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“Gefährdergespräche” vor Nazi-Demo:

Gezielte Einschüchterung von Antifaschisten

01. Dezember 2014 Am 14.11., einen Tag vor den Demonstrationen gegen die Kundgebung der "Hooligans gegen Salafisten" in Hannover, wurden in Kiel mindestens drei Antifaschist*innen von Zivilpolizisten zu Hause aufgesucht. Zweck war es sogenannte "Gefährderansprachen" zu halten. Den so angesprochenen Personen wurde "geraten" nicht nach Hannover zu fahren und warnend erklärt, dass dort "extrem niedrigschwellig" Straftaten durch die Polizei unterbunden werden. Gefragt wurde zudem nach Mitreisenden und Reisewegen. 

Die einzig richtige Antwort war das öffentlich Machen dieser skandalösen Ansprachen. Eine breite Solidarität aus verschiedenen Bündnissen und Organisationen, u.a. der Gewerkschaft ver.di, folgte. Auch in den Medien wurde darüber berichtet. Dies mag Grund dafür sein, dass die Polizei und das Innenministerium Schleswig-Holstein in der öffentlichen Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses am 19.11. großen Wert auf die Feststellung legten, dass am 14.11.2014 "Gefährdungsansprachen" stattgefunden haben, auch wenn Betroffene von "Gefährderansprachen" berichten. Auf die Tagesordnung kam dieses Thema auf Antrag der Fraktion der Piraten im Landtag. Das Betonen dieses anderen Begriffs, der im schleswig-holsteinischen Landesverwaltungsgesetz enthalten ist, wird seinen Grund in dem Versuch einer anderen Darstellung des Tuns haben.


Die Polizei stellte im öffentlichen Teil der Ausschusssitzung fest:

• mit den Ansprachen soll nichts verhindert werden,

• es soll mäßigend auf die Angesprochenen eingewirkt werden

• sie sollen von möglichen Taten abgehalten werden

• aufgesucht werden bekannte gewaltbereite Personen

• es gab ein Ersuchen der Polizei aus Hannover, darin war auch der Sprachgebrauch festgelegt

• es wurden speziell trainierte und ausgebildete Kollegen eingesetzt.

In der weiteren Diskussion kamen unterschiedliche Aussagen und Fragen der Ausschussmitglieder zur Sprache. Dazu wurde von Seiten der Polizei hinzugefügt, dass die Angesprochen nicht unbedingt persönlich gemeint sind, sie aber als Multiplikator*innen gesehen werden, die in bestimmte Kreise hineinwirken und Einfluss ausüben können.
Die Frage des Piraten Patrik Breyer wie man zum "Gefährder" wird, welche Kriterien es dafür gibt, wurde mit dem ausweichenden "wir wollen hier nicht über einzelne Personen reden "nicht beantwortet.

Obwohl im Prinzip nicht über Namen geredet wurde, wurde konkret (mit Namen) zu Bettina Jürgensen, Sprecher*in des Runden Tisch gegen Rassismus und Faschismus Kiel, von dem SPD-Ausschussmitglied festgestellt, "es könnten unterschiedliche Theorien entwickelt werden, weshalb gerade sie von der Polizei aufgesucht wurde, schließlich ist sie Mitglied in vielen Organisationen, war Bundesvorsitzende der DKP und in der Anhörung zum Versammlungsgesetz hat sie hier für das Bündnis (für Versammlungsfreiheit) gesprochen."
Auf die Frage eines Piraten ob die Gewerkschaft ver.di Gefährder sei, war die knappe Antwort "Nein! Nicht als Institution." Dazu muss erklärt werden: Bettina arbeitet als Vertreterin für ver.di am Runden Tisch mit.

Weitere Fragen wurden gestellt wie:

• Wie viele Personen wurden angesprochen und nach welchen Kriterien?

• Polizei sollte nicht abschrecken sondern mäßigend einwirken – wie wurde dieses abgesichert, denn es ist ja scheinend anders gelaufen?

• Wie oft wird diese Ansprachen eingesetzt?

• Wie war die aus Hannover vorgegebene Sprachregelung?

Die Beantwortung wurde in den nichtöffentlichem Teil verlegt. Da bleibt uns, die genauer wissen wollen, was unter dem Begriff der Gefährder- oder Gefährdungsansprachen zu verstehen ist, sich selbst zu informieren. In der Pressemitteilung des Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus Kiel wurde eine kurze Darstellung gegeben. Dort wird aus den Inhalten eines Referats an dem Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei (BPFI) zitiert, an denen sich der Zweck ablesen lässt: „Bei der Gefährderansprache handelt es sich um ein verhaltensbeeinflussendes Instrument. Die individuelle Ansprache signalisiert dem potentiellem Gefährder, dass polizeiliches Interesse an seiner Person besteht, die Gefährdungslage bei der Polizei registriert wird und die Lage ernst genommen wird.“


Weiter werden in diesem Papier folgende Aussagen genannt:

• „Eine Allzweckwaffe zur Erfüllung des polizeilichen Auftrags.“

• „Entsprechend pointiert ist die Gesprächssituation, die einem warnenden „Kettengerassel“ nicht unähnlich ist.“

• „Die Polizei signalisiert ihnen: Wir kennen euch, wir haben euch im Auge.“

• „Die individuelle Ansprache bewirkt, dass dem Täter ein erhöhtes Tatentdeckungsrisiko deutlich gemacht wird und durch das Gespräch zusätzliche Informationen gewonnen werden können, die für das polizeiliche Folgehandeln eine wichtige Grundlage bilden.“

Es gibt sie also, die Gefährderansprache und sie wird nicht nur gegen Hooligans u.ä. eingesetzt, sondern auch gegen politisch aktive Menschen. Aktuell ging es um die Verhinderung antifaschistischer Aktivitäten. Doch auf diese Form der Ansprache müssen wir uns wohl auch in anderen Bewegungsfeldern einstellen: Umwelt, TTIP, G7/8, Friedens- und Antikriegsarbeit usw. Machen wir Versuche solcher "Ansprachen", von welcher Behörde auch immer, öffentlich! Widerstehen wir jedem Anwerbeversuch uns als Helfer der Polizei benutzen zu lassen; weder Angaben über Personen geben wir weiter, noch lassen wir uns durch die Polizei zum "mäßigenden einwirken" auf andere benutzen. Lassen wir uns nicht spalten in „gefährdende“ und „nichtgefährdende“ Antifaschist*innen! Das Recht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit wird gefährdet - wir lassen es uns nicht nehmen!

(ank)