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Matrosenaufstand vor 95 Jahren:


Kiel gab das Signal

01. Dezember 2013 Vor 95 Jahren hatten Matrosen, Soldaten und Arbeiter in Kiel den Mut, gegen Krieg, Militarismus und für die „Beseitigung der herrschenden Klasse“„mit allen Mitteln“ zu kämpfen. Telegramm des Kieler Arbeiter- und Soldatenrates vom 9. November 1918, am Tag vor der Beisetzung der revolutionären Kämpfer:

 

 

„An alle! An die Proletarier aller Länder!

Über die deutsche Flotte weht das rote Banner der Freiheit. Die politische Macht liegt in Deutschland in den Händen der Arbeiter und Soldaten. Unterstützt uns in unserem schweren Kampf. Morgen beerdigen wir die Opfer unseres Befreiungskampfes. Lasst es die letzten Opfer sein. Es ist Blut genug geflossen.“

Ende 1918 ist klar, dass der 1914 vom kaiserlichen Deutschland unter Federführung der Konzernherren, Landjunkern und Militaristen vom Zaun gebrochene 1.Weltkrieg verloren ist.
Angetreten, Deutschland zur führenden Macht in Europa zu machen, steht die herrschende Klasse vor den Trümmern ihrer Kriegspolitik. Militärisch in auswegloser Lage bietet sich im Reich ein Bild des sozialen Elends und des Hungers. Um in den bereits eingeleiteten Waffenstillstandsverhandlungen eine bessere Position zu erlangen, soll nach dem Willen der Militärführung  die deutsche Hochseeflotte noch in eine aussichtslose Schlacht gegen die englische Kriegsmarine geschickt werden. Doch diesem Himmelfahrtskommando verweigert sich am 29. Oktober in Wilhelmshaven. ein Teil der Kriegsflotte. Nach atemberaubenden Minuten, in denen die meuternden und die nicht meuternden deutschen Kriegsschiffe auf der Schilling- Reede in Wilhelmshaven ihre Kanonen aufeinander gerichtet haben, ergeben sich die Meuterer.

Die in Wilhelmshaven zusammengezogenen Kriegsschiffe werden wieder in ihre Heimathäfen zurückbeordert. Das 3. Geschwader, das nicht gemeutert hatte, dampft zurück nach Kiel, wo es am 1. November eintrifft. An Bord  47 verhafteten aufständischen Matrosen, auf die in Kiel Kriegsgericht und das Erschießungskommando warten. Es dauerte 4 Tage, bis die Männer des 3. Geschwaders, die in Wilhelmshaven nicht den Mut zur Meuterei gehabt hatten, in Kiel den Mut zur Revolte finden sollten. Die Revolte der Matrosen fiel in Kiel auf fruchtbaren Boden. Denn wie in ganz Deutschland, so hatten auch hier in Kiel die revolutionären Novemberereignisse ihr Vorspiel. Schon 1916 und 1917 war es in Kiel auf den Werften und in den Militärbetrieben wegen der schlechten Versorgungslage zu Streiks gekommen. Und beim Streik der Germania-Werft und den Friedrichsorter Rüstungsbetrieben versammelten sich am 29.Januar 1918 30.000 Kieler Arbeiter auf dem Wilhelmsplatz. Auf dieser Kundgebung klang schon der Wille zur revolutionären Veränderung durch. Es wurde der Ruf erhoben, dem Beispiel der Arbeiter in Russland zu folgen und auch in Kiel Räteorganisationen zu bilden. Dieser Vorschlag wurde mit großer Begeisterung angenommen und es wurde der erste Kieler Arbeiterrat gebildet.

Doch zurück zu den Kieler Ereignissen Anfang November 1918:

Am Freitag, dem 1. November schicken die Matrosen eine Delegation zum Ortskommandanten, um die Freilassung der Verhafteten zu verlangen. Dies wird  abgelehnt. Anschließend debattieren etwa 250 Matrosen  stundenlang mit Soldaten und Werftarbeitern im Kieler Gewerkschaftshaus, was zu tun sei, kommen aber zu keinem Ergebnis. Am Samstag, dem 2. November wollen sie die Diskussion im Gewerkschaftshaus fortsetzen, finden es aber verschlossen vor, mit bewaffneten Posten davor. Deshalb versammeln sie sich an die 600 Matrosen und Arbeiter auf dem Exerzierplatz am Vieburger Gehölz. Dort treten als  Redner u.a. Karl Artelt, der schon 1916 als Streikführer auf der Kieler Germania Werft verhaftet worden war und Lothar Popp, der Vorsitzende der USPD Kiel, auf und rufen für den nächsten Tag zur Demonstration auf. „Arbeiter, demonstriert in Massen, lasst die Soldaten nicht im Stich.“ und  „Nieder mit dem Militarismus und Beseitigung der herrschenden Klasse“ sind Losungen, die zu hören sind.


Am Sonntag, dem 3. November ziehen 5-6.000 Matrosen, Soldaten und Arbeiter durch die Straßen Kiels mit dem Ziel, die gefangenen Kameraden im Gefängnis in der Feldstrasse zu befreien. An der Ecke Karlstr/Brunswiker Str. stellen sich Soldaten den Demonstranten in den Weg, um sie am Vordringen zum Gefängnis zu hindern. Es kommt zum Schusswechsel. Sieben Tote und 29 Verletzte auf Seiten der Demonstranten bleiben zurück und die Demonstration löst sich auf. Am Morgen des Montags, des 4. Novembers ziehen bewaffnete Soldaten von Kaserne zu Kaserne und entwaffnen die Offiziere, bewaffnete Soldaten prägen das Stadtbild Kiels. Die Matrosen des 3.Geschwaders wählen Soldatenräte, entwaffnen ebenfalls ihre Offiziere, bewaffneten sich  und hissen auf den Schiffen die rote Fahne. Bewaffnete Matrosen, jetzt unter dem Kommando ihrer Soldatenräte, besetzen das Militärgefängnis und befreiten ihre Kameraden  besetzen öffentliche Gebäude und Bahnhöfe. Am Nachmittag trifft eine Abteilung Heeresssoldaten aus Altona ein, die zur Niederschlagung des Matrosenaufstandes angefordert worden war. Sie wird bei Ankunft auf dem Bahnhof entwaffnet. Nachdem die Arbeiter der Germaniawerft und der Torpedoanstalt in Friedrichsort die Arbeit niederlegen beschließen die Werftarbeiter den Generalstreik.

 

 

Nov.02


Am Abend des 4. November ist Kiel in der Hand der Matrosen, Soldaten und Arbeiter. Die revolutionäre Bewegung breitete sich schnell über große Teile des Deutschen Reiches aus. Das Bild war meist das gleiche: Den Soldaten aus Kiel schlossen sich weitere Arbeiter und Soldaten an, öffentliche Gebäude wurden besetzt, Gefangene befreit und Räte gewählt, denen die Exekutivgewalt übertragen wurde.

In der Novemberrevolution wurde der Kieler Arbeiter- und Soldatenrat für kurze Zeit zum entscheidenden Machtinstrument, um die Weichen für Frieden und eine sozialistische Orientierung zu stellen. In einem Aufruf des Kieler Arbeiter- und Soldatenrates vom 21. November heißt es u.a.: „Der Militarismus ist zerschlagen, aber seine Ursache, der Kapitalismus, ist noch in vollster Kraft. Das dürfen wir nicht dulden. Unser Ziel ist die sozialistische Republik. Um sie zu verwirklichen, ist notwendig:


1. Die politische Macht muss in den Händen der Arbeiter- und Soldatenräte bleiben.

2. Die Banken und die Großbetriebe der Industrie sowie der Großgrundbesitz sind sofort als Nationaleigentum zu erklären.“

Der Aufruf schließt mit den Worten: “Wir haben jahrelang für den Kapitalismus unsere Haut zu Markte getragen. Wir wollen für unsere Nachkommen ein für allemal die Möglichkeit eines Massenmordens aus der Welt schaffen.“

Am 9. November erreichte die revolutionäre Welle Berlin: Kaiser Wilhelm II. musste abdanken. Prinz Max von Baden trat als Reichskanzler zurück und übergab die Regierungsgeschäfte an den Vorsitzenden der SPD, Friedrich Ebert. Am 10.11. wurde der „Rat der Volksbeauftragten“ gebildet, dem je 3 Mitglieder der SPD (Ebert, Landsberg, Scheidemann) und der USPD (Barth, Dittmann, Haase) angehörten. Der Rat der Volksbeauftragten wurde von der Vollversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte als provisorische Regierung bestätigt.Doch die reaktionären Kräfte um die nach wie vor existierende Oberste Heeresleitung (die aus Kassel-Wilhelmshöhe ihre Truppen dirigiert) geben sich nicht geschlagen.

Am 6. Dezember kommt es zu einem Putschversuch konterrevolutionärer Truppen in Berlin - dieser bricht aber nach kurzer Zeit am Widerstand revolutionärer Arbeiter zusammen.
Der Reichsrätekongreß in Berlin stimmt am 18.12. mit Mehrheit für den sozialdemokratischen Antrag, bis zur Wahl der Nationalversammlung dem „Rat der Volksbeauftragten“ die gesetzgebende und vollziehende Gewalt zu übertragen und legt den Termin für die Wahl einer Nationalversammlung auf den 19. Januar 1919 fest. Um die Jahreswende 1918/1919 verschärften die SPD-Vertreter im Rat der Volksbeauftragten den gegenrevolutionären Kurs woraufhin die drei USPD-Vertreter austraten. Diese wurden durch zwei SPDler ersetzt, u.a. durch Noske. Ebenfalls um die Jahreswende gründet sich die KPD (Spartakusbund) und vollzieht damit die organisatorische Trennung von der USPD. In ihrem Programmreferat erklärte Rosa Luxemburg: „Die Arbeiter- und Soldatenräte (…) das ist das Stichwort, das unsere Revolution vollständig von allen früheren bürgerlichen Revolutionen unterscheidet.“ Und gegen diese Räte als direkte Interessenvertreter, als Organe unmittelbarer Demokratie richtete sich dann auch der Hauptstoss der Reaktion, die spürte, dass es hier um die Grundfrage der Revolution, um die Macht, ging. SPD, Landjunker und Bourgeoisie setzten deshalb mit allen Kräften auf die Wahlen zur Nationalverrsammlun und die Ausschaltung der Räte.
Anfang Januar kam es nach der provozierenden Absetzung des Berliner Polizeipräsidenten (einem linken USPDler) zu massiven Demonstrationen und der Besetzung des Berliner Zeitungsviertels durch revolutionäre Arbeiter und Soldaten. Für die Truppen unter politischer Verantwortung des zuständigen Volksbeauftragten Noske (SPD) war diese als „Spartakusaufstand“ bezeichnete Aktion Anlass, die Revolution endgültig im Blut zu ersticken und die Führung der KPD zu liquidieren (Luxemburg, Liebknecht, Jogiches).

Nach den Wahlen zur Nationalversammlung am 19.1.1919  wurde Ebert zum Reichspräsidenten gewählt . Die Räte wurden in den folgenden Monaten – zum Teil mit Waffengewalt – aufgelöst. Durch das Zusammenwirken der sozialdemokratischen Führung mit der Obersten Heeresleitung wurde letztendlich die Machtfrage zuungunsten der Arbeitermassen gelöst, wurden die revolutionären Kräfte gewaltsam unterdrückt. Der Kaiser musste gehen – doch die Generäle, die Junker und Kriegsgewinnler blieben und ihr bestimmender Einfluss auf Politik und Gesellschaft blieben in der Folgezeit weitestgehend unangetastet.

Trotzalledem bewahrheitete sich auch am Beispiel der gescheiterten Novemberrevolution das Marx-Wort von den Revolutionen als den „Lokomotiven der Geschichte“. Komprimiert fallen in solchen Zeiten politische Entscheidungen in kürzester Zeit, für die ganze Generationen gekämpft haben. So war es auch an der Jahreswende 1918/19. Auf der Habenseite der revolutionären Arbeiter und Soldaten bleibt z.B. die Beseitigung der Monarchie und Erkämpfung der Republik, das allgemeine und gleiche Wahlrecht einschließlich des Frauenwahlrechts, das Tarifrecht der Gewerkschaften und die Einführung des Acht-Stunden-Tages.

Drei Jahre später, anlässslich der Gründung der Kommunistischen Partei Italiens, schrieb Antonio Gramsci analysierend über den lletzten Akt der Novemberrevolution, über die Januarkämpfe 1919 in Berlin: Der Spartakus-Aufstand war „der einzige große, ernsthafte und erfolgversprechende Versuch, die Entwicklung der europäischen Nachkriegskrise in dem gleichen Rahmen wie die russische proletarische Revolution zu sehen und zu begreifen. Der Aufstand der deutschen Kommunisten schien für einen Moment die Verschmelzung zwischen der siegreichen russischen Revolution und den Anstrengungen der revolutionären Minderheiten der Länder Mittel- und Westeuropas zu verwirklichen. Wenn diese Verschmelzung gelungen wäre, statt sich in einer Reihe von sporadischen Versuchen im (...) Aufbegehren eines isolierten Volkes zu erschöpfen, hätte die europäische Revolution ihren natürlichen Ausgang in einer Erhebung des gesamten Proletariats gegen alle Regierungen der Entente gefunden.(...) Der Name Liebknecht erschien damals allen, konkret und klar (…) als Synthese und Symbol der proletarischen Erhebung gegen die Schmach, gegen die Greueltaten, gegen die Sklaverei des Krieges und des kapitalistischen Friedens.“ (L'Ordine Nuovo, 15.1.1921. In: Gramsci. Zu Politik, Geschichte und Kultur. Ausgewählte Schriften. Leipzig 1986, S. 87).


(Günther Stamer, DKP)