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Dänemark: Für andere Regierung und Politikwechsel

Bald Rente mit 71?

01. Mai 2011  Bei schönstem Frühlingswetter demonstrierten am Samstag, dem 16. April, etwa 2.000 Menschen durch das zentrale Kopenhagen und forderten eine neue, „rote“ Regierung und einen Politikwechsel. Zu der Demonstration hatte ein Personenbündnis ohne Parteibindung aufgerufen. Das Motto der Demonstration war bewusst unverbindlich gehalten und lautete schlichtweg: „Fordern wir Dänemark zurück!“

Linksradikale Gruppen hatten einen eigenen kämpferischen Block und eine Vordemo unter dem Motto „Die Krise heisst Kapitalismus“ organisiert, an der etwa  200 Menschen teilnahmen. Hätten sich die OrganisatorInnen beider Demonstrationen nicht nahezu ausschließlich auf die Mobiliserung via Facebook beschränkt, wären es sicher mehr geworden.

 Illusionen über „früher“

Ungefähr auf der Hälfte der Strecke trafen beide Demonstrationen zusammen. Abgesehen davon, dass die Staatsmacht wohl Angst um die Banken hatte und die TeilnehmerInnen filmte, war es ein friedlicher Protest. Auf dem Rathausplatz war eine Bühne aufgebaut, auf der diverse RednerInnen und KünstlerInnen auftraten. Neben Schauspielern, Bands, AktivistInnen aus dem Freistaat Christiania, der von Räumung bedroht ist, sprach auch ein Vertreter der Großeltern für Asyl, einer Gruppe von älteren MitbürgerInnen, die seit Jahren durch Mahnwachen vor Flüchtlingslagern, Protestsingen u.a. auf die menschenunwürdigen Bedingungen für Asylsuchende in Dänemark aufmerksam macht. Beachtenswert war auch die Rede des kritischen Journalisten Rune Engelbrecht Larsen, der den zunehmenden Rassismus und die Islamophobie der letzten Jahre anprangerte.

Negativ fiel allerdings auf, dass die Kürzungen im Sozialbereich weitestgehend unerwähnt blieben. Schließlich hat die Rechtsregierung mit der Verabschiedung des Wiederaufrichtungspaketes im Sommer 2010 massive Kürzungen bei Arbeitslosen und Studierenden beschlossen und plant eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 71 Jahre. Ein Gewerkschafter oder Aktivist der sozialen Bewegungen wäre deshalb mehr als angebracht gewesen. Stattdessen forderten Jugendfunktionäre und Abgeordnete der SozialdemokratInnen, der grünen SF, der sozialliberalen Radikalen und der sozialistischen Einheitsliste dazu auf, im Mai (voraussichtlicher Wahltermin) das „Kreuz an der richtigen Stelle“ zu machen. Ebenfalls negativ fiel eine gewisse Nostalgie und Glorifizierung der „guten alten Zeiten“ auf. Was auch faktisch nicht stimmt, denn auch die sozialdemokratischen Regierungen in den 1990ern begannen bereits mit Privatisierungen und Sozialkürzungen.

Eine gespaltene Gesellschaft

Wurde Dänemark auch in Deutschland jahrelang für seine fortschrittliche Sozial-, Bildungs-und Arbeitsmarktpolitik gelobt und galt bis weit in die 90er Jahre hinein als eines der Länder in Europa mit den geringsten sozialen Unterschieden, so hat sich dies insbesondere seit der globalen kapitalistischen Krise 2008/9 dramatisch geändert: Die Zahl der Privatinsolvenzen und Zwangsversteigerungen ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Die absolute Zahl der Kinderarmut z.B. liegt bei ca. 24.000, und das bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 5,5 Millionen. Die Gesamtarbeitslosigkeit liegt bei ca. sechs Prozent. Insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit  (ca. 11 Prozent) alarmiert ÖkonomInnen: Sie gehen von einem gar nicht oder gering qualifizierten „Jungprekariat“ aus, welches nicht davon ausgehen kann, eine sichere Arbeitsstelle zu finden; mit langen Perioden der Arbeitslosigkeit und diversen Umzügen rechnen muss. Schon heute ist die Gruppe der 18-30 unter den SozialhilfebezieherInnen überrepräsentiert.

Der künstliche, mit Krediten und Steuererleichterungen finanzierte „Boom“ der letzten Jahre ging vor allem auf Kosten der Kommunen, der Kernwohlfahrt und der Jugend: Viele Schulen und Pflegeheime befinden sich in einem maroden Zustand, und durch den „Steuerstopp“ (ähnlich der deutschen „Schuldenbremse“) sind Städte und Gemeinden gezwungen, MitarbeiterInnen zu entlassen und Gebäude verfallen zu lassen. Viele Jugendliche können ihre Ausbildung nicht beenden, da sie keinen Praktikumsplatz bekommen.

Gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit klingt daher der Plan der Regierung, die Vorruhestandsregelung abzuschaffen, wie Hohn. Nichtsdestotrotz bleibt jedoch festzustellen, dass die Proteste gegen die Politik der Rechtsregierung recht verhalten sind. Bis auf einzelne Unzufriedenheitsäußerungen (wie die Großdemonstration gegen das Sparpaket im vergangenen Sommer, die 80.000 vor dem Parlament versammelte und ein symbolischer Streiktag gegen die Abschaffung des Vorruhestandes) herrscht Friedhofsruhe, auch gefördert durch die Opposition, die auf die Wahlen vertröstet. Dazu passt auch eine neue Umfrage, wonach jeder Dritte keine unmittelbaren Auswirkungen der Krise spürt. Es bleibt daher abzuwarten, ob es in nächster Zukunft zu verallgemeinerten Kämpfen  gegen die Krisenpolitik kommt.

(Stefan Godau, Kopenhagen)