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Diskussion über Occupy-Bewegung:

Die Linke(n) in der Krise

Eine Antwort auf Andreas Meyer: Occupy und die Linke (LinX 12-2011)

Kieler Krisenproteste
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01.01.2012 „Obwohl uns zurzeit der Eindruck vermittelt werden soll, dass die Krise überstanden sei und bei den Banken und in der Exportwirtschaft die Gewinne wieder sprudeln, entwickeln Bund, Länder und Gemeinden drastische Kürzungs- und Streichprogramme zum Schuldenabbau. In ihren Auswirkungen sind diese Programme unsozial und verstärken die Umverteilung von unten nach oben.“, so hieß es in einem Aufruf des Bündnisses „Gerecht geht anders - Wir zahlen nicht für eure Krise“ im Herbst 2010.1
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Am 18.11. gab es in Kiel schließlich eine Großdemo mit 10000 Beteiligten, DGB-Chef Michael Sommer sprach vor dem Landtag.2 Dies war die einzige wirkliche Großaktion, wo es gelang ein breites Bündnis von Betroffenen der Kürzungspolitik auf die Beine zu stellen. Es folgten noch weitere Aktionen und Demos, zuletzt gab es am 26.8.2011 eine Demonstration der Arbeiterinnen und Arbeiter der schleswig-holsteinischen Krankenhäuser. Doch schon 2011 war die Luft eigentlich wieder raus: Das Bündnis „Gerecht geht anders“ hat sich im Laufe des Jahres erheblich verkleinert. Es kommt der Verdacht auf, dass der DGB und andere Akteure zum Zeitpunkt der Sparbeschlüsse im Landtag an einer bloßen symbolischen Handlung gegen die schwarz-gelbe Politik interessiert waren, nicht aber an einer Kampfansage an die krisenbedingte Kürzungspolitik.
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Derweil hat sich 2011 die Krise weiter zuspitzt. Es gab und gibt in Europa massive Kämpfe und Streiks, die sich gegen die deutsch-europäische Politik des verordneten Sozialabbaus richteten und weiterhin richten. Lohndrückerweltmeister Deutschland spielt dabei immer unverhohlener seine Vormachtstellung in Europa aus. CDU-Fraktionschef Kauder sprach aus, was ökonomische und politische Tatsache ist: In Europa wird Deutsch gesprochen. „Was er meinte, war der Vorbildcharakter deutscher Politik: Länder wie Spanien oder Frankreich hätten Beschlüsse nach dem Vorbild der deutschen Schuldenbremse gefasst.“3 In Zeiten sich zuspitzender Euro-Krise schläft also ein Anti-Krisen Bündnis (fast) ein, in welches auch viele Linke ihre Hoffnungen gesetzt hatten. Stattdessen stürzen sich derzeit einige Linke aus jenem Krisenbündnis auf eine neue „Bewegung“, die in Kiel seit Mitte Oktober mit mehreren Aktionen und einem Protestcamp am Kleinen Kiel auf sich aufmerksam macht.

Die Occupy-Bewegung in Deutschland…

Im Vordergrund der deutschen Protestvariante von „Occupy Wall Street“ stand von Beginn an nicht der Kampf für die Abschaffung der Armut, sondern eine diffuse Wut über Finanzmärkte und „Bankster“. „Occupy“ in Deutschland hat den Anspruch eine Volksbewegung der 99% zu sein. Einige vom Occupy-Camp in Kiel verstehen sich mehr als eine „Philosophie“. „Im Großen und Ganzen setzen sich die Mitglieder dafür ein, dass man sich nicht immer mehr beschaffen sollte, sondern dass man sich auch mit weniger zufrieden geben kann.“, so wurde dem Radio Gaarden berichtet.4 Das hört sich nicht nur „naiv und idealistisch an“, es wird knallhart Verzicht gepredigt, wo es darum gehen sollte sich den gesellschaftlichen Reichtum anzueignen, damit alle dran teilhaben können. Der Radiosender aus Gaarden zitiert: „Ist all das, was ihr euch wünscht und wofür ihr schwer arbeitet, wirklich notwendig? Könntet ihr mit weniger auskommen und dafür etwas ruhiger, zufriedener und weniger gehetzt sein?!”, dies würde die Essenz von dem sein, was sie den Menschen, die sich nach den Zielen von „Occupy“ erkunden, mitteilen.
Die betonte Offenheit der deutschen Occupy-Volksbewegung führte – zusammen mit einer verbreiteten feindlichen oder zumindest skeptischen Haltung gegenüber allen Parteien – oftmals zu einer Ablehnung von Positionierungen und Stellungnahmen überhaupt. Letzten Endes stolpert „Occupy“ über das eigene Konsensprinzip. Politik wurde bisher kaum gemacht. Zudem gab es in einigen Städten Vorbehalte gegenüber Linken und Gewerkschaften.

Somit ist der grundlegende Charakter von „Occupy“ wenig fortschrittlich. Andreas Meyer schreibt: Es „steht eine moralische Empörung über die “Gier“ von Konzernmanagern und Bankern sowie die Auflehnung gegen die fortschreitende politische Entmündigung als Gemeinsamkeit im Zentrum der Occupy-Bewegung.“

Es bedarf keiner besonders großen Analyseleistung und schon gar keiner „antideutschen“ Lektüre, wie der Autor implizit unterstellt, um zu erkennen, dass die Occupy-Bewegung, wie auch zahlreich in bürgerlicher und linker Presse beschrieben und belegt wurde, Anknüpfungspunkte für allerlei reaktionäre, autoritäre, verschwörungsideologische und antisemitische Vorstellungen und Organisationen bietet. So war doch das antimoderne und auch schon das mittelalterliche Vorurteil gegen die Juden stets verbunden mit Ablehnung von „Materialismus“, „Geldgier“, „Wucher“ und „Zins“. So ist doch die Empörung über politische Entmündigung genauso immer Teil der antidemokratischen Rechten gewesen.

Die von Andreas Meyer angesprochenen Kieler Linksradikalen schreiben: „Eine solche Anschlussfähigkeit für krude Inhalte wurde nicht zuletzt durch die starke Fixierung der Occupy-?Bewegung auf die Finanzwirtschaft als vermeintliche (aber falsche) Ursache der ökonomischen Krise begünstigt.“ 5

Statt strukturelle Zusammenhänge der kapitalistischen Ökonomie in den Fokus notwendiger Kritik zu rücken, wird der alltäglichen Erscheinungsform des Kapitalismus, dem Geld, ungeheuerliche Macht zugewiesen. Auf diesem Geldfetisch beruht die ganze einseitige Kritik an Banken und Finanzmärkten. Nicht weiter verwunderlich, dass dieses Bewusstsein vorherrschend in der Gesellschaft ist, eben weil bloß die alltägliche Erscheinung der warenproduzierenden Gesellschaft beachtet wird. Damit ist „Occupy“ durchaus mehrheitsfähig, zumindest was die Zustimmung „aus dem Volk“ angeht, wie Andreas Meyer richtig bemerkt.

Auf gleiche Weise begründet sich die wohlwollende Haltung von Regierung, Staatsgewalt und Medien gegenüber der Occupy-Bewegung. Denn statt die Kapitalakkumulation, die Verhältnisse in der „Realwirtschaft“, als Krisenursache auszumachen, „sind innerhalb der heterogenen Bewegung dagegen solche Stimmen zu vernehmen, die die Banken auf ihr ‚ursprüngliches Geschäft’ beschränkt sehen wollen, bei dem der ‚kleine Mann’ sein Geld sparen kann und die Unternehmen ihre Kredite bekommen.“, wie ebenfalls die radikalen Linken aus Kiel in der Ankündigung zu ihrer Veranstaltung zur Kritik des Antisemitismus schreiben.6

„Occupy“ ist also wahlweise handzahm oder reaktionär und damit genauso weit davon entfernt, wie die Linken derzeit, die krisenhaften Verhältnisse hin zur Gesellschaft freier Menschen aufzuheben.


… und die Linke(n)?

Die Linke, so Andreas Meyer, versteht „Kapitalismus als ein ökonomisches und politisches Herrschaftssystem, das strukturell dazu dient, optimale Verwertungsbedingungen für das Kapital zu sichern.“ Gerade in der Krise werde das deutlich. Der Autor schreibt weiter: „Doch die meisten Menschen bewegt in dieser Krise das Symptom, nämlich die Macht der Finanzmärkte, und nicht die Struktur, der Kapitalismus.“

Dies ist einerseits zu bezweifeln. Vielleicht bewegen sich die Occupy-Bewegten in Deutschland aufgrund der Finanzmärkte, so war und ist es jedoch in der südlichen Peripherie der EU, in London, in Nordafrika usw. das materielle Elend, die Armut, die Perspektivlosigkeit innerhalb kapitalistischer Verhältnisse, die die Menschen in Bewegung setzt. In Ländern, wo die „soziale Frage“ sich zuspitzt, geht es nicht primär darum, die Finanzmärkte zu kritisieren, sondern darum, um die Befriedigung der Bedürfnisse des alltäglichen Lebens zu kämpfen und die eigenen Herrschenden für ihre Elendsverwaltungspolitik anzugreifen und zu stürzen.

Andererseits ist die Occupy-Bewegung in Deutschland durchaus zu kritisieren, da „die Finanzmärkte der bestimmende Ausgangspunkt für ihren Protest“ sind, wie Andreas Meyer korrekt analysiert. Ob die radikalen Linken aus Kiel dies nun immer sonderlich geschickt getan haben, darüber lässt sich diskutieren, ist hier aber nicht die primäre Frage. Denn im Aufruf zum linksradikalen Block auf der Kieler Krisendemo, welche vom Vernetzungs-Ratschlag der jüngsten Krisenproteste in der Landeshauptstadt zusammen mit dem Occupy-Camp am 12.11. organisiert wurde, schreiben diese immerhin: „Nichtsdestotrotz werden wir in Zeiten, in denen die menschenfeindlichen Auswirkungen der kapitalistischen Produktionsweise auf die Insassen der durch sie strukturierten Gesellschaften offensichtlicher denn je zu Tage treten […] die öffentliche Kommentierung der Krise auf der Straße nicht irgendwelchen Verschwörungsfreaks, Antisemit_innen und sonstigen Irrationalist_innen überlassen. Wir wollen auf der Demo mit emanzipatorischen Positionen präsent sein und inhaltlich das gesamte kapitalistischen Scheißsystem, mitsamt seiner Verwertungszwänge und seines elendigen Konkurrenzprinzips zur Verantwortung ziehen. Denn nicht nur die Finanzmärkte gehören entmachtet, wie es das Demonstrationsmotto für Samstag einfordert, sondern der ganze Markt an sich abgeschafft.“ 7

Dies ist, insofern die Linke die kapitalistische Verwertung als Problem erkennt – wovon Andreas Meyer anscheinend ausgeht –, allemal ein besserer Ansatz, als kritiklos die paar wenigen Occupy-Bewegten in Kiel, auf der ersten Demo waren es etwa 300 Menschen, auf der zweiten 200,8 als „spontane soziale Bewegung“, die das Potential hätte „eine wichtige Bereicherung des systemkritischen Potentials in diesem Land“ zu werden, romantisch zu verklären, wie es im hier behandelten Artikel getan wird.

Was bei dieser Art „Bündnispolitik“ deutlich wird, ist der hilflos anmutende Bewegungsfetischismus einer seit Jahren in der Krise befindlichen Linken, die vor lauter Glorifizierung jeder Art von Bewegung nicht selten vergisst, dass es einer Linken in Deutschland doch vielmehr darauf ankommen sollte, die eigenen Herrschenden für ihre Krisenpolitik anzugreifen. Dies wäre in der Krise, wo Deutschlands Großmachtstreben immer unverhohlener zutage tritt, allemal notwendige und dringende Aufgabe.

Dafür bräuchte es jedoch statt breiter Bündnisse mit den Bürgerlichen, die Herausarbeitung eigener Programmatik und linker Krisenpolitik, die den Sozialismus9 – verstanden als klassen- und herrschaftslose Gesellschaft – nicht als anzustrebenden Wunschzustand, Utopie oder entferntes Ziel immer wieder hervorbringt, sondern als diejenige Bewegung versteht, die das Bestehende aufhebt. Dafür müsste eine in diese Richtung orientierte Linke freilich ihre Politikfähigkeit wiedererlangen, als Grundlage dafür, um sich überhaupt mal vom Fleck zu bewegen. Davon ist die hiesige Linke aber immer noch weit entfernt.                        
(Simone Müller)

1
http://www.gerechtgehtanders-sh.de/wordpress/?page_id=9
2
http://www.gerechtgehtanders-sh.de/wordpress/?p=424
3
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,797945,00.html
4
http://www.radio-gaarden.de/blog/tag/occupy/
5
http://geskiel.blogsport.de/2011/11/09/hinweis-sa-12-11-linksradikaler-block-auf-kieler-krisendemo-12-uhr-hbf/
6
http://geskiel.blogsport.de/2011/11/17/hinweis-di-22-11-veranstaltung-antisemitismus-zur-kritik-eines-antimodernen-ressentiments-19-30-uhr-pumpe/

7
http://geskiel.blogsport.de/2011/11/09/hinweis-sa-12-11-linksradikaler-block-auf-kieler-krisendemo-12-uhr-hbf/
8
Auch bundesweit ist längst eine rasante Abnahme der Mobilisierungsfähigkeit, die zu Höchstzeiten am 15. Oktober immerhin im fünfstelligen Bereich lag, festzustellen.

9
Die Autorin verwendet „Sozialismus“ synonym zu „Kommunismus“, bevorzugt letzteren Begriff, schreibt diesen Artikel jedoch für die „Sozialistische Zeitung“.

Occupy-Bewegung in den USA geht weiter

Auch in den USA geht die Occupy-Bewegung weiter und lässt sich auch nicht durch zahlreiche Festnahmen und Zerstörung der Camps in vielen Städten demotivieren. Am 12. Dezember wurden einige Häfen an der Westküste blockiert. Nicht alle Gewerkschafter waren begeistert. Bei den Longshore Men, einer kämpferischen und internationalistischen Gewerkschaft der Hafenarbeiter wurde kontrovers darüber diskutiert. Die LKW-Fahrer, die die Güter aus den Häfen abtransportieren unterstützten die Aktion aktiv.