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Wohin steuert Europa:

Einheit oder Spaltung?

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Athen 2012: Solidaritätsbesuch einer Delegation linker Gewerkschafter aus Österreich, Deutschland der Schweiz und Serbien.

01. Januar 2014 Vor gut 100 Interessierten wurde am 27. November 2013 an der Kieler Uni auf Einladung der gew-jugend und der Hans-Böckler-Stiftung über die Zukunft Europas und des Euro debattiert. Eingeladen dazu waren der Politologe Wilhelm Knelangen und der Philosoph Hilmar Schmiedl-Neuburg von der Kieler Universität, der Leiter des Prognose-Zentrums des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Joachim Scheide und der marxistische Wirtschaftsjournalist Lucas Zeise.

Knelangen beschrieb die derzeitige Situation der EU als eine tiefgreifende politische Krise, in deren Kern die “gemeinsame europäische Idee” zusammengeschmolzen sei auf Parolen wie “Logik des Sachzwangs” und “Alternativlosigkeit der Troika-Politik”. Damit einhergend findet ein Prozess der Entparlamentarisierung auf europäischer wie nationaler Ebene statt der zu einem Aufschwung euroskeptischer Parteien führt. Der zutreffenden politischen Analyse wusste Knelangen zum Schluss aber keine wirklichen Alternativen entgegen zu setzen: Sein Plädoyer gegen Tendenzen der Re-Nationalisierung und für die Bewahrung der EU als “Werte-Gemeinschaft” wirkte etwas blutlos.

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Kritisch mit dem Begriff des “Neoliberalismus” als konstitutativer Werteformel der EU setzte sich Schmidl-Neuburg auseinander. Dem Neoliberalismus liege seiner Auffassung nach ein “negativer Freiheitsbegriff” zugrunde, der Freiheit und Menschenrechte vorrangig an die des “Wirtschaftsbürgers” knüpfe und in diesem Sinne auch Begriffe wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität umdeute. “Die unsichtbare Hand des Marktes würde letzten Endes mehr Wohltaten erzeugen als die des dirigistischen Staates” laute einer der neoliberalen Leitsätze. Diesem Leitsatz konnte sich der Ökonom Scheide vom Kieler IfW inhaltlich durchaus anschließen. Die gegenwärtigen ökonomischen Probleme in Europa würden seiner Meinung nach vertieft, weil die EU und ihre Institutionen “Riesenschritte in die Planwirtschaft” machten; denn “Marktwirtschaft ohne Pleite ist wie Religion ohne Sünde.” Statt die Troika-Politik immer mehr zu institutionalisieren müsse man die Eigenverantwortung der Mitgliedsländer stärken – was in Konsequenz auch bedeuten könne, Staaten pleite gehen bzw. aus dem Euro-Raum ausscheiden zu lassen. Vehement sprach er sich gegen weitere Rettungsschirme und gegen eine aktive Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Entlastung der südlichen EU-Länder aus. Die Argumente des IfWlers bewegten sich politisch doch sehr auf der Linie des Umfeldes der Alternative für Deutschland und anderer europäischer “euroskeptischer” und das “nationale Interesse” betonender Parteien.

Der Wirtschaftjournalist Lucas Zeise (früher Financial Times Deutschland; jetzt junge welt und neues deutschland) war mit seiner marxistischen Sicht der Dinge ein wenig Exot in dieser Runde. Er charakterisierte die europäischen Krisenerscheinungen als Teil der Weltwirtschaftskrise des globalisierten Kapitalismus, hervorgerufen durch beständige Überproduktion auf der einen Seite und fehlende Nachfrage auf der anderen Seite. Verschärft wurde dieser Prozess in den 80er Jahren durch die neoliberalen Konzepte mit den Kernelementen “Senkung der Lohnsumme” und “schlanker Staat”. Mit dem Platzen der Finanzblase und der Rettung der Banken durch die nationalen Parlamente sind dann die Staatsschulden der EU-Staaten immens gestiegen – aus der Finanzkrise wurde eine Staatskrise. Da der EU-Wirtschaftsraum aber über kein gemeinsames Transfersystem über gemeinschaftliche Steuern verfügt droht nach Zeises Ansicht über kurz oder lang ein Auseinanderbrechen des EURO-Raumes als Kern-EU, da “die reichen EU-Länder – allen voran Deutschland – immer reicher und die armen immer ärmer werden”. Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma sieht er in einem alle EU-Länder umfassenden Schuldenschnitt zu Lasten von Banken und großer Vermögen.

In der Diskussion ging es u.a. darum, ob ein einseitiger nationaler Alleingang wie der Austritt aus dem Euro oder der EU ein gangbarer Weg für Staaten wie z. B. Griechenland sein könnten, um den Troika-Diktaten und dem damit vorgezeichneten Weg einer weiteren wirtschaftlichen und sozialen Verelendung entgehen zu können. Dies wurde (mit Ausnahme des IfW-Ökonomen) eher skeptisch beurteilt. Zeise verwies auf das Beispiel Argentinien, das zwischen 1998 und 2002 faktisch keine Schulden an Gläubiger (z.B. den IWF) mehr bedient hatte, was dann aber zu noch katastophaleren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen in dem Land geführt hatte. Knelangen mahnte ein größeres Engagement und entschiedeneres Handeln der europäischen Gewerkschaften an, um Gegenmacht gegen eine einseitig auf Wirtschaftsinteressen ausgerichtete EU zu entwickeln.

Welcher Eindruck bleibt von dieser Veranstaltung? Einig war man in der Auffassung, dass ein “Weiter-So” in der EU deren Krise nicht überwinden sondern eher verschärfen wird, dass die wirtschaftliche und soziale Kluft in der europäischen Bevölkerung größer werden wird, dass demokratische Mitspracherechte den “ökonomischen Sachzwängen” und “nationaler Standortpolitik” noch stärker geopfert werden wird.

Was ist dagegen zu tun? Die Forderung nach einem rigorosen Schuldenschnitt zu Lasten der großen Vermögen, damit Staaten wie Griechenland, Spanien, Portugal wieder Luft zum Atmen bekommen, wurde von den Teilnehmern beifällig aufgenommen. Wie die vielbeschworene Entwicklung von Gegenmacht durch Gewerkschaften, Parteien und soziale Bewegungen für ein anderes, solidarisches Europa in Realpolitik umgesetzt werden kann, wurde auf der Veranstaltung leider nicht thematisiert. Vielleicht gelang es dem Griechenland-Solidaritätskomitee Kiel mit einem dort verteilten Flugblatt für Denkanstöße in diese Richtung zu sorgen.

(gst)