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Wahlkampf in Kiel:

Selbstbeweihräucherung der CDU

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Protest gegen die Wahlveranstaltung in Kiel

01. September 2013  Etliche Frauen und Männer mit Poloshirts im typischen Orangeton der CDU haben sich an diesem Freitagabend am Ostseekai am Förde-Ufer versammelt. Noch ist es recht leer auf dem Platz, wo zur Kieler Woche traditionellerweise die NDR-Bühne aufgebaut ist, „Angie!“-Schilder werden verteilt und langsam rollen die spritfressenden Geländewagen und Nobelkarossen der interessierten BesucherInnen auf das Gelände. Um 18:30 Uhr beginnt dann schließlich das Vorprogramm, ehe die Kanzlerin ihre Wahlkampfsprüche herunterbeten wird. Die versammelte Traube wirkt auf dem sehr großen Veranstaltungsplatz doch sehr mickrig, die Kieler Nachrichten sprechen aber dennoch von sehr wohlwollenden 1000 ZuschauerInnen.[1]

 Zwischendurch spielt eine Band Musik, ehe dann der Bundestagsabgeordnete Johann Wadephul und sein Parteifreund Phillip Murmann - der ebenfalls nach der Wahl im Bundestag sitzen möchte - zum Interview auf der Bühne erscheinen. Beide sparen nicht mit Lob gegenüber der Kanzlerin und versuchen deutlich zu machen, wie gut es uns in Deutschland gehen würde und das die CDU den Wohlstand für alle Menschen geschaffen hätte. Ja, für wen denn? Das lässt sich schließlich leicht behaupten, wenn man einfach den untersten Teil der Gesellschaft nicht berücksichtigt und damit die sozialen Probleme ganz bewusst ausklammert. Natürlich bedanken sie sich noch bei allen orange gekleideten Wahlkampfhelferinnen und -helfern, die schon seit Wochen aktiv sind und bis zur Wahl am 22.09.2013 weiterhin Parteipropaganda machen werden, und selbstverständlich hoffen beide auf die Gunst der Wählerschaft, um auch zukünftig erfolgreiche Politik machen zu können. Die Menge applaudiert zufrieden, was erfolgreiche Politik bedeutet sei aber mal dahingestellt.

Zur gleichen Zeit haben AktivistInnen verschiedener linker Gruppierungen ihre Transparente vor der Einfahrt zum Veranstaltungsgelände entrollt und wollen damit ein Zeichen gegen die verfehlte Politik der schwarz-gelben Regierung und die recht platt daherkommende Wahlkampfveranstaltung setzen. Sie fordern die Trockenlegung von Steueroasen, kritisieren die zunehmende soziale Ungleichheit in der Gesellschaft, die weltweite Militarisierung und das gescheiterte Drohnen-Projekt "Euro Hawk" und verlangen die sofortige Abschaltung aller weltweiten Atomanlagen. Die Grüne Jugend steht ganz bewusst abgesondert auf der anderen Straßenseite und beklagt auf einem Banner das fehlende Handeln von Angela Merkel im aktuellen NSA-Skandal. Alle diese Themen betreffen die Kanzlerin und wurden von ihrer Regierung gar nicht oder falsch angegangen.

Auf der Wahlveranstaltung stören die Proteste niemanden, lediglich ab und zu ist ein ironisches Grinsen zu vernehmen. Klar, man möchte sich schließlich nicht das gute Image vor der Presse verderben und toleriert lieber die berechtigte Kritik an der vorherrschenden ungerechten Politik. Vermutlich sitzt der Ärger während des Wahlkampfauftakts im südhessischen Seligenstadt noch tief in den Knochen, wo die Rede der Kanzlerin unter lautstarkem Protest gestört wurde. Dort soll Angela Merkel verunsichert gewirkt haben, kam mehrmals ins Stottern und insgesamt war aus der Presse zu vernehmen, dass ihre Rede nicht wirklich flüssig und souverän verlief. Die Jusos berichten von Handgreiflichkeiten und niveaulosen Beleidigungen gegenüber den ProtestlerInnen.[2]

In Kiel bleibt es dagegen ruhig, auch wenn die Polizei mit einem übertrieben hohen Personalkontingent aufgelaufen ist. Statt sich also auf die Argumente der Aktivistinnen und Aktivisten einzulassen, werden auf einer riesigen Leinwand lieber Wahlwerbespots gezeigt, die an Dreistigkeit schwer zu übertreffen sind. Zu sehen sind unter anderem CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, Umweltminister Peter Altmaier und Ministerin von der Leyen. In den beiden Clips geben sie sich ganz locker und entspannt, tun einfach so, als wäre in Deutschland und weltweit alles in bester Ordnung. Man rühmt sich für die gelungene Bildungspolitik, empört sich über Steuererhöhungspläne, "die mit der CDU nicht zu machen sind" und Ursula von der Leyen verweist auf die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland, was angeblich Spitzenwert in Europa sei. Solche Behauptungen aufzustellen, ist allerdings auch nicht sonderlich schwer, immerhin waren im Mai mehr als 5,5 Millionen junge Menschen unter 25 Jahren europaweit ohne Arbeit, was einer Arbeitslosenquote von etwa 23,5 Prozent entspricht. Besonders in Spanien, Portugal und Griechenland hat sich dieses Problem zugespitzt, schließlich sind 42,1 Prozent der unter 25-Jährigen in Portugal ohne Arbeit, in Spanien liegt die Quote bei 56,5 Prozent und in Griechenland sogar bei 59,2 Prozent.[3]

Im Vergleich kann Deutschland hier also sicherlich positiv dastehen, die eigentliche Problematik und die anderen aus der Krise hervorgegangenen Probleme werden damit aber nicht angegangen.

Und Umweltminister Altmaier behauptet stolz, dass man "Umwelt und Wachstum erfolgreich versöhnt hat", ehe Generalsekretär Pofalla überzeugt konstatiert, dass Deutschland die weltweite Krise gut überstanden und die CDU in der vergangenen Legislaturperiode den deutschen Wohlstand für alle Menschen erhalten habe. Des Weiteren würde die CDU die Energiewende erfolgreich vorantreiben, denn Deutschland sei Vorreiter im Bereich der erneuerbaren Energien. Die noch bis 2022 laufenden deutschen Atomkraftwerke, der täglich produzierte Atommüll, für den es weiterhin kein sicheres Endlager gibt, oder die durch Deutschland stattfindenden Atomtransporte sind natürlich kein Thema, obwohl das die eigentliche Wahrheit ist. Märchenstunde mit der CDU.

Doch dann - endlich - hat Kanzlerin Merkel ihren Auftritt: Umzingelt von breitschuldrigen Personenschützern und einigen CDU-Politikern überquert sie die Straße vom Schloßgarten zum Veranstaltungsgelände, wo sie direkt auf die Transparente der AktivistInnen zugeht. Gekonnt sieht sie darüber hinweg und stolziert selbstsicher auf die jubelnde Masse zu. Schnell noch ein paar Hände geschüttelt, in die Pressekameras gelächelt und dann steht sie schon oben auf der Bühne am Mikrofon.

Dann wird erst einmal über die ach so schöne Kieler Stadt, die Leichtathletik-WM und die Überbewertung von Umfragewerten gesprochen. Bloß nicht zu einem Thema klare Stellung beziehen, schließlich könnte das die Wähler- und Gegnerschaft verärgern und das Wahlergebnis negativ beeinflussen. Nur nicht anecken, lautet vermutlich das Motto - und das setzt die Kanzlerin mal wieder gekonnt um.

Ernsthafte Inhalte vermisst man an diesem Abend gänzlich.

(tto)