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Nach dem Schock von Köln – eine hilflose Linke zwischen Ritual und Reflex  

Vorneweg zwei Bemerkungen:  1. Der folgende Kommentar gibt in keiner Weise die Position der NaO Berlin oder der NaO bundesweit wieder, sondern ist ausschließlich meine Privatmeinung. 2. Ich mir darüber klar, dass dieser Kommentar in meinem engeren und weiteren politischen Umfeld einen veritablen Shitstorm auslösen kann, womöglich droht gar Exkommunikation.  Egal, ich will ja nix mehr werden und es drängt mich doch sehr zur Tastatur, weil mir die Linke „nach Köln“ immer mehr vorkommt wie der berühmte Pawlow’sche Hund.  

 

Auch das noch...  

Nach den ersten Meldungen über die „Vorfälle“ haben wohl alle Linken dasselbe gedacht. Erstens Fassungslosigkeit und Empathie / Mitgefühl mit den betroffenen Frauen und zweitens: Scheiße, auch das noch – das wird den Rechten noch mehr Auftrieb geben. Insofern ist es verständlich, dass die Linke irgendwie unter Schock steht. Und es ist gut, dass sie – wenn auch etwas verzweifelt-defensiv – versucht, sich dagegen zu stemmen, dass diese Exzesse für rassistische Ressentiments instrumentalisiert werden. Das funktioniert aber nicht mit Schönreden und Relativieren.  

Es hapert ja linksseitig schon mit dem Mut, die Dinge beim Namen zu nennen. Nur ein Beispiel von vielen: Der wahrlich verdiente Genosse Pedram Shahyar erklärt in seinem FB-Kommentar vom 13.1. allen Ernstes, die Täter von Köln seien „angeblich“ (sic!) Flüchtlinge und Muslime. Was soll man dazu noch sagen? Vielleicht hat uns die verdammte Lügenpresse schon wieder verarscht und in Wirklichkeit waren es Norweger und Finnen... Derart krasse Realitätsleugnungen sind zugegeben die Ausnahme – die Regel sind mehr oder minder raffinierte Relativierungen.  Eher plump der Hinweis auf CSU-ler, die jetzt zu Feministen werden. Natürlich ist es lächerlich, wenn die Söders und Singhammers, die vor nicht allzu langer Zeit im Bundestag noch gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe stimmten, nun die Frauenrechtler geben. Aber wofür soll das ein Argument sein? Muss ich für Gentechnik sein, weil auch ein paar Wertkonservative dagegen sind?  

Auf gar keinen Fall fehlen darf in diesem Zusammenhang natürlich die anti-deutsche Allzweckwaffe 'Oktoberfest'. Hier demaskiert sich der „Ugly German“ zur Kenntlichkeit und dass es sich bei den dortigen sexuellen Übergriffen auch nicht um Einzelfälle handelt, stimmt ja. Allerdings kann jedenfalls ich mich nicht erinnern, dass sich beim Oktoberfest jemals 1000 Männer gleichzeitig zu räuberischer Erpressung und sexueller Nötigung zusammengerottet bzw. sich hierfür vorher über soziale Netzwerke verabredet hätten. Angela Klein schreibt zurecht von „Massenangriffen auf Frauen, die eine neue Qualität haben und in gewisser Weise einen Kulturbruch darstellen“ (soviel Klartext hätte ich mir auch von anderen gewünscht). Aber selbst wenn Sie falsch läge, also „Oktoberfest“ und „Domplatte“ dieselbe Hausnummer hätten, stellte sich erneut die Frage: Wofür soll das ein Argument sein?

Es kann nicht sein, was nicht sein darf  

Der einzige Zweck der argumentativen Vorgeplänkel (Oktoberfest, Karneval, häusliche Gewalt in Deutschland etc.) besteht darin, stimmungsvoll zum zentralen Gedanken und Hauptargument überzuleiten: Sehr unschön, was da passiert ist. Aber es hat nichts zu tun mit Herkunft, Kultur und Religion der Täter. Das ist erkennbar falsch – (fast) alle Linken wissen es, aber wehe dem, der es ausspricht.  

Da hier das „verminte Gelände“ beginnt, darf ich jetzt keinen Fehler machen, werde jedes Wort auf die Goldwaage legen u.v.a. ungerechtfertigte Pauschalisierungen zu vermeiden trachten. Also: Selbstverständlich gibt es feministische Araber (leider viel zu wenige) und natürlich gibt es sexistische, übergriffige Europäer (leider viel zu viele). Es stimmt auch, dass unsere (deutsche) Sprache diskriminierend und verräterisch zugleich ist. Bringt ein Araber seine Frau / Freundin / Schwester um, ist es ein „Ehrenmord“. Macht dasselbe ein Deutscher, ist es eine „Familientragödie“. Aber wahr ist auch: Der durchschnittliche Mann aus muslimisch geprägten Ländern hat eine andere, nämlich patriarchalischere Einstellung gegenüber Frauen als der durchschnittliche europäische Mann. Das hat verschiedene soziale, politische und ökonomische Gründe (Wohlstands-/Bildungsgefälle, unterschiedliche Wirkung von „68“ und „Neuer Frauenbewegung“ u.v.m.), aber keine biologischgenetischen. Für die große Mehrheit der muslimischen Männer steht der Mann über der Frau, Sie hat Ihm zu gehorchen und auch sexuell zu Verfügung zu stehen, Sie hat ihr Haar zu bedecken oder auch den ganzen Körper oder auch das Gesicht, wenn er es wünscht. Das alles kann von der Mehrheit der europäischen Männer nicht behauptet werden. Um es polemisch mit Samuel Schirmbeck (auf den ich gleich noch zu sprechen komme) auf den Punkt zu bringen: Im Maghreb, im Nahen und mittleren Osten und in Arabien ist für die dortigen Frauen jeden Tag „Oktoberfest“.  

Ein bestimmter Blick auf die „eigenen“ Frauen generiert fast zwangsläufig einen sozusagen komplementären Blick auf die „fremden“ Frauen. Wenn die ihr Haar nicht bedecken, sind sie zumindest „ehrlos“, gehen sie im Minirock in die Öffentlichkeit, sind sie „Schlampen“ oder „Nutten“, also Freiwild. Wer das für übertrieben, rechtspopulistisch oder gar rassistisch hält, mache den Praxistest und besuche am Wochenende eine beliebige Disco z.B. in Berlin – wie sich v.a. arabische junge Männer dort gegenüber deutschen Frauen und Mädchen benehmen, spottet teilweise jeder Beschreibung. Ich wundere mich seit langem über die Engelsgeduld linker Feministinnen angesichts solcher Phänomene.  

Da ich nur für das kritisiert werden möchte, was auch wirklich geschrieben habe, hier sicherheitshalber noch ein paar Klarstellungen: Es geht nicht um’s Schweinebraten essen oder Weihnachtsbäume aufstellen, nicht um Kultur, schon gar nicht Leitkultur, auch nicht um vermeintliche oder tatsächliche deutsche oder europäische Werte, sondern um eine einfache und klare Ansage: In Deutschland ist die Frau zumindest juristisch und formal gleichberechtigt. Wir als Linke finden das gut und wollen dazu beitragen, dass die formelle Gleichheit auch zur realen gesellschaftlichen Gleichheit wird. In Deutschland können sich Frauen anziehen wie sie wollen – entscheiden sie sich für „sexy outfit“, ist das kein Hinweis auf gar nichts. Die „Slutwalks“ werden von links begrüßt oder gar gefeiert. Aber was hat die „PC-Fraktion“ daraus gelernt? Hier zum Mitschreiben nochmal die zentrale Losung: This is a dress, not a Yes!  

Kein strenggläubiger Muslim muss das gut finden, er soll alle Freiheiten haben, gegen den „verlotterten Westen“ zu polemisieren. Er muss auch keine „Integrationsvereinbarung“ unterschreiben, in der drin steht: „Ich gelobe feierlich, der feministischen Sache für immer treu zu dienen“ Aber eines, das muss er: In seinem Verhalten gegenüber Frauen deren Selbstbestimmungsrecht respektieren. Tut er das nicht, kriegt er Probleme: Juristische Konsequenzen und soziale Ächtung.  

Arabische Dissidenz findet nur in der FAZ statt  

Den „Goldenen Vollpfosten“ für den zynischen Gipfel des lakonischen Achselzuckens in der „Post-Köln-Debatte“ verleihe ich hiermit an Bundesrichter Thomas Fischer. In seiner 'Welt'-Kolumne „Unser Sexmob“ gießt er in jurisprudent-eloquenter Sprache Hohn und Spott aus über alle, die sich nach / über Köln empört haben. Man soll ja seinen Mitmenschen, auch dem Klassenfeind persönlich nichts Schlechtes wünschen. Aber nach dem „Genuss“ dieses Pamphletes hatte ich schon die spontane Idee, dass es für den feinen Herrn Bundesrichter vielleicht ganz lehrreich wäre, wenn er auch mal überfallartig von 40 – 50 wildfremden Männern umringt würde, die ihm sodann dutzendfach ihre Finger in den Anus schieben, während andere gleichzeitig versuchen ihn abzuknutschen und an seinem Genital rumfummeln. Nachdem er so am eigenen Leib erfahren hätte, wie sich das anfühlt, wäre ich doch recht gespannt auf den Inhalt seiner nächsten Kolumne. Für die, die das zu harsch finden: Es gibt nicht nur den handfesten Sexismus der Dumpfbacken von ganz unten rechts, sondern auch einen intellektuellen Feuilleton-Sexismus von halblinks halb oben.   

Nun gut, das Internet ist bekanntermaßen voll von Vollpfosten und dass die Vollpfostenzeug posten, ist nicht weiter bemerkenswert. Der springende Punkt ist ein anderer: Die Fischer-Kolumne wurde auch von vielen Linken auf FB geliked und geteilt (auch von Genossen, die ich persönlich kenne und für ihre politische Erfahrung und Urteilskraft schätze). Hey Comrades, warum teilt ihr den sexistischen Kackmist eines feisten Bundesrichters, aber nicht – z. B.! – Mona Eltahawys „Schleier und Jungfernhäutchen. Warum es im Nahen Osten eine sexuelle Revolution geben muss“!?  

Von der Frau habe ich auch erst via Scholz / Schirmbeck erfahren. Birger Scholz war der einzige mir bekannte Linke, der sich traute, den lesenswerten Artikel von Samuel Schirmbeck „Sie hassen uns“ (die muslimischen Männer die Frauen, M.S./Zitat Eltahawy) weiter zu verbreiten und zu empfehlen. Schirmbeck ist kein Linker, aber auch kein Rechtspopulist. Er weiß aber, wovon er redet, da er mehrere Jahre in Nordafrika gelebt hat. Er legt das beschämende Totalversagen der Linken schonungslos bloß: Ausgerechnet die Linke in Deutschland (auch die feministische!) denunziert die (linke und feministische!) innerarabische Islamkritik als „islamophob“! Wobei ich noch anmerken möchte, dass in einem Land wie z. B. Saudi-Arabien schon „nur“ liberalsäkulare Positionen / Proteste ein unterstützenswerter Fortschritt sind.  

Die deutsche Linke hält es mehrheitlich lieber mit der scheißolivgrün-neoliberalen TAZ. Die hat gerade herausgefunden, was die Empörung über Köln in Wirklichkeit ist: Die „Reproduktion des rassistischen Bildes der unschuldigen weißen Frau, die vor dem aggressiven muslimischen Mann geschützt werden muss“ Vulgo: Wer sich nicht begrapschen lassen will, macht sich mitschuldig am Erstarken des Rassismus – ich krieg’ grüne Pickel am Po!!    

Kriminelle Ausländer raus?  

Reden wir über die Sylvester-“Vorkommnisse“, dann reden wir nicht über Falschparken oder Mundraub im Supermarkt, sondern über schwere Straftaten, als da wären: räuberische Erpressung und Raub, sexuelle Nötigung und (in mindestens einem Fall) Vergewaltigung, sowie (aufgrund des bandenmäßigen Vorgehens) OK (Organisierte Kriminalität) und Landfriedensbruch. Dagegen braucht es natürlich keine neuen (schärferen) Gesetze, sondern die Anwendung der bestehenden. Mit einer Ausnahme: In Deutschland ist Vergewaltigung juristisch erst dann eine Vergewaltigung, wenn das Opfer sich „gewehrt“ hat. Das kann erstens in manchen Situationen lebensgefährlich werden und ist zweitens zynisch, weil es leicht nachzuvollziehen ist, dass die Opfer in solchen Situationen oft wie paralysiert sind. „Nein heißt Nein!“ muss in Gesetzesform gegossen werden.  

Die Sache mit der Genfer Konvention hat sich ja mittlerweile geklärt – diese verbietet eben nicht die Ausweisung / Abschiebung rechtskräftig wegen Straftaten verurteilter Flüchtlinge, sofern dem keine zwingenden humanitären Gründe entgegen stehen, sprich den Betroffenen im Zielland nicht Haft oder gar Folter / Tod drohen.

Ich will aber nicht juristisch argumentieren, sondern politisch. Leider hat Sarah Wagenknecht in diesem Zusammenhang einen Riesenbock geschossen. Sie ist ja keine politische Anfängerin, hätte also wissen müssen, dass „Gastrecht“ nach paternalistischem „Gnadenrecht“ klingt, v.a. aber sofort Erinnerungen an Basta-Schröder weckt („Wer das Gastrecht missbraucht – raus, aber sofort!“). Im Gegensatz zu Vielen unterstelle ich ihr kein Kalkül (schon gar kein rechtspopulistisches), sondern „nur“ eine politische „Eselei“. Was sie zum Ausdruck bringen wollte, teile ich ausdrücklich.  

Vorneweg aber: Dass ausgerechnet FDS-Granden am lautesten protestierten, ist nur noch ekelhaftheuchlerisch und leicht erkennbar flügelkampfinteressengeleitet – wo waren / sind denn die Proteste der Gallerts und Höhns gegen die Abschiebepraxis „ihrer“ Regierungen in Brandenburg und Thüringen?  

Viel interessanter ist ein Beschluss des geschäftsführenden PV der PdL, indem es heißt: „Die Linke lehnt Abschiebungen ab“. Den Satz kann man eigentlich nur so interpretieren, dass jegliche Abschiebung abgelehnt wird. In einem sonst fast gleichlautenden Beschluss der Bundestagsfraktion fehlt eben dieser Satz. Da drängt sich eine erste Frage auf: Ist diese (neue?) Linie schon an die Genossen in Brandenburg und Thüringen übermittelt worden (s.o.)? Hauptbegründung für das Wagenknecht-Abwatschen und die Ablehnung jeglicher Abschiebungen: Die gleiche Straftat müsse für alle die gleichen Rechtsfolgen haben. Klingt erst mal gut, weil humanistisch und egalitär – ist aber nicht stichhaltig, weil auch in anderen Fällen gleiche Taten unterschiedliche Strafen nach sich ziehen. Jugendliche Straftäter werden milder bestraft als erwachsene, Wiederholungstäter härter als Ersttäter – es kommt immer auf den Einzelfall an (ansonsten bräuchte es keine Judikative, dann reichte der öffentliche Aushang eines Katalogs von Straftaten und den entsprechenden Strafen).  

Aber ich mime schon wieder den Freizeit-Juristen. Politisch hätte ich (nicht nur) an die PdL eine zweite Frage: Was spricht eigentlich dagegen, z.B. einen rechtskräftig verurteilten Vergewaltiger nach umfassender und fair-rechtsstaatlichen Prüfung seines Falles nach Bulgarien oder Marokko abzuschieben? Dass er damit u.U. härter bestraft wird als ein rechtskräftig verurteilter Vergewaltiger mit deutscher Staatsangehörigkeit?  Darauf möchte ich mit einer dritten Frage antworten, die an die eigentliche Intention Wagenknechts anknüpft: Ist die Erwartung breiter inländischer (aber auch migrantischer!!) Bevölkerungskreise, dass Flüchtlinge / Zuwanderer, die hier eine neue Heimat finden wollen keine schweren Straftaten begehen wirklich schon rassistisch?  

Ich weiß, auf welch dünnem Eis ich mich hier befinde und ich möchte auch nicht alte Weggefährten  vor den Kopf stoßen – deshalb versuche ich es nochmal mit einem konkreten Beispiel. Ich konnte das nicht verifizieren – in einer Flüchtlingsunterkunft in Süddeutschland sollen KosovoAlbaner von den anderen Bewohnern unter Gewaltandrohung eine „Gebühr“ für die Benutzung der Toiletten verlangt und kassiert haben. Wenn das zuträfe, wäre das ein klarer Fall von Schutzgelderpressung in einem – wie ich finde – besonders schäbigen und verabscheuungswürdigen Fall, da die Opfer hier besonders schutzbedürftig / eh schon traumatisiert sind. Im Kosovo herrscht Armut, aber es gibt dort keinen Bürgerkrieg, wenn da wer verfolgt wird, sind es nicht Albaner, sondern Serben und Sinti + Roma. Wäre es für einen rechtskräftig wegen Schutzgelderpressung gegen „Mitflüchtlinge“ verurteilten Albaner wirklich eine unbillige Härte, dorthin zurück geschickt zu werden? Wenn ja, wie wollt ihr das einem „normalen Menschen“ erklären?  

Alles „dumme Kerls“? 

Womit wir bei den berühmten „Ängsten der Bevölkerung“ wären. Die zu verhöhnen und / oder pauschal als rechtsradikal zu denunzieren, ist ja schon lange linksradikaler Volkssport. Ich halte das für einen Riesenfehler, denn so treiben wir die Leute geradezu nach rechts. Wenn der Kollege am Taxihalteplatz äußert „Eine Million reicht aber erst mal“ und ich erwidere nur „Du bist ja rechtsradikal“, dann wird er antworten „Na und, dann bin ich eben rechtsradikal“. Es ist richtig, dass man Rassismus (auch in der eigenen Klasse) nicht bekämpfen kann, indem man ihm nachgibt / entgegenkommt. Richtig ist aber auch, dass Antifa ohne breite Akzeptanz schnell zur Szene-Selbstbefriedigung wird.  

Warum sind FN und UKIP (jedenfalls bei Wahlen) die neuen „Arbeiterparteien“? Weil es nicht nur (zu wenig) hochentwickeltes Klassenbewusstsein gibt, sondern auch sozusagen „basalen“ Klasseninstinkt (der natürlich gern mal falsch, nämlich nach rechts abbiegt). Die „Leute“ spüren ganz genau, dass am Ende wieder sie es sein werden, die die Zeche für die „Flüchtlingsströme“ zahlen. Und sie sind nicht so blöd, nicht zu merken, dass sich vom herrschenden Block aus Konservativen, Sozis, Grünen und Regierungslinken kein Schwein für ihre Interessen und Probleme interessiert. Und die radikale Linke? Marginalisiert, wird gar nicht wahrgenommen. Vielleicht ist das sogar ganz gut, denn ihr postmodernistisch infizierter Teil kultiviert ja inzwischen eine regelrechte Verachtung des weißen, männlichen, heterosexuellen Malochers und wendet sich lieber den wirklich wichtigen Dingen zu. Haben wir nun 120 oder doch eher 160 verschiedene Geschlechter? Ist es eine schwere oder mittelschwere Diskriminierung, wenn dem mopedfahrenden Turbanträger die Befreiung von der Helmpflicht verweigert wird? Werden Cisgender vom „Sternchen“ oder vom „Unterstrich“ besser repräsentiert? (Für die ins Grübeln kommenden Geschlechtsgenossen: Ein „Cis-Mann“ bist du, wenn du ein im Großen und Ganzen entspanntes Verhältnis zu deinem „kleinen Freund“ hast.) Das ist alles viel schicker und „subversiver“ als sich mit der verzopft-altmodischen „sozialen Frage“ rumzuschlagen.  


Außerdem verabschieden sich auch Linke nur ungern von alten Gewissheiten. Dazu zählt z.B. die Behauptung, je höher der Ausländeranteil eines Quartiers, desto harmonischer das Verhältnis von In- und Ausländern. Nur in der ehemaligen Ostzone, wo es wenig bis gar keine Ausländer gibt, sei die Rechte überproportional stark. In Wahrheit ist es doch eher so: In den gutbürgerlichen Bezirken funktioniert „Multi-Kulti“ prima, der grüne Oberstudienrat hatte jedenfalls noch nie Probleme, wenn er beim Inder essen war. Ganz unten hingegen (in Ost und West!) verschärft sich der Kampf zwischen deutscher Unterschicht und armen Migranten (die erfolgreichen türkischen Geschäftsleute sind längst auch weggezogen) um bezahlbare Wohnungen und miese Jobs.  


Kleines Praxis-Beispiel gefällig für die Probleme auf dem „Unterdeck“? Ich stehe mit meiner Droschke oft am Berliner Busbahnhof, also da, wo die armen Schweine vor allem ankommen. Leider scheint sich noch nicht in allen Herkunftsländern rumgesprochen zu haben, dass die Bezahlung von Taxifahrten mit Naturalien in Deutschland eher unüblich ist. Jedenfalls hatte ich nur seit Jahresbeginn schon 4 Fahrten, bei denen am Ende gar nichts zu holen war oder die Bezahlung mit Wurst oder Zigaretten angeboten wurde. Frage an die studierten Marxisten unter den Lesern: Soll ich zum Rassisten werden und von Menschen, die „nach Flüchtling aussehen“ Vorkasse verlangen oder soll ich solche Touren unter dem Betreff „Internationale Solidarität“ abbuchen? 4 Touren klingt nach wenig, sind aber immerhin 60 – 80 €, also das, was ich pro Woche max. für Essen ausgebe. Was glaubt ihr, wie Kollegen ohne „marxistische Grundausbildung“ auf so was reagieren?  

„No borders“?

„Mandelisten“ wie ich stehen ja (zurecht) unter dem Generalverdacht, wo immer es möglich ist, an Massenstimmungen „anknüpfen“ zu wollen. Beim Thema Rassismus gibt es aber nichts anzuknüpfen (auch wenn mir das sicher viele vorwerfen werden), weil diese „Stimmung“ in die komplett falsche Richtung geht. Allerdings finde ich, dass sich die Linke auch bei diesem Thema nicht auf Vorschläge / Forderungen beschränken sollte, die erst im Sozialismus / Kommunismus umsetzbar sind. Was also hat die Linke neben ihrer Kritik der repressiven Politik der Herrschenden auf diesem Feld zu bieten? So wie ich das sehe, bis weit in die PdL hinein nur eines: „Grenzen auf für alle!“ Wer das als weltfremd kritisiert, kriegt zu hören, dass das selbstverständlich eine Forderung sei, „ die über den Kapitalismus hinausweise“. Na schön, dann fangen wir mal an zu träumen. Wir schreiben das Jahr 2017 – genau 100 Jahre nach der Oktoberrevolution hat ein überraschender und heftiger Linksruck die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entstehen lassen. Der oberste europäische Rätekongress hat gerade alle Außen- und Binnengrenzen abgeschafft. Und nun? Das hätte absehbar zur Folge, dass wir nicht mehr über 1 Million, auch nicht über 10 Millionen, sondern eher über 80 Millionen Flüchtlinge reden. Alle, die nicht im Baby- oder Greisenalter sind und noch laufen können, würden sich (verständlicherweise!) auf den Weg machen. Das käme einer weitgehenden Entvölkerung des Maghreb und des Nahen + Mittleren Ostens gleich, die betroffenen Länder würden regelrecht ausbluten. Eine solche Entwicklung wäre schlecht für die Flüchtlinge UND schlecht für die europäische ArbeiterInnenklasse UND schlecht für die Herkunftsländer.  


Ohne revolutionären Bruch wird’s nicht gehen, weil sich die Reichen und Mächtigen erfahrungsgemäß ihren Reichtum und ihre Macht nicht einfach widerstandslos „wegtransformieren“ lassen. Aber die Vorstellung, am Tag nach der Revolution entstünde das kommunistische Paradies ist furchtbar naiv. Es wird auch im Sozialismus Kriminalität und also (sicher andere) Knäste geben. Es wird noch lange dauern, bis Markt / Waren / Geld völlig verschwunden sind. Und es ist leider auch so, dass selbst die prinzipienfesteste und entschlossenste linke Regierung die Fluchtursachen, also die Folgen hunderter Jahre Kolonialismus und Imperialismus nicht binnen zwei Wochen „wegdekretieren“ kann.  


Wenn es also auch unter superoptimalen Bedingungen noch eine ganze Weile unterschiedliche Lebensbedingungen z.B. in Nordafrika und Europa geben wird, sollten wir uns endlich ehrlich machen. Ich sehe nur drei strategische Optionen:  


1. Mitverwaltung / -gestaltung des kapitalistischen Elends Da bin ich gegen – das Einzige, was dabei herauskommt, ist die individuelle Lösung der sozialen Frage für die linken Minister + Staatssekretäre. Die Klasse steht hinter meist schlechter da als vorher, denn linke Regierungen werden i.d.R. nur für die „Drecksarbeit“ gebraucht.  


2. „Staat, Nation, Kapital – Scheiße“ Um ja nicht in die Reformismusfalle zu tappen sagen wir, dass die Probleme (auch die „Flüchtlingskrise“) im Kapitalismus nicht gelöst werden können. Stimmt ja auch – nur glaube ich nicht, dass das (alleine!) ein kluger Plan für den Kampf gegen Pegida und AfD ist.  

3. „Revolutionäre Realpolitik“ Ich weiß, wie viel Schindluder auch mit diesem Begriff getrieben wird. Jede(r) versteht darunter was anderes. Deshalb will ich mal versuchen, dass entlang unseres Themas durch zu deklinieren.  

Die Linke muss sich endlich ehrlich machen  

Erster Schritt: Trennung von Zuwanderung und Asyl. Ich glaube, auch die radikale Linke muss sich von der Vorstellung / Forderung verabschieden, dass wirklich jede(r) kommen sollen darf und stattdessen endlich anfangen, sich in die Debatte über Zuwanderungskriterien einzumischen. Diese Debatte wird nämlich bislang völlig dominiert von den vor allem schwarz-grünen Apologeten der Verwertungslogik – ihre Agenda ist klar: Her mit den Jungen, Gesunden, gut Ausgebildeten – alle anderen sollen bleiben, wo sie sind. Das ist dem Fall gut für die, die eine „Green Card“ erwischen, aber erneut definitiv schlecht für die Herkunftsländer und u.U. auch erneut schlecht für die Klasse in Europa. Dem muss also unbedingt von links auch konzeptionell was entgegengesetzt werden. Was genau, weiß ich auch nicht – aber bitte mehr / Gehaltvolleres als „Willkommenskultur“ (so herzerwärmend sympathisch diese auch ist).  

Das Grundrecht auf Asyl darf nicht angetastet werden, weshalb es keine wie auch immer gearteten „Obergrenzen“ (und auch keine Wagenknecht’schen „Kapazitätsgrenzen“) geben darf. Da herrscht ja zum Glück Einigkeit von Dietmar Bartsch bis zum Schwarzen Block.  Die für die Linke knifflige und schmerzhafte Frage lautet anders: „Bleiberecht für alle“ oder „Für faire, individuelle, rechtstaatskonforme Asylverfahren“ So leid es mir tut:  Tertium non datur! Die Methode „Wasch' mir den Pelz, aber mach' mich nicht nass“ funktioniert auch hier nicht.  Denn entweder dürfen unabhängig von Herkunftsland, Person, Fluchtgründen alle bleiben, die kommen – dann braucht es aber auch keine Asylverfahren mehr und also auch keine linken Forderungen nach deren besserer Ausgestaltung. Oder wir fordern gerechtere, individuelle, humanitäre etc. Asylverfahren – dann muss aber klar sein, dass auch ein „linkes“ Asylverfahrensrecht abgelehnte Asylbewerber produziert / produzieren kann. Selbst wenn die Anerkennungsquote von jetzt 1–2 % auf über 90 % stiege, blieben tragische Einzelfälle.

Ich bin für Letzteres, vor allem weil ich da Möglichkeiten sehe politisch endlich mal wieder in die Offensive zu kommen. Wir sollten argumentieren, dass in Asylverfahren oft über Leben + Tod entschieden wird, weshalb das nicht einer kapitalistisch-technokratischen Bürokratie überlassen werden darf. Die daraus abgeleitete Forderung: Beteiligung von Gewerkschaftsvertretern (meinetwegen auch Kapitalvertretern), v.a. aber von Delegierten von Flüchtlings-/Migrantenorganisationen und Vertretern der lokalen Unterstützergruppen der „Willkommenskultur“ an Asylverfahren. Die Errechnung der genauen „Parität“ können ja die auf so was spezialisierten SAV-Genossen übernehmen. Aber wie gesagt, Sinn macht das nur, wenn die Linke den Mut findet, sich von Losungen wie  „No borders“ oder „Bleiberecht für alle“ zu verabschieden. 

Das Eine tun, ohne das Andere zu lassen  

Schwere Zeiten für Anti-Rassisten UND für Anti-Sexisten! Völlig klar, dass Antirassismus sich vor allem dann bewähren muss, wenn der Wind von Rechts besonders heftig bläst. Wenn jetzt schon pauschale „Schwimmbadverbote“ für Migranten möglich sind, braucht sich keiner zu wundern, dass die braunen Mordbrenner vor den Flüchtlingsunterkünften glauben, den Volkswillen zu exekutieren. Vice versa gilt aber auch: Die Linke darf ihren Feminismus nicht an der Garderobe abgeben, bloß weil der Sexismus aus der „falschen“ Ecke kommt. Es geht nicht um abstrakte Debatten, sondern um konkrete Parteinahme. Wenn männliche Flüchtlinge sich weigern, sich in Beratungsstellen von Frauen beraten zu lassen oder in Unterkünften kein Essen von Frauen annehmen wollen, ist es im Moment gängige Praxis, das einfach ein Mann geholt wird. Barbara Sichtermann findet: „Das geht nicht! ... Das Frauenbild der Migranten muss scharf zurück gewiesen werden“ (Vgl. ihr hörens-/lesenswertes Interview mit dem DLF vom 18.1.) Und ich finde, Sichtermann hat Recht.  

Scharfe Islam-Kritik (nee, lieber präziser: scharfe Kritik an der aktuell dominierenden Erscheinungsform des Islam) ist dringend nötig. Islamophobie hingegen muss bekämpft werden. Aber doch bitte nicht dadurch, dass wir die innerislamische / innerarabische linke und feministische Kritik an der irrwitzig-fundamentalistischen Koran-Auslegung und der Macho-Kultur in diesen Ländern im Stich lassen und als rechtspopulistisch denunzieren. Diejenigen, die diese Kritik – teilweise unter Lebensgefahr – wagen, sind unsere GenossInnen!!  


Ein erster Schritt: Schluss mit den politisch (angeblich) korrekten „Eiertänzen“ - Aussprechen, was ist. Wenn irgendwo irgendwas passiert, was nicht so recht ins linke Weltbild passt, soll offen und munter über Ursachen, Bewertung, Folgen gestritten werden. Aber die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Realitäten dürfen nicht verschwiegen, geleugnet, beschönigt, relativiert werden.  


Ein letztes (großes Barschel-Ehrenwort) Beispiel, was ich damit meine: Es ist an deutschen Schulen ein Massenphänomen, dass muslimische Mädchen nicht am Sport- und Schwimmunterricht und an Klassenfahrten teilnehmen dürfen. Die Abmeldung vom Biologieunterricht ist – noch – die Ausnahme (btw: Obwohl die Fundis aller drei großen abrahamitischen Buchreligionen sich am liebsten gegenseitig vernichten würden, in der Ablehnung von Evolutionslehre und Sexualaufklärung herrscht Einigkeit). Das Gesetz in Deutschland sieht aber nicht ein Schulangebot oder eine Schuloption vor, sondern aus guten Gründen eine Schulpflicht. Der zugrunde liegende emanzipatorische Gedanke, nämlich dass es nicht vom Geldbeutel, aber eben auch nicht von der religiösen oder politischen Überzeugung der Eltern abhängen soll, ob, was und wie lange ein Kind lernt, müsste eigentlich von Linken und allen, denen an gelingender Integration gelegen ist, leidenschaftlich verteidigt werden. Realiter wird das aber von Linken verschämt beschwiegen – schon das Reden darüber könnte ja falsch verstanden werden.  

Sollen wir wirklich akzeptieren – sozusagen als „Multi-Kulti-Kollateralschaden“ –, dass salafistische Hinterhofprediger darüber entscheiden, wann muslimische Mädchen zur Schule gehen dürfen und wann nicht? 

Ich habe genau dieses Thema auf einem der letzten Plena der NaO Berlin zur Sprache gebracht. Die Reaktionen waren überwiegend ernüchternd. Mimik sagt mehr als 1000 Worte – das Entsetzen stand den meisten GenossInnen ins Gesicht geschrieben. Ich fürchte mit diesem (leider zu lang geratenen) Kommentar wird’s mir genauso (oder schlimmer) gehen.  

Michael Schilwa am 20. Januar 2016