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Kieler Marinearsenal soll geschlossen werden:

Wogegen protestieren?  Wofür kämpfen?

01.12. 2011  Die Befürchtungen der Beschäftigten des Kieler Marinearsenals, im Zuge der Bundeswehrreform könnten 200 bis 300 ihrer Arbeitsplätze gefährdet sein, sind weit übertroffen worden: Der gesamte Betrieb mit seinen etwa 750 Stellen und 120 Ausbildungsplätzen soll innerhalb der nächsten vier bis sechs Jahre abgewickelt werden. Nur das Arsenal in Wilhelmshaven soll erhalten bleiben. Da die Marine die Ostsee nicht als Einsatzgebiet aufgibt und also auch hier weiterhin Dienstleistungen wie Wartung und Instandsetzung benötigen wird, ist mit einer Vergabe der entsprechenden Arbeiten an privatkapitalistisch geleitete Werftbetriebe zu rechnen. Dass all dies in Wilhelmshaven geleistet werden soll oder kann, daran glaubt nicht einmal die Marineführung.
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Ihren Protest gegen diese Entscheidung haben in den letzten Tagen viele hundert Beschäftigte zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Betrieben  des Landes und der Metallindustrie auf die Straße getragen. Das Entsetzen der Arsenalbeschäftigten über die Art und Weise, wie mit ihnen umgesprungen wird und dass ihre bisherigen Leistungen nun nichts mehr zählen sollen – dieses Entsetzen und die Empörung darüber sind verständlich und gerechtfertigt. Niemand darf erwarten, dass sie die Bedrohung ihrer Existenzgrundlagen widerspruchslos hinnehmen, niemand darf die Vernichtung von fast 900 Arbeitsplätzen mit einem Achselzucken zur Kenntnis nehmen.
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Fotos: ust, arbeiterfotografie

Auch verständlich, aber nicht gerechtfertigt ist es, wenn die Kolleginnen und Kollegen in der Angst um ihren Arbeitsplatz zu kritiklosen Parteigängern der deutschen Kriegsmarine werden. Verständlich ist es insofern, als die meisten von ihnen schon bisher ihre Tätigkeit als DienstleisterInnen einer Marine, die unter Missachtung selbst der bundesdeutschen Verfassung inzwischen weltweit zur Sicherung der wirtschaftlichen und politischen Interessen des deutschen Kapitals unterwegs ist, kaum in Frage gestellt haben dürften. „MArs Kiel macht Marine mobil“ – so war es auf einem Schild zu lesen, das in der Demonstration am 11.11. getragen wurde. Genau. (Merke wohl: Wer etwas in Bewegung setzt, könnte es auch lahm legen…)

Unverzeihlich ist es, wenn sich in dieser Situation auch eine DGB-Gewerkschaft wie ver.di ins Schlepptau der Marineführung begibt. Wie sehr bestimmte Bereiche von ver.di in Kiel das schon getan haben, bevor der endgültige Plan des Herrn de Maiziere auf dem Tisch lag, haben wir in der LinX bereits dargestellt. (Nr. 9 / 2011.) Darüber gibt es innerhalb von ver.di eine heftige Auseinandersetzung. Unbeeindruckt davon hat sich der Fachbereich 6  zusammen mit dem Bundeswehrverband, dem Reservistenverband, dem Deutschen Marinebund, dem Unternehmensverband Kiel, DGB, SPD und CDU Kiel und anderen in ein Bündnis für den Erhalt des Marinestandorts Kiel begeben, das hemmungslos militaristische Propaganda betreibt. (Siehe LinX 12 / 2010). Dieses Bündnis präsentierte sich auch auf der Demonstration am 11. November durch Teilnehmende, Redner oder Solidaritätsbekundungen.

Der dem Deutschen Beamtenbund angeschlossene Berufsverband – „Gewerkschaft“ wäre hier wirklich das falsche Wort – von Bundeswehr-Angehörigen, der sich „Verband der Arbeitnehmer der Bundeswehr“ (VAB) nennt, stellt sein Bekenntnis zum eigentlichen Sinn der Bundeswehr-Reform in den Mittelpunkt seiner Kritik an der Bundesregierung: „Der Zielsetzung der Neuausrichtung, die dem Einsatz oberste Priorität einräumt, widerspricht diese Maßnahme (…) Auch in Marinekreisen ist die Auflösung des Arsenals deshalb höchst umstritten.“ (Hervorhebung von mir – D.L.)  „Wir für die Marine“ hatten Demonstranten auf ein Transparent geschrieben, und das traf wohl die Meinung von VAB-Mitgliedern und ver.dianerInnen. „Warum?“ stand auf anderen Bannern, und die Jugendlichen, die diese Frage, die ihre ganze Orientierungslosigkeit zum Ausdruck bringt, auf einem besonders breiten Transparent vor sich her trugen, hatten sie mit gleich drei Fragezeichen versehen – in schwarz, rot und gold… Warum? Weil ihr für die Entscheidungsträger letztlich nur Kostenfaktoren seid. Ob deren Entscheidungen ihrem eigenen Ziel wirklich dienen oder ob sie sich verrechnen, ändert daran nichts. Negative Kostenfaktoren werden eliminiert. Das liegt in der Logik kapitalistischen Wirtschaftens, die auch die Entscheidungen im Öffentlichen Dienst bestimmt. Dies ist die Logik des Systems, für dessen Erhaltung die Bundeswehr und die deutsche Kriegsmarine mittlerweile weltweit im Einsatz sind. Ist all eure Hoffnung darauf gerichtet, dabei weiter mithelfen zu dürfen?
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Die notwendige Orientierung müsste auch die Gewerkschaft geben. Sie müsste beinhalten: Schluss mit der Kriegsproduktion! Schluss mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr! Wir wollen für den Frieden arbeiten – dafür müssen unsere Arbeitsplätze umgerüstet werden! Kein Mensch muss entlassen werden – die Zeit der Abwicklung muss für Konversion genutzt werden – das Geld dafür ist von den bisherigen Profiteuren der Hochrüstung zu holen! Arbeitszeitverkürzung für alle bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

DGB und ver.di geben diese Orientierung nicht. Die Situation für die Kolleginnen und Kollegen, die für solche Orientierung kämpfen, wird zusätzlich erschwert durch öffentliche Bekundungen des ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske, der kürzlich auf Aufforderung des CDU-Generalsekretärs Gröhe einen Frankfurter ver.di-Fachbereich, der gegen einen Bundeswehr-Werbeauftritt protestiert hatte, rüffelte: „Die Bundeswehr ist Teil unserer demokratischen Gesellschaft und handelt als Parlamentsarmee im Auftrag des Bundestages. Es ist für ver.di selbstverständlich, dass für den Eintritt in die Bundeswehr auch geworben wird.“
Der dümmste Spruch auf der Abschlusskundgebung am 11.11. kam wieder einmal von Kiels sozialdemokratischem Oberbürgermeister Torsten Albig, der sowieso findet, Kiel sei „der perfekte Standort für eine Marine im weltweiten Einsatz“. Seit 150 Jahren, so Albig, lebe Kiel mit der Marine, mal gut, mal nicht so gut; dann: „Warum soll das, was 150 Jahre lang gut war, auf einmal schlecht sein?“ Man versteht angesichts dieser Dreistigkeit und Geschichtsvergessenheit gut, warum die SPD bei der Umbenennung eines Teils des Bahnhofsvorplatzes auf „Platz der Kieler Matrosen“ bestanden und gegen einen Zusatz, der einen unmittelbaren Bezug zur Novemberrevolution von 1918 hergestellt hätte, votiert hat. Nun ist das Ereignis auch in der SPD noch in Erinnerung, aber wie?

Wenn Albigs Auftritt noch zu toppen war, dann hat dies die Vorsitzende der Kieler SPD-Ratsfraktion, Gesa Langfeldt, geschafft. Man stünde ja an einem historischen Ort, meinte sie, und heute sei das auch ein historisches Ereignis, wie die ganze Stadt zusammenstehe für den Erhalt des Arsenals…Der Kampf gegen den deutschen Militarismus, gegen die Militarisierung des öffentlichen Lebens geht weiter. Der Kampf für eine konsequent antimilitaristische Gewerkschaftspolitik auch. Er kann nur in den DGB-Gewerkschaften erfolgreich geführt werden. Nicht Resignation und Rückzug ist die Losung linker GewerkschafterInnen, sondern Verstärkung der Anstrengungen und bessere Vernetzung.      
(D.L.)