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Ukraine:

Bürgerkrieg und IWF-Diktat

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01. Juni 2014 Während die Bundesregierung die ungewählte Regierung in Kiew hofiert, die im Osten inzwischen Militär und Nationalgarde – für die zuvor zahlreiche Neonazis rekrutiert wurden – gegen die eigene Bevölkerung einsetzt, erreichen uns erschütternde Berichte von der dortigen Linken. Auf das Massaker im Gewerkschaftshaus von Odessa sind wir schon im Kommentar auf Seite 1 dieser Ausgab eingegangen. Die Überlebenden wurden anschließend von der Polizei festgenommen und erst  Tage später von Demonstranten befreit. Die marxistischen Organisation Borotba, die links der ukrainischen KP angesiedelt ist, berichtet, dass unter solchen Bedingungen ein Wahlkampf unmöglich ist. Ihre Mitglieder seien außerhalb der Aufstandsgebiete bei Infoständen von Neonazis angegriffen worden und mussten um Leib und Leben fürchten. Der Kommunistischen Partei ergehe es nicht anders. Unter den Aufständischen im Osten gebe es ebenfalls reaktionäre Kräfte, aber Linke könnten dort unbehelligt agieren. Der Widerstand gegen die neue Regierung würde im Osten von den Arbeitern getragen und viele der Forderungen zielten auf eine Verbesserung ihrer sozialen Lage ab.

Die neue Regierung hat sich in hingegen inzwischen dem Diktat des Internationalen Währungsfonds unterworfen, um an Geld für die Begleichung der ukrainischen Schulden zu kommen. Bezahlen soll wie üblich die Bevölkerung. In einem sogenannten Letter of Intend, also in einer Absichtserklärung, wurdenam 22. April eine lange Liste von geplanten Maßnahmen vorgelegt.

Die bereits beschlossene, schrittweise Anhebung des Mindestlohns wird zurückgenommen. Die Lohnuntergrenze bleibt bis zum Ende des Jahres eingefroren. Zur Zeit müssen in der Stunde mindestens 7,3 Ukrainische Hryvnia (UAH, 0,45 Euro) und bei einer Vollzeitbeschäftigung monatlich mindestens 1218 UAH (75,43 Euro) gezahlt werden. Zum ersten Juli sollten diese Beträge auf 7,49 und 1250 UAH und zum 1. Oktober auf 7,8 und 1301 UAH erhöht werden. Dieser Anstieg um wenige Euro-Cent ist dem IWF offensichtlich schon zu viel.

Auch die Anpassung der Renten an die Löhne wurde ausgesetzt, und für den öffentlichen Dienst gibt es einen Einstellungsstop. Deutlich wohlwollender ist man hingegen gegenüber den Banken. Die sollen evaluiert werden. Kommt dabei heraus, dass sie Kapitalaufstockungen benötigen, wird gegebenenfalls der Staat einspringen. Um das dafür nötige Geld aufzubringen, verpflichtet sich die Regierung zur Deckelung der öffentlichen Haushalte. Die bereits beschlossene Absenkung der Mehrwertsteuer wird zurückgenommen, sie verbleibt somit bei 20 Prozent.


Auch für Gas und Wärme müssen die ukrainischen Bürger künftig tiefer in die Tasche greifen. Schon zum 1. Mai sollte der Endverbraucherpreis für Gas um 56 Prozent angehoben werden. Zum 1. Juli wird die Fernwärme mit einem Preisaufschlag von 40 Prozent folgen. 2015 sollen dann sowohl Gas als auch Wärme noch einmal um 40 Prozent verteuert werden, und auch für nachfolgenden Jahre bis 2018 einschließlich sind weitere Aufschläge um jeweils 20 Prozent vorgesehen. Ziel sei es, den staatlichen Energiekonzern Naftogas aus der Verlustzone zu holen. Wir dürfen gespannt sein, ob er im Anschluss privatisiert werden wird, und ob die etwaigen Käufer vielleicht E.on, Gaz de France oder RWE heißen.
Ein interessantes Detail ist schließlich, dass der ausgelaufene Mehrwertsteuer-Erlass für Getreideexporte erneuert wird. Damit wird ein Anreiz für Ausfuhren geschaffen. Angesichts der besonderen Fruchtbarkeit des Landes und der hohen Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel liegt der Verdacht nahe, dass landwirtschaftliche Exporte besonders gefördert werden sollen.


Das lässt zweierlei befürchten: Zum einen bedeutet eine Orientierung auf den Export in diesem Sektor, dass auch im Binnenland Weltmarktpreise gezahlt werden müssen. Zum anderen ist wohl damit zu rechnen, dass nun auch die Ukraine zum Magneten für Agrarkonzerne wird, die seit einigen Jahren in aller Welt große Ländereien aufkaufen, um von den angesichts der Verknappung steigenden Weltmarktpreisen zu profitieren. Der IWF sorgt mit seinen Kreditbedingungen dafür, dass sie im Land billige Arbeitskräfte vorfinden. Und die Regierung in Kiew sorgt dafür, dass der Rest der verbliebenen alten Industriezentren im Südosten geschliffen wird.


(wop)


Infos auf Englisch, Russisch und Ukrainisch: www.borotba.org