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Rolf Becker – Solidarität mit Griechenland
16.01.2016: „Schauspieler Rolf Becker hat ein Herz für Griechenland“ – so titelte das Hamburger Abendblatt im letzten Jahr einen Artikel über sein Engagement für soziale Projekte in Griechenland. In der Einladung zur großen Geburtstagsfeier zu seinem 80. Geburtstag war zu lesen: es geht „naturgemäß um Rolf Becker, aber ebensosehr auch um die Solidarität mit Griechenland“. Seit 2012 fährt ver.di-Mitglied Rolf Becker jedes Jahr mit einer Gruppe von GewerkschafterInnen nach Griechenland. „"Wir haben beschlossen, als Zeichen der Solidarität nach Griechenland zu fahren. Wir wollen uns selbst ein Bild machen von den verheerenden sozialen Zuständen. Wir wollen Kontakte vertiefen und neue aufbauen mit denjenigen, die sich seit zwei Jahren gegen die von der "Troika" verordneten Spardiktate zur Wehr setzen. Wir wollen ihnen zeigen, dass es auch im relativ ruhigen Deutschland KollegInnen gibt, die sie unterstützen. Nach unserer Rückkehr werden wir die gewonnenen Erfahrungen weitergeben – damit die Idee der grenzübergreifenden Solidarität stärker wird und sich ausbreitet". Auf vielen Veranstaltungen hat er zur Solidarität mit Griechenland gesprochen. Auf dem Wasserturmfest der DKP Elmshorn (Foto) baten wir ihn, für uns einen Beitrag zu schreiben.
Rolf Becker - Griechenland-Solidarität
Teil 1: Einleitung und Geschichte
1. Zur griechischen Geschichte
Wenn wir über die wirtschaftlich Entwicklung Griechenlands sprechen, bedenken wir kaum, dass der glanzvollen Antike und der Geburt der griechischen Demokratie im alten Athen, auf die so oft Bezug genommen wird, über 2000 Jahre Abhängigkeit und Fremdherrschaft folgten.
1821 beginnt mit dem Aufstand der Griechen gegen die osmanische (türkische) Herrschaft ein achtjähriger Freiheitskampf, der 1830 zur Unabhängigkeit führt.
Wenige Jahre nach Konstituierung des Staates, ist Griechenland pleite. Grund: Der Krieg gegen das Ottomanische Reich (Türkei) war mit Krediten finanziert. 800.000 Pfund wurden in London aufgenommen. Von den Geldgebern wurden dabei Gebühren in solcher Höhe gefordert, dass nur 348 000 Pfund in Athen ankamen – Zinsen mussten aber für 800.000 Pfund gezahlt werden Folge: Staatsbankrott 1843. Griechenland wird für Jahrzehnte von internationalen Kapitalmärkten ausgeschlossen.
Erholung ab 1878 nach einem Kompromiss mit den Gläubigern. Nächste Pleite: 1893. Folge: Zwangsverwaltung durch England, Frankreich und: Deutschland. Die Durchführung wird unterbrochen durch den Krieg 1896 zwischen Griechenland und dem Ottomanischem Reich um Kreta, der nach einem Jahr mit der Niederlage Athens endet.
Die griechische Regierung muss jetzt nicht nur die 1893 vereinbarten Schulden bedienen, sondern zudem Kriegsentschädigung an die Türkei zahlen. Die Kontrolle wird durch eine internationale Finanzkommission ausgeübt (wie heute durch die Troika). Einbehalten werden u.a. die Einnahmen des Hafens Piräus. Bernhard von Bülow, damals Staatssekretär im deutschen Auswärtigen Amt: Es gehe nicht mehr darum „mit Griechenland in eine Diskussion einzutreten, ob das Land nun die Kontrolle akzeptiert oder nicht, sondern nur über die Form, in der diese Kontrolle ausgeübt wird.“ Hintergrund: die engere Zusammenarbeit Deutschland – Türkei, die entsprechend zum Verbündeten im 1. Weltkrieg wird. Die Kommission mit Vertretern aus England, Frankreich, Italien, Russland, Österreich-Ungarn und Deutschland arbeitet bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs. Zugang zu internationalen Kapitalmärkten erhält Griechenland erst wieder ab 1949.
1. Weltkrieg: zunächst gelingt es Griechenland, sich neutral zu verhalten – Briten und Franzosen wird dann allerdings die Errichtung militärischer Stützpunkte erlaubt. Der 1919 durch griechische Nationalisten ausgelöste Krieg gegen die Türkei, durch den sie Teile Kleinasiens erobern wollen, endet 1922 mit einer verheerenden Niederlage – eineinhalb Millionen Griechen müssen Kleinasien verlassen.
2. Weltkrieg: das mit Großbritannien verbündete Griechenland wird 1941 von italienischen und deutschen Truppen besetzt. In London bildet sich eine griechische Exilregierung, innerhalb des Landes entstehen Widerstandsbewegungen, teils nationalistisch (EDES), teils kommunistisch (EAM/ELAS).
Bereits während des 2. Weltkriegs, verschärft nach Kriegsende 1945, kommt es zum Bürgerkrieg zwischen Royalisten, Konservativen, Nationalisten einerseits, andererseits einem Bündnis verschiedener linker Gruppierungen und Kommunisten, der mithilfe britischen und amerikanischen Militärs 1949 zugunsten der Monarchie und der Westmächte entschieden wird.
Der Sowjetunion ist nicht nur durch Vereinbarungen über die Einflusssphären ab Kriegsende ein Eingreifen nicht möglich – sie ist zudem durch die Kriegsfolgen zu geschwächt, um es auf einen militärischen Konflikt mit den Westmächten ankommen zu lassen.
Dem Historiker Martin Seckendorf ist folgender Hinweis zu verdanken: Als Ende August 1944 die Rote Armee den Südteil der deutschen Ostfront durchbrach und damit der Weg nach Belgrad und Wien frei war, drohte den deutschen Heeresgruppen auf dem Balkan die Einschließung. Um die Ostfront zu stabilisieren, befahl Hitler die Räumung Griechenlands.
In der Räumungsphase kam es zu einem im Zweiten Weltkrieg einmaligen Abkommen. Das Oberkommando der deutschen Wehrmacht und entsprechende britische Stäbe vereinbarten, die Deutschen sollten im Hinblick auf die Nachkriegsentwicklung Griechenlands die ELAS weiterhin bekämpfen und ihre Stellungen vor allem an den Küsten gegen die ELAS halten, bis britische Truppen anlandeten.
Als Gegenleistung wurde den Deutschen der militärisch unbedrängte Abzug zum Aufbau einer neuen Front gegen die Rote Armee garantiert – den damaligen Verbündeten der Briten(!). Das Abkommen wurde von beiden Seiten eingehalten. Trotz drückender britischer Überlegenheit zu Wasser und in der Luft konnten die Deutschen verlustlos von den meisten Inseln evakuiert werden und ab 10. Oktober 1944 auch das Festland räumen.
Ab 1947 übernahmen die USA die Rolle der Briten. Im Oktober 1949 gaben die antifaschistischen Kräfte den Kampf gegen die Übermacht auf. Die bürgerlich-kapitalistische Ordnung in Griechenland war gesichert.
Die Angaben zur Zahl der Kriegs- und Bürgerkriegs-Toten in Griechenland schwanken – auch abhängig von der politischen Interessenlage bzw. Abhängigkeit der Historiker: annähernd 1 Million Tote infolge des Überfalls der Deutschen Wehrmacht, also etwa 10 % der damals wenig mehr als 7 Millionen Griechen; etwa 100.00 kommen im Bürgerkrieg um.
Tausende linksgerichteter Griechen flüchten während des Bürgerkriegs ins Exil, weit mehr werden in Straf- bzw. Umerziehungslagern interniert, meist auf abgelegenen Inseln wie der KZ-Insel Makronissos beim Kap Sunion. Es gibt schwerste Misshandlung und Folter, vielfach Erschießungen – jedoch nicht vergleichbar mit dem in deutschen KZs systematisch organisierten und durchgeführten Massen- und Völkermord.
Zu den Internierten gehören zahlreiche Kunstschaffende, auch der Dichter Jannis Ritsos und der Komponist Mikis Theodorakis – ihre und die Werke vieler anderer Autoren dieser Jahre sind aufgehoben im Bewusstsein der griechischen Bevölkerung.
Unvergessen der Tag der Hinrichtung des griechischen Widerstandskämpfers und Kommunisten Nikos Belogiannis am 30. März 1952, der zum jährlichen Gedenktag geworden ist. Interventionen zur Rettung des Verurteilten konnten seine Hinrichtung nicht verhindern. Den Protesten hatten sich sogar Charles de Gaulle, 159 Abgeordnete der beiden großen Parteien Englands angeschlossen, Pablo Picasso, Charlie Chaplin, Jean Paul Sartre, und, und und.
Was bleibt, anders als in Deutschland: Die arbeitende Bevölkerung Griechenlands hat gekämpft, die Traditionslinien reichen bis ins heute.
Dem Ausgang des Bürgerkrieges entsprechend verfolgt Griechenland nach 1949 einen Kurs der Westintegration. Die griechische Wirtschaft ist durch Krieg und Bürgerkrieg schwer geschädigt, große Teile des Landes sind verwüstet, die Infrastruktur einschließlich der Häfen zerstört, die arbeitsfähige Bevölkerung mehr als dezimiert.
- 1952 wird Griechenland NATO-Mitglied,
- 1962 assoziiertes Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG,
- 1981 erfolgt der Beitritt zur EU
- 2001 die Einführung des Euro anstelle der Drachme
- 2008 beginnt die Krise.
Geschichtliche Etappen vom 2. Weltkrieg bis heute:
1967: Eine innenpolitische Krise, ausgelöst durch die Furcht vor einer möglichen Ablösung des Königshauses durch die Errichtung einer parlamentarischen Demokratie, führt – unter dem Vorwand einer kommunistischen Machtübernahme zuvorkommen zu müssen – zum Putsch der Obristen unter Führung von Georgios Papadopoulos.
Wieder werden Zehntausende verhaftet und interniert (die meisten Lager aus der Zeit des 2. Weltkriegs und des Bürgerkriegs sind noch intakt). Unter den inhaftierten Kommunisten, Gewerkschaftern, kritischen Intellektuellen und Künstlern wieder Jannis Ritsos und Mikis Theodorakis, dessen Kompositionen verboten werden.
1974 haben die Obristen – auch infolge des Zypernkonflikts mit der Besetzung des Nordteils der Insel durch die türkische Armee – abgewirtschaftet, der König wird abgesetzt, Griechenland wird zur Republik.
Wegen Zypern tritt Griechenland im gleichen Jahr aus der NATO aus (und 1980 leider wieder ein). Seitdem kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei, Auslöser ist nicht nur die geteilte Insel Zypern, es geht auch um Erdölvorkommen im Ägäischen Meer.
Der Bürgerkrieg in Jugoslawien und das Eingreifen der NATO sorgen in den 1990er Jahren für erneuten Konfliktstoff – anders als bei uns gehen zigtausende Griechen gegen das Bombardement Serbiens auf die Straße – auch gegen die Kriegsbeteiligung Deutschlands.
1981 wird der Sozialdemokrat Andreas Papandreou (von der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung, PASOK) Regierungschef. Er bleibt bis zu seinem Tod 1996 bestimmende Figur in der politischen Landschaft Griechenlands. Seitdem Wechsel PASOK – ND, bei weitgehend gleicher Politik, nur unterschiedlichem Klientel. Bis am 25. Januar 2015 Syriza die Wahlen gewinnt – nicht aber die Macht…
2. Verweigerte Reparationszahlungen
Der Historiker Karl Heinz Roth hat als Minimalbetrag der von Deutschland verweigerten Reparationszahlungen 90 Milliarden errechnet.
Das Londoner Schuldenabkommen von 1953 hatte das Deutschland bis zu einer Wiedervereinigung (die damals nicht erwartet wurde) und bis zu einem Friedensabkommen von allen Reparationen freigesprochen. Seit dem Fall der Mauer 1989 und dem Abschluss der 2+4-Verträge kann Deutschland das nicht mehr geltend machen, die deutsche Position entbehrt darüber hinaus jeder völkerrechtlichen Grundlage – gezahlt wird trotzdem nicht. Zum einen hat der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher darauf geachtet, dass sie nicht als Friedenvertrag definiert wurden, zum weiteren: Vertrags- und Völkerrechtsfragen sind letztlich Machtfragen.
Vorschläge zum Wiederaufbau Griechenlands und für ein soziales, demokratisch verfasstes, die ökonomischen Verwerfungen überwindendes Europa, »anschlussfähig für nachkapitalistische Perspektiven« (k.-H. Roth), verwirft der derzeitige Finanzminister Wolfgang Schäuble ebenso wie alle Reparationsforderungen Griechenlands. Die Illusion, Politik unter Missachtung geschichtlicher Voraussetzungen dauerhaft durchsetzen zu können, teilt er mit vielen seinesgleichen.
Was auch immer angeführt wird, um uns zu erklären, dass es keine Ansprüche der griechischen Bevölkerung auf zumindest materielle Entschädigung für das während der Naziherrschaft Erlittene gibt, ist von einer Absurdität, die selbst Konservativen zu denken geben dürfte. Außer Russland und Serbien hat kein Land unter dem deutschen Überfall und der anschließenden Besetzung mehr gelitten als Griechenland.
Distomo, Kalavrita, Anogia, Komeno – die Aufzählung der Verbrechensorte lässt sich ins zigfache verlängern. Deutsche Politiker und Bundespräsidenten, zuletzt Joachim Gauck, baten zwar gelegentlich um Verzeihung für die von der deutschen Wehrmacht verübten Verbrechen. Aber auf die Frage, warum Deutschland nach wie vor jede Entschädigung für das von der Wehrmacht im Jahr 1943 verübte Massaker verweigere, sagte Gauck im Dorf Lyngiades: „Sie wissen, dass ich darauf nur so antworten kann, dass ich meine, der Rechtsweg ist abgeschlossen.“
Kesariani, der Athener Gedenkstätte für die Opfer der Deutschen Wehrmacht. Aus dem Redebeitrag, gerichtet auch an den 90jährigen Manolis Glezos, der 1941, wenige Wochen nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Athen die Hakenkreuzfahne von der Akropolis geholt hatte:
„…unumgänglich, dass Deutschland – unter welcher Regierung auch immer – endlich der Verantwortung gerecht zu werden hat, die sich aus der Geschichte unserer beiden Länder ergibt.
1941 hat die Wehrmacht des faschistischen Deutschland Griechenland überfallen. Widerstand wurde mit Terrormaßnahmen niedergeschlagen, ganze Ortschaften ausgelöscht. Die im Lande erzeugten Lebensmittel wurden beschlagnahmt zur Ernährung der deutschen Armeen auf dem Balkan und in Nordafrika, die Menschen hier hungerten und verhungerten. Joseph Goebbels notierte im Winter 1941/42 in seinem Tagebuch: ‚Hunger ist zu einer endemischen Krankheit geworden. Leute sterben aus Erschöpfung zu Tausenden in den Straßen Athens.‘
In Kesariani, der in Griechenland ‚Altar der Freiheit‘ genannten Stätte, vormals ‚Schießstand der Deutschen Wehrmacht‘, wurden – von 1941 bis 1944 – 600 Griechen ermordet, die nicht bereit waren sich dem deutschen Besatzungsregime zu unterwerfen. ‚Der Tod ist ein Meister aus Deutschland‘ (Paul Celan) – das musste hier am 1. Mai 1944 auch eine Gruppe von 200 kommunistischen Häftlingen aus dem nahe gelegenen KZ Chaidari erfahren, so wie zuvor, am 5. September 1943, acht jugendliche Widerstandskämpfer: unter ihnen der erst 14 Jahre alte Andreas Likourinos, der vor seiner Hinrichtung noch gefoltert worden war. Vom Wehrmachts-LKW, mit dem er durch Athen hierher transportiert wurde, warf er einen Zettel mit den Namen der sieben mit ihm Exekutierten:
‚Papa! Sie bringen mich nach Kesariani zur Hinrichtung, zusammen mit 7 anderen (hier folgen die Namen). Ich bitte Dich sehr, verständige ihre Familien. Betrübe Dich nicht. Ich sterbe für die Freiheit und das Vaterland. Andreas‘.
Seine Abschiedszeilen wurden in das Buch ‚Und die Flamme soll euch nicht versengen. Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen Widerstand‘ aufgenommen – Thomas Mann schrieb 1955 ein Vorwort dazu. Der italienische Komponist Luigi Nono vertonte die Zeilen in seinem Chorwerk ‚Kinder-Totenlieder‘.
Ein Zitat von Bertolt Brecht, ausdrücklich an dieser Erschießungs-Mauer, deren Beschädigung die Todesschüsse bezeugen:
‚Aber als er zur Wand ging, um erschossen zu werden
Ging er zu einer Wand, die
von seinesgleichen gemacht war
Und die Gewehre, gerichtet auf seine Brust, und die Kugeln, geschossen in seinen Leib
Waren auch von seinesgleichen gemacht (...)
Nicht einmal die auf ihn schossen, waren andere als er und nicht ewig auch unbelehrbar.
Ihn aber führten seinesgleichen zur Wand jetzt
Und er, der es begriff, er begriff es auch nicht.‘
(Aus: Die Mutter, Bericht über den Tod eines Genossen)
Bertolt Brecht greift auf, was Karl Marx und Friedrich Engels bereits 1848 als Grundlage kapitalistischer Herrschaft definiert haben: die Konkurrenz der Arbeitenden unter sich. Ohne sie könnten die Herrschenden nicht herrschen. Diese Konkurrenz untereinander gilt es zu überwinden, wenn wir aus der gegenwärtigen Entwicklung in unseren Ländern einen Ausweg finden wollen.“
3. Zum Entstehen und zur Entwicklung der Wirtschaftskrise
In Griechenland zeigen sich die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Mängel des europäischen Machtblocks, die mit der weltweiten Rezession von 2008/2009 zur Euro-Krise geführt haben.
Wir erinnern uns: 1981 wird Griechenland in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen. An der Macht sind die griechischen Sozialdemokraten, die PASOK unter Andreas Papandreou.
Ein Aufschwung scheint sich anzubahnen: die Wirtschaft beginnt zu florieren, das Lohnniveau steigt, Basislöhne werden durchgesetzt, Gesundheitszentren eingerichtet, die Rechte der Frauen gestärkt. Unangetastet bleibt allerdings das für Griechenland typische Klientelsystem – wir würden sagen: „Filz“.
Währung ist damals noch die Drachme – durch wiederholte Abwertung der Landeswährung können Wettbewerbsnachteile gegenüber der europäischen Kernzone ausgeglichen werden: Exporte griechischer Firmen werden auf diese Weise verbilligt, Importe verteuert, so dass überwiegend im Lande produzierte Waren konsumiert werden.
Das ändert sich 1993, als sich Griechenland unter der konservativen ND (Nea Dimokratia) dem Mastricht-Vertrag der EG anschließt. Im Vorgriff auf die Einführung des Euro darf die griechische Regierung Wettbewerbsnachteile nicht mehr durch Abwertung der Landeswährung ausgleichen.
Folge: Exporte und Produktion werden rückläufig, die Zahlungsbilanz geht ins Minus, der Staat muss Kredite aufnehmen.
Trotz der steigenden Verschuldung wird Griechenland 2001 in die EU aufgenommen, der Euro wird eingeführt. Die europäischen Partner, insbesondere, wissen um die ökonomische Schieflage des Landes – sie übersehen sie bewusst, und zwar aus geopolitischen Gründen:
Um den Krieg gegen Jugoslawien 1999 führen zu können, den ersten Angriffskrieg Deutschlands sei dem 2. Weltkrieg, durfte es nicht zum Ausscheren Griechenlands aus der Nato kommen. Die Aufnahme in EU und die Einführung des Euro als Währung waren der Preis, den die deutsche Regierung aus SPD und Grünen unter Kanzler Schröder gegen die Warnungen zahlreicher Konservativer (Weigel, Gauweiler) zahlte.
Der Balkan musste zudem nach der Zerschlagung Jugoslawiens aus geostrategischen Gründen unter Kontrolle bleiben, Voraussetzung auch für die bis heute andauernden Kriege zur Unterwerfung des Nahen Ostens, und die wieder Voraussetzung für die fortschreitende Einkreisung Russlands.
Noch etwas: der Oberste Gerichtshof Griechenlands, der Areopag, hatte Entschädigungsklagen von Opfern der Deutschen Wehrmacht entsprochen und die Beschlagnahme von Vermögen deutscher Firmen und Privatpersonen verfügt.
Der Deal: die griechische Regierung hob das Urteil auf, die Schröderregierung unterstützte im Gegenzug die Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone.
Die griechische Regierung konnte jetzt erneut günstige Kredite aufnehmen. Das Verkehrswesen wurde modernisiert, das Militär aufgerüstet. Nicht nur griechische Firmen und die griechischen Reeder (mit der größten Handelsflotte der Welt) verdienten daran, auch deutsche und französische Firmen – Schmiergelder allein des Siemens-Konzerns in Höhe von jährlich um die 15 Millionen Euro geben Zeugnis davon. Und das Klientelsystem blühte. Die Kehrseite des scheinbaren Booms: die Staatsverschuldung stieg weiter und weiter.
Der Offenbarungseid kam mit der Weltwirtschaftskrise 2008/2009: der Gesamtumfang der Staatsschuld betrug 140 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Statt jetzt Umschuldungsverhandlungen mit den Gläubigern aufzunehmen, bemühte sich die (bald darauf abgelöste) PASOK-Regierung um Darlehen bei der Europäischen Zentralbank (EBZ) und der EU-Kommission. Die wiederum schalteten 2010 den Internationalen Währungsfond ein – die Troika mit ihren Expertengruppen war gegründet.
Seitdem sind die Regierungen in Athen in ihren Befugnissen erheblich eingeschränkt, de facto ist Griechenland heute ein Protektorat. –
Zusammengefasst: die Sparpakete haben die Krise nicht gemildert, sondern verschärft: Nicht die Menschen, die Banken und privaten Geldgeber werden gerettet. Die Verfassungsgrundsätze sind ausgehebelt, die Verfügungsgewalt über den Staatshaushalt liegt bei der Troika, die Demokratie ist zur leeren Hülse verkommen.
Aber: die Bevölkerung mischt sich ein – wenn auch auf widersprüchliche Weise…
Wie verderblich die Herrschaft über fremde Länder, wenn sie auch menschlich ausgeübt wird, auf ein demokratisches Land einwirken muss, wie dann die Grundlagen der Demokratie untergraben werden und einer politischen Korruption Platz machen, braucht nicht näher ausgeführt zu werden.
Rosa Luxemburg, 1898
Der 2. Teil zur aktuellen Situation in Griechenland folgt.