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Glanz und Elend der II. Internationale
„Proletarier aller Länder, vereinigt euch im Frieden und
schneidet euch die Gurgel ab im Kriege!“
(Rosa Luxemburg 1915)
01. August 2014 Es fällt schon auf, dass die Sozialdemokratie den 125. Gründungstag der Sozialistischen Internationale – als deren Erbe sie sich versteht - erinnerungs- und feierlos verstreichen lässt. Zu unangenehm ist ihr wohl die zeitliche Nähe zum Beginn des 1. Weltkrieges, als die Parteien der Sozialistischen Internationale nur 25 Jahre später ihre Prinzipien des proletarischen Internationalismus einer Burgfriedenspolitik mit der herrschenden Klasse opferten und auf sozialchauvinistische Positionen übergingen. Am augenfälligsten wurde dies mit der Bewilligung der Kriegskredite durch die deutsche sozialdemokratische Reichstagsfraktion am 4. August 1914. Dieser Tag markiert gleichzeitig das Ende der II. Internationale. „Sozialchauvinismus ist das Eintreten für die Idee der Vaterlandsverteidigung in diesem Kriege. Aus dieser Idee ergibt sich weiter der Verzicht auf den Klassenkampf während des Krieges, die Bewilligung der Kriegskredite usw. (...) denn was sie verfechten, ist in Wirklichkeit nicht die 'Verteidigung des Vaterlandes' im Sinne des Kampfes gegen eine Fremdherrschaft, sondern das 'Recht' dieser oder jener 'Großmächte, Kolonien auszuplündern und fremde Völker zu unterdrücken. Die Sozialchauvinisten machen den Volksbetrug der Bourgeoisie mit, indem sie dieser nachsprechen, der Krieg werde geführt, um die Freiheit und Existenz der Nationen zu verteidigen, und damit gehen sie auf die Seite der Bourgeoisie über.“ (Lenin, Sozialismus und Krieg 1915)
Trotz dieses schmachvollen Endes lohnt ein Blick auf die Anfänge der II. Internationale. Hundert Jahre nach dem Beginn der Französischen Revolution trafen sich am 14. Juli 1889 etwa 400 Delegierte aus 20 Staaten bzw. rund 300 verschiedenen Arbeiterorganisationen und -parteien zu einem internationalen Arbeiterkongress in Paris und gründeten zum Abschluss des Kongresses am 20.Juli die II. Internationale.
Der Kongress war wesentlich von Friedrich Engels angeregt und von London aus mit vorbereitet worden, auch wenn der zu diesem Zeitpunkt knapp 69-jährige Engels nicht persönlich daran teilnahm. Vor dem Hintergrund einer erstarkenden Arbeiterbewegung - was einerseits in großen Streikbewegungen wie dem Haymarket-Massaker in Chicago (1886), dem Dockarbeiterstreik in England (1889) und dem Bergarbeiterstreik 1898 im Ruhrgebiet deutlich wurde und zum Anderen in der Gründung sozialistischen Parteien und der Bildung von Gewerkschaften in vielen Ländern zum Ausdruck kam - verstärkte sich der Wunsch nach einer Erneuerung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.
Die deutsche Sozialdemokratie unter Leitung von August Bebel und Wilhelm Liebknecht war mit 81 Delegierten die stärkste und einflussreichste Fraktion des Kongresses und prägte dessen Inhalte maßgeblich. Dabei waren die Aktivitäten der deutschen Sozialdemokratie außerhalb des Reichstags und der Landtage zu jener Zeit im Deutschen Reich aufgrund der von 1878 bis 1890 gültigen Sozialistengesetze immer noch verboten.
Eröffnet wurde der Kongress von Paul Lafargue, dem Schwiegersohn von Karl Marx, den Vorsitz führten Wilhelm Liebknecht und Edouart Vaillant, ein Veteran der Pariser Kommune. Die Tagesordnung sah folgende Themen vor:
• Lage der Arbeiter und die sozialistische Bewegung in den verschiedenen Ländern
• Abschaffung der stehenden Heere und die allgemeine Volksbewaffnung
• Mittel und Wege, um die Forderungen des Arbeitsschutzes zu verwirklichen
• Internationale Kundgebung zum 1. Mai 1890
Das gemeinsame Ziel der Anwesenden kam in einer gemeinsamen Erklärung zum Ausdruck, in der der es heißt:„In Erwägung, dass es wünschenswert sei, die sozialistischen Demokraten unter einer gemeinsamen Bezeichnung international zu organisieren, (…) erkennt der Kongress alle Organisationen und Gesellschaften an, die den Klassenkampf und die Notwendigkeit, die Produktionsmittel zu vergesellschaften, bejahen.“ Vier Jahre später, auf dem Züricher Kongress (1893), wird die Strategie und Taktik der sozialistischen Parteien folgendermaßen konkretisiert: „Die politische Aktion ist im Hinblick auf die Agitation und Verteidigung sozialistischer Prinzipien weiterhin für die Verwirklichung von Reformen, die ein unmittelbares Interesse beanspruchen, notwendig. Von den Arbeitern aller Länder verlangt sie deshalb, dass sie ihre politischen Rechte erkämpfen und sich ihrer in allen legislativen und administrativen Körperschaften bedienen, um die Forderungen des Proletariats durchzusetzen und um sie in Mittel der Emanzipation des Proletariats zu verwandeln; weiterhin sich aber von jeder politischen Macht fernzuhalten, die heute nur das Instrument kapitalistischer Herrschaft ist.“ Die II. Internationale trug anfangs wesentlich dazu bei, den Marxismus in der Arbeiterbewegung auf eine breite Grundlage zu stellen; das kam u.a. dadurch zum Ausdruck, dass zahlreiche Parteien marxistische Programme nach dem Vorbild des Erfurter Programms der deutschen Sozialdemokratie beschlossen.
Im Zentrum des Gründungskongresses stand die Forderung nach dem Achtstundentag. Der Kongress nahm einen Antrag zur Abhaltung von in allen Ländern zum gleichen Tag stattfindenden Kundgebungen zur Durchsetzung des Achtstundentages an. Eine entsprechende Aktion wurde vom Amerikanischen Arbeiterbund zum Gedenken an die Opfer des Massakers auf dem Haymarket von Chicago für den 1. Mai 1890 bereits geplant. Dieses Datum übernahm der Kongress für die gesamte internationale Bewegung.
Außerdem forderten die Delegierten eine internationale Regelung des Arbeitsschutzes und der Frauen- und Kinderarbeit. Arbeit von Kindern unter 14 Jahren sollte ebenso verboten werden wie die Nachtarbeit von Frauen. Desgleichen forderte der Kongress eine zusammenhängende Ruhezeit von mindestens 36 Stunden pro Woche. Clara Zetkin hielt eine Ansprache über die Lage der Arbeiterinnen und er Kongress beschloss, die Arbeiterinnen als „gleichberechtigte Mitkämpferinnen“ anzusehen und forderten gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Auf ihre Initiative hin wurde dann 1910 der 8. März als Internationaler Frauentag von der II. Internationale beschlossen.
Weiterhin wandte sich der Kongress gegen die fortschreitende Militarisierung in den großen europäischen Staaten und sprach sich für eine Abschaffung der stehenden Heere und für eine allgemeine Volksbewaffnung aus. Der Brüsseler Kongress von 1891 wies auf den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Militarismus und kapitalistischem Gesellschaftssystem hin und hob in einer seiner bekanntesten und bedeutsamsten Resolutionen hervor, dass nur „die Schaffung der sozialistischen Gesellschaftsordnung, welche die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beseitigt, dem Militarismus ein Ende machen (...) kann“. Der Kongress rief die Arbeiter aller Länder auf, „gegen alle Kriegsgelüste und denselben dienende Bündnisse unablässig und energisch zu protestieren und zu wirken“. Der Züricher Kongress 1893 konkretisierte diesen Appell dahingehend, dass er den sozialistischen Parlamentsabgeordneten empfahl, grundsätzlich gegen Kriegskredite zu stimmen und für eine Kürzung der Ausgaben für die stehenden Heere sowie für deren allmähliche Abschaffung einzutreten. Insbesondere Friedrich Engels hatte verstärkt Anfang der 90er Jahre vor der wachsenden Gefahr eines Weltkrieges und dessen katastrophalen Folgen gewarnt und auf die Notwendigkeit konkreter Überlegungen und Maßnahmen zu einer stufenweisen Abrüstung hingewiesen.
In den 90er Jahren bis ins beginnende 20. Jahrhundert hinein kämpften die Parteien der II. Internationale weltweit gegen die Aufrüstungspolitik in den Staaten Europas und vor allem gegen die imperialistische Kolonialpolitik. Angesichts des Balkankrieges rief das Exekutivkomitee im Oktober 1912 alle angeschlossenen Parteien auf, Demonstrationen für den Frieden zu organisieren. Das stärkste Echo fand der Aufruf in Deutschland. Der sozialdemokratische Vorwärts rief zu Massenkundgebungen auf worin die Besorgnis ausgedrückt wurde, „dass aus dem Balkankrieg leicht ein Weltbrand entstehen könnte.“ Der Aufruf forderte: „Die Knochen auch nicht eines einzigen Proletariers dürfen geopfert werden! Unsere Parole lautet klar und entschieden: Nieder mit dem Krieg!“ Hunderttausende gingen auf die Straße: Allein in Berlin 250.000, in Kiel 15.000, in Altona 15.000 und in Hamburg 12.000. Es war ein letztes Wetterleuchten des proletarischen Internationalismus bevor die sozialdemokratischen Führer die rote Fahne auf dem Altar der „Vaterlandsverteidigung“ opferten. 1913 wurde von der Reichstagsfraktion die Wehrbeitragsvorlage der Reichsregierung nach heftigen internen Auseinandersetzungen angenommen, die damit zum ersten mal von ihrem Prinzip Diesem System keinen Mann und keinen Groschen (Bebel) abwich. Und als in den Julitagen 1914 noch in ganz Deutschland gegen den herannahenden Krieg demonstriert wurde, verhandelten die Spitzen der Gewerkschaften und Parteivertreter mit der Reichsregierung bereits darüber, wie man sich im Falle des Ausbruchs des Krieges verhalten solle. Sie sicherten der Regierung zu, dass sie aus nationaler Disziplin nicht gegen den Krieg auftreten würden.
Gleiches geschah in allen anderen Mitgliedsparteien der II. Internationale. Einzig die Sozialdemokratischen Parteien Rußlands, Serbiens und des Königreichs Polen und Litauen machten diesen Schwenk zur „Vaterlandsverteidigung“ nicht mit.
(Günther Stamer)