Beiträge
Kobane und wir
Gedanken zu einer radikal-linken Praxis der Solidarität mit der kurdischen Autonomiebewegung in Rojava/Nordsyrien
Im Folgenden wird eine programmatische Reflexion zum Thema ‚Solidarität mit X‘ vorgenommen, wobei X u.a. mit Kobane/Rojava/PYD/YPG/YPJ usw. ausgefüllt wird. Dieses Vorhaben ist sich seiner Banalität und seiner Subjektivität wohl bewusst: Hier wird eine individuelle, grundsätzlich polemische Reflexion zur Solidarität mit X vorgenommen. Das Projekt Rojava wird vom Autor zwar grundsätzlich befürwortet Bei der Reflexion einer radikal linken Praxis der Solidarität am Beispiel des revolutionären Projektes Rojava, stellen sich folgende: Warum ist die Solidarität mit Kobane und dem ‚Projekt Rojava‘ zu befürworten? Welche praktischen Effekte lassen sich für beide Seiten, d.h. für die unmittelbar Betroffenen in Kobane und Rojava und die hiesige Linke erzielen? Welchen Sinn macht Solidaritätskampagnen in welcher Form? Über die bloße Begründung von Solidarität hinaus, wird nach den praktischen Konsequenzen von Solidarität oder auch nach der konkreten Form einer solidarischen Praxis im Zusammenhang einer radikalen Linken gefragt. Es geht folglich nicht um Solidarität im Sinne blinder Wiederholungen, sondern um eine differenzierte, verallgemeinerbare und zugleich praxisorientierte Reflexion zum Thema ‚Solidarität mit Kobane/Rojava‘.
Die Solidarität einer emanzipatorischen Linken und Kobane Solidaritätsbekundungen sind so alt wie die emanzipatorische Bewegungen in Europa und der Welt. Die Parole ‚Internationale Solidarität‘ ist seit dem 19. Jahrhundert fester Bestandteil des Vokabulars der progressiven Linken. Solidaritätserklärungen sind immer auch ein Weg, den eigenen Kampf im Fremden und die Kämpfe der Fremden im Eigenen wiederzuerkennen. Sie sind ein Moment der Universalisierung der eigenen Konfliktlinien und damit zugleich ‚Ent-Eignung‘. Nun hat das Thema ‚Solidarität mit X‘ mitunter seltsame Dinge hervorgebracht: europäische Linke erklärten und erklären sich solidarisch mit dem autoritären Pseudosozialismus in Nordkorea und identifizieren den eigenen Kampf mit dem von
Hamas, Hisbollah oder des Baathismus in Syrien. Deutsche Neonazis erklären sich, wie traditionell die Linke, solidarisch mit dem Widerstand der Palästinenser oder meinen in Separationsbewegungen jeder Art die Aufstände der natürlichen Völker sehen zu können.
Bei genauerem Hinsehen werden Solidaritätsbekundungen grundlegend dann schwierig, wenn im Kampf und der Kampfrethorik der ‚Anderen‘ die eigenen politischen Forderungen widerspruchsfrei gesucht werden. Jüngst zeigte z.B. der Ukraine-Konflikt, dass man sich entweder mit einer ukrainischen Regierung, die offen mit Neonazis paktiert und eine zweifelhafte Politik gegenüber der russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine verfolgt oder Kräften, die mit der Putin-Regierung, Alt- und National-Bolschewisten oder
Änhängern der eurasischen Idee jedweder Couleur kooperieren, identifiziert. Solidarität mit einer der dominanten Seiten katapultiert einen als links-progressiv denkenden Menschen in ein ideologisches Gemenge, dass eigentlich im Horizont der traditionellen Gegner
verortet werden müsste. Dritte Optionen scheinen im Fall der Ukraine ausgeschlossen oder zumindest derart marginalisiert, dass es einen zur Verzweiflung treiben kann.
Anders ist m.E. die Lage im Fall Kobanes und des Projektes ‚Rojava‘, d.h. jenen durch die Kurden in basisdemokratischer Form verwalteten Kantone im Norden Syriens. Und dabei geht es nicht nur darum, dass man sich traditionell mit der links ausgerichteten PYD zu identifizieren kann oder die Kurden eines dieser immer schon unterdrückten Völker sind,deren Kampf es nur deshalb zu unterstützen gilt. ‚Kobane‘ und ‚Rojava‘ gehen grundsätzlich und in der aktuellen Lage der deutschen Linken über diesen traditionalistischen Reflex hinaus. So kurzfristig das Thema aufgrund der Halbwertszeiten der medialen Berichterstattung auch sein mag: Aus den vergangenen und zukünftigen Soli-Aktionen lässt sich nachhaltig etwas für eine radikal linke Politik ableiten – und das
ohne die Aufgabe einer eigenständigen Position, wie dies im Fall der Ukraine mitunter zu beobachten war.
Materielle und symbolische Effekte für die unmittelbar Betroffenen Viele Solidaritätskampagnen bleiben nicht bei bloßen Erklärungen, sondern implizieren oft einen Spendenaufruf. Im Rahmen der Rojava- und Kobane-Soli wurde z.B. um Geldspenden zur Anschaffung von Waffen gebeten. Auch wenn man hier eine sehr praktische Form der Solidarisierung vermuten kann und die materiellen Effekte für die unmittelbar Betroffenen sich nicht leugnen lassen, erscheint die reale Wirkung solcher Maßnahmen eher marginal. Die durch Spendengelder angeschafften Waffen werden kaum einen Konsequenz für den Erfolg oder Mißerfolg der Verteidigung Kobanes haben: Waffen sind sehr teuer und die Wahrscheinlichkeit, Geldbeträge in einer zur Anschaffung militärischen Materials relevanten Größenordnung einzusammeln, eher gering Spendenaufrufe haben eher einen symbolischen Wert: Die Bewegung kann materiell verdeutlichen, dass sie ihr Anliegen nicht bloß ausspricht, sondern sich auch unleugbar erfahrbare Konsequenzen ergeben, die zugleich für die Ernsthaftigkeit der Solidaritätserklärungen sprechen. Gerade die Symbolik von Spendenaufrufen kann andersherum aber dazu beitragen, diese zu motivieren.
Über die konkrete materielle Unterstützung von Widerstandskämpfen hinaus, besteht eine wesentlich Konsequenz von Soli-Kampagnen in der Produktion einer Öffentlichkeit für an sich ‚fremde‘ Anliegen und Problemlagen: Dem kurdischen Widerstand gegen die Faschisten des IS wird eine gewisse Sichtbarkeit in anderen Weltregionen verschafft. Zwar wurde der Kampf in Kobane auch von den konventionellen Massenmedien thematisiert, doch lässt sich seine mitunter starke mediale Präsenz in der BRD auch als Folge vielfältiger Soli-Aktionen lesen. Letztere eröffnen eine Passage, durch welche nicht nur Sachverhalte, sondern ebenso konkrete Betroffenheit, d.h. eine ‚Kopie‘ der lokalen Bedrückungslage in Kobane transportiert werden können. Die lokale Bewegung in Kobane und Rojava gewinnt dadurch an Anschlussfähigkeit, die in konkreten politischen Handlungen (z.B. Waffenhilfe, Einfrieren von Konten, Luftangriffe auf den IS) resultieren kann und die Leistung, die eine Bewegung in der BRD und Europa für den kurdischen
Widerstand erbringen kann ist die einer kommunikativen Weiterleitung.
Dies ist im Fall von Kobane und Rojava besonders deshalb wichtig, weil die mediale Darstellung in der BRD oftmals zu undifferenziert ausfällt. Die programmatischen Differenz der durch den kurdischen Nationalrat (ENKS) intitiierten Selbstverwaltung in Nordsyrien zur autonomen Kurdenregion im Irak und zwischen Peschmerga und YPG/YPJ wurde oftmals verwischt. Das progressiv-emanzipatorische Projekt ‚Rojava‘ wurde kaum bis gar nicht gegen die eher prowestliche Autonomieregierung im Irak abgegrenzt. Der Versuch, in Rojava die Programmatik des ‚Demokratischen Konföderalismus‘ in die Praxis umzusetzen wird in den meisten Berichten über die Kurden in Nordsyrien kaum deutlich.
Genau an dieser Stelle kann eine lokale Bewegung Aufmerksamkeits- und Aufklärungsarbeit leisten und über konkrete Forderungen (z.B. Aufhebung des PKK – Verbots) jene Spezifik des Kampfes in Rojava herausstellen, die in der Mainstream- Berichterstattung aus unterschiedlichen Gründen nicht ausreichend sichtbar wird. Solidarität bedeutet demnach nicht nur die Bekundung verklärter Sympathien, sondern vielmehr auch die Schaffung von Bedingungen (Information + Diskussion) unter denen eine begründete Identifikation mit dem emanzipatorischen Kampf der Kurden in
Nordsyrien stattfinden kann. Dies ist m.E. die Bedingung für ein entschiedenes und folgenreiches Eintreten für die Sache des PYD repräsentierten basisdemokratischen Projekts des demokratischen Konföderalismus. Was die hiesige Bewegung den KämpferInnen von Kobane, Rojava oder auch Shingal anbieten kann, ist eine ‚Ent-Eignung‘, d.h. die vorbehaltlose und ehrliche Übernahme ihres Anliegens in die hiesige politische Praxis.
Was haben ‚Wir‘ davon?
Mit Solidarität oder solidarischer politischer Praxis ist hier mehr gemeint, als eine bloße Verlängerung des kurdischen Anliegens und auch mehr als Beistandserklärungen oder eine zwangsläufig marginale materielle Zuwendung. Vielmehr kann die Solidarität mit dem kurdischen Widerstand in Syrien sich für eine hiesige linke Bewegung in einem positiven Sinne als folgenreich erweisen, indem sich ‚Lernprozesse‘ aus ihr ableiten. Solidarität mit dem basis- und radikaldemokratischen Projekt in Rojava kann auch der westlichen Linke einen unmittelbaren Nutzen bringen, d.h. sie muss und kann gar nicht als Akt der reinen Selbstlosigkeit erscheinen.
Erstens kann eine radikale linke Bewegung durch die Bezugnahme auf ein auch in Mainstream-Medien stark referierten Thema die Aktualität des eigenen Anliegens unter Beweis stellen. Man sieht die Zeichen der Zeit und positioniert sich im Kontrast zur Regierung oder den meisten Parteien auch eindeutig. Es muss keine interessengeleitete Abwägung von Aussagen oder Positionierungen stattfinden, sondern es wird eine politische Linie – die der Solidarität – kommuniziert, die durch ihre Klarheit auffällt. Der aktuelle Bezug lässt sich als zur Sichtbarmachung der eigenen Forderungen nutzen.
Zweitens lässt sich durch das Aufgreifen der medial inszenierten Konfliktlinien und der Bedrohungslage in Kobane zur Authentifizierung des eigenen Kampfes nutzen. In der solidarischen Identifikation mit dem Projekt ‚Rojava‘ kann eine Stimmung erzeugt werden, die die eigenen Forderungen mit einer Dringlichkeit und Spürbarkeit ausstattet, die bei einem bloßen Nennen von Sachverhalten oder Programmpunkten möglicherweise verloren geht. Die Wut und die Verzweiflung der Verteidiger Kobanes wird in den eigenen ‚Stimmungshaushalt‘ übernommen. Sie unterlegt die Kommunikation nach außen affektiv, womit einerseits die Wahrscheinlichkeit der allgemeinen Anerkennung der eigenen
Anliegen steigt. Andererseits erzeugt eine emotional stark orchestrierte Kommunikation, d.h. die Bindung bestimmter Emotionen an die eigenen Inhalte neben einer gesteigerten Verbreitung von Kommunikation auch ein erhöhtes Mobilisierungspotential. Aus der Solidarisierung mit dem kurdischen Widerstand ergibt sich drittens eine programmatisch-inhaltliche Chance für eine radikal-linke Bewegung. Die von Öcalan formulierte programmatische Linie des demokratischen Konföderalismus beschreibt nicht nur eine Abwendung der kurdischen Widerstandsbewegung vom klassischen Marxismus-Leninismus hin zu einer solidarischen und basisdemokratischen polit-ökonomischen Ordnung, er muss vor allem auch als politische Alternative im historischen Kontext des Mittleren Ostens gesehen werden. Im Kerngedanken eines durch die Selbstverwaltung, Autonomie und Selbstbestimmung ethnischer und nicht-ethnischer Gruppen strukturierten Raumes ist vor allem auch ein Programm zu einer freiheitlich-solidarischen Neuordnung
des Mittleren Ostens, d.h. eine sehr konkrete politische Alternative impliziert. Genau solche Alternativvorschläge lassen sich im hiesigen Kontext aufgreifen, diskutieren und womöglich in Form eines linksradikalen Programms zur öffentlichen Disposition stellen. Gerade im Zusammenhang mit den Prozessen in Rojava ließe sich zeigen, dass die Perspektive des demokratischen Konföderalismus eine reale und realistische Variante der politischen Ordnung darstellt und bzgl. seiner Übersetzbarkeit in andere historischgeographische Zusammenhänge sich sehr wohl diskutieren lässt. Solidarität bedeutet in diesem Zusammenhang das Projekt Rojava unter dem Gesichtspunkt der Übernahme von sehr konkreten Programmpunkten in den eigenen Forderungskatalog zu beobachten. Solidarität bedeutet immer auch einen Abgleich und die Annäherung eigener und ‚fremder‘ Forderungen.
Eine solidarische Beobachtung der Prozesse in Kobane und Rojava kann viertens Prozesse der Reflexion über das ‚Wir‘ des Protestes und des Widerstandes ermöglichen. Indem nämlich die Konfliktlinie der Kurden in Rojava zum Teil übernommen wird ergeben sich sowohl auf der Seite des ‚Wir‘ als auch der der politischen Gegner Veränderungen. Auf der einen Seite sind gemeinsame Aktionen unterschiedlicher linker Gruppen, Menschenrechtsgruppen und den hier lebenden Kurdinnen möglich (und wirklich!). Dabei kommt es zu einer Zusammenfassung unterschiedlicher Konfliktperspektiven unter eine zentrale Linie, wobei im Blick ins ‚Innere‘ der Bewegung eine Vielzahl von Perspektiven erkennbar wird, die nochmal ganz andere Themen und Problemfelder aufzeigen können, die sich zukünftig womöglich auch an sich, d.h. unabhängig von der konkreten Solidarkampagnen nutzen lassen. Der Blick nach Innen ermöglicht wechselseitige Lern-und Sensibilisierungsprozesse, die den Relevanzbereich und das Themenspektrum einer linken Bewegung erweitern können. Auf der anderen Seite wird ein politischer Gegner sichtbar, der bisher noch nicht oder kaum auf dem Plan linker Bewegungspolitik stand.
Das eigene Erklärungsmuster für die Probleme, mit denen man sich als Bewegung befasst, wird damit differenziert. Mithin gewinnt derer eigene Weltentwurf dann an Kontur, wenn der IS als ‚neuer‘ Gegner tradierte Deutungsmuster artikuliert wird, so dass der Kampf in Kobane oder Rojava, nicht einfach nur als Einzelfall erscheint. Stattdessen zeigt sich in ihm eine neue Konfliktdynamik, die sich in dem ‚einen‘ kapitalistischen Weltsystem ereignet und daher immer auch Aufschluss über jene Totalität gibt, in der sich der Kampf der Kurden und der der radikalen Linken in Europa punktuell zu verbinden vermag. Wofür plädiert dieser Text nun? Sicherlich für eine unbedingte Solidarität mit dem kurdischen Widerstand gegen die Gräueltaten des Islamischen Staates. Für eine solidarische, basisdemokratische und selbstverwaltete politische Ordnung, deren Verwirklichung man sich trotz aller Verfehlungen im kurdischen Norden Syriens auf die Fahnen geschrieben hat. Außerdem fordert dieser Text, Unbedingtheit nicht mit Blindheit für Differenzen, andere Umstände oder kurz: die Komplexität der Welt zu verwechseln.
Unbedingtheit meint damit sowohl ‚Entschiedenheit‘ im eigenen politischen Handeln, wie auch eine Praxis der Solidarität, die nur aus dem Kontext einer europäischen radikalen Linken heraus existiert. D.h. sie muss sich mit dem Umstand anfreunden, aus einer Einrichtung in eine westlich-europäische Ordnung heraus zu passieren. Dies bringt zugleich Vor- und Nachteile für Solidarität mit dem Projekt Rojava, die hier nicht detailliert diskutiert werden können. Worum es lediglich ging, war die Forderung nach einer reflektierten und differenzierten solidarischen Aktion.
Lasse von Bargen
lasse.von-bargen@gmx.de