Beiträge
Gedenken an die Novemberrevolution
01. Dezember 2014 Wenn auch der herrschende Politikbetrieb mitsamt der Medien einen anderen Jahrestag bis zur allseitigen Erschöpfung abfeierte, wurde in Kiel „trotz alledem“ des Beginns der Novemberrevolution vor 96 Jahren gedacht, als in Kiel die Matrosen, Soldaten und Arbeiter*innen mit ihrem Aufstand dem Ersten Weltkrieg ein Ende setzten und von dem der Ruf nach „Friede, Freiheit, Brot!“ ausging, der Ruf nach einer demokratischen, gerechten, sozialistischen Gesellschaft, die an die Stelle des mörderischen Weltkrieg verursachenden Kapitalismus treten sollte. Der Motorradclub Kuhle Wampe, die DKP, SDAJ, der DGB, linke Gruppen, Autonome, die SPD und geschichtsinteressierte Bürger*innen halten seit Jahren mit unterschiedlichen Veranstaltungen Anfang November die revolutionäre Geschichte der Stadt wach. Und so war es auch in diesem Jahr.
Auf der Gedenkveranstaltung des DGB am Revolutionsdenkmal ehrte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) die Matrosen, Soldaten und Arbeiter, die am 3. November 1918 in Kiel für die Befreiung ihrer inhaftierten Kameraden auf die Straße gingen und damit das Signal zur Novemberrevolution gaben. Am Abend des 4. November ist Kiel in der Hand der Matrosen und Arbeiter, der Arbeiter- und Soldatenrat das entscheidende Machtinstrument. Am 9. November erreicht die revolutionäre Welle dann Berlin: Kaiser Wilhelm II. musste abdanken und der Weg für die erste deutsche Republik ist frei. Kämpfer erinnert in seiner Rede an den zwiespältigen Charakter der Weimarer Republik und den uneingelösten Hoffnungen der Akteure vom November 18.
Auf der anschließenden Ehrung am Gräberfeld der Opfer von Novemberrevolution und Kapp-Putsch auf dem Eichhoffriedhof kam dann das vom Kieler OB nicht Gesagte zur Sprache. Redner*innen von DKP und Kuhle Wampe verwiesen darauf, dass es heute gelte, aktiv zu werden gegen die von Deutschland aus und mit maßgeblicher deutscher Unterstützung geführten Kriege in der Welt. Wie im 1. Weltkrieg geht es dabei auch heute wieder um geostrategische und Kapitalinteressen. Aktuelles Beispiel ist die von Politik und Medien verbreitete Propaganda im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt. Es wurde darauf verwiesen, dass Kiel immer noch – wie schon vor hundert Jahren – Rüstungsschmiede ist. Hier werden nicht nur die U-Boote gebaut und in Kriegs- und Krisenregionen verschifft, auch andere Industriezweige verdienen an der Rüstung. Und Bundeswehrstandorte mit Kriegsmarine und Luftwaffenstützpunkte befinden sich ebenfalls zu Hauf in Kiel und Schleswig-Holstein.
In einem Redebeitrag wurde beispielhaft an drei Personen vor Augen geführt, wer Anfang November in Kiel zu den Akteuren gehörte und wie die revolutionären Ereignisse deren weiteres Leben bestimmten: Otto Preßler, Werftarbeiter auf der Germania-Werft, seit 1914 SPD-Mitglied, gründet mit weiteren Genoss*innen am Jahreswechsel 1918/19 in einer öffentlichen Versammlung des "Roten Soldatenbundes" die Kieler Ortsgruppe des "Spartakusbundes (Kommunistische Partei)". In den folgenden Jahren ist er Vorsitzender der Kieler KPD und ein bekannter Betriebs- und Gewerkschaftsfunktionär. Nach der Befreiung vom Faschismus wird er Kieler KPD-Ratsherr und Abgeordneter der ersten beiden schleswig-holsteinischen Landtage.
Ernst Busch, Lehrling auf der Germania-Werft, aktiv in der Kieler sozialdemokratischen Arbeiterjugend trägt am 3. November 1918 in sein Tagebuch ein: "Das ist die Revolution. Versammlung im Gewerkschaftshaus. Die schon vorhandene Stimmung der Matrosen brachte die Bevölkerung noch mehr aus dem Häuschen. Arm in Arm gingen meine Freunde und ich die Straße weiter Richtung Karlstr. Unaufhaltsam schiebt sich die Masse vor. Und dann kamen wir an die Ecke Brunswiker- und Karlsstr. und wurden gestoppt von einer Patrouille von Soldaten. Die hatten quer über die Straße eine Barrikade gebildet. Und davor stand ein Leutnant mit erhobenem Degen, der immer rief: Zurückbleiben! Ich lasse schießen. Aber von hinten wußte keiner, was vorne geschah, und die drängten natürlich die Masse immer näher an diese Barrikade heran. Ich bin dann hinter eine Anschlagsäule gesprungen, als es plötzlich eine Salve von Schüssen gab. Großes Geschrei und Getobe: Die schießen! Die haben nur Platzpatronen! Aber es wurde immer weiter gedrängt. Und dann hat er wirklich schießen lassen, und wir hatten sieben Tote und 29 Verwundete."
Im Sommer 1921 wird Ernst Busch von der Werft entlassen und damit erwerbslos, mit Tausenden von Arbeitslosigkeit betroffenen Kollegen muss er "stempeln“ gehen. Ende 1921 wird er – mehr oder weniger durch Zufall - dann für 300 Mark im Monat am Stadttheater Kiel als Schauspieler engagiert. 1927 landet er schließlich in Berlin und kommt über Erwin Piscator und Bertolt Brecht zum politischen Theater und wird zum bedeuten Schauspieler und Sänger der revolutionären Arbeiterbewegung.
Richard Sorge, Student der Staatswissenschaft an der Kieler Universität, demonstriert am 3. November 1918 gemeinsam mit den 5-6.000 Matrosen, Soldaten und Arbeiter durch die Straßen Kiels mit dem Ziel, die gefangenen Marine-Kameraden zu befreien. Im Januar 1918 war er nach Kiel gekommen, um an der Universität Staatswissenschaft zu studieren. Hier nahm er Kontakt zu den Unabhängigen Sozialdemokraten auf und gründete eine Gruppe sozialistischer Studenten. Neben seinem Studium hat er eine Stelle als Assistent am privaten, fortschrittlichen Kieler „Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft“ inne (ab 1934 Institut für Weltwirtschaft). In den Jahren 1918 bis 1922 wird an diesem Institut intensiv über ökonomische und soziologische Fragestellungen in Hinblick auf die Arbeiterbewegung diskutiert und publiziert. Das politische Spektrum der hier Forschenden reicht von der SPD über USPD, KPD bis zu den Rätekommunisten der KAPD. Hochschullehrer und Studierende beteiligen sich auch an praktischer Bildungsarbeit, in den sog. „Matrosenzirkeln“, halten dort vor Matrosen und Arbeitern Vorträge zu Wirtschaftsfragen. Fünfundzwanzig Jahre später sollte Richard Sorge wieder im Zentrum historischer Ereignisse stehen. Als Kundschafter für die Sowjetunion leistete er einen bedeutenden Beitrag für den Sieg der Roten Armee und der Anti-Hitler-Koalition über den deutschen Faschismus.
Seit 1929 ist er als sowjetischer Kundschafter tätig (zunächst in China, ab 1933 in Japan). Er leitet die Kundschaftergruppe „Ramsay“, die die Aggressionspläne des deutschen Faschismus und des japanischen Imperialismus aufklärt und seit dem Frühjahr 1941 mehrfach Warnungen vor dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion nach Moskau funkt. Die Gruppe Ramsay deckt auch die japanische Absicht auf, 1941 zuerst im Pazifik die USA anzugreifen (Pearl Harbour), und nicht die Sowjetunion. In der Folge kann Stalin große Teile der Fernost-Armee eiligst nach Moskau verlegen um die Hauptstadt zu verteidigen. Vor 70 Jahren, am 7. November 1944, dem 27. Jahrestag der Oktoberrevolution, wird Richard Sorge in Tokio hingerichtet.
(gst)