukrativen“ DRG-Diagnosen, d.h. Fällen, bei denen ein Gewinn zu erwarten ist, zu behandeln. Private Kliniken spezialisierten sich so z.B. auf sehr gut vergütete Knie- und Hüftgelenksendoprothesen-Operationen, während die kommunalen Häuser teure, „unrentable“ Abteilungen, Notaufnahme, Geburts- und Kinderstationen bereit halten müssen.
Das DRG-System kann sich auch auf die Art der Behandlung auswirken. So wird z.B. eine Kaiserschnittentbindung höher vergütet als eine oft sehr Personal- und Zeit-aufwendige (und dadurch teurere) natürliche Geburt. Die Folge ist, dass die Zahl der Kaiserschnittentbindungen seither deutlich zugenommen hat.
Da die Personalkosten mit ca. 60% den größten Anteil an den Betriebskosten ausmachen, wurde massiv Personal abgebaut (51.000 Stellen!). Dies, verbunden mit dem ständigen Stress und der Hektik sowie der Zunahme an Bürokratisierung, die für eigentliche pflegerische Aufgaben kaum mehr Zeit lassen, führt zu Resignation, häufigen Krankmeldungen, zu Burnout, Arbeitszeitreduzierung, Kündigungen oder Frühberentungen, wodurch die Personalknappheit weiter verstärkt wird. Pflegekräfte müssen dann ständig wieder aus ihrer Freizeit für ausfallende Kolleg*innen einspringen und Zusatzschichten machen, was zusätzlich die Belastung und den Frust erhöht. Um ihre Arbeitszeit besser strukturieren zu können, arbeiten deshalb zunehmend Pflegekräfte über Leiharbeitsfirmen, was für die Kliniken aber wiederum teurer ist.
Zwar wird seit Anfang 2020 versucht, dem entgegen zu steuern, indem die Personalkosten des direkten Pflegebereichs („Pflege am Bett“) aus den DRG-Budgets ausgegliedert wurden und ab Januar 2021 soll ein Pflegeuntergrenzengesetz dem Personalmangel, besonders auf den Intensivstationen, entgegen wirken. Es ist jedoch zu befürchten, dass nicht ausreichend qualifiziertes Personal gefunden werden kann. Es fehlen ca. 40. - 80.000 Pflegekräfte, die auch durch Anwerbungen ausländischer Pflegekräfte nicht ersetzt werden können. – Ganz abgesehen davon, dass diese Pflegekräfte in ihren Herkunftsländern dann fehlen.
Das Fallpauschalensystem (DRG-System) war der Trigger des Personalabbaus in den letzten 15 Jahren. Es muss abgeschafft werden!
Eine bessere Vergütung der Pflegetätigkeiten ist wichtig, aber solange sich die Arbeitsbedingungen nicht ändern, wird der in allen Bereichen bestehende Personalmangel nicht behoben werden können! Da hilft kein Applaudieren, so anerkennend und unterstützend diese Geste während der ersten Coronawelle auch war.
Krankenhäuser dürfen keine betriebswirtschaftlichen Gewinne erzielen! Die Daseinsvorsorge gehört in die Öffentliche Hand!
In Kiel hat sich seit einigen Jahren das „Kieler Pflegebündnis“ gebildet. Es ist ein offenes Bündnis von Vertreter*innen von Gruppen (z.B. Attac Kiel, IPPNW Kiel), von Ver.di, Pflegekräften, Ärzt*innen und anderen Beschäftigten im Gesundheitswesen sowie Betroffenen und am Thema Interessierten.
Außerdem gibt es ein bundesweites Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“, das unter dem gleichen Titel eine hervorragende Broschüre mit eindrucksvollen Grafiken herausgebracht hat, die als PDF aus dem Internet herunter geladen werden kann:
https://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/53187
Eine Zusammenfassung dieser Broschüre gibt es hier als PDF.
Die Kieler Gruppe der IPPNW hat sich diesem Bündnis, in dem u. a. Attac, Verdi und der Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte vertreten sind, als Unterstützerin angeschlossen. Dies können auch andere Gruppen oder Einzelpersonen machen.
(Mechthild Klingenburg-Vogel)