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Veranstaltung mit Rainer Lauterbach in Kiel:

Der Kampf um die Ukraine

Jun-14-034

Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise trat im Frühjahr scheinbar aus dem Nichts eine neue "Friedensbewegung 2014" deutschlandweit in Erscheinung, die mit ihren "Montagsmahnwachen" nun auch regelmäßig in Kiel präsent ist (über den ideologischen Background hat Lorenz Gösta Beutin im letzten Gegenwind geschrieben). Am 26. Mai 2014 fand auf dem "Platz der Kieler Matrosen" eine Kundgebung des Bündnisses "Friede, Arbeit, Brot" mit ca. 120 Teilnehmern statt, auf der ökonomische und geopolitische Hintergründe der Ukraine-Krise sowie Perspektiven aus linker Sicht dargestellt wurden. (Text und Foto: gst)

01. Juli 2014 Informationen über die aktuelle Lage in der Ukraine aus unmittelbarer Anschauung im Kontext mit einer politischen und historischen Einordnung lieferte eine Veranstaltung am 12.6.2014 den gut 70 Zuhörern im Audimax, Hörsaal A der Christian-Albrechts-Universität. Veranstalter waren die LinksAlternative Liste (LAL), Gruppe grober Unfug - für Linke mit und ohne Partei – in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Schleswig-Holstein. Der sachkundige Referent war Reinhard Lauterbach, der als freier Osteuropakorrespondent u.a. regelmäßig für die junge Welt aus der Ukraine berichtet. Er befand sich unter anderem in Odessa, kurz nachdem das Gewerkschaftshaus vom rechtsmilitanten Mob angegriffen worden war wobei über 50 Antifaschisten den Tod fanden.

Zum historischen Kontext: Anders als in vielen andern europäischen Ländern gab es in der Ukraine nie eine starke bürgerliche Nationalbewegung. Nach der Spaltung Polens Ende des 18. Jahrhunderts war die Ukraine zum größten Teil Bestandteil des russischen Zarenreichs; lediglich ein Teil der heutigen Westukraine gehörte zum Habsburger Reich. Die Schwäche der ukrainischen Nationalbewegung war zum einen auf die ökonomische Rückständigkeit zurückzuführen; eine größere Industrialisierung fand erst im Rahmen der Sowjetunion statt. Zum andern bestand ein großer Teil der Stadtbevölkerung nicht aus Ukrainern sondern aus Russen, Deutschen und Juden, während vor allem die Landbevölkerung ukrainisch war.

Als schließlich 1917 nach dem Sturz des Zaren durch die Februarrevolution bürgerliche Kräfte einen ukrainischen Nationalstaat errichteten, waren sie sofort mit der revolutionären Arbeiterklasse konfrontiert. Die Bolschewiki, die im Oktober in Russland die Macht eroberten, hatten auch in der Ukraine große Unterstützung. Seither zeichnet sich der bürgerliche Nationalismus in der Ukraine durch virulenten Antikommunismus, Pogrome an revolutionären Arbeitern und Juden und das Bemühen aus, Unterstützung von imperialistischen Mächten zu bekommen. Markantester Ausdruck hierfür war das Wirken Banderas und seiner Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) in Kollaboration mit den deutschen Faschisten in den 30er und 40er Jahren.

Diesen Exkurs beschloss der Referent mit einem Zitat Rosa Luxemburgs aus dem Jahre 1918: „Der ukrainische Nationalismus war in Rußland ganz anders als etwa der tschechische, polnische oder finnische, nichts als eine einfache Schrulle, eine Fatzkerei von ein paar Dutzend kleinbürgerlichen Intelligenzlern, ohne die geringsten Wurzeln in den wirtschaftlichen, politischen oder geistigen Verhältnissen des Landes, ohne jegliche historische Tradition, da die Ukraine niemals eine Nation oder einen Staat gebildet hatte, ohne irgendeine nationale Kultur, außer den reaktionärromantischen Gedichten Schewtschenkos. Es ist förmlich, als wenn eines schönen Morgens die von der Wasserkante auf den Fritz Reuter hin eine neue plattdeutsche Nation und Staat gründen wollten.“ (Zur russischen Revolution. In: Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke, Band 4. Dietz Verlag, Berlin 1974, Seite 351).

Zur aktuellen Situation: Im Herbst 2013 bildete sich die zivilgesellschaftliche Maidan-Protestbewegung heraus, die die Wut großer städtischer Teile der Bevölkerung gegen die Ausplünderung des Landes durch die Oligarchen und die allseits grassierende Korruption zum Ausdruck brachte. Im Dezember, auf den Höhepunkt der Protestbewegung mit bis zu 500.000 Demonstranten in Kiew, begann dann „das Schaulaufen westlicher Politiker der USA, der EU und Deutschlands auf dem Maidan. Die Teilnahme der Ashton, Westerwelle, Kerry und Co. an den Manifestationen in Kiew und das unverhohlene Werben für eine Eingliederung der Ukraine in die westliche Wertegemeinschaft gab die weitere Richtung vor. Die tiefe Gespaltenheit des Landes und seine unzähligen Verbindungsfäden mit Russland wurden beiseite gewischt. Es zählte nur das Interesse, das Land aus den Pranken des russischen Bären zu befreien.“

Bereits Ende November hatten sich mehrere kleinere rechte Gruppen wie „Dreizack“ oder „Weißer Hammer“ zum „Rechten Sektor“ zusammengeschlossen. Gemeinsam mit Aktivisten der faschistischen Swoboda-Partei begannen sie im Stadtzentrum von Kiew, vollkommen unbehelligt von offiziellen „Ordnungshütern“, paramilitärisches Training für die Demonstranten anzubieten. Zu diesem Zeitpunkt hatte es noch keinen Polizeieinsatz gegen die Kundgebungsteilnehmer gegeben. Ab Anfang Dezember 2013 begannen die Versuche dieser Kräfte, Verwaltungs- und Polizeigebäude in ihre Gewalt zu bekommen. In der Woche vom 19. bis 25. Januar entfesselten Rechter Sektor und Swoboda-Partei eine bis dahin unbekannte Militanz und Gewalt. Gleichzeitig kam es zu einer neuen Welle von Besetzungen öffentlicher Gebäude in der faktisch von Nationalisten kontrollierten Westukraine. Vorrangig wurden Polizeiwachen und Kasernen angegriffen, um Waffen zu erbeuten. Der Höhepunkt waren dann die Straßenschlachten zwischen 18. und 20. Februar mit der anschließenden Vereinbarung von Genf zwischen den Außenministern Russlands, der Ukraine, der USA und der EU-Außenbeauftragten, dessen zentraler Punkt die Entwaffnung aller illegal bewaffneter Gruppen vorsah. Aber diese Festlegungen waren zu dem Zeitpunkt schon das Papier nicht mehr wert, auf dem er niedergeschrieben wurde. Wenige Tage danach kam mit Billigung und Unterstützung des Westens in der Ukraine eine Putschregierung an die Macht, bestehend aus westlich orientierte Oligarchen, der Klitschko-Partei UDAR (bei deren Gründung die CDU Pate stand) und Faschisten.

Politische Perspektiven: Hierzu hielt sich der Referent in seinen Bewertungen deutlich zurück. Fakt ist: Aus Sicht des Westens stellt die Ukraine einen wichtigen Baustein dar in seiner permanenten Roll-Back-Strategie gegenüber Russland. Im postsowjetischen Chaos der Ära Jelzin wurde die Schwäche Russlands skrupellos ausgenutzt: War bei der deutschen Wiedervereinigung noch das Versprechen gegeben worden, die NATO würde „sich keinen Zentimeter nach Osten bewegen“, so konnte Putin bei seinem Amtsantritt die Osterweiterung nur noch zur Kenntnis zu nehmen. Beim „Kampf um die Ukraine“ geht es geopolitisch darum, inwieweit die NATO weiter nach Osten vorrückt. Dabei gibt es zwischen den NATO-Partnern USA und EU durchaus Differenzen, die wesentlich durch ökonomische Interessen von EU-Staaten und dort beheimateter Konzerne in Bezug auf Russland bestimmt sind.

Der Referent geht davon aus, dass die Ukraine als Gesamtstaat erhalten bleibt und strategisch für den Westen in eine Art Frontstaatenrolle gedrängt, finanziell ausgestattet und aufgehübscht werden wird, so wie dies mit der BRD in den 50er Jahren gemacht worden war – Kalter Krieg reloaded.

Über den Einfluss fortschrittlicher und dezidiert linker Politik in der Ukraine machte sich der Referent keine Illusionen. Die im Parlament noch mit Abgeordneten vertretene Kommunistische Partei (KPU) hat durch ihre weitgehend kritiklose Unterstützung der Janukowitsch-Herrschaft („sie war dabei für die sowjetische Folklore zuständig“) kaum noch Rückhalt in der Bevölkerung – die derzeitige politische Verfolgung und physische Bedrohung ihrer Mitglieder tut ein Übriges, um sie weiter zu isolieren. Borotba (Der Kampf), eine linke, antifaschistische Jugendorganisation (eine Abspaltung vom Jugendverband der KPU), mit seinen einigen Hundert Aktivisten, ist ebenfalls in die Halblegalität gedrängt und verfügt insofern allenfalls über einen sehr begrenzten politischen Einfluss.

       (gst)

Friede Freiheit Brot - klein

Aufruf zur Friedens-Kundgebung in Kiel. Foto: gst