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Eine Welt jenseits von TTIP, CETA & Co ist regional?

01. Mai 2016 Am 13.04.2016 fand in der Kieler Pumpe die Veranstaltung „Alternative Handelspolitik: Eine Welt jenseits von TTIP, CETA & Co ist möglich“ mit Günter Sölken als Referenten statt. Und ich muss sagen: Endlich eine Veranstaltung in der man über mögliche Alternativen diskutiert hat! Klar, wir alle sind dagegen… Es hat sich ein sehr breites Bündnis dagegen formiert in dem auch die Partei, wo ich noch Mitglied bin (Piratenpartei), dabei ist. Nach Ansicht einiger ist das Bündnis inzwischen zu breit. Rechte Gruppierungen sind längst auf den Zug aufgesprungen und auch dagegen und schüren Angst vor dem Verlust „Nationaler Souveränität und Identität“. Umso anregender war es sich mal Gedanken darüber zu machen wofür man eigentlich ist.

Ich mach es kurz: Günter stellte der Freihandelsideologie das Konzept der „behutsamen Re-Regionalisierung“ gegenüber und meinte „Protektionismus kommt von protectio, also schützen“. Aber was heißt das? Dass wir die negativen Auswirkungen der Globalisierung nur bekämpfen können indem wir die Globalisierung abschaffen und zurück zur Region, zu regionalen Wirtschaftskreisläufen, kommen? Heißt die alles entscheidende Frage also doch „Freihandel oder Protektionismus“? Ich habe Günter so verstanden, dass er meinte: „Ja“.

 

Aber es folgte eine Debatte in der, und auch das fand ich sehr erfrischend, die Meinungen zweigeteilt waren. Viele der Teilnehmer fanden das vorgestellte Konzept sehr sympathisch. Es wurde zum Beispiel auf eine Veranstaltung zur regionalen Landwirtschaft hingewiesen als Beispiel „gelebter Regionalisierung“. Es wurde erwähnt, dass Politik „im Kleinen“ sehr viel übersichtlicher und vor Ort stattfindet, man kennt die Leute im Gegensatz zur „großen Politik“, wo die Entscheider in weit entfernten Hauptstädten sitzen. Und wenn da mal ein „Dummkopf“ an die Macht kommt, und soviel Macht über so viele Menschen hat…

 

Aber es gab auch kritische Stimmen. Die knallharten wirtschaftlichen Argumente zum Beispiel: Werden die Menschen es akzeptieren, dass die Produktivität in diesen regionalen Wirtschaftskreisläufen zwangsläufig sinkt? Wie kann zum Beispiel die Stahlindustrie überhaupt regional funktionieren? Ein Gewerkschafter meinte sogar er wisse überhaupt nicht mehr warum er gegen TTIP demonstrieren soll „wenn das die Alternative sein soll“. Und überhaupt, auch „im Kleinen“, in der Stadtpolitik vor Ort, kommen „Blödmänner“ an die Macht (Oder wie ist die oft zitierte „neoliberale Stadtpolitik“ zu erklären?) Und wie soll man Organisationen wie die ILU (Internationale Arbeitsorganisation), die ganz offensichtlich nicht regional organisiert ist, sondern als Unterorganisation der UNO ein Versuch einer Art „sozialen Globalisierung“ ist, in dieses Konzept der Regionalisierung intergrieren? Oder muss man die dann aufgeben? Nein, meinte sogar Günter Sölken. Die ILU leiste einen wichtigen Beitrag zum Beispiel bei der Bekämpfung der Kinderarbeit. Aber er lobte nicht nur die ILU sondern auch, man höre und staune, die WTO, deren multilateraler Ansatz viel geeigneter sei auch die Entwicklungsländer einzubinden. Und spätestens da kommen wir meiner Meinung nach zu einer ganz spannenden Frage: Zur Frage der, ich nenne es mal, Identität der linken Globalisierungskritik.

 

Wenn jetzt von vielen globalisierungs- und TTIP-Kritikern, denn Günter ist da nicht der einzige, plötzlich gefordert wird, dass Handelsverträge wieder im Rahmen der WTO, wo alle Länder an einem Tisch sitzen und nicht nur ein paar, ausgehandelt werden sollen… Ich dachte immer, um es mal überspitzt auszudrücken, die WTO sei „total neoliberal“ und deshalb hat man früher dagegen demonstriert? Oder hat man eigentlich nicht die WTO kritisiert sondern die Politik der Industrieländer? Ist die WTO, als globale Organisation in der alle Länder gleichberechtigt beteiligt sind, also doch eher ein potentieller Rettungsanker und nicht ein Bösewicht?

 

Und die an diesem Abend unausgesprochene, aber subtil angedeutete, Frage lautet natürlich: Was unterscheidet Regionalismus von Nationalismus? Wenn alles regional stattfinden soll, bedeutet dass, dass alles national geregelt werden muss? Eine Antwort auf die Frage wie so ein neuer Regionalismus institutionalisiert werden soll konnte an diesem Abend nicht genannt werden, da es „nur eine Denkanregung“ sein solle. Und so bleiben weitere Fragen unbeantwortet: Wie verhält sich dieser neue Regionalismus zu völkischen und identitären Ansätzen? Stärkt er sie sogar? Bedeutet links sein, regional zu denken? Ich dachte, um mal alle Klischees rauszukramen, die politische Linke wollte immer die „Weltrevolution“ und dass die Menschen, oder zumindest die Arbeiterklasse „aller Länder sich vereinigen“? Das klang damals aber überhaupt nicht regional. Ist mit dem Zusammenbruch des Ostblocks auch dieser „internationalistische“ Ansatz gescheitert? 

 

Wenn Sarah Wagenknecht  betont, dass Demokratie einen „überschaubaren“ Raum braucht, „den die Menschen als eine gewisse Einheit empfinden“ und dementsprechend in Interviews gefragt wird „ist das noch links“ 

 

(http://www.phoenix.de/content/phoenix/die_sendungen/diskussionen/1095445),

 

wenn Dieter Dehm auf der Diem 25 Veranstaltung betont, dass „die Bürger nun mal ihre „nationalen Sozialsysteme“ verteidigen“ wollen 

 

(http://www.tagesspiegel.de/politik/diem-25-in-der-volksbuehne-varoufakis-vertraut-vor-allem-auf-das-eigene-charisma/12944068.html),

 

heißt das dann, dass das Soziale, dass das Demokratische per Se nur regional, nur national stattfinden kann? Und was unterscheidet „uns“, so zersplittert das linke, alternative und ökologische Lager auch ist, dann überhaupt in dieser Frage von der neuen und populistischen Rechten, die das gleiche sagt? Wenn auf linker, wie auch auf rechter Seite Protektionismus und nationale Standards statt Freihandel gefordert werden, heißt das, dass beide Seiten recht haben? Oder heißt es, dass die „politische Linke“ sich in diesem Moment überflüssig macht, da sie es nicht schafft eine eigene Zukunftsvision zu formulieren die grenzüberschreitend funktionieren würde? Meiner Meinung nach Zweiteres. 

 

Und deshalb fand ich eine Veranstaltung wie die erwähnte so wichtig um einen Anfang zu machen bei der Entwicklung einer solchen Vision. Beim durchstöbern der Internetseite von „LinX“ fällt mir ein Bild ins Auge auf dem Aktivisten abgebildet sind, die während der aktuellen Stunde zur Flüchtlingssituation auf der Zuschauertribüe der Kieler Ratsversammlung ein Plakat zeigen auf dem steht „GLOBAL FREEDOM OF MOVEMENT“. Warum wohl haben die nicht geschrieben „REGIONAL FREEDOM OF MOVEMENT“? 

 

Wenn wir offene Grenzen für Menschen wollen, wird die Forderung nach „Grenzen für Waren“, und vor allem die Forderung nach Demokratie und sozialen Standards im begrenzten Rahmen, dann, aus linker Perspektive, aufrechtzuerhalten sein? Und überhaupt, wenn diese Grenzen für Waren und Kapital dann bestehen, heißt es dann, dass wir auch die Vision einer weltweiten Um(Fair)teilung von Reichtum aufgeben müssen? Solche Fragen müssen gestattet sein.

 

(Malte Seidler)