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Stiefel bleibt Stiefel
Wo bleiben literarischer Protest und Zeitsatire
angesichts der Mobilmachung zur Kriegstüchtigkeit?
Bei der im Sommer ausgetragenen Frauen-Fußball-EM wurde auf ARD und ZDF ein Werbespot gesendet, der junge Frauen in Deutschland zum Eintritt in die Bundeswehr motivieren sollte.
Dies ist ein aktuelles Beispiel für die stattfindende „kulturelle Zeitenwende“: Militärisches Denken, Aufrüstung und Krieg gelten wieder als Normalität – ja, als notwendig. Stimmen, die für Diplomatie und Abrüstung werben, ja sogar einem Pazifismus das Wort reden, werden als Realitätsverweigerung diskreditiert.
Das hat leider Tradition. Auch der erste Prozess der Remilitarisierung und Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ab 1950 bis 1956, als die ersten Wehrpflichtigen eingezogen wurden, vollzog sich ohne lautstarken Protest des herrschenden Kulturbetriebes.
An zwei kritische Stimmen, die nicht schwiegen und sich vernehmlich gegen die Wiederaufrüstung zu Wort meldeten, soll hier erinnert werden. Alte antimilitaristische Literatur, die heute leider wieder höchst aktuell ist.
Pelle Igel
1957 veröffentlichte der Schriftsteller und Karikaturist Hans-Peter Woile alias Pelle Igel (Pseudonym und politischer Tarnname) sein Buch „Stiefel bleibt Stiefel. Zeitsatire in Vers und Prosa“, in dem er die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik aufs Korn nimmt.
Ein Jahr darauf wird das Buch verboten und beschlagnahmt, gegen den Autor wird Anklage wegen „Staatsgefährdung“ und „Landesverrat“ eröffnet. Erst 1969 erfolgt die Einstellung des Verfahrens.
Zur 1976 erfolgten Neuauflage des Buches schreibt Prof. Thomas Metscher im Nachwort: „Wie die Repression der Adenauer-Ära auch den literarischen Bereich erfaßte, so wird, wenn wir heute nicht auf der Hut sind, auch die gegenwärtige Repression vor einer erneuten Unterdrückung der Meinungsfreiheit der Literatur nicht zurückschrecken.“
Pelle Igel (1905-1981) hatte den Vorsitz der Bremen-Oldenburgischen Sektion des Bundes Proletarischer Schriftsteller inne und war Leiter der der Agitprop-Gruppe „Rote Reporter“. Noch in der Nacht des Reichstagsbrandes war Hans-Peter Woile verhaftet worden. Er kam nach ein paar Monaten frei, Woiles Identität mit Igel konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Ab 1945 hat Pelle Igel vor allem als Karikaturist gewirkt und gegen die Wiederbewaffnung getextet. In den 1970er Jahren beteiligte er sich am Aufbau des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt; 1981 gehörte er zu den Erstunterzeichnern des Krefelder Appells.
Und was kam dann?
Als dein Großvater an die Front ging, / trug er Blumen am Gewehr.
Seine Frau, die an seinem Arm hing, / trug davon für ihn noch mehr.
Auf dem Bahnhof steckte sie ihm dann / diese Blume an die Brust.
Und sie schmückte ihren Mann / für den Tod - noch unbewußt.
Dein Großvater fiel für Kaiser und Ehre.../ Blumenlos verrosteten Gewehre.
Und was dann?
Dann marschierte dein Vater kreuz uns quer / durch Europa. Ohne Blumen am Gewehr. /
Die ihm befahlen, liebten nicht diesen Firlefanz: / sie schickten ihn ohne Blumen in den Totentanz. /
Das Menschenschlachtvieh marschierte / „für Volk und Reich“ – und krepierte.
Dein Vater fiel für Führer und Ehre … / Es versanken Großdeutschland und seine Heere.
Und was kam dann?
Dann kamen die Generäle in Scharen, / die uns noch erhalten geblieben waren /
Die Ballistiker und die Sandkastensieger / die Etappenherrscher und die Heimatkrieger. /
Und da sie ansonsten nichts weiter gelernt, / so haben sie sich aufs neue mit Sternen besternt /
und haben eiserne Mienen aufgesetzt.
Und was tun sie jetzt?
Jetzt holen sie dich, den Enkel, den Sohn. / Sie greifen nach dir und sie drillen dich schon /
für den nächsten großeuropäischen Totentanz. / Dabei geht es mechanisch zu ohne Firlefanz, /
ohne Blumen an Brust und Gewehr. / Weißt du das alles? - So wisse noch mehr: /
Das Ziel ist klar, und die Richtung steht fest: / nach Osten! - Wenn du Dich treiben läßt!
Arno Schmidt
Ebenfalls ein Ausnahmefall im BRD-Literaturbetrieb der 50er Jahre war Arno Schmidt (1914-1979). Wegen seiner entschiedenen antimilitaristischen Stimme war auch er von Zensur betroffen und von der Justiz verfolgt.
Bemerkenswerte ist, dass in den heutigen Zeiten von Kriegstreiberei, die Geschäftsführerin der Arno-Schmidt-Stiftung, Susanne Fischer gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin Michaela Nowotnick das Arno-Schmidt-Lesebuch „Es ist also Krieg irgendwo“ herausgegeben haben.
„Nichts hat Arno Schmidt so empört wie die Wiederaufrüstung in der jungen Bundesrepublik und die Gleichgültigkeit seiner Zeitgenossen gegenüber den Kriegen in der Welt“, heißt es im Vorwort.
Und zu Recht wird dabei die Verdrängungsleistung der übrigen bundesdeutschen Nachkriegsliteratur kritisiert – mit dem Fazit: „Schmidts dystopische Romane hingegen erzählen vom Leben nach den vernichtenden Atomschlägen eines dritten Weltkriegs: Mutanten auf der Erde, letzte Menschenkolonien auf dem Mond.“
Die eindeutige Westorientierung der Bundesrepublik hält Schmidt für einen fatalen Schritt hin zum nächsten Krieg. Bei der Bundestagswahl 1953 hofft er, dass die GVP (Gesamtdeutsche Volkspartei) Gustav Heinemanns gemeinsam mit der SPD und der KPD im Parlament die Wiederaufrüstung verhindern können. Doch weder GVP noch KPD schaffen es ins Parlament.
„Die Menschen sind nie lästiger, als wenn sie Soldaten spielen. (Kommt bei ihnen wohl periodisch in jedem Jahrzwanzicht, ungefähr wie Malaria, neuerdings noch schneller)“ heißt es z. B. in einem Roman, der 1953 veröffentlicht wurde.
In seinem letzten vollendeten Roman „Abend mit Goldrand“ lässt Arno Schmidt einen alten Major sein Fazit ziehen: „Bild’n Se sich ja nicht ein, meine Herrschaftn, dass es keine Kriege mehr geben werde! Für uns dürfte der Große Designer noch die attraktivstn Todesartn bereit habm.“
Einen künftigen Dritten Weltkrieg, einschließlich des Einsatzes von Atomwaffen, sieht Schmidt als durchaus realistisches Szenarium.
„Nein, nach dem nächsten Kriege, (also in diesem Jahrhundert noch) werden nun wieder lange, kulturlose Zeiträume komm’m – wie damals; zwischen 400 und 1100 – durchaus möglich, dass die Schrift verloren geht; (es wird nicht das erstemal gewes’n sein: was wissen Wir denn, was in den Eis=beziehungsweise Zwischen=Eiszeitn alles vor sich gegangn iss?“ (...)
„Aber es wird ein Krieg kommen, danach Menschen gebraucht werdn=werdn: die ohne Häuser leben können, und aus Teichen trink’n; die nackt gehen, und keine Bücher mehr kennen (mögen); die der Schuhe nicht dedürf’n im wildn und ungebahntn Lande, im dürren und finstern Lande, im Lande da Niemand wandelt noch kein Mensch wohnet.“
Günther Stamer
• Pelle Igel, Stiefel bleibt Stiefel. Zeitsatire in Vers und Prosa. Atelier im Bauernhaus, Fischerhude 1976, 100 Seiten (antiquarisch)
• Arno Schmidt: Es ist also Krieg irgendwo. Ein Lesebuch. Hrsg. v. Susanne Fischer u. Michaele Nowotnick. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2024, 264 Seiten