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Spanische Rebellion gegen die Krise:

„Reale Demokratie jetzt!“

01. Juli 2011 Wir sind keine Handelsware in den Händen der Politiker und Banker“ und „Die Krise sollen deren Verursacher bezahlen!“. Auf die in Spanien andauernde schwere Wirtschaftskrise antwortet die Bewegung der Empörten seit Mitte Mai 2011 mit diesen Parolen. Die Bewegung, die in Spanien auch 15-M genannt wird, nach dem Datum der ersten großen Demonstrationen, und sich selbst den Namen „Reale Demokratie jetzt“ gegeben hat, wird von vielen Teilnehmenden auch „spanish revolution“ genannt.

Es ist etwas in Gang gekommen, die Beteiligung an den Protestcamps, Demonstrationen, Plena geht weit über die linksradikale studentische Szene hinaus. Die Auswirkungen der Krise sind in Spanien besonders heftig, die Arbeitslosigkeit die höchste in der EU, die Jugendarbeitslosigkeit von 46 Prozent ebenso. Am 8. Juni belagerten die Bewegung der Empörten das spanische Parlament, in der Nacht bevor dort das „Gesetz über Kollektiverträge“ diskutiert wurde – welches der Kapitalseite mehr Möglichkeiten geben wird, Arbeitskräfte auch gegen deren Willen flexibel innerhalb eines Betriebs umzusetzen oder zu entlassen. Es gab Parolen gegen die großen, sozialdemokratischen Gewerkschaftsverbände CCOO und UGT, welche das Gesetz mittragen wie auch die sonstige sozialdemokratische Regierungspolitik. Und gegen Angela Merkels Forderungen: „Merkel, deine Reformen interessieren uns eine Gurke!“

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Bilder vom Europäischen Aktionstag am 19.6.2011 in Berlin von Wolfgang Pomrehn

Ein Jahr bevor die Proteste begannen, schwenkte die sozialdemokratische PSOE und ihre Regierung unter Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero auf eine Austeritätspolitik um, auf massive Sozialkürzungen und den Abbau von Arbeitnehmerrechten. Auf institutioneller Ebene gibt es kaum eine Alternative: Die zweite große Partei, PP, ist konservativ und tritt offen für eine noch kapitalfreundlichere Wettbewerbspolitik ein.

Seit mehreren Wahlen ist die linke Opposition, das Wahlbündnis Vereinigte Linke rund um die spanische KP nur noch mit wenigen Abgeordneten im Bundesparlament vertreten. Schuld daran ist auch ein Wahlrecht, das ländliche Wahlkreise und große Parteien bevorzugt. So benötigte IU für ein Mandat bei den den letzten landesweiten Wahlen 2008 über 460.000 Stimmen, während bei den beiden großen Parteien PSOE und PP 66.000 Stimmen ausreichten.

Dazu ist IU über zahlreiche kommunale Bündnisse mit der PSOE verbunden. Nicht nur die radikalen Linken sehen sie wegen ihrer institutionalisierten, parlamentsfixierten Art Politik zu betreiben, kaum als Alternative zur Sozialdemokratie. Hinzu kommt, dass auch Abgeordnete der IU in Korruptionsfälle verwickelt sind. Dies sind zwar Ausnahmen und keine hunderte von Verdachtsfällen wie bei den beiden großen Parteien, aber es erscheint als eine Verwicklung in die Machenschaften der über den Gesetzen stehenden Bauwirtschaft, wo eine klare Abgrenzung nötig wäre.

Dass die Bauwirtschaft gegen Schmiergeldzahlungen beinahe jedes küstennahe Naturschutzgebiet mit neuen Bettenburgen für den internationalen Tourismus zubetonieren kann, ist in Spanien offensichtlich. So fordert die Bewegung der Empörten ein Verbot der Weiterbetätigung für korrupte Politiker, ebenso eine Offenlegung der Parteienfinanzierung. Und eine Änderung des Wahlrechts, damit kleine Parteien eine Chance haben. Verständliche Forderungen, die auf eine Modernisierung der parlamentarischen Demokratie Spaniens hinauslaufen würden, ebenso wie die geforderten plebiszitären Elemente wie Volksentscheide. Eine Revolution, ein Bruch mit der herrschenden Gesellschaftsordnung der kapitalistischen Wertschöpfung wäre das kaum, aber eine Verbesserung der Möglichkeiten für Oppositionstätigkeit in den Institutionen. Dass die Forderungen der Bewegung der Empörten beim Wahlrecht am konkretesten sind, sagt viel aus über die mit der Wirtschaftskrise einhergehende Delegitimierung der sich bisher beim Regieren abwechselnden großen Parteien. Die Repräsentation durch die Verwalter der Krise wird in Frage gestellt. Die Bewegung „Reale Demokratie Jetzt“ ist eine Form emanzipatorischer Selbstermächtigung gegen Politiker, die nur der Logik des kapitalistischen Marktes folgen.

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Bilder vom Europäischen Aktionstag am 19.6.2011 in Berlin von Wolfgang Pomrehn

Das zeigt sich auch bei der weitverbreiteten Wohnungsnot vor allem junger Menschen, die keine Chance haben, mit ihrem prekären oder niedrigen Einkommen eine Eigentumswohnung und die übliche Hypothek zu finanzieren. Mietwohnungen gibt es fast keine. Viele jetzt erwerbslos gewordene haben Schwierigkeiten, die fälligen Raten für ihren Wohnungskredit aufzubringen. Banken veranlassen deshalb teilweise Zwangsversteigerungen – allerdings nicht in dem Ausmaß wie in den USA.

Eine der Forderungen der Bewegung der Empörten ist die Aussetzung der Wohnungskreditraten bei Arbeitslosigkeit. Vom Protestcamp an der Puerta del Sol in Madrid aus wurde versucht, Zwangsversteigerungen in der Nähe zu verhindern.

Viele der Forderungen der Bewegung der Empörten setzen am prekären Alltag der Verlierer der Wirtschaftskrise an, je unmittelbarer, desto radikaler, weil die Erfüllung der sozialen Grundbedürfnisse für Alle in Anschlag gebracht wird gegen die Propaganda des Gürtel-enger-Schnallens und der Ertüchtigung des nationalen Wettbewerbsstaates und Marktes. Der scheinbar objektiv notwendigen Hofierung von Kapitalinteressen werden die eigenen sozialen Interessen entgegengesetzt. Viele bereits länger bestehende Zusammenschlüsse von Opfern der Wirtschaftskrise beteiligen sich an der Bewegung der Empörten und liefern Argumente gegen die Krisenbewältigung auf ihre Kosten. Etwa der Verein der Hypotheksgeschädigten, in welchem sich überschuldete und von Zwangsversteigerungen Betroffene zusammengetan haben. Ihre Kritik am Kapitalmarkt kippt dabei teilweise in eine moralische Verurteilung vermeintlich gieriger Banker. Es gab ein Tribunal gegen Banker, und im Manifest der Empörten sind gierige Banker neben korrupten Politikern der Inbegriff des Unsozialen. Moralische Empörung ersetzt keine Kapitalismuskritik.

So diffus das Manifest der Empörten ist, so unklar ist auch, wohin sich ihre Bewegung entwickelt. Ihr unbestreitbarer Verdienst ist es, den Unmut über die miesen prekären Lebensverhältnisse sozialisiert zu haben. Bei den Demonstrationen der traditionellen radikalen Linken in Spanien sprang der Funke nicht über, obwohl die Forderungen ähnlich sind. Die radikalen Gewerkschaften, allen voran die anarchosyndikalistischen CNT und CGT sowie regionale, wie die andalusische LandarbeiterInnengewerkschaft SAT, und die auf spanisch antisistemas genannte Szene von Autonomen, Anarchos, LinkskommunistInnen und Okupas, d.h. HausbesetzerInnen, haben mit ihrer Kritik an der antisozialen Politik der Regierung aber eine wichtige Grundlage gelegt für die neue Bewegung. Nicht von ungefähr setzt die Bewegung auf unmittelbare Demokratie, auf Plena und interne Selbstverwaltung. Nach einem Monat wurden die Protestcamps in den meisten Städten am 12. Juni aufgelöst. Andere, zumeist kleinteiligere Formen des Protestes und der Verständigung treten an die Stelle des auf Dauer zu anstrengenden kollektiven Zeltens in den Innenstädten.Vielleicht entsteht so mehr Raum, um eine subversive Kritik der Warengesellschaft, nicht nur der Arbeitslosigkeit, sondern der Lohnarbeit weiter vorne an den Start zu bringen, vielleicht versackt die Bewegung aber auch in ritualisierter Empörung über „die da oben“ und wird zum Anhängsel für den Wahlkampf 2012 der domestizierten Izquierda Unida. Die linksradikale Szene ist mittendrin in der Bewegung, ist hier aber nur ein kleiner Teil. Ihre Aktionsformen werden übernommen, was den zivilen Ungehorsam angeht, den die verschiedenen spanischen Polizeien teilweise sehr brutal zu unterbinden versuchen. Militanzrituale spielen keine Rolle und gehen in der Masse der Empörten unter, die sich als breite Bewegung darstellt. Aber über die klassische verkürzte Kapitalismuskritik vieler antisistemas hat sich die Bewegung noch nicht hinausentwickelt.

(Gaston Kirsche)