Daten/Fakten  

   

Beiträge

Gesetzliche „Tarifeinheit“

Streikrecht in Gefahr?

01.03.2011 Am 4. Juni letzten Jahres haben der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, und der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, auf einer Pressekonferenz eine gemeinsame Initiative vorgestellt,   die so genannte Tarifeinheit gesetzlich zu regeln.Sie fordern, durch eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes künftig gesetzlich vorzuschreiben, dass für gleichartige Arbeitsverhältnisse in einem Unternehmen nur ein einziger Tarifvertrag zur Anwendung kommen darf.

Im Falle von mehreren Tarifverträgen soll dann derjenige Tarifvertrag, den die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Unternehmen abgeschlossen hat, alle anderen verdrängen. Darüber hinaus soll die sich aus dem vorrangigen Tarifvertrag ergebende Friedenspflicht, während der nicht gestreikt werden darf, für alle Arbeitnehmer im Betrieb gelten. Auch dann wenn sie der Gewerkschaft, die den Vertrag abgeschlossen hat, gar nicht angehören. Dies läuft auf ein gesetzliches, also nicht aus einem freiwilligen Vertrag sich ergebendes Streikverbot für diese Arbeitnehmer hinaus und damit auf eine erhebliche Einschränkung des Streikrechts. Von namhaften und insbesondere auch gewerkschaftsnahen Juristen wird sie daher als klare Verletzung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit und folglich als verfassungswidrig eingeschätzt.

sommer_und_hundt

DGB-Chef Sommer macht artig seinen Diener vorm BDAPräsidenten Hundt
----
Aus den Bundestagsfraktionen der Regierungsparteien und der SPD ist die Initiative sofort begrüßt worden. Die Fraktionsspitze der CDU ebenso wie der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel signalisierten sogar ihre Bereitschaft, nötigenfalls das Grundgesetz entsprechend zu ändern.

In den DGB-Gewerkschaften war die BDA-DGB-Initiative vor ihrer Bekanntgabe nirgendwo zur Diskussion gestellt worden. Umso schärfer wird sie dort mittlerweile in vielen Gliederungen kritisiert. Die zweifellos wichtige größtmögliche Einheit unter den Arbeitnehmern darf keine Sache staatlichen Zwanges werden, bei dem dann nicht mehr nach dem Sinn und Zweck dieser Einheit für die Arbeitnehmer gefragt wird, sondern Unternehmenswohl und Staatsräson im Vordergrund stehen. Die Einheit muss die Sache politisch-praktischer Überzeugung und freiwilliger Einsicht bleiben. Gewerkschaftliche Initiativen zur gesetzlichen Einschränkung des Streikrechts – noch dazu im Schulterschluss mit den Arbeitgebern – kommen prinzipiell nicht in Frage. So der Tenor der Kritik.

Der Gewerkschaftsrat von ver.di hat im vergangenen Herbst nach heftiger Debatte in einem Beschluss hingewiesen auf „problematische Auswirkungen“ der BDA-DGB-Initiative „für die eigene betriebs- und tarifpolitische Handlungsfähigkeit von ver.di“ und auf die Gefahr, dass dadurch „ver.di selbst neue rechtliche Fesseln angelegt“ würden. Zu einer direkten Konfrontation mit dem ver.di-Vorstand, der die Initiative nachdrücklich unterstützt, konnte der Gewerkschaftsrat sich nicht entschließen. Ebenso wenig allerdings konnte er sich noch hinter die Initiative stellen, wie der Vorstand es sicher gewünscht hätte. Stattdessen hat er beschlossen, dass „bei sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile der Gesetzesinitiative von BDA und DGB der begonnene Diskussionsprozess in ver.di fortgeführt“ werde.

Im November hatte Arbeitgeberpräsident Hundt auf der Tagung seiner Vereinigung Bundeskanzlerin Merkel zu Gast und sie eindringlich ermahnt, in Sachen gesetzlicher Tarifeinheit aktiv zu werden. Merkel versprach, sich dazu Anfang dieses Jahres zu äußern. Der Koalitionsausschuss hatte das Thema bei seiner Sitzung am 21. Januar auf der Tagesordnung, anschließend aber nichts dazu verlauten lassen. Man ist offenbar noch dabei zu prüfen. Es geht immerhin um ein elementares demokratisches Grundrecht. Gut möglich, dass man auch abwartet, wie sich die gewerkschaftliche Diskussion entwickelt.

Die Diskussion um die Einführung einer gesetzlich vorgeschriebenen Tarifeinheit betrifft natürlich keineswegs nur ver.di, wenngleich im Organisationsbereich von ver.di das Problem konkurrierender Gewerkschaften besonders markant ist. Sie betrifft alle Einzelgewerkschaften im DGB und alle in irgendeiner Weise gewerkschaftlich engagierten Menschen innerhalb und außerhalb des DGB. Es geht um das grundlegende Recht aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich autonom, d.h. ohne Staatseinmischung für ihre Interessen zusammenzuschließen, Kampfmaßnahmen zu verabreden und durchzuführen. Es geht um unser Streikrecht.

Darum darf die Angelegenheit auch nicht allein den Chefetagen unserer Organisationen überlassen bleiben. Jedes Gewerkschaftsmitglied sollte zumindest einigermaßen informiert sein, wenn von Gewerkschaftsseite der Gesetzgeber aufgefordert wird, derart weitreichend in das Arbeitskampfrecht einzugreifen, und gegebenenfalls Einspruch einlegen können.

Der offene gewerkschaftliche Gesprächskreis hat deshalb Helmut Platow eingeladen, uns in Kiel mit Details und Problematik der angestrebten Änderung des Tarifvertragsgesetzes bekanntzumachen. Helmut Platow war bis 2010 über viele Jahre Leiter des Bereichs Recht und Rechtspolitik beim ver.di-Vorstand in Berlin und an zahllosen Arbeitskämpfen beteiligt, die er von der rechtlichen Seite her unterstützt hat. Er ist daher aufs Beste vertraut mit der Materie.

Folgende Fragen unter anderen wollen wir versuchen zu klären:

Welche Rolle hat die so genannte „Tarifeinheit“ in der gewerkschaftlichen Praxis bisher gespielt?

Was hat sich in der Rechtsprechung bezüglich der „Tarifeinheit“ tatsächlich geändert?

Welche rechtlichen Folgen wären durch die angestrebte Gesetzesänderung für die Tarif- und Arbeitskampfpraxis zu erwarten?

Welche Alternativen gibt es dazu, um größtmögliche Einheit in Tarifangelegenheiten zu erreichen?

(Daniel Dockerill, Offener gewerkschaftlicher Gesprächskreis Kiel)

 ----------------------

„Es ist ... ein elementarer Verstoß gegen die gesamte Geschichte, Politik und Kultur der Gewerkschafts-bewegung, sich mit Arbeitgeber-Organisationen über die Ausgestaltung des Streikrechts zu verständigen und hierzu gemeinsam Gesetzesinitiativen von der Politik zu fordern.“ (Aus einem Beschluss des Fachbereichs 8 von ver.di Brandenburg)

------------------------

Der offene gewerkschaftliche Gesprächskreis trifft sich monatlich jeweils am zweiten Montag des Monats um 18:00 Uhr in lockerer Runde im Garbesaal des Gewerkschaftshauses in Kiel. Alle an kritischer Diskussion gewerkschaftlicher Fragen Interessierten sind herzlich willkommen. Die nächste Termine: 14.3., 11.4., 9.5. und 13.6. 2011

------------------------

Das BDA-DGB-Papier (Auszug):

Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sichern – Tarifeinheit gesetzlich regeln

... 3. BDA und DGB schlagen vor, im bestehenden Tarifvertragsgesetz den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb wie folgt gesetzlich zu normieren:

Überschneiden sich in einem Betrieb die Geltungsbereiche mehrerer Tarifverträge, die von unterschiedlichen Gewerkschaften geschlossen werden (konkurrierende Tarifverträge/Tarifpluralität), so ist nur der Tarifvertrag anwendbar, an den die Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb gebunden ist. Maßgeblich ist bei solchen sich überschneidenden Tarifverträgen folglich, welche der konkurrierenden Gewerkschaften im Betrieb mehr Mitglieder hat (Grundsatz der Repräsentativität). Treffen demnach z. B. zwei Entgelt-Tarifverträge zusammen, die das Entgelt zumindest teilweise gleicher Arbeitnehmergruppen regeln, gilt im Betrieb der Tarifvertrag, an den die größere Anzahl von Gewerkschaftsmitgliedern gebunden ist.

Für die Laufzeit des nach diesem Grundsatz im Betrieb anwendbaren Tarifvertrages gilt – ebenfalls wie bisher – die Friedenspflicht. Diese wird durch die gesetzliche Regelung auch auf konkurrierende Tarifverträge erstreckt, die nach der vorstehenden Regelung nicht zur Geltung kommen könnten. Die Friedenspflicht gilt damit während der Laufzeit des vorrangigen Tarifvertrages auch gegenüber anderen Gewerkschaften. Wenn z. B. eine Gewerkschaft für eine Berufsgruppe einen Entgelt-Tarifvertrag verlangt, obwohl für diese Arbeitnehmer ein Tarifvertrag der repräsentativeren Gewerkschaft gilt, so besteht auch gegenüber der Spartengewerkschaft die Friedenspflicht für die Laufzeit des bestehenden Tarifvertrages. Arbeitskämpfe um solche Tarifverträge durch eine im Betrieb nicht repräsentative Gewerkschaft sind daher während der Laufzeit eines vorrangigen Tarifvertrages ausgeschlossen. ...

Der offene gewerkschaftliche Gesprächskreis lädt ein zum Informations- und Diskussionsabend mit Helmut Platow, ehm. Leiter des Bereichs Recht und Rechtspolitik beim ver.di-Bundesvorstand. Montag, 7. März, 17.30 Uhr, Garbesaal im Gewerkschaftshaus, Legienstraße 22 in Kiel