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Tarifdiktat an Unikliniken Kiel und Lübeck:

"Wir schäumen vor Wut"

Demo 01

01. September 2014 "Es stellt einen einmaligen Vorgang in der Arbeitskampfgeschichte unseres Landes dar, was die SPD-geführte Landesregierung und der UKSH-Vorstand jetzt praktizieren. Kurz vor Ende der Urabstimmung über Streikmaßnahmen im laufenden Arbeitskampf wird die Tarifautonomie ausgehebelt, wird der Arbeitskampf von der Landesregierung kurzer Hand für beendet erklärt, wird ver.di ein Lohndiktat verordnet. Ein ungeheuerlicher Vorgang. Das ist ein Tabubruch, den ich einer sozialdemokratisch geführten Landesregierung nicht zugetraut hätte. Gründe genug, zu sagen: SPD und Grüne sind mit ihrem Verhalten für Gewerkschafter unwählbar geworden," so Steffen Kühhirt, ver.di-Verhandlungsführer, am Dienstag auf der Protestkundgebung der Gewerkschaft vor dem Landeshaus, die unter dem Motto „Wir schäumen vor Wut“ stattfand. Ver.di hatte die 6.000 nichtwissenschaftliche Kolleg*innen des Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) an den Standorten Kiel und Lübeck aufgerufen, ganztägig die Arbeit niederzulegen und ihren Protest in der Landeshauptstadt zum Ausdruck zu bringen. 700 Gewerkschafter*innen zogen lautstark bei hochsommerlichen Temperaturen vom Gewerkschaftshaus über den UKSH-Campus zum Sitz der Landesregierung, um ihre Wut über das Tarifdiktat zum Ausdruck zu bringen.

Der Hintergrund: Noch während der laufenden Urabstimmung über einen Streik hatten UKSH-Vorstand und rot-grüne Landesregierung beschlossen, das Klinikum wieder in die Tarifgemeinschaft der Länder zurückzuholen (aus der sie vor Jahren ausgetreten waren, um das Klinikum für Privatisierungen und Ausgliederungen tariflich neoliberal-stromlinienförmig ausrichten zu können). Mit dem am Donnerstag erfolgenden Beitritt herrscht dann Friedenspflicht und die Gewerkschaften können dann nicht mehr zu Streiks im laufenden Tarifstreit aufrufen – weil es ja einen geltenden TV-L gibt. Bei der Protestkundgebung sagten verdi-Redner, die Arbeitnehmer des Klinikums hätten in den vergangenen Jahren durch ihren Haustarifvertrag erheblich zur Sanierung des hoch defizitären UKSH bereits mit 100 Millionen Euro beigetragen. Dass jetzt statt Lohnzuwächsen ein Spardiktat folge, „das ist schäbig, das geht gar nicht.“ So werden die meisten Arbeitnehmer am UKSH weniger Geld haben als bisher: Shuttlezeiten zwischen den Standorten Kiel und Lübeck sollen nicht mehr als Arbeitszeit gelten, die Nachtdienstzuschläge sollen geringer ausfallen.

Demo 03

Als größter Arbeitgeber und wichtiger Ausbildungsbetrieb des Landes beschäftigt das UKSH 11.710 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit circa 2.400 stationären Betten, über 240.000 ambulanten und circa 100.000 stationären und teilstationären Patienten ist das UKSH das zweitgrößte Universitätsklinikum Deutschlands.

ver.di kämpft in der laufenden Tarifauseinandersetzung für die Übernahme des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen auch fürs UKSH. Fast alle Krankenhäuser im Norden haben laut ver.di diesen Tarifvertrag, es dürfe keinen Lohnwettbewerb an Krankenhäusern geben. In den laufenden Tarifverhandlungen habe sich ver.di unter einer Voraussetzung für die Übernahme des Länder-Tarifvertrags bereit erklärt: Wenn das UKSH diesen auch für seine sieben Tochtergesellschaften mit rund 2500 Mitarbeitern einführen würde.

Demo 02

Dass die Landesregierung nun eigens einen Arbeitgeberverband gründet, um dem UKSH in den Tarifvertrag der Länder zu verhelfen, ist nach Auffassung der Gewerkschaft völlig absurd und schäbig. In der vor dem „Schachzug“ der Landesregierung gestartete Urabstimmung hatten sich knapp 98 Prozent für einen Streik ausgesprochen. Unabhängig von der rechtlichen Frage, ob Friedenspflicht von Donnerstag an bestehe oder nicht, würden die ver.di-Forderungen spätestens bei der nächsten Tarifrunde Anfang 2015 wieder auf den Tisch kommen.

Mit Übernahme des Flächentarifvertrags der Länder bekämen die UKSH-Angestellten laut Finanzministerium rückwirkend zum 1. Juli durchschnittlich 1,86 Prozent mehr Geld und einen Urlaubstag mehr. Dem gegenüber lauten die ver.di-Forderungen: Die Orientierung am Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes (TVÖD) soll beibehalten werden. Das bedeutet eine Laufzeit von 24 Monaten und eine prozentuale Erhöhung der Vergütungen ab dem 1.3.2014 um 3,0 %, mindestens aber 90 Euro mehr. Ab dem 1.3.2015 sollen die Vergütungen um weitere 2,5 % steigen. Eine einmalige Zulage für alle Beschäftigten für die besonderen Belastungen am UKSH und eine Regelung zur unbefristeten Übernahme der Auszubildenden.

Ob mit dem Coup von Landesregierung und UKSH-Vorstand die Tarifauseinandersetzungen an den Unikliniken nun beendet sind, bleibt abzuwarten. ver.die hat angekündigt, diese Variante des Klassenkampfes von oben rechtlich prüfen zu lassen. Noch wichtiger wäre, betriebs- und gewerkschaftsübergreifende Solidarität zu entwickeln.


text/fotos: gst